2/2: Marie Antoinette sprach von Kuchen, Louis vom Croissant
Die Kunsthistorikerin Katrin Weleda macht in ihrem jüngst publizierten Aufsatz "Zur politischen Ikonographie der Guillotinenklinge" (in: Beyer & Cassegrain [Hg.]: Mouvement. Bewegung. Über die dynamischen Potenziale der Kunst, 2015, S. 109-122) – im Kern einer Auseinandersetzung mit dem Werk "Four Guillotine Blades" des britischen Künstlers Ian Hamilton Finlay – unter anderem auf einen weiteren bösen Scherz des französischen Justizinstruments aufmerksam: Nach der vom aufgeklärten Abgeordneten Joseph-Ignace Guillotin angeregten Humanisierung und Egalisierung des Strafvollzugs, wurde die technische Gestaltung der Fallschwertmaschine diskutiert.
Zu entscheiden war zuletzt, ob die Klinge eine gerade, abgeschrägte Form haben sollte oder eher rundaxtförmig gestaltet werden sollte. Der Monarch, den man sich gern in einer etwas George-W.-Bush-artigen Einfalt vorstellen mag, war anerkanntermaßen handwerklich begabt und soll in der Regierungsdiskussion um das Instrument Bedenken gegen die runde Form der Klinge geäußert haben. Ludwig nannte die Form "croissant". Dass des Ex-Königs Kopf unter einer abgeschrägten Klinge fiel, soll mithin auf Ludwigs Effizienzbedenken gegen das Croissant-Messer zurückzuführen sein.
Ob man das nun unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung des Gesetzgebers für seine Entscheidungen bewerten möchte, ist sicher eine Frage des individuellen Geschmacks.
Kosten- und Praktikabilitätserwägungen zur Guillotine
Katrin Weleda referiert in ihrem kunsthistorischen Aufsatz auch die kurz die Gesetzgebungsgeschichte. Die Einführung der später populär so genannten Guillotine war wohl gar nicht so sehr auf den Abgeordneten und Mediziner Joseph-Ignace Guillotin zurückzuführen, als auf Kosten- und Praktikabilitätserwägungen des wichtigsten französischen Henkers, Charles-Henri Sanson (1739-1806), der darauf hinwies, dass ein gewöhnliches Richtschwert, das von Hand geführt ohnehin unsichere Erfolge versprach, nach dem Einsatz zunächst aufwändig geschärft werden müsse. Im Übrigen koste das gewöhnliche Richtschwert des Henkers von Paris jeweils 600 Livres (Gegenwert von vielleicht sechs Reitpferden).
Die Ausführung der "Guillotine" ging schließlich auf Konstruktionspläne des Mediziners Antoine Louis (1723-1792) und des deutschen Klavierbauers Tobias Schmidt (1768-1821) zurück.
Menschenfreund wird Namensgeber der Tötungsmaschine
Schmidt soll durch die Nachfrage der französischen Justizvollzugsbehörden zu einigem Wohlstand gekommen sein. Antoine Louis erfreute sich kurz der Ehre, Namensgeber der Maschine zu sein.
Durchgesetzt hat sich allerdings die Bezeichnung nach dem Mediziner, Freimaurer, Revolutionär und Abgeordneten Joseph-Ignace Guillotin. Diesem aufgeklärten Arzt war dieser Ruhm gar nicht recht, seine Familie sollte später einen anderen Namen annehmen. Eigentlich kommt Guillotin (1739-1814) die Ehre zu, wesentlich zur Verbreitung der umstrittenen Pockenschutzimpfung beigetragen, sogar den Papst in Rom zur Unterstützung der modernen Impftechnik veranlasst zu haben.
Als Namensgeber einer – im revolutionären Frankreich wie im nationalsozialistischen Deutschland – zur Terrorjustiz eingesetzten Hinrichtungsmaschine musste ausgerechnet ein menschenfreundlicher Vertreter der Aufklärungsphilosophie herhalten. Eine vertrauensbildende Maßnahme in den Wert der Aufklärung kann man darin kaum erkennen.
Mehr Geisterstunden in StGB-AT-Vorlesungen
Die Aufklärungsphilosophie hat es, nicht zuletzt unter Juristinnen und Juristen, seit Jahren schwer. Beispielsweise muss die Erfindung eines anderen großen Aufklärers, des Philosophen und Juristen Jeremy Bentham (1748-1832) immer wieder als Beleg für einen totalitären Zug dieser europäischen Geistestradition herhalten: das panoptische Gefängnis, das es einem zentralen Überwacher erlauben soll, alle Insassen der Haftanstalt zu kontrollieren, ohne dabei selbst unter Aufsicht zu stehen. Benthams Panoptikum galt dem umstrittenen französischen Professor Michel Foucault (1926-1984) als Modell eines totalitären Zugs in der modernen Gesellschaft – vieltausendfach ist diese Auffassung auch an (rechts-) soziologischen und kriminologischen Lehrstühlen reproduziert und sehr populär geworden.
Das führt uns zurück zu der langweiligen Vorlesung zum "StGB AT", zum allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs, in der die Universitätsinsassinnen und -insassen lieber über US-Gespensterserien schwatzten, als dem altliberalen Professor zu lauschen: Im Gesetz niedergeschriebene oder von der Strafrechtswissenschaft vorausgesetzte Lehren von Kausalität, der Grundsatz "nulla poena sine lege" in allen Ausprägungen, Öffentlichkeit und Rationalitätsanspruch des Verfahrens und sogar die äußere Gestalt des Gesetzes selbst – das berüchtigte Vor-die-Klammer-Ziehen - hat man sich von den "de more geometrico" denkenden Philosophen, beispielsweise Thomas Hobbes und Baruch de Spinoza, abgeschaut: Alles das ist pure Form, reiner Inhalt der guten alten Aufklärungsphilosophie – ihrer guten, nicht dämonischen Seite. Wer heute juristische Kausalitätskonzepte wiederkäut, verbannt oft ungeahnt Hexerei-Vorwürfe, zur Zeit der Aufklärung noch juristisches Folter- und Tötungsgeschäft, effektiv ins Reich der Märchen.
Vielleicht sollte man die Schauergeschichte von der Guillotine am Rande von Strafrechtsvorlesungen erzählen, damit Grauen und gute Seiten einer wertvollen Philosophie zu Tage treten – und nicht allein die Geistermärchen der US-Populärkultur und des Professors Foucault?
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Das Grauen, die Philosophie und die Guillotine: . In: Legal Tribune Online, 03.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15416 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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