Bayern und das Steigenberger: Streit um Hit­lers Urlaubs­pa­ra­dies

von Martin Rath

29.01.2017

2/2: Steigenberger durch Freistaat quasi beschenkt

Der BGH fasste die Vorteile des Geschäfts für die Firma Steigenberger wie folgt zusammen:

"Sie zahlte dafür den Festpreis von 3 Millionen DM, der sich ungünstigenfalls auf 3,75 Millionen DM erhöhen konnte, jedoch nur in 10 gleichen Jahresraten, und hatte den Freistaat Bayern von etwa bestehenden Ausgleichsforderungen zu befreien, jedoch erst nach der Freigabe seitens der Besatzungsmacht. Dieser sofortige Übergang der Nutzungen auf die Klägerin einerseits und die langfristige Stundung des Festkaufpreises zu dem sehr niedrigen Zinssatz von 2% sowie die 'Fälligkeit' der Freistellungsverpflichtung zu dem ungewissen Zeitpunkt der Freigabe, also möglicherweise (hier sogar naheliegender Weise) erst längere Zeit nach Vertragsschluß, bedeutete, daß die Klägerin die Nutzungen erhielt, ohne den Gegenwert bereits geleistet zu haben."

Dem Freistaat Bayern, so der BGH, sei ein derart ungünstiges Geschäft durch Artikel 81 der Landesverfassung verboten. Sein Wortlaut: "Das Grundstockvermögen des Staates darf in seinem Wertbestand nur auf Grund eines Gesetzes verringert werden. Der Erlös aus der Veräußerung von Bestandteilen des Grundstockvermögens ist zu Neuerwerbungen für dieses Vermögen zu verwenden."

Verschleuderungsverbot selten vor Gericht

Eine ähnliche Vorschrift hatte auch schon die bayerische Verfassungsurkunde von 1919 enthalten, zur Anwendung war sie jedoch augenscheinlich noch nicht gekommen.

Dass es sich bei den vormaligen NS-Freizeitimmobilien um ein "Grundstockvermögen" handelte, war soweit klar, dass sich der BGH mit keiner förmlichen Subsumtionsübung aufhielt – in aller Regel zählten hierzu Vermögensgegenstände, die nicht alsbald nach ihrem Erwerb wieder veräußert werden sollen. Kniffliger war hingegen die Frage, ob das Verbot der Landesverfassung nur die Staatsorgane selbst betrifft und ob und wie weit Vertragspartner vom Verbot betroffen sind.

Hierzu orientierte sich der BGH an der Rechtsauffassung, die sich zu vergleichbaren Verboten im Kommunalverfassungsrecht gebildet hatte, insbesondere zu einer Vorschrift der Preußischen Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen vom 30. Mai 1853. Ihr zufolge wirkte der Verstoß gegen Formvorschriften der Kommunalverwaltung auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts durch.

Nach Auffassung des BGH war auch Artikel 81 der Bayerischen Landesverfassung in diesem Sinn zu verstehen, so dass "das Veräußerungsgeschäft (Kaufvertrag und die Auflassung) deshalb der rechtlichen Wirksamkeit ermangelt. Die Klägerin muß diese verfassungsrechtliche Regelung gegen sich gelten lassen, ohne sich etwa auf guten Glauben hinsichtlich der Vertretungsmacht der Organe des Freistaats Bayern berufen oder den Einwand der Verletzung von Treu und Glauben erheben zu können."

Nachspiele bayerischer Staatsaffären

Mit der normativen Auskunft, dass der Staat nichts verschenken dürfe, kam der Freistaat Bayern folglich wieder in das sichere Eigentum der Immobilien im vormaligen Führersperrgebiet. Vollständig ausziehen sollten die US-Streitkräfte aber erst in den 1990er Jahren.

Zwei Jahre nach dem BGH-Urteil verständigten sich Steigenberger und der Freistaat Bayern nach Angaben des Spiegels (Heft 46/1969) auf eine (Rück-)Zahlung von fünf Millionen Mark an das Hotellerie-Unternehmen. Darin sollen auch 250.000 Mark enthalten gewesen sein, die 1957 an Josef Panholzer (1895–1973), Staatssekretär im Finanzministerium gezahlt worden waren – ein nur mutmaßliches  Schmiergeld, das der Politiker der Bayernpartei in den Wiederaufbau der zerstörten Münchener Residenz gesteckt hatte.

Obwohl der Grundsatz "Der Staat darf nichts verschenken!" das Zeug zur Faustformel für das Verhältnis zwischen geschäftstüchtigen Bürgern und – im Mindesten unbedarften – Staatsdienern hätte, ist der Steigenberger-Fall des BGH nie recht populär geworden. Das mag damit zu tun haben, dass die Verfügungsgewalt über staatliche Vermögensgegenstände nicht überall so scharf akzentuiert wurde wie es der BGH mit Artikel 81 der bayerischen Landesverfassung tat.

Vermutlich blieb der Fall aber auch schlicht im Schatten der zeitgleichen, ungleich berüchtigteren bayerischen Spielbank-Affäre zurück - auch diese eine Frucht des kurzen Intermezzos einer SPD-geführten Regierung des Freistaats. Deren juristisches Nachspiel zog mehr Aufmerksamkeit auf sich, traf in seinem Verlauf den späteren CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU, 1925¬–2012) doch ein unschöner Freispruch vom Vorwurf des Meineids wegen verminderter geistiger Leistungsfähigkeit und wurden doch führende Bayernpartei-Politiker mit Strafverfahren überzogen.

Lesetipp: Der jüngst verstorbene Rechtsanwalt Heinrich Senfft (1928–2017) hinterließ mit seinem Buch "Glück ist machbar" ein "politisches Lehrstück" zu den Skandal- und Rechtsgeschichten Bayerns in den 1950er und 1960er Jahren. Köln (Kiepenheuer & Witsch) 1988.

Der Autor Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Bayern und das Steigenberger: . In: Legal Tribune Online, 29.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21917 (abgerufen am: 16.11.2024 )

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