1960/61 stieß der damals noch als Bundesminister für Verteidigung firmierende Franz Josef Strauß auf den Widerstand einiger Soldaten, die sich nicht im rheinischen Straßenkarneval verheizen lassen wollten.
Fünf Jahre, bevor der kurzlebige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (1971–wegen der öffentlich betriebenen philologischen Aufdeckungsarbeit zu seiner in "mühevoller Kleinstarbeit" entstandenen Dissertation eine hoffnungsfrohe politische Karriere beenden musste, war es Friedrich Merz (1955–) gelungen, Plagiatsvorwürfe ganz eigenen Kalibers zu überstehen.
Nach der Auszeichnung als "Ritter wider den tierischen Ernst", einer auch für viele Rheinländer unbegreiflichen Übung der Aachener Faschingsveranstalter, sah sich Merz 2006 genötigt, sich wegen der von ihm aus diesem Anlass vorgetragenen Ansprache aus der Affäre zu ziehen.
Merz hatte im karnevalistischen Rahmen unter anderem gefordert, dass die Bundeswehr abgeschafft werden solle, bei Beerdigungen oder Entlassungen könnte statt ihrer "eine Trachtengruppe unter Führung von Karl Moik" (1938–2005) – einer historischen TV-Figur der volkstümelnden Musik – für den Zapfenstreich sorgen.
Der CDU-Politiker musste sich daraufhin von Monika Rieboldt, einer Sekretärin der Universität Bielefeld und Freizeit-Satirikerin, vorhalten lassen, aus einem fiktiven Interview abgeschrieben zu haben, in dem sie dem langjährigen Siemens-Vorstandschef Heinrich von Pierer (1941–) diese und eine Reihe vergleichbar wahnwitziger Ideen in den Mund gelegt hatte.
Rechtshistorische Vorwärtsverteidigung wäre Merz möglich gewesen
Merz verteidigte sich seinerzeit zwar ein wenig lahm, im Ergebnis aber erfolgreich, nur fahrlässig auf das fremde Witz-Material zurückgegriffen zu haben.
Mit diesem Rückzug war Merz die Chance verbaut, sich in die Tradition des weit über seine Parteigrenzen gefürchteten und gerühmten CSU-Politikers Franz Josef Strauß (1915–1988) zu stellen – und damit aus der in konservativen Kreisen doch eigentlich anstößigen Gleichsetzung von Bundeswehr und Trachtengruppe sogar noch politische Kraft zu schöpfen.
Denn im Jahr 1960/61 hatte sich der zunächst als Bundesminister für, dann als Bundesminister der Verteidigung (1956–1963) firmierende Titan der bayerischen Politik in seiner eigenen Befehlslage derart verstrickt, dass er sich vom Bundesdisziplinarhof über den Unterschied zwischen Streitkräften und Folkloretruppen hatte belehren lassen müssen. Franz Josef Strauß – dessen Überlebenstalent beispielsweise in der Starfighter-Affäre sich Nachgeborene irgendwo zwischen der Schmerzlosigkeit eines Donald Trump (1946–) und dem Vergabe-Geschick eines Andreas Scheuer (1974–) vorstellen dürfen – überstand selbstverständlich auch diese Rechtssache unbeschadet.
Aufgrund eines im Dezember 1960 von Strauß angeordneten Erlasses war dem Stabsmusikkorps der Bundeswehr befohlen worden, in "historischer Uniform" – also kostümiert – am Rosenmontagszug in der Bundeshauptstadt Bonn teilzunehmen.
Soldaten wollen sich nicht zu Narren machen lassen
Gegen diesen Befehl legten zwei der Stabsmusikanten Beschwerde ein, weil er nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt, mithin unverbindlich sei.
Der eine Musiker in Uniform erklärte hierzu, er "könne in der Teilnahme an einer von einer 'Narren- und Faschingsgesellschaft' durchgeführten Veranstaltung keine dienstliche Notwendigkeit für sich als Soldat erkennen. […] Karnevalistische Veranstaltungen auf öffentlichen Straßen und Plätzen würden sich auf wenige traditionelle Hochburgen beschränken, die landsmannschaftlich bedingt seien, Nichtrheinländer stünden diesen Veranstaltungen fremd und innerlich ablehnend gegenüber".
Dies wandte sich unter anderem gegen eine Erlass- und Befehlslage, die dem Musikkorps durchaus eine gewisse "Öffentlichkeitsarbeit" abverlangte.
Sein Korpskollege zog gegen die karnevalistische Zumutung noch harscher ins Feld, "er kenne als Norddeutscher karnevalistische Veranstaltungen, wie sie im Rheinland üblich seien, nicht. Er habe aber in der letzten Zeit Gelegenheit gehabt, sich vom Unwert dieses Narrentreibens zu überzeugen und lehne den Karneval aus moralischen Gründen ab. Er sehe den Befehl als einen Eingriff in seine persönliche Freiheit und Denkungsart an, denn er werde dadurch gezwungen, an einer Narretei mitzuwirken, die er aus innerer Überzeugung ablehne. Auch könne er es mit seiner Ehre als Soldat nicht vereinbaren, an einem Umzug teilzunehmen, dessen verantwortlicher Veranstalter es zugelassen habe, daß die Bundeswehr bei dem Rosenmontagszug 1959 durch den Schmutz gezogen und der Verteidigungsminister beleidigt worden sei. Er habe seinen Eid nur auf die Uniform der Bundeswehr geleistet, danach könne man ihn nicht zwingen, eine historische oder gar eine närrische Uniform anzuziehen."
Wenn doch Amerikaner, Holländer und Engländer zum Rosenmontag blasen …
Nach Eingang des Antrags auf Prüfung von Erlass- und Befehlslage ordnete Franz Josef Strauß an, dass das Stabsmusikkorps nicht in historischen, sondern in den Uniformen der Bundeswehr am Bonner Rosenmontagszug teilnehmen solle. Die beiden ehrpusseligen Soldaten entband er ganz von der Pflicht, sich am Karneval zu beteiligen.
Im Verfahren vor dem Bundesdisziplinarhof ließ sich der Bundesverteidigungsminister später im Jahr dahin ein, dass den Soldaten generell abzuverlangen sei, für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr "jede Gelegenheit zu nutzen, die … eine möglichst große Wirkung auf die Öffentlichkeit verspreche", etwa durch Auftritte bei Volksfesten, landsmannschaftlichen Treffen oder Stadtjubiläen.
Weil am Bonner Rosenmontagszug bereits "Kapellen der Streitkräfte der USA, Englands und Hollands" beteiligt gewesen seien, würde die Bevölkerung "es nicht verstehen, wenn das Musikkorps der Bundeswehr fehlen würde".
Zudem hatte der bewährt obrigkeitshörige rheinländische Vereinskarneval bereits das seine getan: "Durch den Festausschuß sei sichergestellt, daß Verhöhnungen der Bundeswehr und des Bundesministers für Verteidigung am Rosenmontagszug unterblieben. Es sei daher für einen Soldaten der Bundeswehr durchaus zumutbar, dienstlich in der befohlenen Form am Rosenmontagszug teilzunehmen."
… mögen Deutsche doch keine Deutschen in Uniform sehen
Die Richter des Bundesdisziplinarhofs zeigten sich jedoch beeindruckt von der Schilderung des eigentlich von der Teilnahme freigestellten Bundeswehrmusikers, der auf freiwilliger Basis eine kleine Feldforschung im grausamen Faschingsgeschehen betrieben hatte (Beschl. v. 16.11.1961, Az. WB 1/61; WB 27/61).
Wie den Richtern dann auch vom Leiter des Stabsmusikkorps bestätigt wurde, hatte sich "der Großteil der Bevölkerung […] während des Umzugs in Bonn ganz offen gegen die Teilnahme des Musikkorps aufgelehnt, und zwar nicht nur durch laute Protestrufe, sondern auch durch tätliche Angriffe. Eine derartige Ablehnung habe das Musikkorps bisher auf anderen Veranstaltungen im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit niemals erlebt. Sie seien häufig mit Pfuirufen und Schimpfworten wie 'Strolche', 'Erwerbslose', 'Nichtstuer' betitelt worden. Einem in der vordersten Reihe marschierenden Soldaten sei ein Bein gestellt worden, darüber hinaus habe man mit Apfelsinen nach ihnen geworfen."
Diese Auswüchse vor Augen erklärten die Richter dem Minister, wie er sich in der eigenen Befehlslage verheddert hatte. An sich hatte Strauß selbst schon 1957, 1958 und 1959 angeordnet, dass die Bundeswehrmusiker in den Karnevalshochburgen nur außerdienstlich und in Zivilkleidung auftreten sollten.
Grundsätzlich entspreche hier zwar der Einsatz des Musikkorps dienstlichen Zwecken, sei daher auch nach § 11 Abs. 1 Soldatengesetz grundsätzlich zu leisten, meinte das Gericht. Die Rechtmäßigkeit von Straußʼ Befehl, ausnahmsweise am Bonner Rosenmontagszug teilzunehmen, sei aber anzuzweifeln, weil vom Soldaten im Karnevalseinsatz nicht nur zu musizieren verlangt werde, sondern auch, dass "er sich selbst aktiv karnevalistisch gebärdet und auf das karnevalistische Verhalten anderer Beteiligter eingeht, das sich in guten und schlechten Scherzen äußern kann. Eine solche über die Repräsentation hinausgehende aktive Teilnahme an einer karnevalistischen Veranstaltung, die eine Zurschaustellung der eigenen Persönlichkeit, insbesondere auch persönliche Improvisation auf einem Gebiet des Nichternstlichen fordert, muß der Entscheidung des Einzelnen, geradezu seiner Lust und Laune überlassen bleiben und kann der Natur der Sache nach nicht befohlen werden."
Straußʼ Befehl an die Soldaten, sich zur Karnevalstruppe zu machen, stellte damit nach Auffassung der Richter einen unzulässigen Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit dar, Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG).
Friedrich Merz hätte sich in seiner Plagiatsaffäre also jedenfalls darauf berufen können, dass die Bielefelder Sekretärin einen schon etwas betagten bayerischen Ministerwitz nur wiederaufgelegt hatte – dieser Beweis, dass er mit allen gelungenen wie missratenen Listen des christsozialen Odysseus vertraut ist, wäre ihm gewiss in konservativen Kreisen hoch angerechnet worden.
Welche Kostüme kannten die Richter?
Aus dem Beschluss des Bundesdisziplinarhofs lässt sich noch eine etwas makabre und eine komische Pointe extrahieren – mit Blick auf dienstliche wie außerdienstliche Kostümierungen, die sich die Richter selbst überstreiften.
Senatspräsident Eberhard Barth (1897–1972) war vor 1945 leitender Beamter der Organisation Todt gewesen, eines paramilitärischen NS-Verbands, dessen uniformierte Mitglieder ein Heer von Zwangs- und Sklavenarbeitern kommandierten. Bundesrichter Otto Grünewald (1897–1980) hatte als Generalrichter der Wehrmacht zu den höchsten Militärjuristen Deutschlands gezählt – auf einer Führungsebene, auf der man sehr spezifische Vorstellungen davon hatte, welchen Schutz eine Uniform ihrem Träger vermitteln sollte.
Schön allein, welchen Kostümfundus Bundesrichter Franz Scherübl (1904–1999) nutzte. Er sollte, im Jahr des Karnevalsbeschlusses, durch eine sogenannte Investitur in den Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem aufgenommen werden. Ein schickes schwarzes Barrett und ein weißer Superheroe-Umhang mit rotem Jerusalemkreuz gehören dazu – viel würdiger als eine Karnevalsuniform, ohne Zweifel.
Bundeswehr und die fünfte Jahreszeit: . In: Legal Tribune Online, 23.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40423 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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