Arzneimittelrecht: Der Phar­ma­kampf

von Martin Rath

13.01.2019

Der Handel mit apothekenfreien Mittelchen boomt heutzutage. Doch vor 50 Jahren bestätigte das Bundesverwaltungsgericht noch ein Verbot, harmlose Kräutertees in einer Drogerie zu verkaufen. Wie kam der Teufel also aus der Flasche?

Im Jahr 1964 verbot der Regierungspräsident Kassel dem Vertriebspartner der Firma Hermes Fabrik pharmazeutischer Präparate, Franz Gradinger KG, vier Produkte über Drogerien zu verkaufen: Kräutertee-Mischungen mit den klassischen Genesungsversprechen für den Magen-Darm-, Bronchial-, Leber-Gallen- und Nieren-Blasen-Apparat des menschlichen Körpers.

Aus Sicht der Behörde lag seinerzeit nichts Erstaunliches darin, den Vertrieb dieser Teesorten zu unterbinden, die heute in jedem Drogerie-Geschäft zu finden sind: Nach der "Verordnung betreffend den Verkehr mit Arzneimitteln" vom 22. Oktober 1901 war es – mit wenigen ausdrücklichen Ausnahmen  – verboten, die einschlägigen Pflanzenteile "ohne Unterschied, ob sie heilkräftige Stoffe enthalten oder nicht, als Heilmittel" außerhalb einer Apotheke anzubieten oder zu verkaufen.

Im Jahr 1961 witterten die Kräuterteehändler jedoch Morgenluft, dass diese Regelung aus Kaisers Zeiten ein Ende gefunden haben könnte: Das neue, in einem zähen politischen Prozess zustande gekommene Arzneimittelgesetz (AMG) ließ sich dahingehend auslegen, dass "Mischungen aus ganzen oder geschnittenen Pflanzen oder Pflanzenteilen als Arzneispezialitäten" (§ 29 Nr. 3 b AMG a.F.) nunmehr apothekenfrei vertrieben werden könnten.

Mit Urteil vom 13. Januar 1969 entschied jedoch das Bundesverwaltungsgericht, dass die Heilkraft verheißenden Tees von dieser Vorschrift nicht gemeint gewesen seien (Az. I C 20.67). Für deren Freigabe sei eine Rechtsverordnung nach § 30 AMG vonnöten, die auch acht Jahre nach Inkrafttreten der Ermächtigungsgrundlage noch nicht vorlag.

Nach über vierjährigem Rechtsstreit erfuhren die Herren der Kräutertee-Wertschöpfungskette – aus einer Entscheidung, deren Argumentation heute geeignet sein dürfte, juristische Examenskandidaten kläglich nach Beruhigungstee rufen zu lassen –, dass der leidende Mensch seine Heilkräutertee-Mischung weiterhin ausschließlich in der Apotheke finden sollte.

Pillen, Kräuter und Tinkturen – der Kampf geht weiter

Aber schon im September 1969 sollte sich das Sortiment der Drogerien und Reformhäuser um die lange verbotenen Kräutertee-Mischungen erweitern.

Mit der "Verordnung über die Zulassung von Arzneimitteln für den Verkehr außerhalb der Apotheken" gab der Bundesminister für Gesundheitswesen – die SPD-Politikerin Käte Strobel (1907–1996) firmierte noch unter der -in-losen Form – die einschlägigen Tees frei. Freilich nicht eben zur Beruhigung jener Geschäftsleute, die vom Verkauf von Kräutern und Tinkturen, Pillen und Pulver lebten.

Denn die Verordnung umfasste auch so beliebte Stoffe wie Eukalyptusöl,  Brause-Magnesium, Baldrianextrakt, Vitamin C, Nelkenöl oder die heute beliebten Lebertran-Kapseln. Dies verschärfte nicht zuletzt auf dem Vitamin-Markt den Kampf zwischen Apotheken und Drogerien, der nach dem Catch-as-catch-can-Prinzip des Catch Wrestlings geführt wurde des – man erlaubte sich fast jeden bösen Griff.

Im Hessischen verbannte beispielsweise ein Jahr nach der Freigabe ein Apotheker sämtliche etablierten Vitamin-Tabletten der Firma Merck, die sich erdreistet hatte, nunmehr auch Drogerien zu beliefern. Als Held der Apothekerzunft galt vorläufig der neu auf den Brausetabletten-Markt getretene Merck-Konkurrent Woelm, von dem man sich erhoffte, mit einer ausschließlich apothekenpflichtigen Abmischung der Präparate zu arbeiten. Der freiverkäuflich zulässige Gehalt an Vitamin A und D diente nun im Wesentlichen dazu, Apotheken- und Drogerie-Marktanteile abzugrenzen. Über gesundheitsförderliche Wirkungen sollten andere nachdenken.

Apothekenmonopol wird trotzdem bestätigt

Immerhin mochten das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Januar 1969 und die Rechtsverordnung von Bundesministerin Strobel die Apotheker ein wenig dahingehend beruhigen, dass die Liberalisierung der (para-)pharmazeutischen Märkte nicht so weit gehen würde, wie es sich mancher darbende Drogerie-Besitzer erhoffte.

Denn erst zehn Jahre zuvor war durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (v. 7.1.1959, Az. 1 BvR 100/57) etwas Ruhe in die Auseinandersetzung um das Apothekenmonopol gekommen. Damals hatte ein Drogist den Rechtsstreit gesucht, nachdem ihm mit Blick auf die Verordnung aus Kaisers Zeiten der Verkauf von Schmerztabletten untersagt worden war. Sein Argument: "Die Funktion der Apotheken bei der Aufbewahrung und Abgabe von Arzneifertigwaren sei so geringfügig, daß sie die Apothekenpflicht gesundheitspolitisch nicht zu rechtfertigen vermöge. Das Apothekenmonopol diene daher ausschließlich zur Stärkung der wirtschaftlichen Existenz der Apotheken." Im Nachgang zu ihrem rechtsdogmatisch berühmten Apotheken-Urteil vom 11. Juni 1958 wollten die Verfassungsrichter hier jedoch keine Einschränkung der Berufsfreiheit des Drogerie-Besitzers erkennen.

Mit der Freigabe von Tees und anderen mutmaßlich gesundheitsförderlichen Mittelchen im Jahr 1969 durften sich die Apotheker also noch glimpflich behandelt fühlen. Ohne die Karlsruher Klärung aus dem Jahr 1959, dass ihr Monopol grundsätzlich in Ordnung ginge, drohte nun keine Öffnung des Marktes für echte Medikamente – selbst wenn in der Bundeshauptstadt Bonn weitergehende Pläne einer deregulierten Marktwirtschaft geschmiedet wurden.

Wen bedrohen deregulierte Märkte am stärksten?

Denn Politik und Gerichte, Medien und Verbraucher sahen sich zunehmend durch ein anderes Instrument, die sogenannte Preisbildung zweiter Hand, belästigt – und zwar am empfindlichsten Organ des Menschen, dem Portemonnaie.

So hatten bis zum Jahr 1972 rund 800 Unternehmen circa 90.000 Produkte beim Bundeskartellamt als preisgebunden gemeldet. Gegenüber dem Endverbraucher bestand damit für viele Markenprodukte ein einheitlicher Preis, der kartellrechtlich nur anzeige-, nicht aber genehmigungspflichtig war.

Zum Streitfall gerieten allenfalls jene Rabatte, die den Inhabern der unterschiedlichen Handelslogistiken – Groß- und Einzelhändler, Apotheker und Drogerien, Versand- und Einzelhändler – gewährt werden durften. Der Bundesgerichtshof (BGH) exerzierte dies etwa am Beispiel der Zahnpasta "Signal" mit Beschluss vom 17. Oktober 1968 durch (Az. KVR 5/67) – unter der für Rechtswissenschaftler nicht eben zugänglichsten aller Fragen, welche Maßstäbe die letztlich doch volkswirtschaftliche Logik zur Bewertung von zulässigen Preisbindungen vermittle.

Das zahlende Publikum hatte sich indes aus der Logik der Preisbindung längst verabschiedet. Denn bei der Freigabe beispielsweise des Endverbraucherpreises für Schokolade war 1964 zu erleben, dass die 100-Gramm-Tafel statt des teuren Fixpreises von 1,30 Mark nun auch für 60 Pfennige zu haben war. Und die Justiz mochte sich vielleicht freuen, dass sich Schokoladenhändler nicht mehr lauterbarkeitsrechtlich beharken konnten.

Die Preisbindung hatte zudem zum Kampf mit harten Bandagen beigetragen, profitierten die zumeist kleinen, vielfach inhabergeführten Drogerie-Märkte doch relativ wenig vom Herstellerrabatt. In einem Sachverhalt, über den der BGH mit Urteil vom 18. Mai 1966 (Az. Ib ZR 60/64) entschied, hatte etwa ein Drogerie-Besitzer seinen Kundinnen, die Taschentücher bzw. Damenbinden der Marken "Tempo" und "Camelia" erwerben wollten, Produkte anderer Herkunft verkauft, ohne darauf aufmerksam zu machen. Der Fall belegt, unter welch dürftigen Bedingungen die Drogerie-Branche agierte. Jedenfalls sah sich der akademisch gebildete, berufsständisch organsierte Apotheker seit den 1950er Jahren einer darbenden Konkurrenz ausgesetzt, die nur zu gern etwas vom wirtschaftlichen Aufschwung der jungen Bundesrepublik abbekommen hätte.

Ende der Preisbindung zweiter Hand

Zu welchem höheren Nutzen – jenseits einer gewissen fachlich qualifizierten Versorgung der Bevölkerung mit pharmazeutischen Produkten – die Märkte zu regulieren seien, war Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre kaum noch zu erkennen.

Mit Artikelgesetz vom 3. August 1973 hob der Gesetzgeber die bis dahin für alle Märkte in §§ 16, 17 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geregelte Möglichkeit der produzierenden Gewerbe auf, mit dem Handel Vereinbarungen über den Endverbraucherpreis zu treffen.

Lautstark dagegen protestiert hatten zuvor viele Inhaber kleiner Drogerien. Verständlich, war ihr Geschäftsfeld zwischen dem allgemeinen Einzelhandel und den Apotheken doch von jeher bedenklich eng gewesen und war die Freigabe der bisher apothekenpflichtigen Mittelchen – Tees, Fischöl, Vitamine – seit 1969 kaum kassenwirksam geworden.

Trotz anders lautender Versprechen der FDP – ihr Vorsitzender Walter Scheel (1919–2016) hatte eine Aufhebung der Preisbindung abgelehnt, ihr wirtschaftspolitischer Sprecher Werner Mertes (1919–1985) redete einem Sozialplan für die nunmehr pleitegehenden Drogerie-Besitzer das Wort – beschloss die sozialliberale Koalition die Beseitigung der Preisbindung zweiter Hand.

Siegeszug der Drogerie-Ketten

Unter den neuen Marktbedingungen setzten sich Akteure wie der Karlsruher Drogist Götz Werner (1944–) oder sein Konkurrent Dirk Roßmann (1946–) aus Hannover gegen die kleinen, familienbetriebenen Drogerien durch, verfügten sie doch dank ihrer wachsenden Filialnetze über hinreichende Verhandlungsmacht gegenüber den Herstellern.

Ein bisschen schade ist es, wenn heute beispielsweise der Theologe und Psychiater Manfred Lütz (1954–) mit der steilen These berühmt werden kann, in der deutschen Gesellschaft sei die Sorge um die Gesundheit zur (Ersatz-)Religion geworden. Dabei steckt hinter der enormen Nachfrage, die inzwischen für Gesundheitsprodukte aller Art besteht, augenscheinlich nicht viel mehr als ein liberalisierter Markt für all die Seifen, Vitamine oder Kräutlein – ein Markt, dessen Grenzen aus Kaisers Zeiten der Gesetzgeber vor 50 Jahren aufzuheben begann.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist.

Zitiervorschlag

Arzneimittelrecht: . In: Legal Tribune Online, 13.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33175 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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