Feindschaft gegen die moderne Welt, Impf- oder Technikskepsis oder magisches Denken wurzeln tief. In einem juristischen Lehrbuchfall aus dem Jahr 1953 lassen sich Verbindungen von älterem Okkultismus und moderner Vermarktung entdecken.
"Seitdem der Okkultismus sich den Namen Parapsychologie zugelegt hat und an einigen Universitäten Asylrecht genießt, erscheinen seine Forschungsberichte nicht mehr in obskuren, sondern in angesehenen Verlagen", beobachtete der Schriftsteller Kurt Kusenberg (1904–1983) im Jahr 1952. Er sei gesellschaftsfähig geworden und werde vielleicht sogar eines Tages als wissenschaftlich gelten – publizistisch seien hier Verlage aus Schwaben in Führung gegangen – dem "Land der Anthroposophen".
In der noch aufstiegs- und bildungshungrigen jungen Bundesrepublik war Kusenberg eine wichtige Größe. Als Herausgeber der berühmten Rowohlt-Bildmonographien gestaltete er im Zeitalter vor der Wikipedia – online seit 2001 – eine der damals wichtigsten Quellen von leicht zugänglicher Allgemeinbildung mit.
Kusenbergs Sammelrezension "Mythos, Magie und Parapsychologie" in der Zeitschrift "Merkur" zeichnete 1952 ein nicht nur erstaunlich breit gefächertes, sondern auch freundliches Bild der parawissenschaftlichen Publizistik seit 1945.
Damit stand er nicht allein. Im gleichen Magazin hatte bereits im August 1949 der Rechtsphilosoph Carl August Emge (1886–1970), ein reichlich seltsamer Vertreter dieses Fachs, den Beweis dafür zu führen versucht, dass Friedrich Nietzsche die Geister von Verstorbenen habe sehen können – was allerdings von seiner berüchtigten Schwester, Elisabeth Förster-Nietzsche, verheimlicht worden sei. Die Beschreibung Emges als "seltsam" mag merkwürdig anmuten. Aber der Kerl hat es offenbar wirklich geschafft, einerseits in der "Akademie für deutsches Recht" Karriere zu machen, andererseits im Krieg ein Buch herauszubringen, das sich als NS-Kritik lesen lässt.
Zehn Jahre später verteidigte Ernst Jünger (1895–1998) die Weltanschauung des Horoskops – der auch in der wissenschaftlich-technischen Moderne ein ebenso eigenes Recht zustehe, wie etwa der obskuren Farbenlehre Goethes.
Bedürfnis nach Magie schon in der frühen Bundesrepublik
Doch nicht nur im Archiv der Zeitschrift "Merkur" – die spätestens seit den 1960er Jahren für ein eher liberales, wenn nicht linkes Feuilleton steht – findet sich eine Spur zum okkulten Denken der 1950er Jahre.
Erst jüngst – 2021 – hat etwa die amerikanische Historikerin Monica Black (1968–) in ihrem Werk "Deutsche Dämonen. Hexen, Wunderheiler und die Geister der Vergangenheit im Nachkriegsdeutschland" versucht, das damalige Bedürfnis nach Übersinnlichem mit der traumatischen Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und des deutschen Staatsterrorismus zu begründen. Während Emge oder Jünger diesem Bedürfnis auf sublimiert-intellektuelle Weise frönten, hatten im weniger gebildeten Volk eher Wunderheiler und Horoskopsteller Konjunktur, wobei Polizei und Justiz auf das Bedürfnis nach esoterischer Weltdeutung vielfach bis in die 1960er Jahre noch wie im älteren Obrigkeitsstaat reagierten.
In eine Sammlung von Fundstücken zur juristischen Bearbeitung der seit dem Kaiserreich virulenten Mischung antimodernen Denkens – angerührt aus Vollkorn-Fanatismus und vorgeblicher Volksheilkunde, schlecht begründeter Wissenschafts- und Technikskepsis (die nicht ausschloss, in der Atomphysik eine neue Magie zu sehen), aus älterem Ökokitsch und in die Sterne schauendem Schicksalsglauben – gehört auch ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 20. Oktober 1953, das sich für den juristischen Hausverstand aber auch einfach als hübscher Lehrbuchfall zum Verhältnis vertraglicher und deliktischer Schadensersatzansprüche lesen lässt (Az. I ZR 125/52).
Einer von Heinrich Himmlers Astrologen will gut vermarktet sein
Kläger in dieser Sache war der vor Gericht als "Schriftsteller und Bildhauer" auftretende Astrologe Wilhelm Theodor Heinrich Wulff (1893–1984), der gegen den Verlag des "Hamburger Abendblatts" klagte, damals ein Unternehmen der noch ganz jungen Verlagsgruppe von Axel Cäsar Springer (1912–1985).
Springer verfolgte seit 1947 mit der Gründung des "Hamburger Abendblatts" seinen Einstieg ins Geschäft mit Tageszeitungen, wo er anfangs auf schwierige Verhältnisse traf: Die britische Besatzungsmacht wünschte keine Rückkehr zur alten, stark parteipolitisch fragmentierten Presselandschaft, die Labour-Regierung in London nahm aber doch Rücksicht auf ihre Genossen in Hamburg. Das zum Druck erforderliche Papier blieb äußerst knapp und gutes Geld ließ sich vorläufig nur verdienen, wenn man multimedial dachte: Kaufmännisch erfolgreich war vor allem die Rundfunk-Zeitschrift "Hör zu".
In der Planungsphase des "Hamburger Abendblatts" propagierte Springer eine Abkehr von politischen Inhalten, er wollte ein Blatt "mit Herz" herausbringen. Im Mittelpunkt des redaktionellen Konzepts sollte, wie der Wirtschaftshistoriker Tim von Arnim (1975–) urteilt, nicht "die Information, sondern die emotionale Wirkung, die konsequente Berücksichtigung des 'Bezirks des Seelischen'" stehen.
In dieses Konzept passte augenscheinlich der Astrologe Wilhelm T.A. Wulff. Es ist historisch gut gesichert, dass der NS-Politiker Heinrich Himmler (1900–1945) zeitweise in engem Kontakt mit dem Astrologen Karl Maria Willgut (1866–1946) stand, nur war der inzwischen eines natürlichen Todes gestorben. Wulff soll ebenfalls für Himmler, diesen wichtigsten Kopf des NS-Terrorapparats, astrologische Beratung geleistet haben. Über die Vermarktung seiner Erlebnisse im "Hamburger Abendblatt" und auf dem Buchmarkt schloss er nun einen Vertrag mit dem Verlag.
Springer-Verlag arbeitet dem SS-Astrologen a.D. zu reißerisch
Bereits die erste Ausgabe des "Hamburger Abendblatts" vom 14. Oktober 1948 brachte einen Beitrag aus Wulffs Œuvre – unter dem Titel "Hitler, Himmler und die Sterne". Bis November 1948 folgten elf weitere Teilstücke. Zur Veröffentlichung griff der Chefredakteur Wilhelm Schulze (1896–1961), ein erfahrener Journalist aus der Tradition Ullstein-Verlags, in die Texte ein, entschärfte sie sprachlich und mit Blick den Wahrheitswert der Astrologie.
Das missfiel Wulff ebenso wie der Umstand, dass mindestens einer der Artikel mit dem Bild einer Wahrsager-Bude vom Jahrmarkt illustriert worden war – alles das entsprach nicht seiner Vorstellung, dass Astrologie als seriöse Wissenschaft zu würdigen sei.
Weil sein Manuskript in der veröffentlichten Form "eine ganz andere Färbung" erhalten habe, das Publikum in "marktschreiender Weise" angesprochen worden und seine "Ehre und sein Ansehen beeinträchtigt worden" sei, erklärte der Astrologe Wulff seinen Rücktritt vom Verlagsvertrag – um daraufhin Schadensersatz unter allen denkbaren Gesichtspunkten zu verlangen.
Die Gerichte konnten der Argumentation Wulffs in manchem folgen. Beispielsweise hielt der BGH fest, dass eine Redaktion zwar im Rahmen des damals einschlägigen § 13 Verlagsgesetz eine gewisse Freiheit darin habe, Beiträge vor der Veröffentlichung anzupassen. Doch hatte Chefredakteur Schulze dieses Recht überschritten, als er eigenmächtig jene Teile des Textes strich, in denen Wulff "seine ernst gemeinten astrologischen Ansichten darlegte".
Seine Schadensersatzansprüche aus dem Verlagsvertrag scheiterten jedoch letztlich weitgehend, weil er vom Vertrag zurückgetreten war. Gründe für einen Anspruch aus deliktischer Haftung hatte er zudem nicht hinreichend dargestellt. Die Ausführungen des BGH geben hier also ein schönes Lehrbuch-Beispiel zur Differenzierung von vertraglicher und deliktischer Haftung im konkreten Fall.
Belastbare historische Forschung ist rar
Das Publikum musste auf Wulffs Erlebnisbericht aus der esoterischen Beratung der NS-Führung gleichwohl nicht auf Dauer verzichten. Herausgebracht wurde sein Buch "Tierkreis und Hakenkreuz. Als Astrologe an Himmlers Hof" in den 1960er Jahren vom britischen Verleger George Weidenfeld (1919–2016), einem gebürtigen Wiener jüdischer Herkunft, der sich an seinen Autor in österreichischer Titel-Manie als "Professor Wulf [sic!]" erinnerte. Ihm zufolge hatte Wulff noch in den letzten Kriegsmonaten Kontakt zu Himmler.
Im BGH-Urteil festgehalten, also jedenfalls nie prozessual bestritten, ist, dass Wulff wohl 1941/42 einer (geheim-) polizeilichen Kampagne gegen die bis dahin im NS-Staat noch geduldeten Astrologen zum Opfer gefallen war – nachdem sich der esoterisch besonders versponnene Rudolf Heß (1894–1987) nach astrologischer Beratung auf seinen ungenehmigten Flug nach Schottland begeben hatte.
Die nun unterdrückten – mitunter von der astronomischen Konkurrenz angeschwärzten – Astrologen blieben in der Haft teils privilegiert und wurden für obskure Zwecke – das Aufspüren britischer Geleitzüge auf dem Atlantik mittels Pendel – verwendet.
Himmler, für den der "Professor" Wulff arbeitete, zählte nach dem Abhandenkommen von Heß zu jenen NS-Führern, die für nahezu jeden esoterischen Unsinn empfänglich blieben. Ein Teil dieser Empfänglichkeit überlebte in breiten Bevölkerungskreisen das Kriegsende und die Entnazifizierung. Dass der junge Verlagsunternehmer Axel C. Springer sein neuestes Blatt ausgerechnet mit einer Serie zur astrologischen Beratung Himmlers aufmachte, spricht Bände.
Leider bleibt die historische Aufarbeitung dieses Komplexes meist anekdotisch und auf oft dünne Quellen und Zeitzeugenaussagen angewiesen. Dabei wäre eine bedächtige Untersuchung, wie sich etwa seither das wissenschaftsfremde Denken der esoterischen Tradition und die politische Praxis aufeinander beziehen, gewiss fruchtbar – nicht nur in Schwaben, dem "Land der Anthroposophen".
Gesichert dürfe immerhin eine Tatsache sein: Den Ausgang des Verfahrens vor dem BGH hat Wilhelm T. H. Wulff wohl nicht vorausgesehen.
Ausbleiben der wissenschaftlichen Würdigung: . In: Legal Tribune Online, 04.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49514 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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