Am 14. November 2012 erging in München ein Urteil zu Fragen der magischen Medizin, das traurig stimmt, wenn man es historisch liest. Bedenklich ist es in Fragen der magischen Weltordnung. Ob es die Stellung Bayerns in der Welt gefährdet?
Die wenigsten Patienten kämen auf den Gedanken, wegen Wund- und Blasenbildung an den Füßen einen Zahnarzt aufzusuchen. Auch dürften sich die wenigsten Zahnärzte der chronischen Fußleiden ihrer Patienten annehmen. Einem Schadensersatzprozess, den das Oberlandesgericht (OLG) München mit Urteil vom 14. November 2012 (Az. 3 U 2106/11) abschloss, ging aber die solcherart ungewöhnliche Arztwahl einer Patientin voraus.
Warum dieses Urteil nun ausgerechnet an einem 10. Januar besondere Aufmerksamkeit verdient, darauf wird später zu kommen sein – es geht um das Verhältnis der bayerischen Justiz zu magischen und geografischen Gefilden, die man gemeinhin für noch schwärzer halten darf als die Verhältnisse im süddeutschen Freistaat.
Wie kam es zu dem Münchener Fall? Zur zahnmedizinischen Behandlung ihres Fußleidens hatte sich die spätere Klägerin durch ein Alternativmedizin-Buch des Dentisten und durch Empfehlung anderer Ärzte eingeladen gefühlt. Auf der Basis sogenannter kinesiologischer Tests befand der Zahnarzt, dass der Fußleidenden eine "Störfeldsanierung im Kieferbereich" zu empfehlen sei.
Störfeldsanierung ohne Schadensersatzanspruch
Unter "Störfeldern" verstehen Anhänger von Heilkünsten jenseits naturwissenschaftlicher Rationalitätsansprüche offenbar eine Mischung aus nachvollziehbaren Erkrankungen, beispielsweise des Zahnfleischs, darüber hinaus aber "Felder" im Mundbereich, die mittels magischer Verbindungen im Körper noch in ganz fernen Körperregionen zu Störungen führen können – ebenso wie es umgekehrt Störungen im Mundbereich bewirken soll, wenn ein "Feld" am anderen Ende des Körpers juckt.
Nachdem unter anderem einige Kubikmillimeter Zahnsubstanz nebst einem ganzen Zahn aus dem Mund der späteren Klägerin entfernt worden waren, kam es zu Komplikationen. Die Patientin klagte über Schlaflosigkeit, Kreislaufschwäche, Angstzustände, Antriebslosigkeit, Hautausschläge mit Rötungen, Schwellungen am Hals, am Rücken, an den Händen und Füßen. Sie führte dies auf die Behandlung durch den alternativmedizinisch inspirierten Zahnarzt zurück und klagte auf Honorarerstattung sowie materiellen und immateriellen Schadensersatz.
Das Oberlandesgericht wies die Klage ab: Sie sei selbst schuld gewesen.
Kein Zahnarztstandard für Fußblasen
Selbstverständlich ist das juristische Gegenstück zur Alltagsbosheit eines "selbst schuld" ein wenig ausführlicher zu formulieren. Es liest sich so:
"Im vorliegenden Fall hat der Beklagte seinen glaubwürdigen Angaben zufolge die Klägerin auf die Möglichkeit einer Wurzelspitzenresektion hingewiesen, was weder eine Alternative zu der von ihm angestrebten 'Behandlung des Immunsystems' noch eine schulmedizinisch nachvollziehbare Behandlung der Probleme der Klägerin mit den Blasen an den Füßen sein kann. Der Beklagte ist als Zahnarzt und Heilpraktiker tätig. Als Zahnarzt schuldet er im Rahmen abgeschlossener Behandlungsverträge die Einhaltung des zahnmedizinischen Standards, den ein niedergelassener Zahnarzt zu leisten imstande ist. Einen zahnmedizinischen Standard für die Behandlung von Blasen an den Füßen gibt es jedoch nicht."
Anders als im Fall eines Heilpraktikers, der Patienten auf die viel gehasste Schulmedizin verweisen muss, wenn er mit seiner Kunst am Ende ist, war der Zahnarzt nach Ansicht der Richter weder verpflichtet, die Patientin zum Dermatologen zu schicken, noch auf Behandlungsalternativen im Rahmen der von der Klägerin dringend gewünschten "ganzheitlichen" Außenseitermedizin hin zu beraten. Die Aufklärung über die objektive Risikolage genügte:
"Der Klägerin wurden über einen längeren Zeitraum hinweg die notwendigen Informationen über die Risiken zugänglich gemacht. Sie wurde ersichtlich […] auf die mit den Operationen verbundenen Risiken aufgeklärt. Sie wusste von vornherein, dass eine schulmedizinische Indikation für die von ihr selbst finanzierten Operationen nicht bestand. Es ist nicht klar, welchen weiteren Hinweis die Klägerin vom Beklagten dazu erwartet hätte."
Martin Rath, Recht und Magie: . In: Legal Tribune Online, 10.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18079 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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