Der Umgang mit Niederlagen

Supervision für Rechtsanwälte

von Daniel GrosseLesedauer: 4 Minuten
Engagiert, zielstrebig, souverän – das sind Adjektive, mit denen so manche Kanzlei für ihre Arbeit wirbt. Diese geballte, in Worte gefasste Kompetenz zeichnet das Bild von Juristen, die nichts so leicht erschüttern lässt. Dabei müssen gerade Anwälte immer wieder Niederlagen einstecken. Wie sie damit umgehen: vom offenen Dialog mit den Kollegen aus der Kanzlei bis zur professionellen Supervision.

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Wer sich in den Anwaltsberuf wagt, muss mit einer stabilen physischen und psychischen Gesundheit begnadet sein, schreibt der Rechtsanwalt am Bundesgerichtshof Professor Ekkehart Reinelt. Nachvollziehbar, schließlich ist die Juristerei neben allem Ernst auch ein Spiel, und zwar eines mit Macht und Ohnmacht. Wer berät, Schriftsätze verfasst, verteidigt und argumentiert, kann gewinnen – oder eben auch verlieren. Wie aber gehen Anwälte damit um, wenn sie einen Fall verloren haben? Vielleicht trifft auch die Einschätzung Bernhard Walters zu: "Rechtsanwälte tun sich oftmals schwer damit, sich eine Niederlage einzugestehen. Sie können sich ja stets hinter Richter und Gesetz 'verstecken'." Walter ist Volljurist und Associate Partner bei der Personalberatung Rochus Mummert. Er sagt Sätze nicht mal so nebenher. Er sucht in aller Ruhe nach Erklärungen, spricht dann klar und präzise – und analysiert: "Erleidet ein Rechtsanwalt eine Niederlage, hinterfragt er sich natürlich, ob er eventuell einen Fehler gemacht hat." Immerhin. Allerdings würden Anwälte ihre Niederlage dann meist damit begründen, dass "die objektiv vorgegebenen Fakten zwingend zu einer Niederlage geführt haben". Für Selbstkritik bleibe da nicht viel Raum. Der Jurist als Opfer der Umstände? Eine Niederlage zwar, aber eine, die er nicht als solche empfindet, die ihn nicht wurmt? Schwer vorstellbar.

Supervision für Anwälte

Vielleicht helfen Definitionsversuche, um dem Thema näher zu kommen. Irmgard Göttler-Rosset etwa sagt: "Für eine Rechtsanwältin oder einen Anwalt bedeutet Niederlage zum Beispiel, wenn ich ein Gerichtsverfahren verliere, obwohl ich überzeugt war, dass ich richtig argumentiert und ich das Recht richtig interpretiert habe." Die Juristin arbeitet in Freiburg als Rechtsanwältin, Supervisorin und Mediatorin. Supervision – das kennt man eher aus der Psychologie. Zu Göttler-Rosset kommen dagegen überwiegend Mediatoren, die – zum Teil – selbst auch Anwälte sind. Sie sollen bei der Juristin das eigene Handeln reflektieren, sich ihrer eigenen Rolle bei der Entwicklung eines Rechtsstreits bewusst werden, den eigenen Verhandlungsstil optimieren. All das mit dem Ziel, ihre professionelle Kompetenz zu sichern und zu erweitern. Die Freiburger Supervisorin arbeitet mit der Methode der so genannten mediationsanalogen Supervision. Der Hilfesuchende soll letztlich Freiräume erhalten, sich für den eingeschlagenen oder einen anderen Weg zu entscheiden, wenn eine Sache festgefahren scheint. Etwa wenn in einem Familienrechtsfall bislang noch gar nicht klar ist, was der Mandant eigentlich will. Es ist unter Juristen ein bekanntes Phänomen aus dem Berufsalltag, dass ein streitiges Verfahren hängt. Der Anwalt merkt nicht mehr, dass der Fall eine Eigendynamik entwickelt. "Anstatt der außergerichtlichen Einigung, die eigentlich beide Anwälte angestrebt haben, geht es in die nächste Eskalationsstufe", erklärt Göttler-Rosset. Statt Schreiben und Reden folgt wechselseitiges Drohen, mit dem Gericht oder sonstigen negativen Folgen. "Wo ist dann mein Part? Eine wichtige Frage. Und da wäre Supervision ganz wichtig."

Auch Supervisoren unterliegen Berufsgeheimnis

Einen anderen Weg geht Rechtsanwalt Frank E. R. Diem aus Stuttgart. Mit seinen Kolleginnen und Kolleginnen in der Kanzlei praktiziert er den offenen Dialog. Auch in Zeiten von Niederlagen. "Wir reden über die Fälle und auch über das Menschliche, was damit zusammenhängt. Das hilft", sagt Diem. Unter Kollegen können Fälle ganz offen besprochen werden, weil das Berufsgeheimnis die gesamte Kanzlei umfasst. Supervision für Rechtsanwälte hält er indes für wenig praktikabel. Weil er sich dort öffnen müsse, könne er nicht gleichzeitig das anwaltliche Berufsgeheimnis wahren, so seine Befürchtung. Allerdings sind Supervisoren ebenfalls an ihr Berufsgeheimnis gebunden. Zudem seien Namen aus Akten bei Sitzungen der Einzel- sowie Gruppensupervision tabu, wie Göttler-Rosset versichert. Wenn ein Anwalt mit einem Fall, der besprochen wird befasst ist, nimmt er nicht an dieser Supervision teil und geht stattdessen solange raus.

Im Zweifel bei der Versicherung melden

Niederlagen? Für Rechtsanwalt Diem wird es etwa da schwierig, wo zwar ein Mandat existiert, im Verlauf der Zeit aber klar wird, dass der Mandant die anwaltliche Arbeit nicht wird bezahlen können, er aber gleichwohl dringend eine Vertretung bräuchte. "Da müssen Sie sich fragen, ob Sie einen Menschen in einer Lage zurücklassen, in der er eigentlich Hilfe benötigt", sagt Diem. In Diems Stuttgarter Kanzlei lernt jeder neue Kollege gleich zu Anfang: Ein Anwalt schuldet Rat, nicht nur Auskunft. Es sei deshalb auch keine Niederlage für seine Anwälte, wenn sie einen Fall aufgrund von Umständen verlieren, die sie ihrem Mandanten zuvor als mögliche Knackpunkte aufgezeigt haben. Einschätzungen, auf denen Ratschläge beruhen, beinhalten stets Risiken. Handelt ein Anwalt aber nach bestem Wissen und Gewissen, ist die Niederlage eine, die er aus seiner Sicht nicht zu vertreten hat. "Und dann empfindet er persönlich auch keinen Misserfolg", erklärt Bernhard Walter von Rochus Mummert. Seiner Ansicht nach kann man Misserfolg daher vielleicht auch an Begriffen wie 'schuldhaft' oder 'grob fahrlässig' festmachen. Fehler können immer passieren. Aber ein Rechtsanwalt hat eine Fürsorgepflicht gegenüber seinem Mandanten, muss ihn auf mögliche Risiken hinweisen, schuldet fachlich-korrekte Beratung, darf keine Fristen versäumen und muss für den Fall erhebliche Tatsachen stets vorbringen. Wer objektiv nicht korrekt gehandelt hat, meldet dies als guter Anwalt sofort seiner Berufshaftpflichtversicherung.

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