Gesetzlich verordnete Kommunikation: Dialog von der Wiege bis zur Bahre

Ist der Dialog der neue Anspruch? Während Juristen normalerweise Ansprüche von jemandem gegen jemanden auf etwas prüfen und verfechten, scheint der Gesetzgeber sich umzuorientieren. Die moderne Gesetzgebung ist geprägt vom Dialog. Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz über neue kommunikative Ansätze in ziemlich wichtigen Fragen - von Ehevertrag bis Sterbehilfe.

Juristen sind für ihre kurzen und exakten Auskünfte bekannt. Auf die Frage nach der Rechtslage antworten sie regelmäßig: "Es kommt darauf an." Und auf die Bitte nach einer noch stärkeren Präzisierung lautete die Konkretisierung bisher: "A könnte einen Anspruch gegen B haben." Der Anspruch ist der Dreh- und Angelpunkt juristischen Denkens in den letzten Jahrhunderten gewesen. Von seinem Bestehen hing es ab, ob jemand eine Sache oder Geldzahlung erhielt oder nicht.

Die (scheinbare) Eindeutigkeit des Anspruchs ist einer neuen Unübersichtlichkeit gewichen. An seine Stelle ist der Dialog getreten.

Gewaltfreie Kommunikation ohne Subordination

Es handelt sich um eine zwischen mindestens zwei Personen geführte Rede und Gegenrede. Der Dialog ist eine Form der Kommunikation. Idealtypisch erfolgt diese herrschaftsfrei, also ohne strukturelle Ungleichgewichtslage.

Wer kommuniziert? Frauen mit Männern über Eheverträge, herrschaftsfrei, das heißt nicht schwanger und ohne den Druck einer bereits anberaumten Hochzeitsfeier. Aber auch Eltern kommunizieren mit ihren Kindern, und zwar gewaltfrei. Keiner schlägt also den anderen.

Schließlich kommunizieren auch Nachbarn miteinander bei einem Streit, wenn der Landesgesetzgeber diesbezüglich ein obligatorisches Schlichtungsverfahren angeordnet hat. Und damit ist nicht der wechselseitige Austausch von freundlichen Gesten zwischen den unmittelbar betroffenen Frustzwergen wie deren getöpferter Stinkefinger und dessen in Gips gegossenes entblößtes Hinterteil gemeint.

Der so genannte Kuckuckskinderdialog

Eine besondere Regelung hat der Dialog im Familienrecht erfahren. Dem Mann, der wissen möchte, ob sein Abkömmling wirklich von ihm stammt, steht nicht mehr nur der heimliche Kaugummitest zur Verfügung.

Der Gesetzgeber hat ihm "zur Förderung des Dialogs in der Familie" (BT-Drs. 16/6561, S. 10) einen Anspruch auf Klärung der Abstammung des ihm rechtlich zugeordneten, aber möglicherweise - da blauäugig und blond - nicht ähnlich sehenden Kindes gegeben (§ 1598a BGB).

Umgekehrt kann auch der Sohn, der sich davon wegen des reichen früheren Freundes der Mutter und der Ähnlichkeit mit diesem ein höheres Taschengeld als Bestandteil des Unterhalts erhofft, in gleicher Weise von seinem (Noch-)Vater die Klärung seiner Abstammung fordern. Der Dialog ist ergebnisoffen, da pro Schulklasse ein bis zwei Kinder nicht von ihrem rechtlichen Vater stammen.

Dialog oder Pflegeheim?

Anders ist dies in einer weiteren Form des familiären Dialoges. Konkret betrifft dies die Frage: "Wie lange soll Opa noch leben?"

Geht es um den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen, soll der Arzt wiederum die zur Verfügung stehenden Kommunikationswege nutzen (BT-Drs. 16/8442, S. 12). Vor allem nahe Angehörige oder sonstige Vertrauenspersonen sollen angehört werden (§ 1906 Abs. 2 BGB). Der Vertreter des Patienten und der behandelnde Arzt sollen zur Ermittlung des Patientenwillens in einen „dialogischen Prozess“  (BT-Drs. 16/11493, S. 9) über das Thema "Abschalten – ja oder nein" treten.

Das Ergebnis könnte im Hinblick auf den Druck der hohen, nicht gedeckten Pflegeheimkosten hier nicht ganz offen sein.

Glaubt man dem Reformator Melanchthon, ist das Reich Gottes eine himmlische Akademie, in der jeder mit jedem diskutieren kann. Möglicherweise ist der moderne, von Juristen verordnete irdische Dialog nur ein Abglanz des himmlischen? Verzeihen Sie diesen Artikel. Ich wollte nur mit Ihnen als Leser in einen Dialog treten.

Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Autor zahlreicher Fachpublikationen u.a. im Familienrecht.

Zitiervorschlag

Herbert Grziwotz, Gesetzlich verordnete Kommunikation: . In: Legal Tribune Online, 08.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1677 (abgerufen am: 18.11.2024 )

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