Mitarbeiter des Schauspielhauses Bochum machten sie 1982 zum Popkulturgut. Ein Rassismus-Vorwurf und Vorzeige Vegetarismus bereiteten zuletzt ihren Freunden einige Sorgen. Rechtsprobleme rund um die Currywurst gab es natürlich auch.
Ob es um "Impfneid" geht oder eine Fehlgeburt, Brustkrebs oder Sterbehilfe, Menstruation oder Geschlechtsverkehr unter Senioren, Tampons oder weibliche Straftäter: Mit der Behauptung, der Sachverhalt berühre ein Tabu, wird viel publizistisches Schindluder betrieben.
Oft ist das vermutlich nur, wie im Fall der eingangs genannten, in den vergangenen Wochen zum Tabu erklärten Gegenstände, rhetorische Wichtigmacherei. Zu den Dingen des Alltags, die eine seltsame Vorsicht wecken und damit den Anfangsverdacht begründen könnten, sie seien tabuisiert, könnte jedoch tatsächlich die gemeine Currywurst zählen.
Die jüngste Farce liegt hier als Beispiel nahe: Ein vormaliger Bundeskanzler fühlte sich motiviert, den zwar grundsätzlichen Wert vegetarischer Ernährung einzuräumen, warnte jedoch in erster Linie vor dem vermeintlich drohenden Schicksal der Currywurst im Zeitalter der um sich greifenden Fleischlosigkeit: "Currywurst mit Pommes ist einer der Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion. Das soll so bleiben."
Mit der ökonomischen Realität hatte diese Einlassung Gerhard Schröders (1944–) nur bedingt zu tun, erklärte die Firma Volkswagen doch erst vor kurzem, dass die Herstellung von knapp sieben Millionen Currywürsten in der konzerneigenen Fleischerei auch in Zeiten von COVID-19 ungebrochen gelinge – von denen zudem über 80 Prozent außerhalb der Werkskantinen abgesetzt werden.
Für Anhänger der fleischerzeugenden Landwirtschaft sowie für Freunde eines Verständnisses der Wurst als geschlechterpolitisches Symbol war die Einlassung des Bundeskanzlers der Jahre 1998 bis 2005 zwar ein gefundenes Fressen, für die Hypothese, die Currywurst sei hierzulande von einem Tabu betroffen, gilt es aber, auch ein etwas subtileres Material anzuführen.
Currywurst-Konsum ist auch von Gesundheitsvermarktern einzuräumen
Ein solcher Beleg findet sich unter anderem in einem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf aus dem Jahr 2015.
Im Wesentlichen behandelt das Urteil vom 6. August 2015 (Az. I-2 U 10/15) die Unterlassung von Werbeaussagen über ein zu Kapseln verpresstes Gerstengrassaftpulver und die Abmahnkosten des Vereins, der in der Reklame einen wettbewerbswidrigen, nach Art. 10 Health Claims Verordnung (HCVO) verbotenen Gebrauch von gesundheitsbezogenen Angaben zu diesem Lebensmittel sah.
In der Fernseh-Dauerwerbesendung, auf die sich das Urteil bezieht, und die es in reichem Wortlaut dokumentiert, wurde unaufhörlich von den Gefahren erzählt, die von Cholesterin ausgingen – "Völlegefühl, Blähungen, infektanfälliger, Herausforderungen mit dem Herz-Kreislauf-System, Übergewicht, dubiose Rückenherausforderungen, Migräne, depressive Verstimmung, Schlafstörungen, Gallensteine".
Um im Anschluss in eine Schwärmerei für das Gerstengrassaftpulver überzuleiten, bekundete einer der Reklame-Darsteller, er habe überhaupt nichts "gegen Burger und Currywurst", ein anderer: "Das muss auch schon mal sein."
In früheren Sendungen galt die Currywurst noch als ganz und gar problematisch, wie etwa das Landgericht (LG) Düsseldorf mit Urteil vom 18. Juni 2009 zur Werbung für Goldhirse-Kapseln dokumentierte (Az. 37 O 91/08).
Im jüngeren Gerstengras-Urteil hat die Wurstware hingegen den Status eines zwar ungesunden Nahrungsmittels, das sich der Verbraucher jedoch gelegentlich "gönnen" dürfe. Allzu kompromisslos gegen die Currywurst zu predigen, verbietet sich offenbar, will man Kunden ansprechen, die sich für gesundheitsbewusst halten, aber auf die wurstige Lebensfreude nicht verzichten wollen.
Müll-Wurstfinger und andere Wurstfragen im Arbeitsrecht
Nachdem einst Bauarbeiter in Frankfurt am Main anlässlich der drohenden Insolvenz ihres Arbeitgebers, der Philipp Holzmann AG, den damaligen Bundeskanzler mit "Gerhard, Gerhard!"-Rufen begrüßt hatten, spottete der Kabarettist Matthias Beltz (1945–2002) zwar sarkastisch über den "bekannten Arbeiterführer Gerhard Schröder". Das große Wort Schröders von der Currywurst als "Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters" macht aber die Prüfung notwendig, ob die Wurstware in der Arbeiterklasse – etwa im Arbeitsrecht – Spuren hinterlassen hat.
Eine oder zwei Entscheidungen geben mit der Würdigung beziehungsweise dem Missbrauch der Currywurst ein wenig Aufschluss über die Lage der körperlich arbeitenden Bevölkerung in Deutschland.
Als hoffentlich wenig repräsentativ darf hier ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Rheinland-Pfalz vom 18. Juli 2017 gelten (Az. 8 Sa 411/15), in dem das Kanzlerwort vom "Kraftriegel des Facharbeiters" in keinem guten Licht steht. Die Richter hatten sich auseinanderzusetzen mit dem handgreiflichen Konflikt in einem Abfallwirtschaftsbetrieb in Bad Kreuznach. Hier war ein Arbeiter von Kollegen nicht nur unter Verlust von Brusthaaren mit Panzerklebeband traktiert, ihm war auch eine Currywurst im Gesicht verrieben worden.
Zu einem Vergleich mit den erschreckenden Arbeitsbedingungen in der Gastronomie, die George Orwell (1903–1950) in seinem leider selten gelesenen Erlebnisbericht "Erledigt in Paris und London" (1933) gab, lädt hingegen das Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 10. Januar 2017 ein (Az. 2 Sa 115/16).
Die Richterinnen und Richter befassten sich hier in der auch im Gesamtwerk von Orwell sehr oft schmerzhaften Abgrenzung von Arbeitern und Angestellten. Konkret stand in Frage, ob die Tätigkeit des Klägers eher der eines Kochs oder der einer Küchenkraft entsprach.
Das Gericht meinte, "etwas zugespitzt" sagen zu können, dass es an diesem Arbeitsplatz "nur noch um die Zubereitung von Schnitzeln, Currywürsten, Pommes Frites und Bratkartoffeln aus dem Dauerangebot des Restaurants" gehe, die sich "nach Überzeugung des Gerichts auch schon nach gründlicher Einweisung erledigen" ließen.
Für nicht wenige Menschen mag das ein treffendes Bild auch ihrer Arbeitswelt geben: Ein gelernter Maler und Lackierer stritt hier vor Gericht um die Frage, ob seine Tätigkeit mehr jener eines Kochs oder der eines Kellners entspricht – beurteilt nicht zuletzt an dem Kriterium, welchen Beitrag er zur Currywurst-Wertschöpfungskette leistet.
"Curry" aus rassistischer Tradition?
Eine Äußerung der kalifornischen Online-Publizistin Chaheti Bansal zum Gebrauch des Wortes "Curry" führte jüngst in vielen westlichen Medien zu erheblicher Entrüstung, weil sie es nicht beim sachlichen Hinweis auf den über Currygerichte deutlich hinausgehenden Reichtum der indischen Küche belassen wollte, sondern "weißen Menschen" vorwarf, diese gastronomische Vielfalt in kolonialistischer oder gar rassistischer Tradition zu simplifizieren.
In Indien selbst mag man es nicht zu streng sehen, auf die Rolle als Curry-Erfinder reduziert zu werden. Indische Gastronomie-Fachleute äußerten sich großzügiger als die kalifornische "Food Bloggerin". Für Deutschland lässt sich zudem der Vergleich etwa zwischen VW-Currywurst-Konsumenten und den Abonnenten von Bansals gelegenheitsantikolonialistischem Blog ziehen – das Verhältnis liegt bei bis zu sieben Millionen zu 200.000.
Schließlich beruhigt ein Blick in die Rechtsprechung. Durch Beschluss vom 22. August 2016 klärte das Bundespatentgericht die Kostenfrage in einem markenrechtlichen Konflikt zwischen zwei Currywurst-Bratereien in der im Zweifel politisch argusäugigsten deutschen Stadt: zwischen den Inhabern der Marken "CURRY 61 Berlin" und "CURRY 36" (Az. 27 W [pat] 37/16).
Das Gericht fand hier nicht nur einen hinreichend großen Unterschied zwischen den Schrift- und Wurstbild-Anteilen der Marken, sondern erklärte auch das Wort "Curry" en passant für nicht schutzfähig – vermutlich, weil hierzulande nahezu jeder darunter das einfallslose standardisierte Currypulver versteht.
Den Nimbus der Unangreifbarkeit – vielleicht sogar gegen kalifornisch inspirierte Kolonialismus- und Rassismusvorwürfe – und damit die Einstufung als tabuisiert erhält die deutsche Currywurst schließlich durch ihre gleichsam hoheitliche Würdigung: Neben der Thermoskanne und dem Teebeutel wurde sie im Jahr 2011 auf dem 45-Cent-Postwertzeichen "In Deutschland zu Hause – Einfallsreichtum – Deutsche Erfindungen" abgebildet.
In den Augen der Deutschen Post AG und ihres Eigentümers galt die Currywurst also als ebenbürtige Erfindung neben dem industriell hergestellten Teebeutel und der epochalen Vakuum-Isolation – und gerade weil das etwas lachhaft wirkt, liegt es nahe, die Wurst als Tabu-Gegenstand zu betrachten. Über Tabus lacht man nicht.
Currywurst als Schadensquelle
Oder ist auch diese Behauptung gleich wieder durch Zweifel zu unterlaufen?
Bereits in dem Lied "Currywurst" aus dem Jahr 1982, das zum Bedauern von Musikliebhabern erheblich zur Bekanntheit des damals noch als Schauspieler tätigen Herbert Grönemeyer (1956–) im Gesangsfach beitrug, findet sich der Hinweis auf eine ungern ausgesprochene Dimension des Gastronomischen: "Wird dir ganz schön flau / Von Currywurst / Rutscht dat Ding dir aus / Gehse dann nach Haus / Voll Currwurst / Auf'm Hemd auffer Jacke / Ker wat ist dat 'ne Ka …, alles voll Currywurst".
Spiegelt sich diese Alltagsbeobachtung im Recht wider? Nein, gegen jede Wahrscheinlichkeit gibt es zwar eine beachtliche Rechtsprechung, die sich – dann oft am Beispiel von Beamten – eines durch Wurstverzehr verdrehten Mageninhalts annimmt. Anders als das Grönemeyer'sche Liedgut vermuten lässt, ist dabei jedoch nie die Currywurst im Spiel, sondern stets: die Leberwurst.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor in Ohligs.
''Kraftriegel der Facharbeiterinnen und Facharbeiter'': . In: Legal Tribune Online, 15.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45731 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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