Netflix widmet Kult-Kaiserin Sisi eine Erzählung, die die politischen Ereignisse ihrer Zeit in den Fokus rückt. Soweit es das Aufkommen neuer rechtlicher Ideen betrifft, täte der Serie dabei etwas Präzision gut, meint Tabea Nalik.
Kaiserin Sisi und ihr Ehemann Franz sind längst zu Ikonen der Popkultur geworden. Dank der Romy-Schneider-Verfilmung assoziiert man sie meist mit strahlendem 50er-Jahre Kitsch. Die aktuell erfolgreiche Netflix-Serie über das Leben des Kaiserpaars verfolgt einen anderen Ansatz: Sie rückt die politischen Ereignisse der Zeit in den Fokus. Moment, die politischen Ereignisse der Zeit?
Verfassungsgeschichtlich versierte Sisi-Fans wissen sofort, dass Franz Joseph I. durch einen auf die revolutionären Erhebungen von 1848 folgenden Machtwechsel zum Kaiser wurde – quasi als letzter Rettungsanker für die Monarchie:
Die Tumulte rund um die Märzrevolution von 1848 destabilisierten das Kaiserreich und schwächten den ohnehin schon gesundheitlich angeschlagenen Kaiser Ferdinand I. – der Onkel von Franz - zunehmend auch politisch. Letztlich sahen die kaiserliche Regierung und der Familienrat der Habsburger die Einsetzung eines neuen Regenten als unausweichlich, um die Dynastie wieder zu stabilisieren. Ferdinand I. wurde zur Niederlegung der Regierung bewegt und der als politisch und geistig zur Reichsführung unfähig geltende Kaiserbruder Franz Karl verzichtete insbesondere durch energisches Zureden der Mutter Franz Josephs, Sophie Friederike von Bayern, zugunsten seines Sohnes auf die Thronfolge. Am 2. Dezember 1848 wurde dann schließlich Franz Joseph I. zum neuen Kaiser proklamiert.
Hoffnungen progressiver Kräfte im Reich, der damals gerade mal achtzehn Jahre alte Monarch könnte mit modernem Ansatz regieren, wurden schnell enttäuscht: Den noch während der Regentschaft seines Vorgängers gewählten Reichstag, der am Entwurf einer unter anderem Volkssouveränität vorsehenden und die Macht des Kaisers stark beschränkenden demokratischen Verfassung arbeitete, ließ Franz Joseph bereits am 7. März 1849 auflösen. Drei Tage zuvor hatte er eine eigene, ohne das Zutun einer Volksvertretung entstandene Reichsverfassung erlassen. Diese bestätigte das Prinzip des Gottesgnadentums als Herrschaftslegitimation und gab dem Kaiser ein Vetorecht gegen Gesetzesvorschläge. Geringe machtbegrenzende Zugeständnisse wie die Beteiligung eines Reichstags am Gesetzgebungsverfahren wurden in weiten Teilen nie tatsächlich umgesetzt. 1851 hob Franz Joseph diese Verfassung dann vollständig wieder auf.
Das alles geschah bereits, bevor Sisi und Franz sich kennenlernten. Als sie sich im Sommer 1853 das erste Mal trafen und am 24. April 1854 heirateten, stand die Politik des jungen Kaisers längst im Zeichen des Neoabsolutismus – er regierte autoritär, führte die Zensur wieder ein und schloss das Volk von jeglicher Mitbestimmung aus. Erwartet uns also ein düsteres Netflix-Drama rund um ein machthungriges Tyrannenherrscherpaar?
Zwischen Monarchie-Romantisierung und demokratieaffinem Politdrama
Nicht ganz. Da wir die historischen Ereignisse wesentlich durch die Augen von Sisi und Franz betrachten und uns mit ihnen irgendwie identifizieren können müssen, würde das erzähltechnisch wohl auch kaum Sinn machen. Stattdessen performt die Serie einen Drahtseilakt zwischen Monarchie-Romantisierung und demokratieaffinem Politdrama. Das gelingt durch einen Kniff: Sisi – die in der Serie darauf besteht, Elisabeth genannt zu werden – und Franz bekommen eine Reihe für das 19. Jahrhundert beinahe zu moderner Eigenschaften zugeschrieben:
Franz genießt es nicht, seine Macht auszuspielen, im Gegenteil: In einer der ersten Szenen hat er bei einer Hinrichtung politischer Aufständiger solches Mitleid mit den zum Tode Verurteilten, dass es ihm kaum noch gelingt, es nicht zu zeigen. Unter den zornigen Augen seiner Mutter, die sein Problem so gar nicht verstehen kann, reißt er einen Orden von seiner Uniform und presst ihn so lange in seiner zur Faust geballten Hand, bis das Blut an ihr heruntertropft.
Und Elisabeth? Die ist geradezu besessen vom Wunsch nach Freiheit. Diese Erkenntnis schleicht sich bereits an, als sie in der ersten Szene auf ihrem schwarzen Pferd in die Morgendämmerung reitet um dem Antrag eines potenziellen Ehemanns zu entfliehen. Spätestens schlägt einem der metaphorische Zaunpfahl aber ins Gesicht, als ihre Schwester sie beim Schreiben eines Gedichts über "den Gott, den man die Freiheit nennt" ertappt.
Die heiß ersehnte Freiheit verbindet Franz und Elisabeth ab der Szene ihrer ersten Begegnung miteinander: Elisabeth rettet einen kleinen Vogel, der sich in das Schloss verirrt und nicht wieder herausgefunden hatte. Franz kann sich mit dem überforderten Tier sofort identifizieren und kommentiert schmunzelnd, aber mit traurig glitzernden Augen: "Das kenn‘ ich".
Es liegt nicht an uns, es liegt an euch
Mitleid zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsschichten kann als grundlegende Anerkennung des demokratischen Gleichheitsgedankens verstanden werden – denn ein Herrscher, der Mitleid mit seinen Untertanen empfindet, gesteht damit ein, dass diese nicht wesentlich anders sind als er selbst. Addiert man das Streben nach größtmöglicher Freiheit hinzu, erhält man zwei unabdingbare Voraussetzungen demokratischer Systeme: Gleichheit und Freiheit. Elisabeth und Franz sind also keine Tyrannen, nein, in ihren Herzen wächst schon längst die Demokratie! Die Serie will uns also weismachen, dass es nicht wirklich die beiden sind, die den Wechsel zu einem gerechteren System vereiteln, sondern die Umstände ihrer Regentschaft:
Da ist die Revolution von 1848, die Franz – der die Narbe eines missglückten Mordversuchs am Hals trägt – seit Tag eins seiner Herrschaft sichtbar im Nacken sitzt. Die Menschen hungern, Franz ist unbeliebt beim Volk und der Lösungsansatz seiner Mutter, das Volk einfach noch stärker zu unterdrücken, schafft seltsamerweise keine Abhilfe.
Da sind die vielen Berater, die Franz in diese oder jene Richtung zerren wollen. Da sind die politischen Ambitionen seiner Mutter, deren einzige Liebe – wie ihr ehemaliger Liebhaber, der Andeutungen zufolge Franz‘ wahrer Vater ist, feststellt – schon immer Habsburg war. Und dann ist da sein Bruder Maximilian, der einem Mix aus Langeweile und Eifersucht folgend anstrebt, Franz sowohl um die Kaiserkrone als auch um seine Ehefrau, deren schlagfertige Art sofort seinen Eroberungsehrgeiz geweckt hat, zu erleichtern. Doch Franz will eigentlich nur ein Kaiser des Volkes sein und anstatt Krieg gegen Russland zu führen, lieber Geld für eine Eisenbahn ausgeben, um die Menschen im Reich miteinander zu verbinden.
Eine Kaiserin, die Politik machen will
Über allem schweben die starren Geschlechterrollen des 19. Jahrhunderts. Frauen war selbst noch nach der Einführung des Vereins- und Versammlungsrechts 1867 die Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen verboten und sie waren von weiten Teilen des Bildungssystems und vielen Berufsfeldern ausgeschlossen. Bei der Thronfolge wurden Frauen nur subsidiär berücksichtigt – sie waren also lediglich im Notfall thronfolgeberechtigt, wenn der Mannesstamm des Hauses vollständig ausgestorben war. Die Rolle der höchsten Frau am Wiener Hof war insofern in erster Linie auf die der Ehefrau des Regenten und Mutter eines männlichen Thronfolgers beschränkt. Elisabeth soll sich dementsprechend nicht in politische Angelegenheiten einmischen. Sie tut es natürlich trotzdem. Durch Pech, Intrigen und Geschlechterklischees geht das aber jedes Mal fulminant nach hinten los:
Etwa als sie dem vor toxischer Maskulinität beinahe platzenden russischen Zarensohn, dem ihr Gatte ein Friedensversprechen abringen will, bei einer Jagd durch einen gezielten Schuss auf ein wütendes Wildschwein das Leben rettet, während er selbst daneben schießt. Ein Friedenspakt mit einem Reich, in dem Frauen die Frechheit besitzen, besser mit Waffen umgehen zu können als Männer, kommt für den Zarensohn selbstverständlich nicht in Frage. Prompt reist er mit den Worten "wir sehen uns dann wohl auf dem Schlachtfeld" ab.
Elisabeth wird daraufhin erneut nahegelegt, dass ihre einzige Aufgabe darin bestehe, dem Kaiser einen Sohn zu gebären. Keine neue Forderung für die Kaiserin, die das längst mit der Frage "was, wenn ich eine Tochter bekomme? " quittiert hat. Neu ist aber, dass sich nun auch der frustrierte Franz dieser Ansicht anschließt.
Sie sind nicht wie die anderen
Immer weniger Menschen stehen im Laufe der Staffel auf Elisabeths Seite. Nur eine Person wendet sich ihr wider Erwarten zu: Eine politische Radikale, die sich als Hofdame ausgibt, um einen Anschlag auf die Dynastie zu verüben. Sie freundet sich mit Elisabeth an und beginnt in ihr und Franz die Möglichkeit einer gewaltfreien Revolution von oben zu sehen.
Und so greift die Serie ein Thema auf, dass man bei all dem Gerede über Revolutionen und Attentate zunächst gar nicht erwartet hätte: Nämlich die Tatsache, dass nachhaltige Demokratisierungsprozesse oft eher das Resultat friedlicher Reformen sind, und gerechte, auf Vorstellungen von Gleichheit und Freiheit beruhende Systeme selten durch gewaltsame Regierungsumstürze entstehen.
Streben nach persönlicher Freiheit – nicht des Volkes
Explizit erwähnt werden solche Reformen jedoch nicht. Wir erfahren nicht, welche konkreten Vorschläge das Volk für eine Verbesserung seiner Situation hat, und auch nicht, wie Elisabeth und Franz etwa zum Konzept der Begrenzung oder sogar Untergrabung ihrer Macht durch eine Verfassung stehen. Auch das Prinzip des Gottesgnadentums als Herrschaftslegitimation wird allenfalls in Andeutungen infrage gestellt – und das, obwohl die in der Bevölkerung aufkommenden Zweifel daran das Leben des jungen Kaiserpaars in seinen Grundfesten bedrohen.
Der reale Franz hat diese Bedrohung auch als eine solche wahrgenommen und die liberalen Forderungen des Volks alles andere als unterstützt. Elisabeth fiel es zwar tatsächlich schwer, sich den strengen konservativen Zwängen des Wiener Hofs unterzuordnen. Dies führte bei ihr jedoch in erster Linie zu einem starken Wunsch nach persönlicher Freiheit, nicht zu einer Auseinandersetzung mit der Unfreiheit ihres Volkes.
Politische Konflikte, die Serien-Franz und Serien-Elisabeth mit dem Volk, aber auch mit sich selbst im Hinblick auf ihre Rolle im dynastischen System haben, bleiben dadurch verschwommen, sind nur schemenhaft erkennbar. Freilich hat eine Netflix-Serie nicht den Anspruch, einer Vorlesung in Verfassungsgeschichte gleichzukommen. Der Fokus liegt auf Unterhaltung, nicht auf Information, und unterhaltsam ist die Serie durchaus auch so. Dennoch: Durch die mangelnde Thematisierung rechtlicher Forderungen bleiben die Gerechtigkeitsvorstellungen des Volks vage und die vermeintlichen Rebellionsavancen des Kaiserpaars oberflächlich.
Denn pauschale Gerechtigkeitsforderungen können nicht von Erfolg gekrönt sein, solange sie nicht in konkrete Gesetzesvorschläge gegossen werden. Die politischen Ereignisse der Zeit wurden getragen von neuen rechtlichen Ideen, Forderungen nach Verfassungen, die auf dem Prinzip der Volkssouveränität aufbauen, nach demokratisch gewählten Parlamenten als gesetzgebende Gewalt, nach Meinungsfreiheit und dem Verbot von Zensur und nicht zuletzt nach individuellen Grundrechten waren das Herz der Demokratiebewegung im 19. Jahrhundert.
Verfassungsgeschichte bildet also nicht weniger als den Rahmen der Netflix-Erzählung rund um Elisabeth und Franz. Solange die rechtliche Ebene nicht präzisiert wird, ist die Serie daher an ihren Rändern unscharf. Es bleibt abzuwarten, ob eine zweite Staffel – die Netflix bereits verkündet hat – hier Abhilfe schaffen wird.
Die Autorin Tabea Nalik ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Staatstheorie und Öffentliches Recht, insbesondere Staats- und Europarecht an der BSP Business & Law School Berlin bei Prof. Dr. Alexander Thiele und promoviert an der Georg-August-Universität Göttingen im Bereich der Demokratietheorie und des Kulturverfassungsrechts.
Unscharfe Verfassungsgeschichte in Netflix-Serie "Die Kaiserin": . In: Legal Tribune Online, 24.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50472 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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