Am 17. Februar 1939 beschloss der NS-Gesetzgeber das Heilpraktikergesetz. Obwohl es zu Irrtümern über die Fähigkeiten der Heilpraktiker einlädt, regelt es nach wie vor einen bedeutenden Teil der Gesundheitsdienstleistungen.
Es ist eine eigenartige Kombination aus nationalsozialistischer Gesetzgebung einerseits, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis nach Maßgabe des Grundgesetzes (GG) andererseits, die es bis heute ohne allzu scharfe Prüfung jedem Menschen erlaubt, in Deutschland paramedizinische Dienstleistungen feilzubieten.
Den Anfang machte das "Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz)" vom 17. Februar 1939, das vier Tage später in Kraft trat*.
§ 1 dieses kurzen Gesetzes (im Weiteren: HeilprG) ordnet seither an, dass jeder, der "ohne als Arzt bestallt zu sein" die "Heilkunde" ausüben will, einer behördlichen Erlaubnis bedarf. Unter Heilkunde versteht die Norm jede "berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen".
Heilpraktiker ursprünglich als aussterbender Beruf gedacht
Dem NS-Gesetzgeber war dabei sichtlich daran gelegen, den Heilpraktiker zum aussterbenden Beruf zu machen: §§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 1 HeilprG gaben vor, dass im Wesentlichen nur denjenigen die Erlaubnis zu erteilen sei, die bereits den Beruf des Heilpraktikers ausübten. § 4 HeilprG verbot den Betrieb von Ausbildungsstätten für Heilpraktiker. Außerdem sollte nach § 2 Abs. 1 HeilprG eventuell begabten Nichtmedizinern unter den Heilpraktikern durch Ministererlaubnis ein erleichterter Zugang zum ordentlichen Medizinstudium eröffnet werden.
Die 1. Durchführungsverordnung (DVO) vom 18. Februar 1939 verlangte von jenen Heilpraktikern, die ihren Beruf weiter ausüben wollten, sowie von den Schülern, die sich noch auf den soeben verbotenen Heilpraktikerschulen befanden, die Erlaubnis bis zum 1. April 1939 zu beantragen – also binnen einer durchaus sportlichen Frist.
Weiterhin regelte die 1. DVO, dass die Verwaltungsbehörde vor der Erlaubnis einen Gutachterausschuss – neben dem Vorsitzenden aus zwei Ärzten und zwei Heilpraktikern bestehend – anzuhören habe. Nach § 2 der 1. DVO ausgeschlossen bleiben sollten unter anderem Antragsteller unter 25 Jahren, Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, sittlich unzuverlässige oder Antragsteller, die nicht mindestens die Volksschule abgeschlossen hatten.
Eine 2. DVO vom 3. Juli 1941 fügte als Ausschlussgrund hinzu: "(…) wenn sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers durch das Gesundheitsamt ergibt, daß die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde". Gedanken darüber, wie dies in einem Rechtsstaat gerichtsfest zu prognostizieren sei, musste man sich 1941 noch nicht machen.
Entrümpelt durch alliiertes Recht und die Rechtsprechung
Obwohl führende NS-Politiker nicht nur in den tragenden Elementen ihrer Weltanschauung, vom ahistorischen Germanenkult bis zum synkretischen Unsinn ihrer Abstammungs- und Rassenlehre, sondern auch im Detail allen erdenklichen esoterischen Spinnereien gegenüber aufgeschlossen waren – Heinrich Himmler (1900–1945) etwa war einer der wirkungsvollsten Förderer der bis heute nacherzählten rechtshistorischen Märchen zur Hexenverfolgung – versuchten ausgerechnet sie, mit dem Heilpraktikergesetz einen Schlussstrich unter die paramedizinischen Heilkünste zu ziehen – mit der Pensionierung des letzten Heilpraktikers sollte es mit dem Beruf vorbei sein.
Gleichwohl bilden die NS-Regelungen bis heute den Kern des Heilpraktikerrechts und eines umsatzstarken Heilerei-Marktes. Wie kam es dazu?
Zuerst trat am 20. September 1945 § 2 Abs. 1 lit. c) der 1. DVO außer Kraft, wonach einem Heilpraktiker die Erlaubnis zu versagen war, "wenn er oder sein Ehegatte nicht deutschen oder artverwandten Blutes ist". Artikel II b Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS-Recht beseitigte rassistische Regelungen dieser Art summarisch aus dem deutschen Recht.
Das entscheidende Wort, um den Berufsstand der Heilpraktiker am Leben zu erhalten, sprach das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Urteil vom 24. Januar 1957 (Az. I C 194/54): Nicht zu beanstanden seien mit Blick auf die in Artikel 12 GG garantierte Berufsfreiheit zwar die Regelungen des Heilpraktikergesetzes und der Durchführungsverordnungen, die verlangten, dass vom Antragsteller keine sittlichen, strafrechtlichen oder Gefahren für die Volksgesundheit ausgingen. Als "völlige Berufssperre" nicht mit dem GG vereinbar sei aber die Frist aus § 1 Abs. 1 der 1. DVO, wonach der Antrag auf Erlaubnis bis zum 1. April 1939 vorliegen musste.
Mangelnde Qualifikation von Heilpraktikern?
Mit diesem Urteil war der Markt für all jene, die es ohne Medizinstudium und Approbation auf den Markt für "heilkundliche" Angebote drängte, wieder fast so weit geöffnet, wie er es schon zwischen 1869 und 1939 gewesen war.
1869 darf als das Geburtsjahr der sogenannten Kurierfreiheit gelten: Der Reichstag des Norddeutschen Bundes war bei seiner Beschlussfassung zu § 29 Gewerbeordnung (GewO), der die Tätigkeit der Apotheker und Ärzte von der Approbation abhängig machte, davon ausgegangen, dass "heilkundliche" Leistungen anderer Personen nicht verboten werden müssten, denn "das Volk bedürfe nach seiner Bildungsstufe gängelnder Maßnahmen nicht, sondern werde selbst zwischen einem wissenschaftlich ausgebildeten Arzt und einem Kurpfuscher zu unterscheiden wissen; ein Vertrauen gerade zu den approbierten Ärzten dürfe nicht aufgezwungen werden; die Freiheit werde der beste Regulator sein" (zitiert nach Reichsgericht, Urt. v. 26.2.1909, Az. III 220/08).
Wesentlich beschnitten wird diese großherzige Kurierfreiheit durch die Erlaubnisvoraussetzungen nach dem Heilpraktikerrecht nicht. Von Antragstellern werden heute zwar grundlegende Kenntnisse der rechtlichen Voraussetzungen ihrer Arbeit als Heilpraktiker verlangt, zudem Basiswissen zum Beispiel der Anatomie, Hygiene und Nosologie. Und während in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik derlei Kenntnisse noch teils krude wildwüchsig von den Gesundheitsämtern überprüft wurden, war seit dem regelrechten Boom des Heilpraktikergewerbes – seit den 1970er Jahren verdreifachte sich ihre Zahl – immerhin ein gewisses Bemühen um eine Systematisierung der entsprechenden Wissenstests zu beobachten.
Die unter ihren Kunden wohl recht weit verbreitete Vorstellung, ein Heilpraktiker sei durch das Gesundheitsamt einer recht durchgreifenden fachlichen Prüfung unterzogen worden, dürfte aber fehlgehen. Denn die im Multiple-Choice-Verfahren abgefragten Kenntnisse bewegen sich durchaus im Bereich dessen, was auch das Krankenpflegepersonal für seinen Beruf wissen muss. Manches kann sogar der schlichte Inhaber eines NRW-Abiturs ohne Zögern beantworten (so jedenfalls im Selbsttest: "Welche der folgenden Zellen sind an der Blutstillung beteiligt [Einfachauswahl]: A) Lymphozyten B) Monozyten C) Erythozyten D) Granulozyten E) Thrombozyten").
Angesichts der Nachfrage nach paramedizinischen, oft esoterisch umrankten Diensten findet Kritik wenig Anklang in der Politik. In ihrem "Plädoyer für eine Neuregelung des Heilpraktikergesetzes" sprach sich z. B. die heute in Neubrandenburg lehrende Zivil- und Sozialrechtlerin Marina Tamm bereits 2008 unter anderem dafür aus, die Berufsausbildung der Heilpraktiker qualitativ an die des Arztes heranzuführen und ihren Spielraum bei "alternativen Behandlungsmethoden" wenigstens durch klare, gesetzlich geregelte Aufklärungs- und Dokumentationspflichten einzugrenzen sowie ihnen eine Berufshaftpflichtversicherung aufzuerlegen (Verbraucher und Recht 2008, S. 465-471).
Trotz aller Liebe für Verbraucherschutzthemen hat sich die Politik auf diesem Gebiet seither jedoch nie durch Entscheidungsfreude ausgezeichnet.
Kammerpflicht wäre sinnvoll
Spott dürfte dabei wenig helfen, wenn heute selbst eine einst auf Ingenieure fokussierte Krankenkasse ungerührt homöopathische Wundermittel bezahlt. Es liegt zwar kein eben kleiner Witz darin, dass man im Reichstag des Norddeutschen Bundes 1869 glaubte, die Bildung des deutschen Volkes würde den Quacksalbern alsbald den Garaus machen, während es 150 Jahre später bevorzugt formal gut gebildete Menschen – Abitur aufwärts – sind, die sich von Heilpraktikern behandeln lassen, von denen das Gesetz seit 1939 formal zunächst nicht mehr verlangt, als ein günstiges Abgangszeugnis der achtjährigen Volkschule.
Der Spott verbietet sich, weil die Abgeordneten, als sie vor 150 Jahren die Kurierfreiheit zuließen, allzu hohe Vorstellungen vom Ärzteberuf hatten. Denn es war nicht schon 1869, sondern wohl später, irgendwann zwischen 1900 und 1940 so weit, dass der Besuch eines "schulmedizinisch" ausgebildeten Arztes im Schnitt weniger Schaden als Nutzen brachte. Erst Impfungen und Antibiotika trennten im Ergebnis die Wege zwischen selbsternannten Heilkundlern und approbierten Ärzten – wobei letztere davon profitierten, dass berufsständige Kammern sie auf ein letztlich naturwissenschaftlich fundiertes Leistungsspektrum verpflichteten.
Sollten daher beispielsweise die klugen Vorschläge von Professorin Tamm auch weiter kein politisches Gehör finden, wäre vielleicht zu überlegen, den Heilpraktikern zumindest die Pflicht aufzuerlegen, sich in Kammern zusammenzuschließen und ihre esoterischen Methoden und kasuistischen Heilungserzählungen – nach einer Art Peer-Review in der Schlangengrube ihrer Kollegen – online zu veröffentlichen. Das Publikum würde sich zwar wohl nicht am Erkenntisfortschritt erfreuen können, hätte aber wenigstens Grund zum Staunen.
Zudem ist eine Verkammerung bekanntlich immer ein guter Weg, negative Energien zu binden.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist.
*Anmerkung der Redaktion, 21.02.2019, 10:45
In einer ursprünglichen Version hieß es, dass das Gesetz am 18. Februar 1939 in Kraft getreten ist. Tatsächlich ist es aber am 21. Februar 1939 in Kraft getreten.
Medizinrecht: . In: Legal Tribune Online, 17.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33891 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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