Von ihrem Plan, die Abgabe von Cannabis bundesweit in lizensierten Fachgeschäften zu ermöglichen, hat sich die Ampel längst verabschiedet. Nun drohen auch die angekündigten Modellversuche zu scheitern. Derweil bringt sich die Union in Stellung.
Als am 12.April 2023 der federführende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gemeinsam mit dem grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir den Fahrplan für das Cannabis-Vorhaben vorstellten, stand fest: Die noch zu Beginn der Legislatur versprochene, umfassende Cannabis-Legalisierung wird es so nicht geben. Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP eine "kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften" angekündigt, wie es sie etwa in einigen US-Bundesstaaten gibt.
Was die Koalitionäre bei dieser vollmundigen Ansage aber nicht bedacht hatten: Wenn der Staat den Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken in von ihm lizensierten Shops oder Apotheken freigibt, verstößt er damit womöglich gegen Völkerrecht und sicher gegen EU-Recht. Entsprechende Hinweise von Juristen hatte die Ampel hier lange ignoriert. Offenbar hatte auch die EU-Kommission der Bundesregierung gegenüber angedeutet, dass ihr Vorhaben gegen Unionsrecht wie das Schengener Durchführungsübereinkommen verstößt und damit Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 Vertrag über die Arbeitsweise der Union (AEUV) drohen könnte.
Um am Ende kein juristisches Desaster vor dem EuGH wie bei der PKW-Maut zu riskieren, dampften Lauterbach und Özdemir das Legalisierungsvorhaben zu einem Zwei-Säulen-Modell ein.
Säule-1 erlaubt Konsumenten den Besitz gewisser Mengen, ermöglicht den privaten Eigenanbau durch Erwachsene zum Eigenkonsum sowie den gemeinschaftlichen, nicht-gewerblichen Eigenanbau von Cannabis in Anbauvereinigungen. In Kraft getreten ist diese als "Teil-Legalisierung" bezeichnete Säule nach hitzigen Debatten in Bundestag und Bundesrat in Form des Cannabisgesetzes (CanG) am 1. April (Entkriminalisierung) bzw. am 1.Juli (Anbauvereinigungen) dieses Jahres.
Säule-2 ursprünglich für nach der Sommerpause 2023 angekündigt
Was bis heute jedoch fehlt, ist das von Lauterbach und Özdemir versprochene Gesetz zu Säule-2. Angekündigt war ein entsprechender Entwurf eigentlich für nach der Sommerpause – und zwar nach der im Jahr 2023, nicht 2024.
Säule-2 soll regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten ermöglichen. Um dabei nicht gegen EU-Recht zu verstoßen, sollen die Vorhaben in wissenschaftlich konzipierter, regional und zeitlich begrenzter Form umgesetzt werden.
Außerdem sollten bei den auf fünf Jahre befristeten Modellversuchen auch die Auswirkungen einer kommerziellen Lieferkette auf den Gesundheits- und Jugendschutz sowie den Schwarzmarkt wissenschaftlich untersucht werden. Für den Fall, dass diese positiv ausfallen sollten, könne dann auch in Brüssel auf eine Änderung des bislang noch auf Prohibition ausgerichteten EU-Recht zu Cannabis gedrängt werden – so jedenfalls der Plan.
Doch dass daraus noch in dieser Wahlperiode etwas wird, erscheint zunehmend unrealistisch, zumal der Bundesgesundheitsminister angekündigt hatte, den Säule-2-Gesetzentwurf der EU-Kommission vorab zur Prüfung vorzulegen (sogenanntes Notifizierungsverfahren). Allein eine solche Prüfung in Brüssel dürfte Monate dauern.
Referentenentwurf aus dem BMG fehlt, BMEL-Verordnung liegt vor
Allerdings scheint es schon innerhalb der Bundesregierung nicht voranzugehen. Das mitberatende Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wartet weiter auf einen Entwurf aus dem Hause Lauterbachs. "Der Referentenentwurf für das Gesetz soll unter der Federführung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) erarbeitet werden", sagt ein Sprecher des BMEL auf LTO-Anfrage.
Özdemirs Haus hat bereits einen gewichtigen Beitrag für das Vorhaben geleistet: Seit April 2024 liegt ein BMEL-Entwurf für eine Konsumcannabis-Wissenschafts-Zuständigkeitsverordnung (KCanWV) vor, nach dem die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) über Anträge zum Umgang mit Cannabis zu wissenschaftlichen Zwecken zuständig sein soll (der Entwurf kann hier eingesehen werden.)
Was den Arbeitsstand des der Verordnung vorgeschalteten Gesetzentwurfs anbelangt, solle man sich ans BMG wenden, so der BMEL-Sprecher. Aus Lauterbachs Haus lautet die Antwort auf entsprechende Nachfragen seit Monaten gleich: "Die Arbeiten der Bundesregierung an der Vorbereitung der zweiten Säule umfassen komplexe fachliche und rechtliche Fragen und erfordern eine Abstimmung zwischen den beteiligten Ressorts. Diese Abstimmung ist noch nicht abgeschlossen."
Linke rechnet nicht mehr mit Ampelgesetz
Ob diese "Abstimmung" jemals abgeschlossen sein wird? Der drogenpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Ates Gürpinar, glaubt daran nicht: "Ich rechne nicht mehr mit einem Gesetz zur 2. Säule bis Ende der Wahlperiode. Auch unsere stetigen Nachfragen bei Ampel-Kolleg:innen und dem BMG liefen ins Leere," so der Abgeordnete gegenüber LTO. Damit breche die Bundesregierung mit ihrem Versprechen, Cannabis umfassend zu legalisieren und den Schwarzmarkt einzudämmen.
Und die Drogenpolitiker der Ampelfraktionen? Kristine Lütke, Obfrau der FDP-Bundestagsfraktion im Ausschuss für Gesundheit, hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben: "Das BMG hat zugesichert, an einem Entwurf für die zweite Säule der Legalisierung zu arbeiten. Den Minister nehme ich dafür beim Wort." Säule 2 müsse schnellstmöglich kommen, um die Grundlagen für den kommerziellen Anbau in regionalen Modellprojekten und den Verkauf von Cannabis in lizenzierten Geschäften zu schaffen.
Lauterbachs Parteifreundin Carmen Wegge (SPD) sagt: "Wir sehen die Dringlichkeit der Umsetzung der Säule-2 des Cannabisgesetzes und befinden uns derzeit auch dazu in zahlreichen Gesprächen." Die grüne Cannabis-Expertin und Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Kirsten Kappert-Gonther, gab gegenüber LTO zu diesem Thema keine Einschätzung ab.
Union: Säule-2 bereitet "flächendeckendem Rollout" vor
Anders dagegen der drogenpolitischen Sprecher der CDU/CSU Tino Sorge. Er vermutet, dass "der Stillstand" bei den Vorbereitungen der 2. Säule im BMG rechtliche Gründe hat: "Gut möglich ist, dass auf Arbeitsebene der Ressorts die Erkenntnis gereift ist, dass die Legalisierung von Cannabis in der aktuellen Form ein Irrweg ist – und zwar einer, der sowohl im deutschen als auch im europäischen Recht zahlreiche Probleme aufwirft".
Der rechtspolitische Sprecher der Union, Günter Krings, bekräftigt: In einer Anhörung des Gesundheitsausschusses sei darauf hingewiesen worden, dass die weitergehende Idee der Ampel, auch den Verkauf von Cannabis in Geschäften zu legalisieren, rechtswidrig sei. Er rate schon deshalb der Ampel, von diesem “unsinnigen Vorhaben” Abstand zu nehmen.
Laut Axel Müller (CDU), Mitglied im Rechts- und Gesundheitsausschuss, würde die Umsetzung der 2. Säule am Ende "den flächendeckenden Rollout" vorbereiten. "Die Zahl der Konsumenten, die Menge des Konsums und die damit verbundenen Gefahren für die Gesundheit der Menschen und im Straßenverkehr werden unverantwortlich weiter erhöht", so der gelernte Richter.
Klar ist: CDU/CSU wollen im Fall ihrer Regierungsverantwortung das Rad bei der Legalisierung zurückdrehen. CDU-Parteichef Friedrich Merz hatte kürzlich angekündigt, Säule-1 bzw. das CanG wieder rückgängig zu machen. Im Gespräch mit LTO bekräftigt Krings die Pläne. Die Cannabis-Legalisierung sei ein Konjunkturprogramm für den Schwarzmarkt. "Die Organisierte Kriminalität wurde mit dem Gesetz gestärkt."
CDU setzt auf gespaltene SPD und Evaluierung
Allerdings stellt sich die Frage, mit welchem Koalitionspartner der Union das Zurück zur Cannabis-Prohibition gelingen soll. Im Bundestag ist nur die AfD geschlossen gegen eine Legalisierung. CDU-Rechtspolitik Müller setzt dennoch auf die SPD: "Nachdem Bündnis90/ Grüne und FDP die treibenden Parteien bei der Legalisierung von Cannabis waren und sind, wird das mit diesen beiden Parteien sicher schwer. Die SPD habe ich bei dieser Frage durchaus gespalten erlebt", sagt Müller. Auch wenn sich die SPD schwertun werde, einen von ihrem Bundesgesundheitsminister gemachten gesetzlichen Vorstoß umzudrehen: "Letztendlich lebt die Demokratie vom Kompromiss und das wird besonders bei Koalitionsverhandlungen deutlich."
Bei der CDU macht man sich schon jetzt konkrete Gedanken darüber, worin ein solcher Kompromiss bestehen könnte: "Ein Kompromiss könnte sein, dass man die Dinge nicht weiter verfolgt, sondern im Bestand einfriert bis zur Evaluation", sagt Müller. Vorgesehen ist laut CanG eine Evaluierung der kontrollierten Weitergabe von Cannabis zu nicht-medizinischen Zwecken an Erwachsene innerhalb von vier Jahren, inklusive Zwischenbericht nach zwei Jahren sowie einer ersten Evaluation 18 Monate nach Inkrafttreten. "Unterstellt, die Bundestagswahl findet am 28. September 2025 statt, könnte der Erstbericht, der am 1. Oktober 2025 fällig ist, eine wichtige Grundlage für Koalitionsverhandlungen mit Parteien aus dem demokratischen Spektrum sein", erläutert Müller.
In der Bundestagsfraktion der AfD zeigt man sich offen für das Ansinnen der Union. “Um die Legalisierungspläne der Ampel zu verhindern bzw. diese rückgängig zu machen, muss Herr Merz zunächst einmal hinter seiner Brandmauer hervorkommen und mit der AfD reden”, erklärte der gesundheitspoltische Sprecher Martin Sichert. Er sei sicher, "dass es spätestens im Herbst 2025 eine parlamentarische Mehrheit gegen den Ampel-Irrsinn der Jahre 2021 bis 2025 geben wird - nicht nur in Bezug auf das sogenannte "Cannabisgesetz"".
Cannabis-Rechtsexperte: Umsetzung per Verordnung möglich
Unterdessen halten es führende Experten des Cannabisrechts wie Peter Homberg, Rechtsanwalt und Partner der globalen Wirtschaftskanzlei Dentons Europe (Germany), für eher unwahrscheinlich, dass künftige Koalitionspartner die hart erkämpfte Legalisierung wieder vollständig aufgeben, weil es auch für die Ordnungsbehörden nur sehr schwer durchsetzbar wäre.
Im Übrigen ist Homberg der Auffassung, dass sich allein mit der bereits vorliegenden Verordnung aus dem BMEL die Ziele von Säule-2 umsetzen ließen. Die KCanWV könne kurzfristig ohne Zustimmung des Bundesrates erlassen werden, sodass auch zügig die ersten Anträge genehmigt werden könnten. Zu bedenken gibt der Anwalt allerdings: "Wird die zweite Säule allerdings noch in dieser Legislaturperiode im Wege der Rechtsverordnung umgesetzt, wäre es für eine künftige unionsgeführte Bundesregierung ein Leichtes, zumindest die Erteilung weiterer Erlaubnisse durch die BLE zu stoppen und so etwaige wissenschaftlichen Modellvorhaben auslaufen zu lassen.
Entscheide sich die Bundesregierung, die zweite Säule per Gesetz unter der Führung des BMG zu regeln, bestehe die Gefahr, dass sie wegen der damit verbundenen rechtlichen und politischen Implikationen in dieser Legislaturperiode gar nicht mehr zur Umsetzung käme.
Es scheint, dass sich die Ampel für diese Variante entschieden hat.
Noch immer kein Säule-2-Gesetz, dafür Ansage der Union: . In: Legal Tribune Online, 16.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55417 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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