1958 war eines der spannendsten Jahre der deutschen Presserechtsgeschichte: Die Bundesregierung unternahm den Versuch, das Persönlichkeitsrecht zentral zu regeln und scheiterte, was ein bisschen auch an einer persischen Prinzessin lag.
Spätestens Anfang November 1958 sah sich Bundesjustizminister Fritz Schäffer (1888–1967) einer vereinten Opposition der westdeutschen Presse gegenüber.
Dem CSU-Politiker traten nicht allein die notorisch mit ihrer Widerborstigkeit kokettierenden Blätter aus Hamburg entgegen. Harsche Kritik an einer Vorlage aus dem Bonner Justizministerium kam auch von Vertretern der – gelinde gesagt – rechtskonservativen Presse: Durch den "Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes" sahen sich beispielsweise nicht zuletzt Publizisten vom Format des sudetendeutsch-bayerischen Abendlandverteidigers Emil Franzel (1901–1976) in ihrer Freiheit zum Meinungskampf bedroht.
Es war der umfassende Vorschlag, die Persönlichkeitsrechte an zentraler Stelle zu regeln, der im Herbst 1958 den Unmut der Journalisten und ihrer Verleger erregte. Ein neu formulierter § 12 Abs. 1 Halbsatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sollte nach Ansicht der Bundesregierung künftig lauten: "Wer widerrechtlich einen anderen in seiner Persönlichkeit beeinträchtigt, ist ihm zur Beseitigung der Beeinträchtigung verpflichtet[.]"
Umfassender Persönlichkeitsschutz im BGB
In den neu zu fassenden §§ 13 bis 20 BGB sollte im Detail geregelt werden, worin die Beeinträchtigung der Persönlichkeit zu sehen sei. Aus § 823 Abs. 1 BGB sollte beispielsweise als erster Fall der Beeinträchtigung die unbefugte Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit oder Freiheit in einen neuen § 13 BGB verschoben werden.
Nach § 14 BGB n.F. sollte es als weitere widerrechtliche Verletzung gelten, "wenn jemand einen anderen durch Kundgabe von Mißachtung beleidigt oder wenn jemand über einen anderen eine ehrenrührige Behauptung tatsächlicher Art, deren Wahrheit er nicht zu beweisen vermag, gegenüber einem Dritten aufstellt oder verbreitet".
Unbefugte Mitteilungen über das Familienleben (§ 15), Namensmissbrauch (§ 16), unbefugte Veröffentlichung von Bildern sowie Aufnahme von Bildern gegen den erkennbaren Willen des Abgebildeten (§ 17), Abhören (§ 19) würden weitere Unterfälle bilden. Der neue § 20 formulierte einen Anspruch auf Veröffentlichung des Widerrufs verletzender öffentlicher Behauptungen tatsächlicher Art entsprechend dem presserechtlichen Gegendarstellungsrecht.
Als besonders heißes Eisen galt den Journalisten, erst recht natürlich den Verlegern, die für diesen Spaß im Zweifel zu zahlen hatten, die vorgeschlagene Neuregelung eines § 252a BGB, wonach für Fälle des oben zitierten § 14 Abs. 1 BGB eine eher vage limitierte gesetzliche Vermutung gelten sollte, dass die Beleidigung oder unbewiesene nachteilige Tatsachenbehauptung einen Vermögensschaden verursacht hatte. Klägern sollte damit ein Gutteil ihrer Darlegungs- bzw. Beweislast genommen werden.
Diskretes Arbeiten am Gesetzentwurf
Wohl wissend um den zu erwartenden Gegenwind, hatte Schäffer die Arbeit an dem Gesetzentwurf mit einiger Diskretion betrieben. Zwischen April und Oktober 1958 sickerte vergleichsweise wenig durch. Doch meldete die Presse bereits erste Bedenken wegen einer allzu umfassend formulierten Pflicht an, den Wahrheitsbeweis für unvorteilhafte Behauptungen antreten zu müssen. Man befürchtete Zustände wie in Großbritannien, wo selbst Fehler in nebensächlichen Details zu erheblichen Sanktionen führten.
In die Entwürfe eingeweihte Juristen attestierten der finalen Fassung – zugänglich als Bundestagsdrucksache 3/1237 – immerhin, der Presse in puncto Beweislast entgegen gekommen zu sein.
Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes war es im Prinzip auch nicht umstritten, das Persönlichkeitsrecht im BGB zu regeln. Die Generalklausel des neuen § 12 Abs. 1 Hs. 1 BGB ähnelte erkennbar dem entsprechenden Artikel 28 des Schweizer Zivilgesetzbuchs , trug insoweit die Vermutung helvetischer Harmlosigkeit in sich. Vor wie nach dem Schäffer-Entwurf sollte sich der Deutsche Juristentag mit diesem Anliegen ausführlich befassen, harsche Übergriffe auf die Pressefreiheit mochten auch von dieser Stelle nicht zu erwarten sein.
Berühmter "Herrenreiter Fall"
In mancher Hinsicht sollte der Entwurf zudem nur die neuere Spruchpraxis der Gerichte ins Gesetz überführen. So kreierte der Bundesgerichtshof (BGH) mit dem berühmten "Herrenreiter-Fall" just im Februar des medienrechtlich spannenden Jahres 1958 einen Schmerzensgeldanspruch für einen Turnierreiter, dessen Fotografie gegen seinen Willen in der Reklame für ein Potenzpräparat verwendet worden war. Zwei Jahre zuvor hatte der BGH zur Monetarisierung der missbräuchlichen Verwendung einer Fotografie noch auf den Schaden des Schauspielers durch entgangene Vergütung zurückgegriffen.
Spätestens mit der "Herrenreiter"-Entscheidung hatten die Gerichte also signalisiert, dass sie auch gesetzlich nicht oder nur andeutungsweise geregelte Verletzungen des Persönlichkeitsrechts nicht unsanktioniert lassen würden.
Auf der anderen Seite hatten die Medienleute in diesem spannenden Jahr auch Grund, die Morgenluft der Freiheit zu wittern: Mit dem berühmten Lüth-Urteil vom 15. Januar 1958 hatte das Bundesverfassungsgericht, nach dem Empfängerhorizont von Journalisten und Verlegern bemessen, nicht schiere Grundrechtsdogmatik produziert, sondern signalisiert, dass ihre Tätigkeit in der Bonner Republik tatsächlich unter dem Schutz der Verfassung stehen sollte.
Wie sehr die Gerichte und Behörden unter der Reichsverfassung von Weimar Journalisten mit einfachem Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht kujoniert hatten, wussten viele – keine 30 Jahre danach – noch aus eigener Anschauung.
Adenauer-Kabinett will persische Prinzessin schützen
Obwohl der "Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes" jedenfalls eine gute Diskussionsgrundlage bot und aufgrund seiner detaillierten Begründung noch heute lesenswert ist, hatte er in den Medien damit bereits einen schweren Stand.
Doch hatte das dritte Kabinett von Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876–1967) darüber hinaus dazu beigetragen, eine sachliche Diskussion zu erschweren. So hatte sie – ebenfalls in diesem medienrechtlich spannenden Jahr 1958 – den Versuch unternommen, den strafrechtlichen Ehrenschutz nicht nur für ausländische Staatsoberhäupter, sondern auch für deren Familienangehörige auszuweiten.
Grund dazu gaben Berichte und Kommentare des Magazins "Stern", das sich 1958 ein wenig unfein über die Scheidung des persischen Kaisers (Shahs) Mohammad Reza Pahlavi (1919–1980) von seiner Gattin Soraya Esfandiary Bakhtiary (1932–2001) verbreitete. Da Prinzessin Soraya in jüngeren Jahren in Deutschland gelebt und die Bundesregierung sie anlässlich ihrer Heirat mit dem ausländischen Potentaten mit Ordensschmuck behängt hatte, genoss die Affäre kitschigst-klebrige Boulevard-Aufmerksamkeit. Der persische Botschafter sah das Verhältnis zur Bundesrepublik als erheblich beeinträchtigt.
Weil die "Lex Soraya" als Rechtsgut neben der Ehre ausländischer Staatsoberhäupter auch die ungestörten Außenbeziehungen der Bundesrepublik schützen sollte, sollten ehrstörende Presseäußerungen unabhängig davon unter Strafe gestellt werden, ob sie sich als wahr oder unwahr erwiesen – der Wahrheitsbeweis sollte sogar ausdrücklich ausgeschlossen bleiben, um nicht weiteres Salz in fürstliche oder diplomatische Wunden zu reiben. Der Entwurf scheiterte zwar im Bundesrat, das Kabinett Adenauer III hatte aber einmal mehr erfolgreich den Eindruck vermittelt, im Zweifel keine hohe Meinung von der Pressefreiheit zu haben.
Gegenwind der Medien verhindert Gesetz
Der "Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes" geriet vor diesem Hintergrund in den Ruch, eine "Lex Soraya für jedermann" zu sein, wie es die seinerzeit liberale "Neue Zürcher Zeitung" formulierte.
Im anhaltenden Gegenwind der westdeutschen Medien wurde der Entwurf schließlich nicht weiter vom Bundestag beraten. Damit war das durchaus bemerkenswerte Anliegen vom Tisch, nahezu alle Fragen des Persönlichkeitsrechts zentral im Bürgerlichen Gesetzbuch zu regeln.
Ob sich die Medienwirtschaft einen Gefallen damit tat, die angebliche "Lex Soraya II" politisch unmöglich gemacht zu haben, wird wohl immer dahinstehen müssen. Kaum von der Hand zu weisen ist jedoch, dass sich eine Weichenstellung für sie ungünstig auswirkte: Bereits nach dem "Herrenreiter-Fall" hatte u. a. das Magazin "Der Spiegel" moniert, dass die gekränkte Ehre von Medienopfern vor den Zivilgerichten deutlich teurer komme als beispielsweise der Schadensersatz nach Körperverletzungen. Der Schäffer-Entwurf wollte beides unmittelbar nebeneinander regeln. Nicht unwahrscheinlich, dass sich Medienopfer- und Gliedertaxen heute in größerer Nähe bewegten.
Doch selbst ein solcher, durchaus sachlicher Kritikpunkt am zivilrechtlichen Schutz des Persönlichkeitsrechts, über den bis heute zu diskutieren ist, war mit dem Scheitern der "Lex Soraya II" wohl endgültig aus dem Bereich der demokratisch-parlamentarischen Diskussion in die Hände einer eher berufsständisch-akademisch sozialisierten Richterschaft gelegt worden. Derartige Weichenstellungen lassen sich, auch wenn Stammtischfantasien vom "Durchregieren" ein anderes Bild pflegen, nur mit erheblichem Kraftaufwand wieder ändern – bekanntlich Fluch und Segen einer gemischten Verfassung.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Presserechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 04.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31861 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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