BGH zur Unmöglichkeit wegen der Corona-Pandemie

Agentur muss Flug trotz Ein­rei­se­ver­bots für Urlauber bezahlen

von Kevin JapalakLesedauer: 5 Minuten

Mitten in der Corona-Pandemie buchte eine Reiseagentur für ihre Kunden eine Flugreise in die USA und zurück. Wegen eines Einreiseverbots fiel die Reise ins Wasser. Der BGH entschied nun, dass die Airline trotzdem ihr Geld bekommt.

Die Corona-Pandemie hat für viele neue Fälle der Unmöglichkeit der Leistung gesorgt. Einen solchen Fall hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun entschieden: Bestellt eine Reiseagentur bei einem Flugreiseanbieter eine Flugreise und wird die Leistung aufgrund eines absehbaren Einreiseverbots unmöglich, muss die Reiseagentur die Flugreise trotzdem bezahlen (BGH, Urt. v. 25.06.2024, Az. X ZR 97/23).

Geklagt hatte die Reiseagentur. Sie hatte die gebuchte Flugreise zunächst bezahlt und forderte hinterher vom Flugreiseanbieter die Rückzahlung des Flugpreises, nachdem die Kunden die Reise wegen des Einreiseverbots nicht antreten konnten. Die Reiseagentur machte insoweit einen Anspruch aus § 346 Abs. 1 in Verbindung mit § 326 Abs. 5 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geltend. Damit scheiterte sie jedoch in allen drei Instanzen, wie nach der BGH-Entscheidung feststeht.

Bei dem Vertrag über die Erbringung der Flugreise handelt es sich laut BGH um einen Luftbeförderungsvertrag, der als Werkvertrag (§§ 631 ff. BGB) einzuordnen sei. Indem die Fluggäste die Reise nicht antraten, sind sie nach Auffassung des Senats konkludent vom Werkvertrag zurückgetreten. Daran sei auch die Reiseagentur gebunden. Die entscheidende Frage war allerdings, ob den Fluggästen bzw. der Reiseagentur auch ein Rücktrittsrecht zustand.

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Rücktritt trotz Unmöglichkeit?

In Betracht kam hier ein Rücktrittsrecht nach § 326 Abs. 5 BGB. Danach kann der Gläubiger (hier: die Reiseagentur) zurücktreten, wenn die Leistung (hier: die Flugreise) nach § 275 BGB unmöglich geworden ist.

Insoweit verwundert es allerdings, dass der BGH im Falle der Unmöglichkeit überhaupt ein Rücktrittsrecht prüft, denn die gegenseitigen Primärleistungspflichten erlöschen im Grundsatz ohnehin nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB bzw. § 326 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB, sodass ein Rücktritt ins Leere geht. Zudem setzt ein Rücktrittsrecht eine fällige Leistungspflicht voraus, an der es im Falle der Unmöglichkeit fehlt.

Die Literatur sieht den Zweck des § 326 Abs. 5 BGB – neben dem Verweis auf § 323 Abs. 5 BGB, um den es hier nicht geht – darin, dass durch den Rücktritt nicht nur die gegenseitigen (synallagmatischen) Leistungspflichten, sondern auch das ganze Schuldverhältnis (im weiteren Sinne) zum Erlöschen gebracht werden kann. Dann kommt es auf die – oft nicht eindeutig feststellbare – Unmöglichkeit schon gar nicht an. Das könnte erklären, warum der BGH auch im Falle der Unmöglichkeit auf den Rücktritt abstellt (Rn. 24 des Urteils).

Das Erlöschen der Gegenleistungspflicht (hier: der Vergütungspflicht) ergibt sich im Falle der Unmöglichkeit allerdings streng genommen aus § 326 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB und nicht erst aus einem Rücktritt. Soweit die Leistung unmöglich ist, ist für einen Rücktritt schon mangels fälliger Leistungspflicht kein Raum. In der Folge wäre § 326 Abs. 2 Alt. 1 BGB zu prüfen, wonach der Gläubiger zur Gegenleistung verpflichtet bleibt, wenn er für die Unmöglichkeit "allein oder weit überwiegend verantwortlich" ist.

Diese dogmatische Ungereimtheit im Urteil des BGH wirkt sich allerdings im Ergebnis nicht aus, weil § 323 Abs. 6 BGB für den Rücktritt die gleichen Voraussetzungen regelt wie § 326 Abs. 2 BGB für die Unmöglichkeit. Der Gläubiger (hier: die Reiseagentur) bleibt jeweils zur Gegenleistung verpflichtet, wenn er für die Leistungsstörung "allein oder weit überwiegend verantwortlich" ist.

Reiseagentur hat Risiko konkludent übernommen

Der BGH stellt demnach auf einen Rücktritt (der Reiseagentur) ab, verneint aber das Rücktrittsrecht, denn die Reiseagentur sei für die Unmöglichkeit der Flugreise "verantwortlich im Sinne von § 323 Abs. 6 Fall 1 BGB und § 326 Abs. 2 Satz 1 Fall 1 BGB" (Rn. 29 des Urteils).

Nach der Rechtsprechung des BGH kann eine Verantwortlichkeit des Gläubigers dann anzunehmen sein, "wenn die Auslegung des Vertrags ergibt, dass der Gläubiger [...] das Risiko eines bestimmten Leistungshindernisses ausdrücklich oder konkludent übernommen hat und sich dieses Leistungshindernis verwirklicht". Die stillschweigende Übernahme eines Risikos komme insbesondere in Betracht, wenn dieses schon bei Vertragsschluss bestanden habe und nur eine Vertragspartei in der Lage gewesen sei, es abzuschätzen.

Genau das war hier der Knackpunkt: Die Reiseagentur "hat die Flüge zu einem Zeitpunkt gebucht, als für Fluggäste mit vorherigem Aufenthalt im Schengen-Raum ein grundsätzliches Verbot der Einreise in die Vereinigten Staaten bestand und in dem ungewiss war, wie sich die Situation weiter entwickeln würde. Dieses Verbot und das daraus resultierende Risiko waren der Klägerin [...] bei der Buchung bekannt", schreibt der BGH in sein Urteil, wobei er auch die objektive Erkennbarkeit des Risikos ausreichen lässt.

Reiseagentur hatte bessere Erkenntnismöglichkeiten

Freilich war das Verbot und das daraus resultierende Risiko auch dem beklagten Flugreiseanbieter bekannt. Insofern lässt sich allein aus der Kenntnis der Reiseagentur noch nicht ableiten, dass diese eher als der Flugreiseanbieter das Risiko zu tragen habe. Der BGH argumentiert allerdings zusätzlich damit, dass die Reiseagentur über bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügt habe als der Flugreiseanbieter. Das Einreiseverbot galt nämlich nur für touristische Reisen. Entsprechend hatte die Reiseagentur nach Auffassung des BGH besser als der Flugreiseanbieter feststellen können, ob die Fluggäste zu touristischen oder zu sonstigen Zwecken verreisen wollten. Diese Erwägung war für den BGH letztlich ausschlaggebend dafür, dass die Reiseagentur das Risiko der Unmöglichkeit der Flugreise zu tragen hatte – und damit im Sinne von § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB "weit überwiegend verantwortlich" war.

Aus den gleichen Gründen verneint der BGH schließlich auch einen Bereicherungsanspruch infolge einer Kündigung der Reiseagentur (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 in Verbindung mit § 648a Abs. 1 BGB). Eine Kündigung aus wichtigem Grund sei nur dann möglich, wenn die Gründe, auf die die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des Kündigungsgegners (hier: des Flugreiseanbieters) liegen. Insoweit gelten die gleichen Argumente wie im Rahmen der Verantwortlichkeit: Die Unmöglichkeit bzw. der Anlass für den Rücktritt liegt im Risikobereich der Reiseagentur.

BGH-Begründung prinzipiell auf viele Corona-Fälle übertragbar

Somit ist der Anspruch des Flugreiseanbieters auf Vergütung der Flugreise nicht erloschen, sodass die Reiseagentur keinen Anspruch auf Rückzahlung des Flugpreises aus § 346 Abs. 1 BGB (bei Unmöglichkeit: in Verbindung mit § 326 Abs. 4 BGB) oder aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB hat. Lediglich die Steuern und Gebühren musste der Fluganbieter der Reiseagentur aufgrund einer besonderen Stornierungsabrede zurückerstatten; um diese ging es in der Revision allerdings nicht mehr.

Die Begründung des BGH lässt sich im Prinzip auf viele Fälle übertragen, bei denen die Unmöglichkeit der Leistung auf Corona-Maßnahmen beruht. Entscheidend ist, wer die besseren Erkenntnismöglichkeiten im Hinblick darauf hat, ob die Leistung unmöglich wird. Normativ wird der Gläubiger durch § 326 Abs. 2 BGB bzw. § 323 Abs. 6 BGB insoweit gewissermaßen begünstigt, als seine Zahlungspflicht nur dann ausnahmsweise aufrechterhalten bleibt, wenn er tatsächlich "allein oder weit überwiegend" verantwortlich ist. Im Fall der Reiseagentur hat der BGH dies bejaht, womit wir wieder beim Lieblingssatz des Juristen wären: Es kommt immer drauf an – nämlich den Einzelfall.

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