Zwei Richter über die Referendarausbildung

"Die digi­tale Aus­bil­dung bleibt - auch nach Corona"

Interview von Pauline DietrichLesedauer: 6 Minuten

Wie sehr die digitale Lehre das Leben der Referendar:innen erleichtern kann, hat das OLG Oldenburg erkannt. Dessen Vizepräsident Dr. Hans Oehlers und der hauptamtliche AG-Leiter Günter König erzählen im Interview, worauf es dabei ankommt.

LTO: Herr Dr. Oehlers, Herr König, Sie setzen sich beide dafür ein, dass für Referendar:innen im Bezirk des OLG Oldenburg die digitale Ausbildung ausgebaut wird – und zwar unabhängig von der Pandemie. Was ist Ihre Motivation dahinter?

König: Ich habe das große Glück, seit Beginn meiner Tätigkeit als Richter im Bezirk Oldenburg die Arbeitsgemeinschaften (AGs) im Zivilrecht leiten zu können. Für mich ist das mehr als ein Beruf – es ist eine Leidenschaft. Die digitale Lehre macht mir persönlich Freude, weil ich sehr technikaffin bin. Doch ich sehe ihren Ausbau auch als gesellschaftliche Pflicht an – gerade im Hinblick auf die Interessen und Lebensbedingungen der jungen Menschen. Zudem hat die Justiz hat ein Interesse daran, dass der Nachwuchs digitale Skills erlernt – ich denke hier auch an die E-Akte, deren Nutzung ab 2026 verpflichtend ist.

Oehlers: Wir haben ein Interesse an unseren Leuten und ich möchte ihnen die bestmögliche Lehre bieten.  Fairerweise muss ich sagen, dass für mich der Anstoß tatsächlich – wie an vielen anderen Stellen – die Corona-Pandemie war. Vorher hätte man die digitalen Möglichkeiten zwar auch besser nutzen können – hat man aber nicht.

In meiner Richtertätigkeit möchte ich ebenfalls so viel Digitales wie möglich beibehalten. Auch große Prozesse führe ich inzwischen hervorragend digital, das spart unglaublich viel Zeit. Allerdings muss zum einen das technische Niveau hoch sein und die Referendar:innen müssen es annehmen wollen – und das tun sie, wenn die technische Ausgestaltung stimmt.

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"Andere Bundesländer stehen schlechter da"

An welche Lebensumstände der Referendar:innen denken Sie konkret, die die digitale Lehre verbessern kann?

König: Mir sind soziale Kriterien wichtig. Häufig sind auch junge Referendar:innen dabei, die kleine Kinder zu betreuen haben und dadurch Nachteile durch die Präsenzlehre erleiden. Auch aus diesem Grund habe ich früh On-Demand-Lehrformate auf meiner Homepage angeboten, damit auf Knopfdruck nach- und vorgearbeitet werden kann. Flexibilität spielt eine große Rolle – schließlich ist Referendarausbildung Erwachsenenbildung. Ich gebe meinen Referendar:innen die Freiheit, zu beurteilen, ob sie sich zum Beispiel am AG-Tag aus einem ICE heraus am Unterricht beteiligen möchten oder während des Urlaubs vom Strand auf Mallorca aus   – und das klappt beides übrigens sehr gut. Im Übrigen decken wir ein weites Einzugsgebiet ab, das zum Teil nicht gut mit ÖPNV in angemessener Zeit zu erreichen ist. Die Referendar:innen müssen oft lange Strecken nur für die AG mit dem Auto zurücklegen. Auch aus ökologischer Sicht ist jeder Kilometer, den wir heutzutage mit Autos fahren, häufig nicht notwendig. Da ist es gesellschaftlich geboten, das zu vermeiden.

Oehlers: Für mich ist hier auch die Umsetzung der neuen Teilzeitregelung für Referendar:innen wichtig. Ich denke, dass denjenigen, die eine solche Regelung benötigen, mit digitalen Angeboten mehr geholfen ist:  Die Eltern unter den Referendar:innen oder diejenigen, die Pflegebedürftige betreuen müssen. Hinzu kommt, dass wir als Arbeitgeber unterwegs sind und unseren Leuten etwas bieten möchten – und digitale Lehre ist nun einmal zeitgemäß.

König: Und andere Bundesländer stehen hier deutlich schlechter da.

Wie sehen die digitalen AGs bei Ihnen aus?

König: Ich unterrichte live aus meinen privaten Räumlichkeiten. Dazu stehe ich an einer Leinwand, an die ich mein Unterrichtsmaterial mit einem Beamer projiziere oder ich schreibe analog an ein Whiteboard, um spontan reagieren zu können - und filme mich dabei. Ich möchte einen ganz direkten Kontakt zu den Referendar:innen haben und dazu gehört, dass ich sie durchgehend gleichzeitig sehe sowie Mimik und Gestik wahrnehme Dazu nutze ich einen sehr großen Bildschirm, auf dem Oberkörper und Gesichter der AG-Teilnehmenden in einem digitalen Hörsaal sitzen. Sie können ihre Hand heben oder einfach reden und die Interaktion klappt wie in einer Präsenz-AG.

Dr. Oehlers: Das, was Herr König anbietet, kann man kaum beschreiben. Es ist ihm wirklich gelungen, die echte AG-Atmosphäre in das digitale Format zu transferieren. Wir haben bei der IT-Abteilung in Auftrag gegeben, den digitalen Ausbildungsraum von Herrn König nachzubauen und möchten das dann z.B. auch für die Ausbildung der Rechtspfleger:innen nutzen. Wir versprechen uns einiges von dem Format – und insbesondere von dem hohen Niveau der dort verwendeten Technik.

Dr. Hans Oehlers, (c) OLG Oldenburg

"Je besser die Technik, desto einfacher ist es"

Wie sieht es denn mit den anderen AG-Leitenden aus – wollen die das?

Oehlers: Die Affinität variiert deutlich. Da sind unsere zivilrechtlichen AG-Leitenden unsere Speerspitze. Wir versuchen deshalb ja, die hochwertige technische Ausstattung zentral am OLG zu etablieren. Probleme gibt es aber natürlich auch, so sind unsere Internetleitungen am OLG häufig so überlastet, dass viele AG-Leitenden von zu Hause aus unterrichten.

Ich werde aber meinen AG-Leitenden nicht ihre Didaktik vorschreiben. Meine Idee ist einfach: Je besser die Technik ist, desto einfacher ist es auch für die AG-Leitenden und sie werden das Angebot auch nutzen. Sie sollen quasi nur noch die Tür öffnen und den Rechner anschmeißen müssen. Daher plane ich, an allen Landgerichtsstandorten diese hohen technischen Möglichkeiten zu etablieren.

Inwiefern spielt hier hinein, dass die AG-Leitenden in der ordentlichen Gerichtsbarkeit am OLG Oldenburg – im Gegensatz zu einigen anderen – ihre Aufgabe tatsächlich hauptamtlich wahrnehmen?

Oehlers: Die sog. Freistellung für hauptamtliche AG-Leitende in der ordentlichen Gerichtsbarkeit gibt es bei uns schon lange. Es ist korrekt, dass sie nur die Hälfte der Akten bekommen und den Rest der Zeit für ihre AGs verwenden können. Bei uns wird auch genau geschaut, wer das machen möchte. Das gilt übrigens nicht nur für unsere AG-Leitenden, sondern auch für die Ausbilder:innen am Arbeitsplatz. In anderen Stationen des Referendariats hingegen gibt es oft Beschwerden der Referendar:innen – schließlich muss beispielsweise ein Anwalt oder eine Anwältin erstmal Zeit für die Ausbildung finden.

König: Der personelle Standard, der hier in der Zivilstation etabliert ist, dürfte bundesweit an der Spitze einzuordnen sein. Ohne Frage profitieren davon die Referendar:innen. Die Entwicklung von gutem Unterrichtsmaterial kostet einfach Zeit – und meine Kolleg:innen und ich bekommen diese Zeit.

Günter König, (c) Günter König

"Kommerzielle Repetitorien nicht erforderlich"

Während es an anderen Ausbildungsstandorten in Deutschland vor allem im ersten Corona-Lockdown teilweise zu AG-Ausfällen kam, weil sich die ehrenamtlich beschäftigten AG-Leitenden auch aus Zeitgründen nicht mit der notwendigen Technik auseinandersetzen konnten.

König: Ganz genau, die ehrenamtlichen AG-Leitenden können dazu ja auch nicht verpflichtet werden.

Oehlers: Das ist alles auch eine Frage der Personalentwicklung – und die existiert bei uns nicht nur auf dem Papier. Wir möchten ja auch, dass die jungen Leute nach ihrem Referendariat bei uns bleiben.

Wollen Sie den kommerziellen Repetitorien Konkurrenz durch das digitale Angebot machen?

Oehlers: Unser Anspruch ist, dass durch unser Angebot die kommerziellen Repetitorien nicht erforderlich sind.

König: Das, was die kommerziellen Repetitorien auf digitalem Weg anbieten, das können wir auch – und unsere Examenscoachings sind schließlich auch barrierefrei zugänglich.

Ist der Ausbau der digitalen Lehre aus Ihrer Sicht denn nur eine Frage des Willens?

König: Nicht nur der Wille des Einzelnen ist entscheidend, sondern insbesondere der politische Wille. Ich hätte auch schon vor sieben Jahren einen YouTube-Livestream meiner AGs anbieten können - auch barrierefrei. Aber erst durch Corona ist dafür Unterstützung gekommen.

Oehlers: So eng sind wir normalerweise nicht geführt. Nur, falls das Justizministerium uns die digitale Lehre untersagt, könnte ich nichts dagegen machen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die digitale Ausbildung bleibt und der Wille jedes Einzelnen entscheidend ist, wie gut das ablaufen wird – auch nach Corona.

Dr. Hans Oehlers ist Vizepräsident des OLG Oldenburg. In dieser Funktion ist er primär zuständig für die Referendarausbildung in diesem Bezirk. Zudem ist der Richter der Vorsitzende des Arzthaftungssenats am OLG.

Günter König ist Richter am LG Oldenburg und leitet seit Beginn seiner Richtertätigkeit in Oldenburg die Arbeitsgemeinschaften im Zivilrecht. Seit einiger Zeit bietet er – auch länderübergreifend – digitale "Klausurcoachings für Fortgeschrittene" im Zivilrecht für Examenskandiat:innen an. Dies und weitere seiner Angebote können hier nachgelesen werden.

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