AfD-naher Staatsanwalt in Gera

Wie die Justiz Ver­fas­sung­s­t­reue prüft

von Pia Lorenz und Dr. Markus SehlLesedauer: 7 Minuten

Nach dem Ende seiner Ermittlungen gegen das ZPS fragen sich Ex-Kommilitonen, wie Martin Zschächner in den Staatsdienst gelangen konnte. Was tut die Justiz für verfassungstreue Beamte?

Zum Beginn dieser Woche ist ein Staatsanwalt aus Gera nach öffentlicher Kritik von einem Verfahren gegen die Aktionskünstler vom "Zentrum für politische Schönheit" (ZPS) abgezogen worden, das Verfahren selbst wurde eingestellt. Ein Linken-Politiker hat inzwischen Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gegen Martin Zschächner erstattet.

Die CDU im rot-rot-grünen Thüringen kritisiert die Einstellung des Verfahrens als politische Einflussnahme. Ehemalige Kommilitonen zeigen sich öffentlich erschüttert darüber, dass der Jurist, den sie schon im Studium in Heidelberg "Jura-Nazi" genannt hätten, zum Staatsdienst zugelassen wurde.

Die Zeit hat recherchiert, dass Zschächner einmal 30 Euro an die AfD gespendet habe. Es gibt eine länger werdende Liste von Fällen, in denen man die Einstellung oder die Nicht-Einstellung von Verfahren zwanglos einer rechtsnationalen Gesinnung zuschreiben kann. Und neben dem bereits von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter Pseudonym zitierten Richter hat sich per Twitter ein Anwalt zu Wort gemeldet, der nach eigenen Angaben mit Zschächner in Heidelberg studiert hat: "Wir nannten ihn nur den 'Jura-Nazi'. Wer hat denn den zum Staatsdienst zugelassen. Jemanden, der nur 50% so links ist wie der rechts, würde man nie einstellen. Kleiner Tipp: 'Kaisertreu' ist nicht GG-treu", so der Kartellrechtler, der auch mit LTO über seine Studienzeit sprach.

Aber nach jetzigem Kenntnisstand gibt es nichts, was einen Eintritt in den Staatsdienst hätte verhindern müssen. Womöglich hätte verhindern können, das vielleicht.

Verfassungstreue und Parteinähe

Bislang werden Zschächner tendenziöse Entscheidungen vorgeworfen und eine kleine Spende an die AfD. Nicht einmal von einer Mitgliedschaft in der Partei ist bisher die Rede, von irgendwelchen Ämtern oder Mitgliedschaften in einschlägigen Gruppen ist nichts bekannt.

Nach ständiger Rechtsprechung gibt es zwischen der Mitgliedschaft in einer Partei und verfassungstreuem Verhalten, das von allen Beamten, Richtern und Soldaten als sogenannte ständige Dienstpflicht erwartet wird, keinen Zusammenhang. Und zwar auch dann nicht, wenn die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt oder vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Sondern erst dann, wenn sie verboten würde.

Zu diesem Ergebnis kommt aktuell auch das Bundesinnenministerium (BMI). Die "reine Zugehörigkeit" eines Beamten zu einer Partei sei "beamtenrechtlich ohne Relevanz", heißt es laut übereinstimmenden Medienberichten als Ergebnis einer "vertieften Prüfung", die Seehofer im Februar eingeleitet hatte. Das gelte auch dann, wenn die Partei vom Verfassungsschutz als Prüffall oder Verdachtsfall eingestuft werde. Die Einschätzung stellt, auch wenn sie ihn nicht so benennt, einen offensichtlichen Bezug zur AfD her, deren "Flügel" und deren Parteijugend "Junge Alternative" der Verfassungsschutz im Januar als Verdachtsfall eingestuft hatte.

Seit den achtziger Jahren hat die beamtenrechtliche Rechtsprechung klare Grundsätze aufgestellt: Der Eintritt in das Beamtenverhältnis kann einem Bewerber erst verwehrt werden, wenn er aus seiner verfassungsfeindlichen politischen Überzeugung Folgerungen zieht - für die Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten.

Außer Bayern: Keine Regelanfrage beim Verfassungsschutz

Hätte der Staat mehr wissen, mehr fragen müssen? Und wenn ja: wonach? Richter und Staatsanwälte werden in den allermeisten Bundesländern bei Eintritt in den Staatsdienst nicht in einem formalisierten Sinne daraufhin überprüft, ob es Zweifel an ihrer Verfassungstreue gibt.

Nur in Bayern gibt es seit 2016 wieder die sogenannte beschränkte Regelanfrage. Wenn der Freistaat beabsichtigt, einen Bewerber einzustellen, wird beim Verfassungsschutz abgefragt, ob Erkenntnisse über ihn vorliegen. Der Bewerber kann der Anfrage widersprechen, wird dann allerdings auch nicht eingestellt. Nach Angaben einer Sprecherin gab es seit der Einführung der Regelanfrage im Jahr 2016 keinen Treffer, sondern nur Fehlanzeigen beim Verfassungsschutz.

In Hessen scheint man sensibilisiert, der Koalitionsvertrag sieht die Entwicklung eines Stufenverfahrens vor, um Richter zu berufen, die die Gewähr dafür bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten.

Wie die Justiz Verfassungstreue prüft

Die Bewerbungsverfahren in den Ländern sind unterschiedlich, eine einheitliche Regelung gibt es nicht. Die von LTO angefragten Ministerien setzen darauf, ohne formalisierten Check im Rahmen der Auswahlverfahren herauszufinden, ob die Werte der Bewerber mit denen der freiheitlich demokratischen Grundordnung übereinstimmen. Die Justiz setzt auf eigene Strukturen.

In Nordrhein-Westfalen führt die Justiz nach Angaben eines Sprechers "ausführliche Auswahlverfahren" inklusive strukturierter Vorstellungsgespräche durch. Hamburg teilte auf LTO-Anfrage mit, Grundlage für die Beurteilung der Zuverlässigkeit und vor allem Verfassungstreue seien das Führungszeugnis, die Beurteilungen aus den Referendarstationen und die Inhalte der Referendarpersonalakte. Auch dort gehe es außerdem "um den persönlichen Eindruck, den der Bewerber beim Vorstellungsgespräch bei den berufs- und lebenserfahrenen Mitgliedern der Auswahlkommission" hinterlasse.

Bei der Bewerbung für den Justizdienst gibt es zunächst keinen Unterschied danach, ob der Bewerber Richter oder Staatsanwalt werden will. Er bewirbt sich für den Justizdienst, die Verwendung kann in den ersten Jahren, während er Richter auf Probe ist, in beiden Positionen geschehen.*

Keine Auskünfte über Martin Zschächner

Nichts deutet darauf hin, dass Martin Zschächner einer Überprüfung unterzogen worden wäre. In Thüringen, wo er als Staatsanwalt in Gera tätig ist, gibt es beim Eintritt in den Justizdienst keine Regelanfrage, im dortigen Justizministerium wird eine solche nach Angaben eines Sprechers auch kritisch gesehen.

Unsere Frage, ob der Jurist zu irgendeinem - auch späteren - Zeitpunkt einem wie auch immer gearteten Verfassungstreuecheck unterzogen worden ist, blieb unbeantwortet. Das Ministerium in Erfurt verwies auf das Justizministerium in Baden-Württemberg, wo Zschächner in den Justizdienst eingetreten ist. Dort allerdings hieß es, sämtliche Akten befänden sich seit seinem Wechsel in Thüringen.

In Baden-Württemberg holt die Justizverwaltung Auskünfte vom Verfassungsschutz ein, wenn sie Zweifel an der Verfassungstreue eines Bewerbers hat, sagte ein Sprecher des Justizministeriums auf Anfrage von LTO. Außerdem müssten sich die Bewerber vorab schriftlich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen.

Engmaschige Strukturen bei der Staatsanwaltschaft

Die Justiz setzt auf ihre Strukturen; auch wenn die Bewerber einmal in Amt und Würden sind. Richter sind, auch wenn ihre Arbeit regelmäßig beurteilt wird, unabhängig. Für Staatsanwälte gilt das nur eingeschränkt. Sie arbeiten eingegliedert in eine hierarchische Struktur.

Ihre Arbeit wird vom Vorgesetzten überwacht, sie unterliegen der Dienstaufsicht durch die Generalstaatsanwaltschaft und der weiteren Dienstaufsicht durch das Staatsministerium der Justiz. Es gibt ein Weisungsrecht, auch wenn die Politik es ungern einsetzt - oder zumindest ungern öffentlich einräumt, das zu tun, was im öffentlichen Diskurs oft als Einflussnahme auf die Arbeit der Justiz gilt. Zudem werden Staatsanwälte regelmäßig beurteilt.

Sie unterliegen Berichtspflichten, die in den Ländern unterschiedlich ausgestaltet sind, das Landesjustizministerium kann auch im Einzelfall Berichte anfordern. Für bedeutende Fälle gibt es Vorlagepflichten des Vorgesetzten an den Abteilungs- oder Behördenleiter, in bestimmten Konstellationen muss die Generalstaatsanwaltschaft informiert werden. Immer müssen die Strafverfolger das Ministerium über Angelegenheiten unterrichten, "die wegen der Persönlichkeit oder der Stellung der Beteiligten, wegen der Art oder des Umfangs der Beschuldigung oder aus sonstigen Gründen weitere Kreise, vor allem parlamentarische Gremien oder die Medien, beschäftigen oder voraussichtlich beschäftigen werden". So heißt es in der Verwaltungsvorschrift des Landes Thüringen für Straf- und Bußgeldsachen, ähnliche Regelungen finden sich fast allen Ländern.

Es sind engmaschige Strukturen. Ein System, in dem Ermittlungen gegen eine aktivistische Künstlergruppe, die eine Performance zum Nachteil eines sehr umstrittenen und bundesweit bekannten Politikers äußerst medienwirksam inszeniert hat, kaum unter dem Radar laufen können, ganz besonders schlecht über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr. Und in denen eine extreme, womöglich radikale Gesinnung kaum unerkannt bleiben kann.

Ausgerechnet im Staatsschutz

Zu Beginn ihrer Laufbahn werden Staatsanwälte in aller Regel in allgemeinen Dezernaten eingesetzt, Spezialzuständigkeiten kommen erst mit zunehmender Erfahrung hinzu. Martin Zschächner war bei der Staatsanwaltschaft in Gera ausgerechnet für Strafverfahren mit politischem Bezug, also für Extremismusfälle, zuständig.

In Hamburg, Bayern und Niedersachsen gibt nach Angaben der Ministeriumssprecher auch dann keine gesonderte oder erneute Überprüfung von Zuverlässigkeit und Verfassungstreue, wenn ein Staatsanwalt mit dieser Zuständigkeit betraut wird. Man setzt auf besagte engmaschige Strukturen.* In Nordrhein-Westfalen werden die "im Staatsschutz" eingesetzten Staatsanwälte nach Angaben eines Ministeriumssprechers sicherheitsgeprüft, offenbar handelt es sich dabei jedoch nur um Staatsanwälte, die wegen Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten ermittelt.* Das Justizministerium in Baden-Württemberg teilte mit, eine gesetzliche Grundlage für eine regelhafte Sicherheitsprüfung bei der Verwendung als Staatsanwalt in Staatschutzverfahren bestehe nicht. Wer als Staatsanwalt in den Schwerpunktabteilungen Staatsschutz tätig werde, sei aber überwiegend auf Grundlage des SÜG aus Gründen des Geheimnisschutzes sicherheitsüberprüft.

Sonderfall Thüringen: Bagatellen müssen nicht verfolgt werden

Haben sie aber versagt und hat der Justizbedienstete seine Probezeit überstanden, dann ist es schwierig, ihnwieder loszuwerden. Dienst- und disziplinarrechtliche Maßnahmen gibt es, sie reichen bis zur Lösung des Richter- oder Beamtenverhältnisses. Aber es braucht ein Dienstvergehen, also die Verletzung von Dienstpflichten, zu denen auch die unparteiische und gerechte Amtsführung und die politische Mäßigung zählen (§ 33 Abs. 1 S. 2 und 3 Beamtenstatusgesetz).

Es sind ausfüllungsbedürftige, der Wertung zugängliche Rechtsbegriffe, die Entscheidung ist immer eine im Einzelfall. Das Beamtentum ist auf lebenslange Zugehörigkeit ausgelegt, seine Beendigung die ultima ratio. Thüringen bietet zudem, nach Angaben des Sprechers als einziges Bundesland, eine Ausnahme vom Legalitätsprinzip zu machen. Der Vorgesetzte muss kein Disziplinarverfahren einzuleiten, auch wenn er Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen hat, wenn er dieses für geringfügig hält und der Beamte anderweitig wieder zur Erfüllung seiner Dienstpflichten gebracht werden kann.

Einfach ist es nicht, einen Justizbediensteten, der einmal aufgenommen wurde, wieder aus dem Dienst zu entfernen. Auch nicht, wenn Zweifel an seiner Verfassungstreute bestehen. Das zeigt auch der Fall des Richters und derzeitigen AfD-Abgeordneten Jens Maier.

Aber es ist möglich. Dem badischen Staatsanwalt und AfD-Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz wurde  - wenn auch noch nicht rechtskräftig - der Beamtenstatus aberkannt, weil er auf Facebook gehetzt hatte, unter anderem gegen den Staat als Unterdrückungsinstrument.

*Anm. d. Red.: An mehreren Stellen des Textes mussten nachträglich Korrekturen vorgenommen werden. Zunächst hatte das Ministerium in NRW angegeben, sämtliche Staatsanwälte würden per se sicherheitsüberprüft. Nach Veröffentlichung dieses Artikels hat ein Sprecher diese Angaben dahingehend korrigiert, dass nur die Staatsanwälte im Staatsschutz sicherheitsüberprüft würden. Geändert am Tag der Veröffentlichung, 20:15 Uhr (pl)

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Thema:

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