Nicht viele Juristinnen haben eine derart steile Karriere hingelegt wie die Kölner Professorin für Steuerrecht, Johanna Hey. Heute steht die 40-jährige vor ihrer bislang größten Herausforderung: der Vereinbarung von Job und Familie. LTO-Autorin Gil Eilin Jung sprach mit der Ausnahmejuristin über Risikobereitschaft, Schreibtischbabys und Zeitmanagement.
Die Dame des Hauses trägt ein schwarzgetupftes Wickelkleid, flache Sandalen und die weizenblonde Mähne zu einem dicken Zopf gebunden. Wüsste man nicht, dass es sich bei der zarten 1,60-Meter-Frau um eine der renommiertesten Steuerrechtlerinnen des Landes handelt, könnte man sie glatt für die Babysitterin ihrer eigenen Tochter halten. Aber im Gegensatz zu ihrer mädchenhaften Erscheinung lassen Blick und Händedruck keinen Zweifel an der Dynamik, für die Johanna Hey bekannt ist.
Mit Anfang 30 stand Hey – ausgesprochen wie der Fisch - bereits da, wo andere beruflich aufhören: promoviert und habilitiert mit einem eigenen Lehrstuhl für Unternehmensteuerrecht an der Universität Düsseldorf, C4-Professur. Keine vier Jahre danach leitet sie zudem das Institut für Steuerrecht an der Universität Köln, sitzt in hochkarätigen Gremien wie dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums, berät Unternehmen und ist in TV-Debattierforen begehrte Sparringspartnerin von Steinbrück, Seehofer, Lafontaine & Co.
Dass sie oft einzige Frau unter Männern ist, stört Hey nicht. Große Steine habe es auf dem Weg nach oben nie gegeben, sagt sie. Mit aktueller Einschränkung: "Solange man als Frau keine Kinder hat, kann man sich beruflich genauso etablieren wie Männer - der große Spagat kommt, sobald Familie da ist."
Vier Wochen nach der Geburt zurück im Hörsaal
Der "Double Income No Kids"-Status gehört für die Top-Juristin seit wenigen Monaten der Vergangenheit an. Hey, die seit 2002 mit dem Kölner Fachanwalt für Gesellschaftsrecht Florian Geyr verheiratet ist, ist seit Sommer 2010 Mutter einer kleinen Tochter. Ein lang ersehntes Wunschkind und "perfektes Schreibtisch-Baby" wie die Mutter stolz bestätigt: "Judith liegt, spielt, schläft und brabbelt neben meinem Arbeitsplatz und lässt mich in Ruhe arbeiten."
Die reguläre Mutterschutzzeit von drei Monaten hat Hey gleich mal um zwei Monate gestutzt und bereits vier Wochen nach der Geburt die erste Vorlesung gehalten. "Ich hätte eh keine Vertretung gefunden", erklärt die Rechtswissenschaftlerin nüchtern, "und wenn Anfragen und Mails eingehen, kann ich doch schlecht sagen: Kommen Sie damit doch bitte noch mal in acht Wochen wieder, dann bin ich aus dem Mutterschutz zurück."
Als Stand-by- und Reisebegleitungs-Babysitter (Hey: "Ich reise nur mit Kind!") ist stets eine Fulltime-Nanny an ihrer Seite. Auf ihren Mann könnte sie "zur Not" zwar zurückgreifen, sagt Hey, "aber ich versuch’s meist allein". Das klingt eher nach traditionell angelehntem Familienbild als nach einem paritätisch-zeitgemäßen. Hey zieht die Schultern hoch, sagt: "Bei Doppelkarrieren ist es einfach oft so, dass der Mann eher noch mehr arbeitet und viel Organisatorisches an der Frau hängen bleibt. Dann gibt es nur noch Beruf und Kind. Das habe ich vorher gewusst – so isses!".
Partnerin im Anwaltsbüro? Als Mutter faktisch nicht machbar
"Wenn sich der Kinderwunsch regt", sagt Hey, "steckt man plötzlich in der Falle, hat extrem viel gearbeitet und in die Karriere investiert und martert sich fortan mit einem permanent schlechten Gewissen. Als Familienfrau müssen Sie immer Abstriche machen!" Die Juristin gesteht, "dass man an sich selbst knappst – natürlich.". Regeneration oder gar Phasen des Nichtstuns fallen da flach. "Wenn ich im Auto sitze und den Klassiksender einschalte betrachte ich das als meine ganz persönliche Ruhe-Oase, meine kleine Flucht".
Das Hauptproblem von Frauenkarrieren sei, dass Netzwerke zu viel Zeit kosten. Ein gemeinsames Glas Wein nach einem Vortrag wird da zum Luxus. "Das macht man nicht als Frau, wenn man zuhause Kinder hat. Ich will ja auch Zeit mit meinem Kind verbringen und es nicht wegorganisieren. Das lässt sich mit noch so schönen Kinderbetreuungseinrichtungen nicht vollständig lösen." Das seien Dinge, so Hey, an denen man zentral was ändern müsse. "Warum gibt es so wenige Partnerinnen in Anwaltsbüros?", fragt sie und schießt die Antwort hinterher: "Weil man zeitlich so verfügbar sein muss, was mit Familie faktisch nicht machbar ist. Wenn man bereit ist auf Kinder zu verzichten, kann man sich wunderbar realisieren. Andernfalls wird es schwierig."
Ihren eigenen Studenten wünscht die Professorin, dass sie "nicht so schmalspurig unterwegs sind - man sollte sich nicht verfrüht festlegen!" Gruseln würde es sie beim Anblick "mancher 25-Jährigen, die promovieren will, das erste und zweite Staatsexamen bereits hinter sich und im Leben nichts anderes kennengelernt hat, als büffeln, reinklotzen, ackern und lernen!" Das sei nicht nur uninteressant, findet die Juristin, "das ist auch beruflich langweilig. Es geht doch nicht nur um Fachkenntnisse, sondern auch um Persönlichkeitsbildung."
Etwas wirklich Gefährliches oder gar Unvernünftiges habe sie nun aber auch nicht getan, gibt Hey zu, "aber ich habe meine Karriere nicht wie auf dem Reißbrett geplant und Sachen hingeschmissen und ganz was Neues angefangen."
Studenten sollen leben, nicht nur büffeln
"Leute, die herausstechen wollen, brauchen ein gewisses Charisma, was durch Bildung geprägt wird", sagt Hey. Es sei nicht damit getan, alle Anspruchsgrundlagen perfekt runter rasseln zu können, jedes Feld beackert zu haben, "sondern auch ein bisschen rechts und links geguckt zu haben." Dafür muss man nicht unbedingt mit dem VW-Bus durch Indien fahren, sagt die Steuer-Expertin, "aber man sollte sich auf das Leben einlassen".
Dass Hey beim Steuerrecht gelandet ist, sei keine Bestimmung gewesen. Es habe eher viele ihrer Interessen zusammen gefasst. Heys großes Thema ist die Systematisierung des deutschen Steuerrechts. "Ohne System kann man unser Steuerrecht nicht einfach so vereinfachen. Man muss eine Ordnung reinbringen und die Komplexität reduzieren, die es so ungerecht macht."
Wenn man sich ernsthaft mit Steuerpolitik befasst, sei das schwierig und nicht in politische Kategorien wie links oder rechts einteilbar, "sondern nur gute oder schlechte", wie die parteilose Juristin betont. Als Wissenschaftler könne man der Politik Impulse geben, sagt Hey, „aber man darf nicht erwarten, dass diese Vorschläge unmittelbar umgesetzt werden." Etwa das Problem der Kommunalfinanzen und der Gewerbesteuer, die "kein Mensch braucht – da sind sich alle einig", so die Professorin. Trotzdem sei es "wahnsinnig schwierig, sie zu reformieren".
Lehrverpflichtung im Big Apple
Wie viele erfolgreiche Juristen stemmt Hey eine 60- bis 80-Stunden-Woche. Ihre beginnt, wenn die meisten noch schlafen. "Mein großes Plus ist, dass ich um 5 Uhr morgens ausgeschlafen bin und der Rest der Familie noch schläft. Von 5 bis 8 Uhr kann ich produktiv sein und keiner stört mich und niemand ruft an. Diese Morgenstunden sind für mich deshalb sehr wichtig. Ich falle aus dem Bett an den Schreibtisch – das mache ich schon mein Leben lang und finde das sehr hilfreich."
In zwei bis drei Jahren wird das Bett, aus dem Johanna Hey fällt, in den USA stehen, denn Hey ist als Global Professor an die New York University berufen worden. "Eine Lehrverpflichtung an der NYU für ein halbes Jahr", erzählt die Juristin. "Ich freue mich da jetzt schon drauf - mit Mann, Kinder, Sack und Pack." Mann im Sabbatical und Kinder im Plural? "Ja", lacht Hey, "unsere Tochter macht uns so viel Freude, da kann man eigentlich nicht aufhören." Wenn schon, denn schon...
Gil Eilin Jung, Johanna Hey : . In: Legal Tribune Online, 26.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1567 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag