Was Joachim Wagner mit erhobenem Zeigefinger tat, macht Eva Engelken mit ausgestrecktem Mittelfinger. Ihr Buch über das Universum der Anwälte enthält viel Bekanntes, aber auch Pretiosen, findet Markus Hartung. Engelkens lockere Diktion ändere nichts daran, dass die Zunft solche Bücher brauche. Nicht zuletzt, um nach systemischen Fehlern zu fragen. Eine Rezension vom Branchenkenner.
Wir haben es wirklich nicht leicht im Moment. Es gibt viel zu viele von uns, die Zeiten sind ohnehin schon schlecht, in der öffentlichen Beliebtheitswahrnehmung rutschen wir zunehmend nach unten, noch hinter Lehrer, was nur schwer zu ertragen ist.
Dann schreibt Joachim Wagner ein Buch über Anwälte und warnt vor uns, wir seien nur noch auf Geld versessen oder ungeeignet oder beides. So richtig Liebe scheint in Wagners Buch nicht auf für uns Anwälte.
Aber es geht noch schlimmer: 111 Gründe, Anwälte zu hassen, ein weiteres Buch über uns, pünktlich in der Vorweihnachtszeit, das ideale Geschenk für den jurastudierenden Nachwuchs oder für die anwaltlichen Eltern und Verwandten, ein Buch mit Flughafenbuchhandlungspotenzial.
Eva Engelkens nimmt sich die Zunft zur Brust
Mit diesem Wort hat sich der Rezensent schon verraten, denn solche Worte schaffen nur Anwälte bzw. Juristen. Wir verwenden Wörter, die furchtbar lang und komisch zusammengesetzt sind, das ist zum Beispiel Eva Engelkens 13. Grund, uns zu hassen, und dass man unsere Sätze dreimal um den Block wickeln kann, ist der 14.
Eva Engelken, selber Juristin, befasst sich normalerweise mit der Sprache der Juristen. Sie hält uns vor, wie wir reden, und wie wir wahrscheinlich denken. Diese Nische hat sie jetzt verlassen und hat sich die Zunft insgesamt zur Brust genommen. In insgesamt 25 "Artikeln" listet sie 111 Gründe auf, warum wir Anwälte hassenswert sind, und sie liefert Tipps, wie man mit uns trotzdem zu seinem Recht kommt.
Warum 111 Gründe? Diese Frage kann auch nur ein Anwalt stellen, aber: der Verlag hat eine Buchreihe, in der jeweils 111 Gründe zu verschiedenen Themen aufgezählt werden, zum Beispiel warum man das Radfahren lieben muss oder Bayern München hassen kann. Alles sehr populäre Themen.
Nun sind wir Anwälte hier aufgenommen worden. Mit uns steht es wirklich nicht mehr zum Besten, es ist so schlimm, dass selbst jemand wie Norbert Blüm über das Rechtssystem und uns schreibt.
Das Anwalts-Universum: Geld, Frauen, Statussymbole
In den besagten 25 Artikeln befasst Engelken sich mit dem anwaltlichen Universum, beziehungsweise damit geht es los. Das ist, im Vergleich zum richtigen Universum, viel größer, denn es gibt uns nicht nur überall, sondern gar auch auf eigenen Planeten.
Aber es geht auch um unser Verhältnis zum Geld, zu Frauen (aus Engelkens Sicht ist der Berufsstand per se männlich), zu uns selbst, zu unserer Ausbildung, unserer Vergangenheit, unserem Berufsstand und der Selbstverwaltung, unseren Statussymbolen, zu unserer Sprache, zu unserer Zukunft oder besser der Frage, ob wir noch eine haben. Was man eben schon immer über Anwälte so dachte. Eigentlich fehlt in dem Buch nichts.
Vielleicht das Positive, aber man soll nicht meckern. Immerhin meint Engelken zum Schluss, dass Anwälte eine Zukunft hätten, wenn sie nicht immer legal mit legitim verwechselten und erkennen würden, dass Recht etwas mit Gerechtigkeit zu tun habe – aber von diesen Anwälten gebe es "eine ganze Menge".
Markus Hartung, "111 Gründe, Anwälte zu hassen": . In: Legal Tribune Online, 28.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13956 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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