Anwalt zu verleihen
Weil der Mandant, eine international tätige Bank, einen deutschsprachigen Juristen mit Expertise im Bereich Litigation suchte, wurde Dr. Lars Teigelack von seinen Chefs bei White & Case angesprochen: Ob er sich vorstellen könne, ein paar Monate ins Ausland zu gehen und den Kunden, den man bisher extern beraten hatte, von innen zu unterstützen. Teigelack musste nicht lange überlegen und sagte zu.
Ein so genanntes Client Secondment machen zu dürfen, ist für junge Anwälte, die sich schon einige Jahre in der Kanzlei bewährt haben, oft eine willkommene Abwechslung, und gilt vielen als Zeichen beruflicher Anerkennung. Zudem bietet es die Möglichkeit, sich international zu vernetzen und ein Gespür für die Bedürfnisse der Mandanten zu entwickeln. Der Wunsch nach Secondments geht dabei meist von den Unternehmen aus. Sie nutzen dieses Modell gern, um personelle Engpässe in ihren Rechtsabteilungen zu überbrücken oder für einzelne, zeitlich begrenzte Projekte Experten ins Boot zu holen.
Die Kanzleien, die ihre Anwälte verleihen, müssen zwar für einige Monate auf die Arbeitskraft der Secondees verzichten, dafür erhalten sie sie aber anschließend mit neuen Kenntnissen und Erfahrungen zurück. Zudem trägt der personelle Austausch – so die Hoffnung – auch zu einer engen und langfristigen Bindung an den Mandanten bei. Große Unternehmen lassen Secondments häufig sogar in den Rahmenvertrag mit der Kanzlei aufnehmen: Indem das Unternehmen projektbezogen und zeitlich begrenzt Expertenwissen einkauft, kann es die eigenen Ressourcen schonen.
Der feine Unterschied: Client und Office Secondments
Neben diesen sogenannten Client Secondments gibt es auch Office Secondments, bei denen Anwälte innerhalb der (Groß-)kanzlei an andere Standorte ausgeliehen werden. Der Aufenthalt dauert in der Regel sechs Monate und findet meist in einem ausländischen Büro statt – auch hier vor allem, um das internationale Profil der Anwälte zu schärfen.
Nicht zuletzt dienen Secondments den Kanzleien dazu, attraktiv für den juristischen Nachwuchs zu bleiben. So gibt es etwa bei White & Case ein "Global Mobility Program", das den Associates der Kanzlei Auslandsaufenthalte gezielt ermöglichen und erleichtern soll.
"Während meines Studiums habe ich kein Auslandssemester gemacht, und so war es eine willkommene Gelegenheit, endlich Auslandserfahrungen zu sammeln", meint Ingrid Knollmeyer, die als Associate im Frankfurter Büro von White & Case arbeitet. Sie verbrachte zwischen Januar und Juli 2013 sechseinhalb Monate im Büro der Kanzlei in Palo Alto, wo sie ein M&A-Projekt begleitete.
Die Zeit im Silicon Valley war für sie nicht nur eine aufregende Erfahrung, sondern auch harte Arbeit: "Da man als deutscher Jurist ohne amerikanischen Abschluss in Kalifornien nach außen nicht als Anwalt auftreten darf, ähnelte mein Status am Anfang in vielerlei Hinsicht dem eines Trainees. Es ist viel Eigeninitiative gefragt, man muss gerade zu Beginn immer wieder auf sich aufmerksam machen und Einsatzbereitschaft zeigen. Mit der Zeit wuchs dann das Vertrauen und schließlich war ich für einen Teil eines Projekts maßgeblich verantwortlich und betreute den Mandanten allein in Los Angeles."
Arbeiten im Akkord: Dauerfeuer quer durch die Zeitzonen
Außer Kofferpacken gab es für die Anwältin im Vorfeld nicht viel zu tun: "Die Kanzlei besitzt ein eigenes Team, das von der Unterkunft über die Krankenversicherung bis zur Steuererklärung alles organisiert. Nur um das Visum musste ich mich persönlich kümmern, wurde aber auch dabei von unseren Mitarbeitern unterstützt." Zusätzlich spendierte der Arbeitsgeber einen einwöchigen Heimaturlaub.
In ihrem Büro in Palo Alto war sie zwar über neuntausend Kilometer von den Kollegen in Deutschland entfernt – Aufträge aus der Heimat gingen dennoch bei ihr ein. Am Ende des deutschen Arbeitstages schickte das Frankfurter Büro ihr das, was liegen geblieben war. Knollmeyer konnte die Schreiben dann in Ruhe fertigstellen – sehr zum Leidwesen der gegnerischen Partei: "Bei einem Projekt war die Gegenseite mitunter rund um die Uhr unserem Dauerfeuer ausgesetzt."
Eine Erfahrung, die Ingrid Knollmeyer aus ihrer Zeit in Kalifornien mitgenommen hat: "In Deutschland verhandelt man lange, bevor man sich einig wird, um spätere Auseinandersetzungen vor Gericht möglichst zu vermeiden. In Amerika möchte man in der Regel eher schnell zum Abschluss kommen und schaut dann in den Vertrag, um Anhaltspunkte für eine Klage zu finden."
Mal in die Rechtsabteilung reinschnuppern
Auch ihr Kollege Teigelack hat von seinem Client Secondment in London prägende Erinnerungen zurück in sein deutsches Büro gebracht: "Während wir uns in der Kanzlei sehr gründlich Gedanken machen, wie ein juristisches Problem gelöst werden kann, muss es in Rechtsabteilungen häufig schnell gehen. Die Ideen der Fachabteilungen sollen möglichst zügig umgesetzt, juristische Hürde überwunden werden." Dadurch sei der Tagesablauf im Unternehmen im Vergleich deutlich intensiver, erstrecke sich aber, anders als in der Kanzlei, auch seltener in die Abend- und Nachtstunden.
Eine etwas andere Art von Secondment hat Dr. Sebastian Naber, Anwalt bei Freshfields in Hamburg, Anfang 2014 gemacht. Sein Fachgebiet, das Arbeitsrecht, eignet sich für Secondments im Ausland weniger gut: Die Materie ist zu stark national geprägt, der Bedarf nach grenzüberschreitendem Austausch relativ gering. Stattdessen wurde er für drei Monate an das Düsseldorfer Büro der Sozietät ausgeliehen, um die Zusammenarbeit mit den dortigen Kollegen zu stärken.
"Bei uns ist es an der Tagesordnung, dass die Anwälte nach den ersten Berufsjahren für einige Monate an einen anderen deutschen Standort geschickt werden, um dort ihren beruflichen Horizont zu erweitern und ihre persönlichen Kontakte mit den Kollegen auszubauen", so Naber.
Doch egal, ob In- oder Ausland, Mandant oder eigene Kanzlei: In den sonst recht festgefahrenen Bahnen des Großkanzleidaseins bieten Secondments die Möglichkeit, für ein paar Monate auszubrechen und ein anderes Umfeld mit einer oft anderen Arbeitsweise kennenzulernen. Danach nimmt der Chef einen auch gerne wieder zurück – wenn man denn noch will…
Die Autorin Julia Ruwe studiert Jura in Hamburg.
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2014 M09 10
Anwaltsberuf
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