Wie familienfreundlich ist die Justiz?
Während die Work-Life-Balance von Großkanzlei-Anwälten immer wieder bemängelt wird, besticht die Justiz – offiziell zertifiziert durch den Hessischen Minister des Innern und für Sport – durch Familienfreundlichkeit. Kollegen mit drei und mehr Kindern sind keine Seltenheit. Die Ankündigung von Nachwuchs wird auch im Wiederholungsfall freudig begrüßt, Mutterschutz ist selbstverständlich, Elternzeit wird antragsgemäß gewährt, und die Rückkehr in Teilzeit oder Vollzeit steht im Belieben des Kollegen. Nach § 7a des Hessischen Richtergesetzes darf ein Richter auf Antrag in Teilzeit arbeiten, wenn er mindestens ein Kind unter 18 Jahren betreut, und zwar bis zur Hälfte des regelmäßigen Dienstes. Für Staatsanwälte gilt die Regelung, die in allen anderen Bundesländern vergleichbar normiert ist, entsprechend. Aber auch in der Anwaltschaft tut sich etwas: Arbeitet man in Teilzeit, ist man damit kein Einzelfall mehr.
Neben den flexiblen Arbeits- und Teilzeitmodellen bestehen weitere familienfreundliche Angebote im beruflichen Justizalltag: die mit zunehmender Digitalisierung wachsenden Möglichkeiten, dezentral und mobil zu arbeiten, Justizkindergärten, Kindernotbetreuungsangebote, die Erstattung von Kinderbetreuungskosten bei Fortbildungen, Dienstbefreiungsmöglichkeiten aus familiären Anlässen, sowie externe Personalberatungsangebote. Mittlerweile erhalten Eltern zudem beträchtliche Zuschläge pro Kind. In Hessen beispielsweise sind es für das erste und zweite Kind jeweils rund 240 Euro, ab dem dritten Kind gibt es einen vergleichsweise stärkeren Zuschlag von rund 730 Euro. Im Jahr 2020 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Richter und Staatsanwälte mit mehr als drei Kindern in Nordrhein-Westfalen zu wenig verdienen und konkrete Regeln aufgestellt. Die zusätzlichen Leistungen ab dem dritten Kind müssen um mindestens 15 Prozent über der sozialen Grundsicherung liegen. Auch Hessen hat im Jahr 2023 die Familienzuschläge deutlich erhöht.
Aber wie macht sich die versprochene Familienfreundlichkeit der Justiz im Arbeitsalltag bemerkbar – und was läuft noch nicht so rund?
Berufsalltag in Teilzeit
Entscheidet man sich für eine Teilzeittätigkeit, ändert sich im Arbeitsalltag erstmal nicht viel. Bestenfalls arbeitet man weniger, aber nicht inhaltlich anders als in Vollzeit. Bei verringerter Arbeitskraft wird die Anzahl der zu bearbeitenden Verfahren prozentual angepasst, eine inhaltliche Änderung ist damit nicht verbunden.
Aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit sind die Arbeitszeiten flexibel und es ist dem einzelnen freigestellt, wann und wo er seine Verfahren erledigt, sofern dafür nicht die Anwesenheit im Gerichtssaal erforderlich ist. Fest vorgegebene Stundenzahlen und Arbeitszeiten gibt es nicht. Diese Flexibilität ermöglicht es, im Notfall ohne missbilligende Blicke oder Kommentare den eigenen Schreibtisch und ausnahmsweise auch die Richterbank ad hoc zu verlassen, die Verhandlung zu vertagen und sich um das eigene Kind zu kümmern.
In Teilzeit arbeitet man weniger – oder?
Arbeitet der Richter nach der Geburt in Teilzeit, lassen sich die monetären Einbußen und ihr Ausgleich durch den Familienzuschlag auf den Cent berechnen, bei einer halben Stelle halbiert sich beispielsweise das Grundgehalt. Die Reduzierung der Arbeitskraft lässt sich aber – da es keine vorgegebenen Stundenzahlen gibt – nicht in Wochenstunden quantifizieren, sondern im Verhältnis zu den Kollegen in Vollzeit. Und auch das geht nur anhand der Anzahl der zu bearbeitenden Verfahren, in Teilzeit erhält man also weniger Verfahren. Das bedeutet aber nicht in jedem Fall weniger Arbeit. Es kommt im Einzelfall darauf an, wie umfangreich die Akten sind, welche und wie viele juristische Probleme man durchdringen muss und wie viel Zeit man für die Vorbereitung und die Sitzungen benötigt.
Im besten Fall verringert sich mit der Anzahl der zu bearbeitenden Akten die Arbeitsbelastung im angestrebten Umfang. Im schlechtesten Fall – beispielsweise durch Vertretungen, Klagewellen, Großverfahren – bleibt die Arbeitsbelastung vorübergehend zu hoch bzw. entspricht nicht der erfolgten Reduzierung. Es können sich dann für den Einzelnen Fragen stellen, wie er mit Erledigungsdruck umgeht, ob unbezahlte Überstunden geleistet oder die eigenen Ansprüche an die juristische Tiefe einer Entscheidung heruntergeschraubt werden. Erfahrungsgemäß gleichen sich derartige Belastungsspitzen, wenn sie denn überhaupt auftreten, aber über die Dauer einer Teilzeittätigkeit aus. Fragen, die sowohl Teilzeit- als auch Vollzeitkräfte betreffen können, sind etwa, wie man ein krankes Kind versorgt, während das betreffende Elternteil auf der Richterbank sitzen muss, oder ob man ein gepflegtes aufgeräumtes Dezernat zugunsten eines Geschwisterchens aufgibt. Das sind Fragen, die sich Eltern in nahezu allen juristischen Berufen in anderer Form sicher auch stellen. Sie zeigen aber, dass auch die familienfreundliche Justitia ab und an nicht ohne Härte auskommt.
Nachholbedarf gibt es zudem insbesondere noch bei der Digitalisierung. Wenn das Kind krank ist und man den Arbeitsplatz überstürzt verlässt, muss sichergestellt werden, dass alle technischen Voraussetzungen geschaffen sind, um neben oder nach der Betreuung des kranken Kindes möglichst effektiv arbeiten zu können. Andernfalls ist es erforderlich, Papierakten mitzunehmen. Mit der flächendeckenden Einführung der elektronischen Akte wird sich dieses Problem aber in absehbarer Zeit erledigen. Spätestens ab 2026 müssen Gerichte und Staatsanwaltschaften alle neu angelegten Akten elektronisch führen.
Kinder als Karrierebremse?
Eine entscheidende Frage ist natürlich auch, welchen Einfluss Kinder, Elternzeit und Teilzeit auf die Karriere haben. Auf den Karrierewegen in der Justiz spielen Kinder eine Rolle – allerdings keine dauerhaft ausschlaggebende.
Üblicherweise wird man spätestens nach fünf Jahren auf Lebenszeit ernannt, wie § 12 Deutsches Richtergesetz (DRiG) festlegt. Wer bereits als Assessor während der Probezeit Mutterschutz und/oder Elternzeit in Anspruch nimmt, muss sich darauf einstellen, dass das die Ernennung auf Lebenszeit verzögern kann. Keine Auswirkungen auf die Dauer der Probezeit hat dagegen eine Tätigkeit in Teilzeit. Derjenige, der mit 50 Prozent Arbeitskraft in der Justiz tätig ist, kann also ebenso rasch auf Lebenszeit ernannt werden wie derjenige, der in Vollzeit arbeitet.
Mit der Ernennung auf Lebenszeit ist keine Gehaltssteigerung verbunden, sondern es verbleibt beim R 1-Gehalt, das sich mit der Länge der Berufserfahrung kontinuierlich steigert. So beläuft es sich beispielsweise in Hessen in der Eingangsstufe auf monatlich rund 4.900 Euro brutto, in der Endstufe, die nach 18 Jahren erreicht wird, auf rund 7.500 Euro brutto.
Die weitere Karriereplanung in der Justiz ist relativ unwägbar, da diverse Faktoren, die nur bedingt im Einfluss des Einzelnen stehen, eine Rolle spielen können, wenn es darum geht von der R 1-Besoldung in eine höhere Besoldungsgruppe aufzusteigen. Während Assessoren, Richter am Amtsgericht und am Landgericht sowie Staatsanwälte der Besoldungsgruppe R 1 zugeordnet sind, werden alle folgenden Besoldungsgruppen erst nach einer Beförderung erreicht. In die Besoldungsgruppe R 2 fallen Vorsitzende Richter am Landgericht, Oberstaatsanwälte oder Richter am Oberlandesgericht. Sie verdienen in Hessen je nach Erfahrungsstufe monatlich zwischen rund 6.200 Euro und rund 8.200 Euro. Nur die wenigsten erreichen die Besoldungsgruppe R 3 mit einem monatlichen Grundgehalt von rund 9.000 Euro brutto, was der Position eines Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht oder eines Leitenden Oberstaatsanwalts entspricht, oder eine noch höhere Besoldungsstufe. Die Mehrzahl der Richter und Staatsanwälte wird nach den Besoldungsgruppen R 1 oder R 2 bezahlt. Ob man befördert wird, hängt u. a. von Berufserfahrung, freien Abordnungsstellen und offenen Beförderungsstellen ab.
Abordnungen an andere Institutionen – auch in Teilzeit
Die für eine Beförderung erforderliche Berufserfahrung sammelt man zum einen durch die Dauer der Tätigkeit in der Justiz, zum anderen durch Erprobungen im Rahmen von Abordnungen. Üblich sind Abordnungen von Richtern an das zuständige Oberlandesgericht und von Staatsanwälten an die zuständige Generalstaatsanwaltschaft. Daneben gibt es aber auch Abordnungen an andere Institutionen wie beispielsweise oberste Bundesgerichte, das Bundesverfassungsgericht, Staatsgerichtshöfe, Justizministerien und europäische Institutionen. Erfahrungsgemäß – wobei Ausnahmen die Regel bestätigen – sind die Richter und Staatsanwälte mit jüngeren Kindern auch nicht diejenigen, die früh nach Abordnungen in europäische Institutionen oder an (nicht ortsnahe) Bundesministerien oder Bundesgerichte streben.
Solche Abordnungen können nicht nur in Vollzeit, sondern auch in Teilzeit absolviert werden, ohne dass sich dadurch die erforderliche Dauer verlängert. Zudem hat der Zeitpunkt der beruflichen Weiterentwicklung abgesehen von den genannten ohnehin kaum zu beeinflussenden Umständen keinen Einfluss auf die weitere Karriereentwicklung. Die Beförderung erfolgt dann nur entsprechend später. Ein altersbedingtes up or out gibt es auf den Karrierewegen in der Justiz nicht.
Insgesamt ist es eine gute Idee, in der Justiz Kinder zu bekommen und großzuziehen. Die Familienfreundlichkeit ist hoch und die Nachteile sind überschaubar. Das ist das Pfund, mit dem die dritte Gewalt wuchern kann. Sie muss es in Anbetracht der – insbesondere monetären – Attraktivität anderer Arbeitgeber im Kampf um die besten Köpfe auch.
Dr. Charlotte Rau, LL.M ist Ministerialrätin im Hessischen Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat, zuvor war sie von 2002 bis 2023 Richterin, zuletzt am Oberlandesgericht Frankfurt am Main.
Dr. Christine Schröder ist Richterin am Landgericht Frankfurt am Main und derzeit an den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof abgeordnet.
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2024 M02 10
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