Notarberuf

"Viele Man­danten kommen bewusst zu mir als Frau"

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 6 Minuten

Nicola Hoischen ist Notarassessorin und ehemalige Hauptgeschäftsführerin der Bundesnotarkammer, Lisa M. Sönnichsen hat ein eigenes Notariat in Hamburg. Im Interview erzählen beide, warum Frauen sich mehr trauen sollten.

LTO: Frau Sönnichsen, Sie waren zuerst vier Jahre lang Anwältin in einer Großkanzlei und auch Steuerberaterin. Wieso haben Sie sich danach dazu entschieden, Notarin zu werden?

Sönnichsen: Notarin zu werden war - wie wahrscheinlich viele Dinge im Leben - eine Kombination aus guter Vorbereitung, gutem Timing und ein bisschen Glück. In einer Phase meiner Karriere, in der ich nach dem Steuerberaterexamen gefühlt viele graue Haare bekommen hatte und offen für Neues war, habe ich durch Zufall Kontakt zu zwei Notarinnen geknüpft. Beide haben mir mit viel Begeisterung davon berichtet, wie toll der Beruf der Notarin sei – gerade als Frau.

Zu Beginn meiner Karriere hatte ich mich bewusst für eine Großkanzlei entschieden, weil mich die spannenden Mandate und die internationale Ausrichtung gereizt haben. Schon während des Studiums und des Referendariats hatte ich in Großkanzleien gearbeitet und hatte viel Freude daran. Ich war anfangs im Steuer- und Gesellschaftsrecht tätig, konzentrierte mich dann aber auf das Steuerrecht einschließlich Steuerberaterexamen. Seit 2014 war ich Steuerberaterin. Die zunehmende Spezialisierung mit höherer Seniorität war irgendwann nicht mehr das Richtige für mich. Ich habe Freude an vielfältigen Aufgabenstellungen.

Ich habe mich daraufhin immer mehr mit dem Notarberuf beschäftigt und die Kombination von anspruchsvoller Juristerei, Vielfältigkeit der Tätigkeit und praktischer Relevanz des Berufes haben mich überzeugt. Der Anwärterdienst zum Notar beansprucht nach zwei Staatsexamen und dem Steuerberaterexamen natürlich noch einmal Zeit, aber aufgrund der praktischen Ausbildung und dem klaren Ziel vor Augen lohnt sich der Aufwand. Nach dreijährigem Anwärterdienst und einer Babypause bin ich im Jahr 2019 zur Notarin bestellt worden und habe mein Notariat im Hamburger Westen gegründet.

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"Der Frauenanteil im Beruf könnte höher liegen"

In Deutschland gibt es ja viel mehr Anwaltsnotarinnen und -notare als Nur-Notarinnen und -notare. Und nur sehr wenige Frauen entscheiden sich dazu, Nur-Notarin zu werden. Können Sie sich vorstellen, woran das liegt?

Dr. Hoischen: Die von Ihnen angesprochene höhere Anzahl von Anwaltsnotarinnen- und notaren im Vergleich zu Nur-Notarinnen und -Notaren geht auf die unterschiedlichen Notarverfassungen in Deutschland zurück. Anwaltsnotarinnen und -notare üben neben dem Notarberuf noch den Anwaltsberuf aus. Nur-Notarinnen- und -notare tun dies nicht, daher gibt es von ihnen viel weniger.

Richtig ist, dass der Frauenanteil im Notarberuf insgesamt höher liegen könnte. Teilweise besteht die Befürchtung, dass sich die freiberufliche Tätigkeit nicht gut mit einer Familie vereinbaren lässt. Dabei ist insbesondere der Anwärterdienst im Bereich des Nur-Notariats sehr familienfreundlich ausgestaltet. Teilzeit und Elternzeit sind wie in der Justiz möglich.

Durch den aktuellen Reformvorschlag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz soll diese Vereinbarkeit weiter gestärkt werden. So können Notarinnen und Notare zukünftig ihr Amt zum Zwecke der Betreuung minderjähriger Kinder bis zu drei Jahre niederlegen mit der Garantie, am gleichen Amtssitz wiederbestellt zu werden.

Was mögen Sie besonders an Ihrem Beruf?

Sönnichsen: Ganz klar die Vielfalt, die sich aus dem menschlichen Miteinander ergibt. Neulich habe ich an einem Tag vier Kaufverträge beurkundet. Die rechtliche Thematik wiederholt sich dabei, aber jeder Termin war aufgrund der unterschiedlichen Vertragsparteien anders. So ergibt sich viel Abwechslung im Berufsalltag.

Ich lerne viele verschiedene Persönlichkeiten kennen und schätze das Vertrauen, das mir entgegengebracht wird. Ich bin seit gut zwei Jahren Notarin und habe schon jetzt Mandantinnen und Mandanten, die ich in ganz unterschiedlichen Lebensphasen begleiten durfte. Mancher kommt zunächst für eine Unterschriftsbeglaubigung zu mir und kommt dann im Zuge der Hochzeit für eine Beratung zum Thema Ehevertrag oder eines Immobilienkaufs wieder.

Dr. Hoischen: Auch ich mag eindeutig die Vielseitigkeit des Notarberufs. Das betrifft sowohl die unterschiedlichen Rechtsgebiete, in denen Notarinnen und Notare tätig werden, als auch die konkreten Beratungssituationen. Geht es am Vormittag etwa noch um die Beratung von Start-up-Unternehmern zur Gründung, steht am Nachmittag die Beratung von einer älteren Dame für ihr Testament an, die ihren Lebensabend auf Mallorca verbringen möchte.

Frau Sönnichsen, in Ihrem Notariat in Hamburg "unter weiblicher Führung", wie Sie auf Ihrer Homepage betonen, arbeiten ja nur Frauen. Gibt es dafür einen Grund?

Sönnichsen: Ich würde mir mehr Diversität wünschen. Genauso, wie ich mir mehr Frauen im Notarberuf wünsche, sollte es mehr männliche Notarfachangestellte geben. Gleichberechtigung sollte auf allen Ebenen stattfinden. Leider gibt es sehr wenige Frauen auf Notarebene und noch viel weniger Männer als Notarfachangestellte. Ich habe keine einzige Bewerbung eines Mannes erhalten.

Die Aussage hinsichtlich des Notariats "unter weiblicher Führung" habe ich sehr bewusst auf meiner Homepage platziert. Aufgrund des öffentlichen Amtes, welches man als Notarin bzw. Notar bekleidet, hat man eingeschränkte Möglichkeiten, wenn man sich neu etablieren will. Für den juristischen Laien wird unsere Dienstleistung, die in erster Linie in der notariellen Urkunde zum Ausdruck kommt, als relativ austauschbar wahrgenommen. Die gesetzlichen Vorgaben sorgen dafür, dass zum Beispiel ein Immobilienkaufvertrag bestimmten Anforderungen genügen muss. Das ist richtig und wichtig.

Die Gestaltungsmöglichkeiten, die ich hatte, wollte ich natürlich nutzen und mich mit meinem Auftreten an einem Start-up orientieren: modern, dienstleistungsaffin und zeitgemäß; ein Team unter weiblicher Führung zählt da sicherlich zu.

"Frauen in Führungspositionen verlangen vermehrt nach Beratung durch Frauen"

Frau Sönnichsen, wie ist es, als Frau Notarin zu sein? Gibt es Mandantinnen und Mandanten, die bewusst zu Ihnen kommen, weil Sie eine Frau sind? Oder gibt es Leute, die Vorbehalte haben?

Sönnichsen: Ich finde es ganz wunderbar, als Frau Notarin zu sein. Ich selbst wurde noch nicht mit Vorbehalten konfrontiert, aber das liegt vielleicht auch daran, dass ich als Einzelnotarin tätig bin. Die Mandantinnen und Mandanten kommen also bewusst zu mir. Ob Kolleginnen, die in größeren Notariaten arbeiten, häufiger mit Vorurteilen zu kämpfen haben, kann ich nicht abschließend beurteilen

Es gibt aber natürlich Themen, bei denen meine Mandantinnen und Mandanten sagen, dass sie sich bei einer Frau besser aufgehoben fühlen, zum Beispiel wenn sich Frauen beim Abschluss eines Ehevertrags absichern möchten. Auch hier wird wieder deutlich, dass wir bis zur Gleichberechtigung noch etwas Wegstrecke vor uns haben: Warum sollte ein männlicher Notar nicht ebenso gut und gern Themen aus dem Familienrecht bearbeiten? Warum sind die Notarinnen insbesondere gefragt, wenn es um Kümmern und Vorsorge geht?

Ich bemerke aber schon einen gewissen Wertewandel, der mich sehr freut: Je mehr Frauen in Führungspositionen am Berufsleben teilnehmen, umso mehr fordern sie, von Frauen beraten zu werden. Sie möchten Netzwerke schmieden und sich im Sinne der Diversität von einer Frau notariell begleiten lassen.

Frau Dr. Hoischen, Sie sind ja nicht nur Notarassessorin, sondern auch Hauptgeschäftsführerin der Bundesnotarkammer (BNotK)*. Was haben Sie dort für Aufgaben?

Dr. Hoischen: Die BNotK vertritt die deutschen Notarinnen und Notare im nationalen und internationalen Bereich. Als Hauptgeschäftsführerin bin ich zum einen für die Gesamtorganisation der Kammer verantwortlich, kümmere mich also beispielsweise um Mitarbeiterbelange und den Haushalt, zum anderen bin ich aber auch für berufspolitische Themen zuständig. Wir geben Stellungnahmen zu Gesetzgebungsvorhaben ab und verfassen Rundschreiben an die Notarkammern.

Zugleich ist eine meiner wesentlichen Aufgaben, gemeinsam mit dem Präsidenten der BNotK unsere Standpunkte in Gesprächen mit Ansprechpartnern in den Bundes- und Landesministerien sowie mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu vertreten.

Und zum Schluss noch eine Frage für die Nachwuchsförderung: Was würden Sie jungen Frauen mit auf den Weg geben, die überlegen, eine Kanzlei oder ein Notariat zu gründen?

Sönnichsen: Grundsätzlich gilt: Sich trauen! Das ist meines Erachtens allgemein ein Thema für Frauen. Auch ich habe vor der Gründung meines Notariats überlegt, ob ich das überhaupt schaffen kann. Irgendwann muss man einfach den Sprung ins kalte Wasser wagen, gerade, wenn es um eine Selbstständigkeit geht. Wenn man wirklich Notarin werden will, muss man sich im Studium und Referendariat natürlich reinhängen, damit die Noten stimmen. Nichtsdestotrotz sollte man auch immer offen bleiben für andere Dinge.

Es hilft selbstverständlich, schon mal Praktika oder eine der Referendarstationen bei einem Notar zu machen. Das ist nicht zwingend – ich hatte zum Beispiel vorher gar keine Berührungspunkte mit dem Notarberuf. Aber bei den Auswahlgremien sind praktische Erfahrungen natürlich ein Pluspunkt.

Ich würde mich immer wieder für das Notariat entscheiden und mich über mehr Frauen in meiner Position sehr freuen. Deswegen ist es mir sehr wichtig, für meinen Beruf zu werben und andere Frauen zu ermuntern.

Frau Dr. Hoischen hat die Fragen schriftlich beantwortet.

*Zum Zeitpunkt des Interviews war Frau Dr. Hoischen noch Hauptgeschäftsführerin der BNotK, zum 01.07.2021 ist ein Wechsel in der Geschäftsführung erfolgt. Ergänzt am 05.07.2021, 14:00 Uhr (Red.)

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