Ingeborg Puppe über "Der Fall Collini": Bür­ger­auf­klärung nach Rechts­an­walt Fer­di­nand von Schi­rach

Gastkommentar von Prof. Dr. Ingeborg Puppe

25.05.2019

In "Der Fall Collini" deckt ein junger Strafverteidiger einen Justizskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte auf. Der Film arbeitet mit historischen wie rechtlichen Unwahrheiten, zeigt Ingeborg Puppe. Und das unter dem Label von Schirach.  

Der Film "Der Fall Collini", gedreht nach einem Roman von Ferdinand von Schirach, der in seinen Werken schwierige Rechtsprobleme zur öffentlichen Diskussion stellt, läuft zur Zeit in vollen Kinosälen. Und das Publikum verlässt diese Säle nach Ende der Vorstellung sichtlich erschüttert. Die Romanvorlage wie auch der Film beschäftigen sich mit dem Versagen der bundesdeutschen Nachkriegsjustiz bei der juristischen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen.

Im Gegensatz zu landläufigen Unterhaltungskrimis sollte der Zuschauer da eigentlich erwarten können, dass das Gerichtsverfahren so dargestellt wird, wie es vor unseren Gerichten tatsächlich abläuft, zumal der Autor als Strafverteidiger die deutsche Strafprozessordnung genau kennt.

Stattdessen präsentiert uns der Film einen Parteienprozess nach dem Muster amerikanischer Gerichtsfilme. Nicht die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft ermittelt den Sachverhalt, sondern der junge Rechtsanwalt Caspar Leinen (Elyas M’Barek) in bester Josef-Matula-Manier. Er präsentiert dem Gericht die entscheidenden Zeugen und vernimmt sie auch. Nach unserer Prozessordnung sind sie vom Gericht zu laden und vom Richter zu vernehmen.

Den Anwalt der Nebenkläger ruft Verteidiger Leinen kurzerhand als Sachverständigen in den Zeugenstand, wo er ihn demontiert, wie es Charles Laughton kaum besser gekonnt hätte. Dabei wird nach deutschem Strafprozessrecht auch der Sachverständige vom Gericht bestellt, er reicht in der Regel ein schriftliches Gutachten ein und trägt es in der mündlichen Verhandlung vor. Bei von Schirach lässt sich die Vorsitzende Richterin (Catrin Striebeck) all das bieten, ohne einzuschreiten. Nur gelegentlich ermahnt sie den Anwalt, sich doch bitte künftig an die Prozessordnung zu halten.

Noch befangener geht kaum

Aber schon der Anfang des Films ist skandalös. Es stellt sich heraus, dass Caspar Leinen, eben jener junge Rechtsanwalt, den das Gericht zum Pflichtverteidiger des Angeklagten Fabrizio Collini (Franco Nero) bestellt hat, seine Kindheit als Pflegesohn beim Mordopfer verbracht hat.

Der Anwalt der Nebenklägerin, Richard Mattinger (Heiner Lauterbach) überzeugt ihn aber davon, dass es seine anwaltliche Pflicht sei, das Mandat weiterzuführen: "Wenn sie Arzt wären, müssten Sie ihn ja auch retten."

In Wahrheit wäre es seine Pflicht gewesen, dem Gericht seine persönliche Beziehung zum Tatopfer anzuzeigen, woraufhin er sofort von der Verteidigung entbunden worden wäre. Aber nun bleibt ihm offenbar nichts anderes übrig, als in heroischer Pflichterfüllung in aller Öffentlichkeit den Ruf seines Ziehvaters zu ruinieren und dabei auch noch seine Liebe zu dessen leiblicher Enkeltochter zu opfern, um seinen schweigenden Mandanten so gut wie möglich zu verteidigen.

Selbstjustiz, nachdem die Justiz versagte

Leinen findet nämlich, der Zuschauer erfährt nie genau wie, heraus, was die Ermittlungsbehörden nicht ermitteln konnten: Der Angeklagte und das Opfer Hans Meyer waren sich schon einmal begegnet, als der angeklagte Fabrizio Collini ein kleines Kind war. Das geschah während des Zweiten Weltkriegs in seinem italienischen Heimatdorf, wo Meyer als Sturmbannführer der Waffen-SS, die Erschießung von 20 Dorfbewohnern als Repressalie für zwei von Partisanen getötete deutsche Soldaten angeordnet hatte. Er forderte den kleinen Fabrizio auf, ihm seinen Vater zu zeigen, wählte diesen als Geisel aus und zwang den Sohn mit Brachialgewalt, bei seiner Erschießung zuzusehen.

Als Fabrizio erwachsen geworden und seine Mutter verstorben war, zeigte er den SS-Offizier bei deutschen Stellen an, aber das Verfahren gegen diesen wurde eingestellt. Man erfährt zunächst noch nicht warum. Nun nahm Collini sein Recht in die eigene Hand und erschoss den ehemaligen SS-Offizier.

Warum Collini nicht zu seiner Tat steht und das Versagen der deutschen Justiz bei der Bewältigung nationalsozialistischen Unrechts anprangert, sondern eisern schweigt, erfährt der Zuschauer nicht. Will er die deutsche Justiz durch seine Verurteilung ein zweites Mal ins Unrecht setzen? Will es der Autor nur spannend machen, oder die detektivischen Fähigkeiten seines Helden ins rechte Licht setzen?

Ein erfundenes Skandalgesetz und wie es wirklich war

Und nun der Showdown: Vom Verteidiger zum historischen Sachverständigen bestellt, steht der Anwalt der Nebenklägerin im Zeugenstand.

Richard Mattinger muss dort bekunden, dass das Verfahren gegen den SS-Offizier seinerzeit deshalb eingestellt worden war, weil seine Tat verjährt war. Das Bundesjustizministerium, bei dem Mattinger seinerzeit als Referendar tätig war, hatte nämlich ein Gesetz im Bundestag durchgebracht, nach dem Tötungen im zweiten Weltkrieg und bei der Judenverfolgung nur noch als Totschlag, nicht aber als Mord zu bestrafen seien. Und die Verjährungsfrist für Totschlag war bereits abgelaufen.

Ein solches Gesetz hat es nie gegeben. Es wäre im Übrigen auch als Verstoß gegen die Gewaltenteilung und gegen das Verbot von strafrechtlichen Maßnahmegesetzen verfassungswidrig gewesen. Dagegen gab es in den sechziger und siebziger Jahren mehrere Gesetze, die dem Zweck dienten, die Verjährung nationalsozialistischer Tötungsdelikte zu verhindern oder rückgängig zu machen.

Allerdings hat es eine Strafvorschrift gegeben, die die zunächst unerkannt gebliebene Konsequenz hatte, dass bestimmte Beihilfehandlungen zu nationalsozialistischen Tötungsverbrechen verjährt waren. Es handelt sich um den damaligen § 50 Abs. 2, heute § 28 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB), der für einen Gehilfen, der ein höchstpersönliches Merkmal, das die Tat beim Haupttäter zum Mord machte, zum Beispiel Habgier oder sonst niedrige Beweggründe, nicht erfüllte, eine Strafmilderung zwingend vorsah. Es ging dem Gesetzgeber also darum, dem höchstpersönlichen Charakter von Schuldmerkmalen Rechnung zu tragen.

Das führte aber dazu, dass die Beihilfe auch zu nationalsozialistischen Mordtaten, bei denen höchstpersönliche Mordmerkmale vom Gehilfen nicht erfüllt wurden, verjährt war. Das hat der Gesetzgeber alsbald durch Neufassung von Verjährungsvorschriften rückgängig gemacht. Die Verfahren aber, die bis dahin durch Gerichtsurteil eingestellt worden waren, konnten wegen des Verbots der mehrmaligen gerichtlichen Behandlung einer Straftat nach Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz (ne bis in idem) nicht wieder aufgenommen werden.

Effekthascherisch, emotional, historisch unwahr

Rechtsanwalt von Schirach und die Drehbuchautoren sahen sich offenbar außerstande, dem nicht juristisch vorgebildeten Normalbürger diese Zusammenhänge zu erklären. So erfanden sie jenes Gesetz, das die Bestrafung nationalsozialistischer Tötungsverbrechen nur noch als Totschlag zuließ. Die Leser und Zuschauer, soweit sie es nicht als Juristen besser wissen, glauben dem Rechtsanwalt und ernsthaften Aufklärungsautor Ferdinand von Schirach das natürlich, denn die Geschichte kommt mit dem Anspruch der Darstellung historischer Wahrheit daher.

Man mag an der juristischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen durch die deutsche Justiz, vielleicht auch durch die Regierung und das Parlament manches auszusetzen haben, nicht zuletzt, dass die ausführenden unmittelbaren Täter von der Rechtsprechung in aller Regel nur als Gehilfen behandelt wurden, weil sie ihre Taten nicht, wie es heißt "als eigene wollten". Auch diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof inzwischen revidiert.

Aber mit einer Verzeichnung der Regeln unserer Prozessordnung, dramatischer Effekthascherei und Emotionalisierung sowie der Verbreitung historischer Unwahrheiten über unsere Gesetzgebungsorgane ist der Aufarbeitung dieses Kapitels deutscher Nachkriegsgeschichte ein Bärendienst erwiesen.

Prof. Dr. Ingeborg Puppe war Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtstheorie an der Universität Bonn. Dort forscht und lehrt sie weiterhin seit ihrer Emeritierung im Wintersemester 2005/2006.  

Zitiervorschlag

Ingeborg Puppe über "Der Fall Collini": . In: Legal Tribune Online, 25.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35593 (abgerufen am: 21.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen