Ob eine betriebliche Weihnachtsfeier Fluch oder Segen ist? Juristen antworten mit ihrem lakonischen "Es kommt darauf an". Auch Geschenke sind juristisch meist erst dann interessant, wenn sie steuer- oder strafrechtlich auffällig werden. Ein etwas umfangreicheres Geschenk-Paket aus rechtsphilosophischen und -historischen Fundstücken schnürt Martin Rath.
Es gilt inzwischen nicht mehr als ganz so sicher, dass Menschen überwiegend aus Egoismus handeln. Erhält ein Mensch von einem anderen Menschen eine Gabe, fühlt er sich offenbar im Allgemeinen verpflichtet, sie zu erwidern.
Sozialbiologen und Wirtschaftspsychologen betreiben derzeit viel Forschung zu der Frage, ob sich der Mensch als solcher dabei eher als offener Egoist oder als verkappter Altruist verhält. Ihre Forschungsergebnisse finden gelegentlich den Weg in die Öffentlichkeit und werden wieder vergessen, sobald die üblichen Kommentatoren aus den Zahlen zu viel oder zu wenig Staatsquote beziehungsweise Unternehmergeist geschlossen haben.
Spannender kann es werden, wenn die Frage jenseits der ausgetretenen ökonomischen Pfade verfolgt wird: Warum wird eine Gabe selbst dort obligatorisch erwidert, wo dem Bereicherten keine Staatsgewalt im Nacken sitzt?
Auf dem Weg zu einer Antwort griff der französische Ethnologe Marcel Mauss (1872-1950) in seiner "Studie über die Gabe" eine Vorstellung aus Polynesien auf. Ein Maori-Weiser erklärte, dass allen Menschen und auch allen Dingen "hau" innewohnt.
Marcel Mauss übersetzte "hau" mit "Geist" – einem Geist, der zum Beispiel auch in einer betrieblichen Weihnachtsfeier stecken kann.
Wird jemand beschenkt, möchte er, so der "hau"-Gedanke, von der Gabe deshalb nicht dauerhaft profitieren, weil "diese Sache – die nicht nur moralisch, sondern auch psychisch und geistig von der anderen Person kommt - ... magische und religiöse Macht über den Empfänger" hat.
Es wäre "gefährlich und tödlich", sich die fremde Gabe dauerhaft aneignen zu wollen. Um diese Gefahr zu vermeiden, müssen Gaben stets erwidert werden.
Betriebsfeiern im Arbeitsrecht – ein juristischer Schutzzauber
Zu den von "hau" behafteten Tauschgegenständen, die im steten Fluss der Gesellschaft bleiben müssten, um nicht dadurch Schaden anzurichten, dass Einzelne bereichert bleiben, zählte Mauss nicht nur die materiellen Gaben, sondern "vor allem Höflichkeiten, Festessen, Rituale, Militärdienste, Frauen, Kinder, Tanz, Feste".
Mit den Stichwörtern "Festessen und Rituale" verbindet in diesen Tagen der Jurist natürlich zwanglos den potenziellen arbeitsrechtlichen Tatort "Betrieb" mit der oft wenig ungezwungenen "Weihnachtsfeier".
Diese hat zwar ihre juristische Seite, für die betroffenen Arbeitnehmer aber vielleicht doch zunächst einen ethnologischen "hau". Da 'verschenkt' ein Arbeitgeber an sich kostbare Dienstzeit und widmet sie einem zweifelhaften 'gemütlichen Beisammensein'. Der solchermaßen beschenkte Arbeitnehmer erwidert diese Gabe meist nur durch schlichte Anwesenheit und einen ortsüblichen Beitrag zur 'besinnlichen Stimmung'. Das ist zwar eine bescheidene Gegen-Gabe, entspricht aber dem hierarchischen Gefälle.
Das ethnologische Konzept bildet für die meisten, die sich in milder Form zu einer betrieblichen Gemütlichkeit genötigt sehen, wohl eine ausreichende Beschreibung. Wer die juristisch-nüchterne Sicht vorzieht, dem bietet der Aufsatz von Volker Vogt aktuelle Auskünfte zum arbeits-, steuer- und haftungsrechtlichen Potenzial, erschienen unter dem freilich etwas entmutigenden Titel "Selten ohne Ärger – die Betriebsfeier" in der Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA 2010, 1.264-1.267).
"Hau" – mehr als ein humoristisches Konzept
Dass ritualisierten Zusammenkünften wie betrieblichen Weihnachtsfeiern neben juristischen auch soziale Zwänge innewohnen, ist für sich genommen noch keine überragende Erkenntnis. Doch lohnt es sich, die Idee einer – betrieblichen – Feier als "Gabe" noch ein wenig zu verfolgen.
Mag sein, dass Manager weniger Emotionen haben, zumindest Mittelständlern aber dürften sie nicht fremd sein: Da 'schenkt' man seinen Mitarbeitern einmal großzügig das besinnliche Zusammensein zum Jahresende, Geschenke und Gasthausbesuch inklusive – und wenn man nicht aufpasst, ist man irgendwann verpflichtet, auch noch dem undankbarsten Personal eine Weihnachtsfeier zu bescheren?
Selbst wenn es sich in Unternehmerkreisen längst herumgesprochen haben muss, dass die "betriebliche Übung" aus mancher freundlichen Gabe eine lästige Rechtspflicht machen kann, gibt sie – nicht zuletzt in Medienbeiträgen – immer wieder das Beispiel für ein "problematisches Anspruchsdenken" ab.
Man sollte sich nicht zu sehr aufregen. Gewiss, wenn freundlich gemeinte Gaben in Rechtspflichten mutieren, ist das lästig. Aber es gab Zeiten, in denen nicht formale Rechtspflichten das gesellschaftliche Dasein beherrschten.
Es waren Zeiten, in denen – wie beim polynesischen "hau" – magisch-moralische Zwänge herrschten, Gaben in Umlauf zu bringen. Manchmal ist der Blick ins Geschichtsbuch auch mit erhöhter Rechtserkenntnis verbunden.
Die Gabe als gesellschaftlicher Klebstoff
Ein solches Buch hat Natalie Zemon Davis mit "Die schenkende Gesellschaft" geschrieben, so der deutsche Titel. Die US-amerikanische Historikerin untersucht – inspiriert von Marcel Mauss – die zwanglos-zwanghaften sozialen Beziehungen im Frankreich des 16. Jahrhunderts und entdeckt in der Gabe einen wichtigen gesellschaftlichen Klebstoff.
Im Jahrhundert Shakespeares und Montaignes hielten weniger Recht und Markt die soziale Ordnung zusammen als vielmehr das Prinzip der Gabe. Einem intellektuellen Helden jener Jahre, dem Humanisten Erasmus von Rotterdam bereitete das vermutlich wenig Kummer. Sein "hau" bewirkte, dass er gebildeten Adeligen seine Bücher schenkte. Er wurde von den Fürsten mit wertvollen Dingen, Schmuck und Geld beschenkt – nicht in direktem Tausch, sondern aufgrund seiner Reputation.
Wollte ein einflussreicher Bischof dieser Zeit seine Bibliothek erweitern, wusste man in den Druckereien davon und beschenkte ihn. Die heutige Rechtspflicht, Staatsbibliotheken ein Belegexemplar von Druckwerken zukommen zu lassen, hat dort ihren Ursprung. Sie ist aber weit weniger drückend. Wie drückend muss es erst für Bauern und Handwerker gewesen sein, wenn das Wohlwollen von Richtern oder Beamten von Gaben abhängig war – nicht etwa in Gestalt berechenbarer Schmiergeldzahlungen, sondern vom Anlass losgelöster Geschenke?
Ganz gleich, ob in Verwandtschafts-, Freundschafts- oder Herrschaftsverhältnissen, galt für unsere Vorfahren: "Das nagende Gefühl, anderen verpflichtet zu sein, biss sich fest im psychischen Haushalt der Menschen auf vielen Stufen der sozialen Hierarchie, von wohlhabenden Bauern bis zur Spitze der Gesellschaft."
Dazu, dass Gefühle besonders nagend werden, kann bekanntlich die Sexualität verstärkend beitragen. Der französische König erließ 1557 ein Dekret, wonach Frauen bis zum Alter von 25 Jahren, Männer bis 30 Jahren zu einer Heirat die Erlaubnis ihrer Eltern benötigten. Die Vorschrift hatte vermutlich einen eher indirekten moralischen Zweck: Damals wuchsen die Städte langsam, junge Leute versuchten dort ihr Glück. Das Startkapital brachten sie von zuhause mit. Indem sie zur Heirat die Erlaubnis der Eltern brauchten, blieb der moralische Druck erhalten, durch Geschenke zu deren Versorgung beizutragen.
Geschenke und die Religion
Moralischen Druck, sich am gesellschaftlichen Austausch von Gaben und Geschenken zu beteiligen, übte zu allem Überfluss auch noch die Religion aus. Der Anfang liegt in der Weihnachtsgeschichte und soll deshalb hier noch kurz umrissen werden.
Nach der christlichen Doktrin, die in früheren Zeiten wohl mitunter noch ernst genommen wurde, inkarnierte Gott in Gestalt seines Sohnes, um durch das spätere Osteropfer die Menschheit von den Folgen der Erbsünde, dem Tod, zu befreien.
Christen bekommen damit ein Geschenk, die Erlösung. Ein derart großes Geschenk kann natürlich gefährlich sein, wie im polynesischen Konzept des "hau" löst es ja mindestens ein schlechtes Gewissen aus, eine Gabe zu erhalten und nichts Gleichwertiges weitergeben zu können.
Übrigens galt bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 in den meisten deutschen Zivilrechtssystemen dazu passend, dass größere Geschenke der notariellen Beglaubigung bedurften – vom Formzwang ist bekanntlich nur das Schenkungsversprechen geblieben. Aus unserer heutigen Sicht, die in den "Motiven zum BGB" von 1896 dominiert, dient dergleichen dem Schutz des Schenkers vor Verarmung. Für unsere Vorfahren spielte wahrscheinlich auch die umgekehrte Sicht eine Rolle: Wer sich zu reich beschenken ließ, übernahm eine unter Umständen zu große Last, seinerseits Gaben zu geben.
Am schlechten Gewissen, ein göttliches Geschenk erhalten zu haben, Gleichwertiges aber nicht schenken zu können, leiden Christinnen und Christen im Idealfall unterschiedlich. Katholiken neigen zur theologischen Doktrin, dass sie durch gute Taten, also auch Almosen und Gaben, die göttliche Gnade positiv beeinflussen können. Protestanten halten das für ein bisschen blasphemisch. Historisch blieben katholisch geprägte Ökonomien daher in der Tendenz eher dem Prinzip der Gabe verhaftet, protestantische neigten früher zum schamhaften Sammeln irdischen Reichtums.
Wie Bill Gates demonstriert, verschenkt man das so verdiente Geld zu Lebzeiten an nützliche Projekte – statt nach dem Tod an Mutter Kirche.
"Das Volk allein, dem es geschah, das feiert lieber Chanukah"
Einen wirklich seriösen Versuch, aus biblischen Erzählungen Lehren für die moralische und juristische Entwicklung der westlichen Gesellschaft zu ziehen, unternahm vor einigen Jahren der bekannte US-amerikanische Strafverteidiger Alan M. Dershowitz mit seinem Buch "Die Entstehung von Recht und Gesetz aus Mord und Totschlag". Eine seiner zehn Erörterungen behandelt beispielsweise die Ungeheuerlichkeit des Falles "Abraham versus Isaak" (Genesis 22:1-12).
Leider hat Dershowitz als jüdischer Intellektueller mit der christlichen Weihnachtsgeschichte wenig am Hut. Er beschränkt sich auf das Buch "Genesis". Literatur mit juristischem Anspruch zum Neuen Testament gibt es zwar, doch behandelt sie recht erschöpfend die Kreuzigungsgeschichte.
Dabei wäre eine juristisch-rechtsphilosophische Analyse auch der Weihnachtsgeschichte sicherlich spannend. Hat der Evangelist Lukas fremde Urheberrechte verletzt? Wie sind die antiken Wirtshausbesitzer zu beurteilen, dass Jesus in einem Stall zur Welt kommen musste? Was würde Volker Rieble (NJW 2010, 816-817) zu den Fürsorgepflichten des Joseph sagen?
Ob die Antworten ein Geschenk an die juristisch denkende Menschheit sind? Es kommt darauf an.
Martin Rath, freier Journalist und Lektor, Köln.
Martin Rath, Recht frech / Die etwas andere Literaturübersicht: . In: Legal Tribune Online, 26.12.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2225 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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