Kabinett will Kurzzeitverträge an Unis eindämmen

Mehr Sicher­heit für Dok­to­randen?

von Anne-Christine HerrLesedauer: 6 Minuten
Viele Doktoranden und WissMits wissen nicht, ob ihr befristeter Vertrag im nächsten Quartal verlängert wird. Gleichzeitig verbringen sie oft weit mehr als die 20 Stunden am Institut, für die sie bezahlt werden. Das soll sich nun ändern.

Arbeitsverträge von wissenschaftlichen Mitarbeitern an Universitäten sollen künftig so lange laufen müssen, wie es für die Promotion oder das jeweilige Forschungsprojekt notwendig ist. Dies ist wohl die für Doktoranden wichtigste Änderung, die der am Mittwoch vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachte Gesetzentwurf eines neuen Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vorsieht. Die Hochschulexperten der schwarz-roten Koalition hatten bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, die Bedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu verbessern. Im Juni dieses Jahres hatte das Kabinett sich nach langen Diskussionen – die SPD hatte dabei eher die Betroffenen im Blick, die Unionsfraktion dachte mehr an die Wissenschaft - schließlich auf einen Kompromiss geeinigt. Der soll "mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit für den wissenschaftlichen Nachwuchs " schaffen, "ohne jedoch die in der Wissenschaft erforderliche Flexibilität und Dynamik zu beeinträchtigen," formuliert Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU). Bis Ende des Jahres könnte das Gesetz im Bundestag zur Abstimmung kommen. Doch die schwarz-roten Reformideen finden nicht nur Beifall. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sprach sich umgehend dafür aus, den Gesetzentwurf nochmals zu überarbeiten. Die Trippelschritte der Koalition führten nicht zu der Reform, auf welche die Wissenschaftler warteten. Auch die Opposition im Bundestag ist enttäuscht von den Vorschlägen. Kai Gehring, Sprecher der Grünen für Hochschule, Wissenschaft und Forschung, kritisierte den Entwurf als eine "Minimal-Novelle" nach zwei Jahren "Hängen und Würgen", jedoch ohne "strukturellen Fortschritt für verlässliche Wissenschaftskarrieren." Seine L Kollegin Rosemarie Hein von der Linken sieht in den gesetzlichen Regelungen nur "verwässerte Vorgaben."

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Hire-and-fire-Politik an Unis

Das geltende WissZeitVG lädt nach Einschätzung vieler Experten zum Missbrauch an den Unis ein. Denn bislang gilt an deutschen Hochschulen eher etwas wie eine "natürliche" Selektion zugunsten der Schnellen, Belastbaren und Zielstrebigen. Oder auch einfach zugunsten derer, die Glück mit ihrem Geldgeber hatten. Denn die bisherige Praxis einer schier endlosen Kette knapp befristeter Zeitverträge zwingt Nachwuchswissenschaftler in ein enges zeitliches Korsett und strapaziert ihre Nerven. Konkret sieht das WissZeitVG von 2007 vor, dass Absolventen bis zu sechs Jahre für ihre Dissertation brauchen dürfen. Bei Medizinern sind es sogar neun Jahre. Während dieser Zeit sind sachgrundlose Befristungen möglich, auch mehrere hintereinander, die sog. Kettenverträge. Die Befristungsregelungen für Uni-Mitarbeiter weichen damit vom sonst im Arbeitsrecht geltenden Teilzeitbefristungsgesetz (TzBfG) ab. Danach dürfen Arbeitnehmer nur in den ersten beiden Jahren, in neu gegründeten Unternehmen bis zu vier Jahre ohne Grund mit befristeten Verträgen angestellt werden. Nach Zahlen der GEW haben derzeit über 80 Prozent der Forscher und Dozenten oft nur kurzfristige Zeitverträge. Insgesamt könnten es bis zu 200.000 Beschäftigte sein – 170.000 an Fachhochschulen und Unis sowie knapp 30.000 an außeruniversitären Forschungseinrichtungen. "Und über die Hälfte der Zeitverträge hat eine Laufzeit von unter einem Jahr", empört sich GEW-Experte Andreas Keller. Auch Wanka sieht, dass es hierfür eigentlich "keinen sachlichen Grund gibt". Dass eine Promotion in weniger als einem Jahr zu schreiben ist, behauptet dabei niemand. Dass viele Menschen unter der Unsicherheit derart kurzer Befristungen leiden, ihre Zukunft nicht planen können und am Ende womöglich mit einer halbfertigen Dissertation, aber ohne Arbeitsvertrag dastehen, war bisher zweitrangig. Vielmehr sollte diese Sonderregelung einem höheren Zweck dienen: Der Förderung der Wissenschaft, die so immer wieder von den frischen Ideen der noch unbefangenen Jungdoktoranden gespeist werden soll. Hinzu kommen Sachzwänge wie die Teil-Finanzierung der Uni-Angestellten aus Sonder- oder sog. Drittmitteln von staatlichen oder privaten Forschungsförderungen bzw. Stiftungen, die in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden sind. Da diese Geldmittel jedoch nur für befristete Projekte gegeben werden, ist auch die Befristung "alternativlos" – und das ist gesetzlich bislang auch so gewollt.  

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2/2: Doktoranden bekommen zumindest mehr Zeit

Die wichtigste Neuerung, die nun alle Wissenschaftlichen Mitarbeiter (WissMits) und Doktoranden besonders interessieren dürfte, ist die Dauer ihrer Verträge. Tatsächlich wird der Gesetzentwurf den sehr kurzen Befristungen wohl den Garaus machen. Denn künftig sollen sie so lange laufen, wie die Promotion üblicherweise dauert – bzw. dauern sollte. Eine Untergrenze definiert der Entwurf nicht. Das bedeutet jedoch weder das Ende der Befristungen noch Schluss mit von außen kommendem Zeitdruck. Denn in § 2 Abs. 1 des Entwurfs heißt es: "Die vereinbarte Befristungsdauer ist jeweils so zu bemessen, dass sie der angestrebten Qualifizierung angemessen ist." Die Laufzeiten der Verträge werden also vermutlich zwar länger, doch am Ende wird die Beurteilung, welcher Zeitrahmen denn nun tatsächlich angemessen ist, kaum dem Doktoranden überlassen werden. Wenn es um Promotionsstellen geht, die aus Drittmitteln finanziert werden – und das sind nicht gerade wenige –, soll die Befristungsdauer nur "der Dauer der Mittelbewilligung entsprechen". Zumindest sehr kurze Befristungen, die noch unter dem Zeitrahmen liegen, der für das geförderte Projekt veranschlagt wurde, sollen damit unterbunden werden. Doch auch nun definiert das Gesetz nicht, wie lange ein entsprechender Bewilligungszeitraum mindestens andauern muss. Somit hätten es Geldgeber über die Definition des Zeitrahmens in der Hand, die Dauer des Vertrags zu bestimmen. Trotz der Verbesserung für die Wissenschaftler, die darin liegt, dass wohl Verträge von unter einem Jahr der Vergangenheit angehören,  lassen diese Formulierungen Raum für großzügige Interpretation derer, die am längeren Hebel des Arbeitsvertrages sitzen. So ist es nicht verwunderlich, dass der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller bemängelte, der Gesetzentwurf lasse weiterhin "zu viele Schlupflöcher für eine Fortsetzung des Hire-and-Fire-Prinzips an Hochschulen und Forschungseinrichtungen". Die GEW schlägt daher eine Untergrenze von drei Jahren für Arbeitsverträge mit Doktoranden vor. Große Chancen auf Umsetzung haben diese Ideen jedoch vermutlich nicht. Schon  der jetzige Entwurf ist schließlich ein hart umkämpfter Kompromiss, wie auch CDU-Bildungsministerin Wanka klarstellt: "Eine starre Untergrenze für Befristungen kann es eben auch nicht geben, sonst wäre die notwendige Flexibilität an den Hochschulen nicht mehr gegeben."

Wissenschaftler und die Work-Work-Balance

Aus § 2 Abs. 1 S. 1 des neuen WissZeitVG soll sich künftig zudem klar ergeben, dass die sachgrundlose Befristung nur zulässig ist, wenn die Beschäftigung "zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt." Damit wollen die Politiker zum einen unterbinden, dass Nicht-Wissenschaftler die Uni-Daueraufgaben erledigen. Zeitverträge für Mitarbeiter wie Sekretäre oder Laborassistenten sollen künftig nur noch nach dem für alle Arbeitnehmer geltenden Teilzeit- und Befristungsgesetz möglich sein. Damit betont das neue Gesetz erstmalig mehr oder weniger ausdrücklich den eigentlichen Zweck der wissenschaftlichen Arbeit: Wer am Lehrstuhl arbeitet, um sich damit seine Promotion zu finanzieren, soll auch ausreichend Zeit für selbige haben. Diese Tatsache sollte eigentlich selbstverständlich sein und nicht einer gesetzlichen Regelung bedürfen. Mit der Realität der meisten Doktoranden, die eine 20-Stunden-Woche am Lehrstuhl ihres Doktorvaters haben und offiziell die restlichen 20 Stunden für ihre Promotion nutzen sollen, hat das wenig zu tun. Viele Professoren delegieren einen Großteil ihrer Lehrtätigkeit, insbesondere das lästige Klausuren-Erstellen und –korrigieren gerne an die Assistenten. Auch so mancher wissenschaftliche Beitrag in Fachzeitschriften stammt eigentlich aus der Geisterhand der WissMits. Für die eigene Doktorarbeit verbleibt oft nur die "Freizeit". Trotz der geplanten klareren Formulierung des Zwecks der Arbeit für den Doktorvater verbleiben große Spielräume, wie denn die Verteilung zwischen Lehrstuhlarbeit und eigener Forschung auszusehen hat. Vermutlich wird also die gesetzliche Klarstellung eher die Wirkung einer Zweckbestimmung haben, die allenfalls als Auslegungshilfe der darauf folgenden Normen heranzuziehen ist, jedoch selbst keine verbindlichen Vorgaben trifft. Aus Sicht der GEW ein Manko: Die Gewerkschaft verlangt, dass 50 Prozent der Arbeitszeit der Wissenschaftler fest für die Qualifizierung geblockt sein sollen. Dass sie mit einer solchen Forderung, die stark in die Ausgestaltung der Lehrstuhlarbeit eingreifen würde, Gehör findet, ist zumindest in dieser Legislaturperiode eher unwahrscheinlich.

Teil eines Gesamtkonzeptes für die Wissenschaft

Weitere Regelungen betreffen studentische Hilfskräfte und Menschen mit besonderen Belastungen. Kettenbefristungen sollen für Studierende nach § 6 des Entwurfs künftig nur noch für maximal vier Jahre möglich sein. Die Jung-Wissenschaftler sollen ihre Befristung künftig auch dann um zwei Jahre verlängern können, wenn sie ein Stief-  oder Pflegekinder unter 18 Jahren betreuen – bislang galt dies nur bei eigenen Kindern. Schließlich soll auch für Nachwuchswissenschaftler mit einer Behinderung oder einer schweren chronischen Erkrankung künftig eine um zwei Jahre längere Höchstfrist gelten. Über die Gesetzesnovelle hinaus verhandelt das  Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit den Ländern gerade auch über eine Initiative zur Förderung dauerhafter Karriereperspektiven in der Wissenschaft. Außerdem soll es zusätzliche feste Stellen für den Wissenschaftsnachwuchs geben. Die jetzt verabschiedete Novelle und das Gesamtkonzept von Regierung, Hochschulen und Forschungseinrichtungen bringen mit Sicherheit verlässlichere Karriereperspektiven für Wissenschaftler. Ob das ausreicht, darf bezweifelt werden. Aber es ist ein guter Anfang.

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