In Kriegs- und Nachkriegszeiten drohten drakonische Strafen für illegale Schweineschlachtung. Nicht etwa aus veganer Tierliebe, sondern wegen "Gefährdung der allgemeinen Bedarfsdeckung". So hart war das Wirtschaftsstrafrecht.
Schweine hatten offensichtlich die richtige Größe für die juristische Nachbearbeitung. Während Hühner klein genug waren, um das Radar der Strafverfolgungsbehörden zu unterfliegen und bei illegaler Rinderverwertung zu viel Aufsehen drohte, um es überhaupt zu versuchen, kam zwischen 1939 und den 1950er Jahren bemerkenswert oft die sogenannte Schwarzschlachtung von Schweinen vor Gericht.
Zeitweilig waren die Gefängnisse in den ländlichen Gegenden, beispielsweise Westfalens, voller Männer, die illegal geschlachtet hatten. Doch dazu später mehr.
Ein Schlaglicht auf ein merkwürdiges Kapitel des Wirtschaftsstrafrechts gibt etwa ein Urteil des Oberlandesgerichts München vom 4. Februar 1948 (Az. Ss 140/47), mit dem es die für zu milde befundene Verurteilung eines Schwarzschlachters aufhob und damit in ein rechtsdogmatisches Problemgebiet geriet.
Lebenslänglich Zuchthaus für das Entwenden von Schweinen
Unstrittig hatte der angeklagte bayerische Bauer im Mai 1947 auf seinem Hof "ein etwa 40 kg schweres Schwein" ohne Genehmigung geschlachtet. Die Genehmigung brauchte er, stand die Fleischversorgung doch unter staatlicher Aufsicht.
Fraglich war, ob er sich damit nach dem neuen alliierten Kontrollratsgesetz Nr. 50 (KRG 50) vom 20. März 1947 strafbar gemacht hatte. Nach Artikel 1 KRG 50 waren u.a. Personen, "denen die Herstellung, Verwaltung, Beförderung oder Obhut von zwangsbewirtschafteten Nahrungsmitteln" oblag, mit Strafe bedroht, "wenn sie solche Gegenstände entwenden oder vorsätzlich deren Entwendung, widerrechtliche Vergeudung oder widerrechtlichen Gebrauch gestatten".
Die Strafandrohung war äußerst hart. Angedroht war – in dieser Reihenfolge – eine lebenslängliche oder zeitige Zuchthausstrafe oder Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten und "in jedem Falle" Geldstrafe von 5.000 bis 5.000.000 Reichsmark.
Das Landgericht hatte sich, die hergebrachte Dogmatik des deutschen Rechts im Kopf, daran gestört, dass Artikel 1 KRG 50 von "entwenden" sprach. Denn der Bauer hatte Gewahrsam an seinem Schwein. "Entwenden" war nach Ansicht der Kammer als ein Gewahrsamsbruch zu verstehen, der hier natürlich fehlte, und fand eine mildere Norm, den Bauern zu verurteilen.
"Sehr gefährlich für die allgemeine Bedarfsdeckung"
Dies traf auf das Missfallen des Oberlandesgerichts: Maßgeblich sei bei der Auslegung nicht die deutsche Übersetzung der alliierten Norm. Die Münchener Richter korrigierten den Unverstand der amtlichen Dolmetscher: "Der Ausdruck ‚entwenden‘ hätte besser übersetzt werden müssen mit ‚beiseite schaffen‘ oder ‚entziehen‘. (Détourner: heimlich beiseite schaffen; soustraire: entziehen.)"
Das OLG München sah sich zu dieser Auslegung samt Korrektur des amtlichen Übersetzers primär durch die Mangelwirtschaft der Nachkriegsjahre veranlasst:
"Gerade die Schwarzschlachtungen zum angeblichen eigenen Bedarf, besonders wenn es sich dabei um große Tiere oder um ein fortgesetztes Schlachten handelt, stellen sich als sehr gefährlich für die allgemeine Bedarfsdeckung dar." Das könne der alliierte Gesetzgeber so nicht gewollt haben.
Mit dieser am Zweck des Gesetzes orientierten Auslegung bewegte sich das OLG München auf dogmatisch dünnem Eis: Zwar erlaubten der französische und russische Wortlaut der Norm, bereits bei einem "Beiseiteschaffen" von zwangsbewirtschafteten Lebensmitteln die Anwendung der drakonischen Strafnorm.
Dass der nicht weniger verbindliche englische Wortlaut von "theft" bzw. "steal" sprach und eine engere, am Gewahrsamsbruch orientierte Auslegung erlaubte, interessierte die offenbar strafwilligen Richter dagegen nicht.
Was wollten die Alliierten?
Während das Landgericht durch eine enge Auslegung des Tatbestands die Anwendung drakonischer Härte vermieden hatte, zeigte sich das Oberlandesgericht auf Rechtsfolgenseite heldenmutig: Sollte unter der von ihm teleologisch ausgedehnten Strafandrohung einmal ein harmloser Angeklagter vor Gericht kommen, "wäre ernsthaft zu erwägen", ob die harte Strafe dann nicht gegen das – wiederum von den Alliierten nach Deutschland gebrachte – Verbot übermäßig hoher Strafen verstieße.
Ein zeitgenössischer Kritiker monierte, dass das Urteil des OLG München vom 4. Februar 1948 mit seiner teleologischen Orientierung am politischen Willen des Gesetzgebers der NS-Doktrin folge: "Recht ist, was dem Volke nützt."
Fast ein bisschen tragikomisch war die Auslegung, weil die Richter offenbar glaubten, der Zweck des alliierten Gesetzes liege gerade darin, eine Lücke im deutschen Wirtschaftsstrafrecht zu schließen. Denn die Vorinstanz hatte den Schwarzschlachter nach deutschem Recht, der Kriegswirtschaftsverordnung verurteilt – dies aber zu milde, weil das Gesetz aus der NS-Zeit 1945 von alliierter Seite abgeschwächt worden war. Die Lücke bestand also vor allem in einem: fehlender Härte.
Schwarzschlachten in Zeiten des totalen Kriegs
Zur Vorgeschichte so viel: Mit der Kriegswirtschaftsverordnung (KWVO) vom 4. September 1939 bzw. 25. März 1942 hatte der nationalsozialistische Gesetzgeber das Wirtschaftsstrafrecht für die Zeit des totalen Krieges aufgestellt.
Deren rigide Strafandrohungen hatten u.a. zum Zweck, den Schwarzhandel mit Lebensmitteln zu unterbinden. Wer z.B. die staatlich festgesetzten Preise überschritt oder auch nur als Händler Kunden bevorzugte, die ihm anderweitig einen Vorteil versprachen, wurde empfindlich bestraft.
Zuständig waren die bei den Landgerichten gebildeten Sondergerichte, die in einem erheblich verkürzten Verfahren entschieden. Eine effektive Strafverteidigung war kaum möglich. Urteile wurden, der Außenwirkung wegen, zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht abgestimmt.
Trotz oder gerade wegen dieser rechtsstaatsfeindlichen Konstruktion war die Spruchpraxis der Sondergerichte jedenfalls in Wirtschaftsstrafsachen unter den Deutschen populär, machte sie doch die vermeintlich Verantwortlichen für die zunehmend schlechte Versorgungslage haftbar – im Wortlaut des Gesetzes, § 1 Abs. 1 KWVO (1942): "Wer Rohstoffe oder Erzeugnisse, die zum lebenswichtigen Bedarf der Bevölkerung gehören, vernichtet, beiseiteschafft oder zurückhält und dadurch böswillig die Deckung dieses Bedarfs gefährdet, wird mit Zuchthaus oder Gefängnis bestraft. In besonders schweren Fällen kann auf Todesstrafe erkannt werden."
Die Sonderjustiz war bei den Verbrauchern populär
Das traf nicht zuletzt Landwirte. Bereits seit 1934 war die in ländlichen Regionen weit verbreitete Hofschlachtung von Tieren über die tierärztliche Fleischbeschau hinaus unter staatliche Aufsicht geraten. Die neue Schlachtsteuer auf Schweine, Rinder und Ziegen begründete die Zuständigkeit der Steuerverwaltung.
Diese bereitete zwar die Zwangsbewirtschaftung der Viehbestände zum Kriegsbeginn von langer Hand vor, trotzdem sah man sich in den ländlichen Regionen Deutschlands auf dem falschen Fuß erwischt, als nunmehr bei Schwarzschlachtungen nicht nur Sanktionen für ein lässliches Steuervergehen, sondern herabwürdigende Zuchthausstrafen drohten.
Die Sondergerichte verhängten neben langjährigen Zuchthausstrafen wegen Schwarzschlachtens angesichts schwächelnder Versorgungslage auch die Todesstrafe. Bis diese Strafpraxis abschreckende Wirkung erreichte, füllten sich in ländlichen Regionen die Gefängnisse mit Angeklagten. Mancherorts wurde gespottet, wer als Mann nicht an die Front geschickt werde, sitze wegen Schwarzschlachtung ein.
So groß das Entsetzen unter den Bauern war – mancher beging schon unter der Schande der Untersuchungshaft Suizid – so populär war die Härte der Sonderjustiz gegen die Landwirte beim Endverbraucher.
Erst in den Wirtschaftswunderjahren verschwand das Verständnis für die harten Strafen
Der Betrieb der Sondergerichte wurde 1945 unter der alliierten Besatzung alsbald eingestellt. Die Kriegswirtschaftsverordnung blieb – in Teilen bis 1949 – in Kraft, allerdings hatten die Alliierten unmäßige Strafandrohungen untersagt.
Vor diesem Hintergrund ist das Münchener Urteil vom 4. Februar 1948 zu sehen: Während die vom nationalsozialistischen Gesetzgeber erlassene Kriegswirtschaftsverordnung für den Geschmack des Oberlandesgerichts München infolge alliierter Intervention allzu milde angewendet wurde, versprach das Militärgesetz Nr. 50 den Weg zu neuer Härte. Man musste es nur primär nach seinem vermeintlichen politischen Zweck auslegen. Den altliberalen Gedanken, dass der englische als mildester der verbindlichen Gesetzestexte zu berücksichtigen sei, hatten die Münchener Richter nicht.
Erst nachdem die Fresswellen der Wirtschaftswunderjahre das Hüftgold wiederhergestellt hatten, verlor die einst geübte Härte gegen Schwarzmarkthändler und Schwarzschlachter an Legitimität.
Als etwa Hans Krüger (CDU, 1902–1971), Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen, eine Mitwirkung an Todesurteilen im besetzten Polen zum Vorwurf gemacht wurde, befriedigte seine (hilfsweise) Argumentation, Todesurteile wegen Schwarzschlachtens seien de lege artis gewesen, nicht mehr recht das öffentliche Bauchgefühl – 1963/64 war u.a. der Justizmord an polnischen Schwarzschlachtern zum PR-Problem geworden.
Eine kleine Nebenbetrachtung zum Schluss: Während die juristische Fachpresse 1947/48 sachlich über die Auslegung von KWVO und Artikel 1 KRG 50 verhandelte, stritt sie eifrig über die neue Wirtschaftsverfassung Deutschlands, etwa die Sozialpflichtigkeit des Eigentums oder die Pflicht des künftigen Staates, gewisse Versorgungsniveaus zu gewährleisten.
Womöglich ist die bis heute wirkende Zurückhaltung auf diesem Gebiet auch auf ein Erschrecken über die wirtschaftsstrafrechtliche Härte der Gründerjahre unserer Republik zurückzuführen? Dokumentiert ist beides jedenfalls oft im jeweils gleichen Heft der historischen juristischen Fachzeitschrift.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Rechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 04.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26859 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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