Juristen, die sich als Verteidiger der hergebrachten Ordnung verstehen, tun sich schwer mit "neuen Medien". Zu früheren Zeiten forderten sie etwa Ausweisung, Peitsche oder Kerker für Redakteure, die bewusst lügen, erzählt Martin Rath.
Wer bei der Verbreitung von Nachrichten bewusst lügt, den "muß man zu den Betrügern und Gaunern zählen". Die Rechtsfolge, analog zu anderen Vermögensdelikten, müsse daher "nach der Schwere der Vergehen jeweils Kerker, Ausweisung, Auspeitschung" sein. Auf den Verstoß gegen ein amtliches Publikationsverbot, selbst bei wahren Nachrichten, solle der Richter je nach Ermessen bis zur Todesstrafe gehen können.
Diese Forderung stammt nicht etwa von einem überdrehten Liebhaber der "Lügenpresse"-Beschimpfung, wie sie in den letzten Monaten vermehrt in Fußgängerzonen umherstampften, sondern von einem der anerkanntesten und wohl auch berühmtesten Juristen seiner Zeit, dem trotz seines drolligen Namens heute fast gänzlich vergessenen Ahasverus Fritsch (1629-1701). Der gab im Jahr 1676 mit seiner gelehrten "Abhandlung von den Nachrichtenblättern, genannt Neue Zeitungen und ihrem Gebrauch und Mißbrauch heutzutage" ein gewichtiges Wort in der medienpolitischen Grundsatzdiskussion seiner Zeit in den Druck (Originaltitel: "Discursus de Novellarum, quas vocant Neue Zeitunge / hodierno usu et abusu").
Therapie: Peitsche und Kerker für Medienleute
Mit dem Vorschlag, die Verbreitung falscher Nachrichten als Betrugsdelikt zu handhaben, betrat Ahasverus Fritsch in zweierlei Hinsicht medienrechtliches Neuland: Zunächst waren gedruckte "Zeitungen" mit Nachrichten neu, im 17. und 18. Jahrhundert wurden überwiegend bessere Flugblätter verbreitet. Auflagenstarke Blätter im Format von "FAZ" und "Zeit" erschienen erst, seit die Londoner "Times" 1814 mit Dampfantrieb gedruckt wurde. Zu Fritschs Lebzeiten stand das Wort "Zeitung" noch nicht zwingend für das bedruckte Papier selbst, sondern auch synonym für die gesprochene oder gedruckte Neuigkeit. Über die rechtliche Behandlung von gedruckten Neuigkeiten, jedenfalls als Ausdruck von Gegenwartsberichterstattung, hatte man in Juristenkreisen offenbar noch nicht allzu viele Umstände machen müssen.
Der zweite Aspekt des rechtlichen Neulands bei Ahasverus Fritsch: Man kannte seinerzeit zwar von Rechts wegen konkrete Täuschungs- und Bereicherungsdelikte, beispielsweise Münz- oder Eichvergehen. Doch von einem abstrakten Betrugstatbestand, wie ihn unser heutiges Strafgesetzbuch formuliert, war man noch weit entfernt. Die bis ins 19. Jahrhundert relevante Halsgerichtsordnung, der Strafrechtskodex Kaiser Karls V. von 1532, kannte keine entsprechende Norm. Freilich war das Verbot strafbegründender Analogien noch aufgeklärte Zukunftsmusik.
Daher formuliert Ahasverus Fritsch zwar die denkbaren Rechtsfolgen zwischen Kerker und Peitsche, die Arbeit am Tatbestand konnte er getrost straflustigen Richtern überlassen.
Diagnose: Deutsche leiden an Zeitungssucht
Mangels dogmatischer Vorarbeit standen dem prominenten Rechtsgelehrten im Deutschland des Jahres 1676 keine genuin juristischen Argumente entgegen, wollte er seiner moralischen Entrüstung gegen das aufkommende neue Medium "Zeitung" Luft verschaffen. Die Deutschen seien von einer Neuigkeitengier, einer Zeitungssucht erfasst, heißt es in Fritschs "Discursus". Sogar einfache Leute vom Land würden sie lesen "oder denen, die solche lesen, aufmerksam zuhören. Ja einige sind so schrecklich neugierig und auf Neue Zeitungen so erpicht, daß sie sich nicht scheuen, sie sogar in den Kirchen während der heiligen Handlungen zu lesen oder verlesen zu hören sowie in Amtstuben bei noch wichtigeren Beschäftigungen", beklagt sich Fritsch.
Auch als früher Diagnostiker noch heute anzutreffender Mediensucht lässt sich Ahasverus Fritsch zitieren: "Kaum haben sie den Fuß aus dem Haus gesetzt, fragen sie gewöhnlich, wen immer sie treffen: Was gibt’s Neues? Was Neues? Es ist doch verwunderlich, ja höchst befremdlich, daß die Menschen so verrückt darauf sind, Neuigkeiten zu lesen und zu hören, zumal die Zeitungen meist traurigen, erschütternden, ruchlosen und scheußlichen, nicht selten auch falschen Inhalts sind."
Martin Rath, Rechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 07.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15745 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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