Rechnen die Länder das Wintersemester 2021/2022 an?
Für die Justizministerien der Länder ist unsere Anfrage nichts Neues mehr: Seit dem Sommersemester 2020 fragt LTO regelmäßig ab, ob sie pandemiebedingt das jeweils laufende Semester in die Frist für den sogenannten Freiversuch ("Freischuss") einberechnen oder nicht. Der Freiversuch soll die besonders schnellen Jurastudierenden belohnen, indem sie einen weiteren Versuch für ihr Erstes Staatsexamen bekommen – zusätzlich zum regulären Wiederholungsversuch. Fertigen sie ihre schriftlichen Prüfungen bereits nach acht oder – je nach Bundesland – neun Fachsemestern an und fallen durch, dann haben sie weiterhin zwei Versuche. Sie stehen also genauso dar, als wenn sie es gar nicht erst probiert hätten.
Das Angebot wahrzunehmen ist zwar "Typsache", aber die Pandemie hat dazu geführt, dass man dazu drei Semester mehr Zeit hat. Während sich nach reichlich Chaos im Sommersemester 2020 alle Bundesländer dazu entschieden hatten, das erste Semester unter Pandemiebedingungen nicht anzurechnen, waren sie sich im Wintersemester 2020/2021 zunächst wieder unschlüssig. Sowohl dann als auch im nachfolgenden Sommersemester 2021 entschlossen sich allerdings alle dazu, von der Anrechnung abzusehen. Wie sieht das im noch laufenden Wintersemester 2021/2022 aus – dem ersten Semester, in dem alle Studierenden ein Impfangebot wahrnehmen konnten?
"Einschränkungen nach wie vor spürbar"
Hessen und Bayern verkündeten bereits auf den jeweiligen Internetseiten der Justizministerien, dass das Wintersemester 2021/2022 nicht auf den Freischuss angerechnet wird. "Leider sind die durch die Pandemie ausgelösten Einschränkungen nach wie vor spürbar, das gilt auch für die Studierenden der Rechtswissenschaften in Hessen", begründet die dortige Justizministerin Eva Kühne-Hörmann diesen Schritt. Es stehe außer Frage, dass die Studierenden in dieser ohnehin schon schwierigen Zeit keine zusätzlichen Nachteile im Studium erfahren sollen.
Dem schließen sich die Länder Sachsen und Rheinland-Pfalz an. "Obwohl rein digitale Lehrangebote sowie eine Mischung aus Präsenzbetrieb und Online-Lehre mittlerweile zum Alltag gehören, wird das laufende Wintersemester bei der Berechnung der Studienzeit für den Freiversuch der staatlichen Pflichtfachprüfung unberücksichtigt bleiben", erläutert der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin gegenüber LTO. Die nach wie vor bestehenden Einschränkungen und die aktuell sehr dynamische Pandemielage hätten zu dieser Entscheidung geführt. "Studierende, die sich bereits zum Freiversuch für das Examen im Februar 2022 angemeldet haben, können ihre Anmeldung bis zum 8. Februar 2022 beim Landesprüfungsamt für Juristen umstellen und erst am Examen im August 2022 teilnehmen", so Mertin weiter.
In Rheinland-Pfalz war das Wintersemester 2021/2022 zwar für alle Hochschulen grundsätzlich ein Präsenzsemester, das mittels 3G-Regelung und Maskenpflicht in den Lehrveranstaltungen durchgeführt werden sollte. Mit steigenden Infektionszahlen sind die Hochschulen nach Auskunft des Justizministeriums jedoch dazu übergegangen, Veranstaltungen wieder vermehrt online oder hybrid anzubieten. Bibliotheken seien geöffnet und auch Lernräume stünden den Studierenden zur Verfügung, die Prüfungen könnten unter den Voraussetzungen von 3G und Maskenpflicht in Präsenz stattfinden.
"Erwägen" und "begrüßen" - endgültige Entscheidung vielerorts offen
In Niedersachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern* und dem Saarland* hingegen stehen die Entscheidungen noch aus. In Brandenburg ist die Entscheidung zwar ebenfalls noch nicht gefallen, doch auch hier werde das Wintersemester 2021/2022 "voraussichtlich" nicht bei der Berechnung für den Freiversuch berücksichtigt. Justizministerin Susanne Hoffmann jedenfalls würde das "begrüßen", wie sie LTO mitteilt. Gerade in der so entscheidenden Phase der Examensvorbereitung sei der unmittelbare und direkte Austausch unabdingbar – sei es in Lernveranstaltungen, Lerngruppen oder während Lernpausen in der Bibliothek. "Dies alles ist in Zeiten, in denen auch die Examensvorbereitung zu großen Teilen ins 'Home Office' verlegt werden muss, nur eingeschränkt möglich", meint Hoffmann.
Ähnlich scheint der Stand in Hamburg* zu sein. Der norddeutsche Stadtstaat "erwäge", ein weiteres Corona-Freisemester zu gewähren. Bremen prüfe dies ebenfalls, eine endgültige Entscheidung soll nach dem nächsten Treffen des Ausschusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung am 18. Februar 2022 fallen.
NRW und BaWü gehen Sonderweg
Die großen Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg hingegen gehen die Sache anders an. So bleibe in Nordrhein-Westfalen auch das Wintersemester 2021/2022 bei der Berechnung der Freiversuchsfrist unberücksichtigt – allerdings dürfe in der Summe aller nicht zu berücksichtigenden Semestern nicht die im Juristenausbildungsgesetz (JAG) NRW genannte Höchstfrist von vier Semestern überschritten werden. Mit anderen Worten: Für alle Jurastudierenden, bei denen die vergangenen drei Semester coronabedingt ebenfalls nicht auf den Freischuss angerechnet wurden, dürfte dies das letzte Mal sein, dass ein Semester nicht mitgezählt wird. Bei denjenigen, die aus anderen im JAG aufgezählten Gründen bereits vor Corona ein Semester nicht angerechnet bekommen haben (beispielsweise Auslandssemester), zählt das Wintersemester 2021/2022 damit in die Berechnung der Freiversuchsfrist mit hinein.
Baden-Württemberg differenziert ebenfalls. "Für uns steht außer Frage, dass den Studierenden in dieser ohnehin schon schwierigen Zeit keine Nachteile für ihre Staatsprüfung entstehen dürfen", teilt die dortige Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges LTO mit. Das Land hat sich nach Auskunft der Pressestelle jedoch entschieden, das Wintersemester 2021/2022 nur für diejenigen Studierenden, die im Wintersemester 2020/2021 oder später ihr Studium aufgenommen haben, nicht anzurechnen.
Gleichbehandlung mit anderen Studierenden sicherstellen
Durch die Regelung möchte das Justizministerium gewährleisten, dass gerade Studienanfänger:innen, auf die sich die Beschränkungen im Lehrbetrieb besonders auswirken, mehr Zeit für die Ableistung ihrer Prüfungen erhalten. Eine Nichtanrechnung von drei Semestern scheine dabei ausreichend, um die pandemiebedingten Beeinträchtigungen auszugleichen. Insoweit sei zu beachten, dass es keineswegs zu einer vollständigen Einstellung des Lehr- und Lernbetriebs an den Universitäten über einen Zeitraum von vier Semestern gekommen sei. Die Studierenden hätten auch in der Pandemie die Gelegenheit, Lehrveranstaltungen zu besuchen und Leistungsnachweise zu erbringen.
Das Land möchte damit zudem die Gleichbehandlung mit den anderen, nicht-juristischen Studierenden sicherstellen. Auch für diese sei eine Verlängerung der Fristen für die Erbringung von fachsemestergebundenen Studien- und Prüfungsleistungen um höchstens drei Semester vorgesehen. Mit der gewählten Einschränkung der Anrechnung auf den Freiversuch würden nun bei allen Studierenden drei der mittlerweile vier "pandemiebetroffenen" Semester nicht auf die relevanten Prüfungsfristen angerechnet.
Schleswig-Holstein*, Sachsen-Anhalt* und Berlin äußerten sich bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht. Der Artikel wird jedoch fortlaufend aktualisiert, falls sich dort in dieser Sache etwas Neues ergibt.
* Update am Tag der Veröffentlichung: Auch Sachsen-Anhalt gibt bekannt, dass es das Wintersemester 2021/2022 nicht in die Berechnung für den Freischuss einbezieht.
* Update am 03.02.2022: Schleswig-Holstein gibt LTO bekannt, dass dort bislang kein weiteres Corona-bedingtes Freisemester für das WS 21/22 beschlossen worden sei. Es seien keine Lehrveranstaltungen aufgrund der Pandemie ausgefallen. Erst seit dem 10. Januar 2022 gebe es keine Präsenzveranstaltungen mehr. Es habe auch - anders als in den vergangenen drei Semestern - keine Forderungen von beiden Seiten für ein weiteres Freisemester gegeben. Die Fachschaft Jura der Uni Kiel sowie die Bundesfachschaft hätten jedoch jeweils eine Stellungnahme an das JPA gesandt, wie die Kieler Fachschaft LTO mitteilt. Die Schreiben hätten die Bitte enthalten, das Semester nicht anzurechnen. (Satz ergänzt am 18.02.2022). Nun gibt Schleswig-Holstein bekannt, dass es das WS 21/22 doch nicht auf den Freiversuch anrechnet (Satz ergänzt am 04.03.2022).
*Update am 03.02.2022: Mecklenburg-Vorpommern will das WS 2021/2022 nicht in die Frist für den Freiversuch einberechnen.
*Update am 16.02.2022: Hamburg will das WS 2021/2022 nicht in die Frist für den Freiversuch einberechnen.
*Update am 18.02.2022: Auch das Saarland sieht von einer Anrechnung ab.
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2022 M02 1
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