Als rechtspolitischen Karikaturisten kennen ihn viele. Dass er früher selbst RAF-Mitglieder verteidigte, ist eher weniger bekannt. Im Interview mit LTO spricht Philipp Heinisch über die besondere Denkweise von Juristen, die Bedeutung von Gefühlen in der Justiz und darüber, warum er froh ist, bei der Bundesanwaltschaft nicht als Angeklagter vor-, sondern als Aussteller eingeladen zu sein.
LTO: Herr Heinisch, am Mittwoch beginnt Ihre Ausstellung "Sehe ich Recht?" in den Räumen der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Was werden Sie ausstellen?
Heinisch: Sowohl Karikaturen als auch große Zeichnungen. Gerade letztere bewegen sich durchaus auch auf einer ernsthafteren Ebene. Vor allem meine Justitia-Figuren reflektieren Recht und Gerechtigkeit – wie ich sie mir visualisiert vorstelle. Ich hoffe, damit Gedankengänge auszulösen.
LTO: Die Einladung zu Ihrer Ausstellung enthält den Text "Philipp Heinisch (als Aussteller!) bei der Generalbundesanwaltschaft." Worauf spielen Sie damit an?
Heinisch: Auf meine Vergangenheit, die durchaus Überschneidungen mit der der Bundesanwaltschaft hat.
LTO: Sie waren nicht immer Karikaturist.
Heinisch: Ich bin selbst Jurist und war bis zum Jahr 1992 als Strafverteidiger auch in RAF - Verfahren tätig. Ich habe also einige Juristenkollegen, denen ich heute bei der Bundesanwaltschaft begegne, bereits damals kennen gelernt – und die Verhältnisse damals waren äußerst konfrontativ.
"Die Ankläger hätten auch uns als Anwälte gern da behalten."
LTO: Inwiefern konfrontativ?
Heinisch: Anders als heute wäre damals eine Verständigung oder Ähnliches in solchen Strafprozessen nicht in Betracht gekommen. Verständigt hat man sich über die Strafprozessordnung. Insgesamt war das Verhältnis zwischen Staats- oder Bundesanwaltschaft und Verteidigern noch ein ganz anderes.
LTO: Wie nehmen Sie die Verhältnisse heutzutage wahr?
Heinisch: Natürlich habe ich keinen tieferen Einblick in die Verhältnisse von Staatsanwaltschaft oder gar Bundesanwaltschaft. Aber ich beschäftige mich berufsbedingt naturgemäß viel mit der Justiz, die ich allgemein als wesentlich entkrampfter wahrnehme.
In den siebziger Jahren lief das völlig anders. Wir waren sozusagen schon wegen der Mandanten, die wir verteidigten, potentiell verdächtig - obwohl die Staatsanwaltschaft ja bekanntlich die objektivste Behörde der Welt ist. Da konnte man schon das Gefühl haben, dass die Ankläger auch uns als Anwälte gern sofort da behalten hätten.
LTO: Aber glücklicherweise ist das nicht geschehen.
Heinisch: Nein. Und so kehre ich eben nun zur Bundesanwaltschaft zurück. Nicht als Vorgeladener, sondern erfreulicherweise als Eingeladener.
"Ich bin jeden Tag glücklich, diesen Weg eingeschlagen zu haben."
LTO: Weshalb haben Sie Ihren Beruf als Verteidiger aufgegeben?
Heinisch: Ich habe meine Zulassung freiwillig abgegeben. Damals ergab sich für mich einfach eine Möglichkeit, das zu tun, was ich immer tun wollte beziehungsweise tun musste: als freier Künstler zu arbeiten.
LTO: Haben Sie diesen Schritt je bereut?
Heinisch: Anfangs erntete ich sehr viel Kopfschütteln, was ich heute gut verstehen kann: Ich gab als erfolgreicher Anwalt den Beruf auf und begann mit 46 Jahren als Berufsanfänger in einem nicht erlernten Beruf. Aber für mich war es die absolut richtige Entscheidung. Ich bin jeden Tag glücklich, diesen Weg eingeschlagen zu haben.
(c) Heinisch
LTO: Sie karikieren also heute die Welt, aus der Sie einst selbst kamen. Beeinflusst die Kenntnis der juristischen Praxis und Ausbildung Ihre Zeichnungen?
Heinisch: Ich glaube ja, denn letztlich macht die Tatsache, dass ich selbst gelernter Jurist bin, meine Zeichnungen erst möglich. Dabei meine ich aber weniger die Kenntnis der juristischen Praxis als vielmehr die Erfahrung mit der mentalen Grundausstattung der Juristen.
"Juristen denken immer vier Schritte voraus."
LTO: Denken Juristen anders als andere Menschen?
Heinisch: Juristen denken immer vier Schritte voraus. Der Jurist hört seinem Gesprächspartner häufig nicht richtig zu, weil er dessen Argument schon im Voraus kennt oder zu kennen glaubt und damit beschäftigt ist, sich ein Gegenargument zu überlegen. Das geht mir übrigens ab und zu in der Diskussion mit "normalen" Menschen immer noch so. Dann schaue ich innerlich auf die Uhr, wie lange mein Gegenüber noch braucht, um seinen Gedanken zu Ende zu führen, auf den ich schon die passende Antwort habe.
LTO: Und das wollen Sie auch mit Ihren Zeichnungen ausdrücken?
Heinisch: Ja - solch ein Gesprächsverhalten ist doch unmöglich. Das schreit doch geradezu nach Bildern, die die Kluft zwischen "Laien" und Juristen überbrücken.
LTO: Sie stehen den Juristen also durchaus kritisch gegenüber. Äußert sich das auch in Ihren Zeichnungen?
Heinisch: So mancher Jurist zeichnet sich durch Besserwisserei und Oberflächenwissen aus. Da säge ich so gut ich kann am Sockel. Ich beobachte Anspruch und Wirklichkeit - zum Beispiel im verfassungsrechtlichen Bereich. Sehen Sie sich mal an, was vom Grundgesetz von 1949 noch übrig ist. Da müssen Sie lange suchen. Was da an Überwachungs – und Eingriffstatbeständen hinzugekommen ist darüber ließen sich Bücher schreiben. Ich antworte mit "Recht und Specht".
"Bei Recht und Gerechtigkeit geht es auch um Gefühle."
LTO: Wenden Sie sich also mit der am Mittwoch beginnenden Ausstellung nun überwiegend ernsthafteren, vielleicht sogar melancholischeren Themen zu?
Heinisch: Nein, neben diesen größeren Zeichnungen finden die Besucher selbstverständlich weiterhin auch Karikaturen, die auf manchmal schlicht lächerliche juristische Verhaltensweisen aufmerksam machen. Und damit meine ich nicht nur "die Juristen da drüben", sondern ebenso auch mich. Vielleicht haben alle etwas davon, sich mal den Spiegel vorhalten zu lassen.
LTO: Ihre Zeichnungen finden sich nicht nur in juristischen Periodika, sondern auch in Justizgebäuden, Kanzleien oder Behörden.
Heinisch: Ja, das stimmt und genau dort gehören sie auch hin. Damit folge ich der alten Tradition des Gerechtigkeitsbildes: Bis in die frühe Aufklärungszeit war der juristische Raum mit vielen Bildern zu Recht und Gerechtigkeit versehen. All diejenigen, die sich damit beschäftigten, sollten sehen, was sie taten.
Ich halte es für wichtig, diese Tradition wieder zu beleben, denn es geht bei Recht und Gerechtigkeit nicht nur um den Verstand, sondern auch Gefühle. Diese zu differenzieren, lernt man aber nicht in der juristischen Ausbildung, sondern durch die Anschauung der Realität und ein offenes Herz. Wenn meine Bilder dazu anregen könnten, hätte ich viel erreicht.
LTO: Herr Heinisch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Philipp Heinisch ist rechtspolitischer Karikaturist in Berlin. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem juristischen Alltag, der sozialen Gerechtigkeit und einem humanen Zusammenleben. Seine Zeichnungen "Bad Bank" und "Sehtest für Finanzjongleure" wurden im Mai 2010 bei dem Karikaturenwettbewerb "Spitze Feder" als beste politische Karikaturen ausgezeichnet.
Das Interview führte Pia Lorenz.
Philipp Heinisch, Heinisch-Ausstellung bei der Bundesanwaltschaft: . In: Legal Tribune Online, 13.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1435 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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