Wie sich der Arbeitsmarkt für Juristen verändert hat

"Kanz­leien und Unter­nehmen sollten den Wandel mit­ma­chen"

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 5 Minuten

Vier-Tage-Woche, Homeoffice, flexible Arbeitszeiten – auch Juristen haben klare Ansprüche an Arbeitgeber. Wie reagieren Kanzleien und Unternehmen? Das erklärt Cora Heckelmann, die das Legal-Team von Michael Page Deutschland verantwortet.

LTO: Frau Heckelmann, als große Personalberatung suchen Sie im Auftrag von Kanzleien und Unternehmen nach passenden Fach- und Führungskräften – wie hat sich der Markt durch die Corona-Pandemie verändert?

Cora Heckelmann: Der Markt ist bedeutend schneller geworden, gleichzeitig aber auch unverbindlicher. Kandidat:innen, aber auch Unternehmen und Kanzleien erklären sich schnell zu einem ersten Gespräch bereit, denn das ist – gerade, weil es oft virtuell stattfindet – mit wenig Aufwand verbunden. Ob danach ein Wechsel eingegangen wird oder es zu einem Angebot kommt, bleibt bis zuletzt offen.

Gleichzeitig bemerken wir, dass die Arbeitnehmer:innen dem alten Arbeitgeber gegenüber weniger loyal sind. Das liegt aus unserer Sicht hauptsächlich an der digitalen Zusammenarbeit. Zwar hat Homeoffice viele Türen geöffnet und das Thema Flexibilität angetrieben, man trifft sich aber wiederum auch seltener auf dem Flur im Büro oder kommt an der Kaffeetheke ins Gespräch. Dadurch treten wichtige Aspekte wie die Unternehmenskultur vermehrt in den Hintergrund. Das, was womöglich den Unterschied zwischen Arbeitgeber A und Arbeitgeber B ausgemacht hat, wird deshalb weniger ersichtlich.

Welche Auswirkungen haben die geänderten Marktbedingungen für Ihre Arbeit?

Seit mehreren Jahren bemerken wir, dass der Markt von einem rein mandatsorientierten Arbeitsmarkt mit einem hohen akquisitorischen Anteil zu einem bewerbergetriebenen Markt geworden ist. Das bedeutet, dass die Kanzleien und Unternehmen viel schneller sein müssen, um Talente für sich zu gewinnen.

Gute Bewerber:innen haben am Ende mehrere Angebote, zwischen denen sie sich entscheiden können. Hinzu kommt in den meisten Fällen noch ein Gegenangebot des aktuellen Arbeitgebers. Das hat unseren Beruf verändert. Wir sind heute vor allem auch Projektmanager:innen bzw. Recruiter:innen.

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"Überdurchschnittliche Examina sind immer noch die Eintrittsschwelle"

Wie reagieren Kanzleien und Unternehmen auf diese Veränderungen?

Die meisten Kanzleien und Unternehmen haben die Veränderungen gut adaptiert und die Prozesse entsprechend umgestellt – von langen Entscheidungsprozessen und langfristigen Terminvereinbarungen hin zu virtuellen Treffen, die schnell koordiniert werden.

Wir sehen aber auch klare Unterschiede: Unternehmen haben die Prozesse besser adaptiert als viele Sozietäten – diese müssen sich agiler zeigen, wenn sie potenzielle Mitarbeiter:innen für sich gewinnen wollen.

Haben sich die Ansprüche der Kanzleien an Bewerber:innen in den vergangenen Jahren geändert?

Auch heutzutage helfen – zumindest in vielen Kanzleien – überdurchschnittlich gute Examina über die Eintrittsschwelle. Das kann durch Stationen während des Referendariats, eine Promotion bzw. einen LL.M oder Auslandsaufenthalte ergänzt werden. Dennoch legen Arbeitgeber weiterhin viel Wert auf die Noten, insbesondere in der Zusammenarbeit mit einer Personalberatung. Von uns erwartet man, dass wir dazu in der Lage sind, spannende Kandidat:innen zu identifizieren.

Auch die Persönlichkeit und das Match zum Team und zur Kanzleikultur spielen eine große Rolle. Es muss auf der persönlichen Ebene passen, denn nur so können neue Kolleg:innen zur gelebten Unternehmenskultur beitragen. Eine sehr gute fachliche Ausbildung ist wichtig, aber nicht allein ausschlaggebend.

"Die Work-Life-Balance wird für Bewerber immer wichtiger"

Was erwarten die Bewerber:innen von ihren Arbeitgebern?

Das Thema Work-Life-Balance wird zunehmend wichtiger. Natürlich gibt es immer noch viele Kandidat:innen, deren Ziel es ist, viel Geld zu verdienen und die Karriereleiter zu erklimmen. Das erfordert nicht nur eine entsprechende Leistung, sondern oft auch die Bereitschaft, viel dafür zu arbeiten. Heutzutage rücken jedoch Zeit für Familie, Freunde und Hobbys wieder verstärkt in den Vordergrund. Eine Vier-Tage-Woche ist eine interessante Option – nicht nur für Eltern. Flexibles Arbeiten und Homeoffice sind genauso relevant.

Wichtige Faktoren sind zudem der Ruf der Kanzlei bzw. des Unternehmens, die Weiterentwicklungsmöglichkeiten, das Gehalt und auch der Mandantenkontakt. Viele Bewerber:innen betrachten auch das Engagement der Kanzlei bzw. Unternehmen in Sachen Environmental Social Governance (ESG) und die Atmosphäre im Team. Das sind wichtige Aspekte, wenn es um die Entscheidung für oder gegen eine Stelle geht.

Welche juristischen Jobs sind bei den Bewerber:innen – nach Ihrer Erfahrung – am beliebtesten?

Die Beliebtheit ist weniger abhängig von den Themen als von den sonstigen Rahmenbedingungen. Der Berufswunsch hängt von den Erfahrungen im Referendariat ab; etwa, welche Wahlstation man absolviert hat und in welchen Kanzleien man gute Mentor:innen hatte oder spannende Mandate mitbetreuen konnte.

"Inzwischen bieten auch Kanzleien Vier-Tage-Wochen an"

Wie reagieren die Arbeitgeber auf die veränderten Vorstellungen der Bewerber:innen?

Ganz unterschiedlich. Inzwischen haben wir einige Kund:innen auf Kanzleiseite, die eine Vier-Tage-Wochen anbieten. Nicht nur für Anwält:innen mit Kindern, sondern auch für diejenigen, die Arbeitsstunden aus anderen Gründen reduzieren möchten.

Viele Unternehmen setzen mittlerweile vollständig auf Remote Work – auf Kanzleiseite ist das allerdings seltener der Fall.

Welche Art von Kanzlei bietet am ehesten flexible Arbeitsmodelle wie die Vier-Tage-Woche an – eher kleine Boutiquen oder auch große Wirtschaftskanzleien?

Das ist themen- und vorgesetztenabhängig.

Wir können nur dazu ermuntern, sich gegenüber Trends zu öffnen und Modelle zu entwickeln und anzubieten, die den Talenten in der entsprechenden Lebensphase entgegenkommen. Denn unsere Erfahrung zeigt, dass sich individuelle Vorstellungen innerhalb des Berufslebens oft ändern. Es ist also möglich, dass Arbeitgeber heute Personen in Teilzeit einstellen, die in fünf Jahren auf Vollzeit umstellen. Das sind strategische Entscheidungen, die immer in die Zukunft gerichtet sein sollten.

"Beim Gehalt wird der Unterschied zwischen Kanzleien und Unternehmen immer größer"

Wie sieht die Gehaltsentwicklung aus?

Die Gehälter sind in den vergangenen Jahren besonders in den größeren Kanzleien stark angestiegen. Demnächst steht die nächste Welle der Gehaltserhöhungen an – der Fokus liegt also darauf, herausragende Talente für sich zu gewinnen und entsprechend attraktive Gehälter zu bezahlen.

Gleichzeitig bezahlen Kanzleien oft merklich mehr als Unternehmen. Darauf müssen sich Anwält:innen einstellen, wenn sie über einen Wechsel nachdenken.

Reagieren die Unternehmen auch mit Gehaltserhöhungen?

Die Gehaltserhöhungen in den Unternehmen sind weniger prägnant – allerdings werden sie auch nicht so explizit kommuniziert wie bei Kanzleien. Dennoch müssen auch die Unternehmen reagieren, denn in allen Bereichen ziehen die Gehälter an.

"Beide Seiten sollten ihre Vorstellungen klar kommunizieren"

Welche Tipps können Sie Bewerberinnen und Bewerbern geben, um ihre Vorstellungen im Gespräch zu kommunizieren?

Wir als Personalberatung sind oft der erste Kontaktpunkt für Bewerber:innen und wünschen uns eine klare Kommunikation sowie Transparenz von Beginn an. Es ist für uns wichtig, schon im ersten Gespräch die Wünsche der Bewerber:innen in Bezug auf das Gehalt, die Familiensituation und die Karriereplanung zu erfahren. Nur so können wir ein passendes Match mit einem potenziellen Arbeitgeber herstellen. Denn oft scheitert es am Ende daran, dass klare Vorstellungen nicht oder zu spät kommuniziert werden – von beiden Seiten.

Welche Tipps haben Sie für Kanzleien und Unternehmen?

Kanzleien und Unternehmen sollten den Wandel mitmachen – und sich strategisch überlegen, welchen Forderungen der Bewerber:innen sie nachkommen können und wollen.

Aus unserer Sicht wird Flexibilität immer wichtiger, um Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten. Deshalb müssen sich Arbeitgeber regelmäßig fragen, wie fortschrittlich und attraktiv sie für potenzielle Arbeitnehmer:innen sind und was sie tun müssen, um sichtbar auf dem Markt zu sein und zu bleiben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Cora Heckelmann ist seit 2011 bei der PageGroup tätig. Als Senior Director am Standort Frankfurt verantwortet sie die Divisionen Legal, Financial Services, sowie Finance & HR.

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