Dolmetscher und Übersetzer bei Gericht
Das Recht auf Verstehen
Manchmal kann es kniffelig werden: "Herr Vorsitzender, ich habe das Gefühl, der Angeklagte versteht nicht, was ich ihm sage." Vor der Dolmetscherin saß ein Mann aus Afrika. Da sein Land früher eine französische Kolonie war, ging das Gericht davon aus, dass er Französisch sprach – also wurde eine französische Dolmetscherin beauftragt. Es stellte sich allerdings heraus, dass der Angeklagte die Kolonialsprache nur rudimentär verstand. Also musste ein Dolmetscher gefunden werden, der den afrikanischen Dialekt des Angeklagten beherrschte. Die Verhandlung konnte erst mit einiger Verspätung fortgesetzt werden.
"Solche schwierigen Fälle kommen selten vor", berichtet Dr. Wolfgang Schorn, Pressesprecher und Strafrichter am Amtsgericht Köln, der häufig mit Dolmetschern zusammenarbeitet. In der Regel ist anhand der Anklageschrift zu erkennen, welche Nationalität der Angeklagte hat, oder der Blick ins Vernehmungsprotokoll zeigt, in welcher Sprache er von der Polizei vernommen wurde.
Entsprechend werden die Dolmetscher ausgewählt. In der Regel funktioniert das auch sehr gut. Für die Suche nach passenden Dolmetschern und Übersetzern steht den Landesjustizverwaltungen eine Datenbank mit den beeidigten, öffentlich bestellten beziehungsweise allgemein ermächtigten Dolmetschern und Übersetzern in allen erdenklichen Sprachen zur Verfügung. "Nur für Gebärden oder bei seltenen Sprachen, wie Mongolisch oder bestimmten arabischen Dialekte, sind qualifizierte Dolmetscher rar", so Schorn.
Vor Gericht sollten nur Dolmetscher und Übersetzer auftreten, die sich entsprechend qualifiziert haben. "Eine gute Voraussetzung für die Tätigkeit bei Gericht beziehungsweise im Rechtsbereich ist eine allgemeine Ausbildung zum Dolmetscher oder Übersetzer durch ein mehrjähriges Studium, vorzugsweise mit dem Sachfach Jura", erklärt Dr. Thurid Chapman, die beim Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) für das Ressort "Dolmetschen und Übersetzen für Justiz- und Polizeibehörden" verantwortlich ist. "Es gibt aber auch Quereinsteiger, die ein Jura- oder ein anderes Studium absolviert und gegebenenfalls bereits in einem juristischen Beruf gearbeitet haben. Diese können sich zum Dolmetscher oder Übersetzer weiterbilden und eine staatliche Dolmetscher-/Übersetzerprüfung ablegen. Gesetzlich vorgeschrieben ist ein Jurastudium nicht."
Besondere fachliche Befähigung und persönliche Eignung
Die Voraussetzungen für eine Beeidigung beziehungsweise Ermächtigung sind je nach Bundesland unterschiedlich. Allen Ländern gemeinsam ist jedoch, dass beeidigte Dolmetscher und Übersetzer in der Regel ihre besondere fachliche Befähigung und persönliche Eignung für die Sprachmittlung bei Gerichten, Behörden und Notaren nachgewiesen haben. Sie werden zur Verschwiegenheit verpflichtet und müssen beeiden, dass sie gesprochene oder geschriebene Texte treu und gewissenhaft in die jeweils andere Sprache übertragen. Ihren Eid können sie bei einem Landgericht, einem Oberlandesgericht oder einer Innenbehörde ablegen. Er ist gemäß § 189 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vor allen Gerichten des Bundes und der Länder gültig.
"Die meisten Justiz-Dolmetscher und -Übersetzer arbeiten freiberuflich. Deutsche Gerichte haben nämlich – im Gegensatz zu einigen Behörden und Ministerien und auch zum Europäischen Gerichtshof – keine eigenen Sprachendienste", weiß Thurid Chapman.
Das Honorar ist über das Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) geregelt. Die Stundensätze für Dolmetscher liegen bei 75 Euro für simultanes Dolmetschen und 70 Euro für zeitversetztes Dolmetschen. Übersetzungen werden nach Zeilenumfang abgerechnet. Ein Problem sieht Thurid Chapman bei den Übersetzungsagenturen, über die Gerichte immer häufiger Dolmetscher und Übersetzer laden. "Die Agenturen geben nur einen Teil der Honorare an die eingesetzten freien Mitarbeiter weiter. Sie erhalten also weniger, als ihnen laut JVEG zusteht", erklärt die BDÜ-Expertin. "Außerdem ist bei einer Unterbeauftragung durch Agenturen nicht auf den ersten Blick nachvollziehbar, ob die Dolmetscher und Übersetzer überhaupt qualifiziert sind."
Bei Bedarf Begriffe umschreiben
Auch Olga Dziuba ärgert sich über Gerichte, die Agenturen beauftragen. Die 53-jährige Ukrainerin hat in ihrer Heimat Germanistik studiert und anschließend in Reise- und Dolmetscherbüros gearbeitet. 1994 kam sie nach Deutschland und ließ sich durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Hamm als Übersetzerin für die deutsche, ukrainische und russische Sprache ermächtigen. "Das Thema Recht hat mich sehr gereizt", sagt Olga Dziuba. "Um die rechtlichen Begriffe und Zusammenhänge noch besser zu verstehen und tiefer in die Rechtsmaterie einzutauchen, habe ich an einer Fernuni in der Ukraine ein Jurastudium absolviert."
In der Praxis hat sie gelernt, dass es für manche deutschen Rechtsbegriffe kein passendes Pendant in der ukrainischen oder der russischen Sprache und umgekehrt gibt. "Dann muss ich in der Lage sein, den Begriff zu umschreiben." Olga Dziuba dolmetscht nicht nur vor Gericht, sondern begleitet zum Beispiel auch Rechtsanwälte zu Mandantengesprächen ins Gefängnis. Auch die Übersetzung von Anklageschriften, Straf- oder Haftbefehlen, Verträgen oder Vollmachten fällt in ihren Aufgabenbereich, zum Beispiel dann, wenn Behörden oder Institutionen eine beglaubigte Übersetzung verlangen.
Olga Dziuba ist als zuverlässige Dolmetscherin bei Gericht gern gesehen. Wolfgang Schorn vom Amtsgericht Köln hat jedoch auch schon mit Dolmetschern zusammengearbeitet, bei denen es weniger gut funktioniert hat. "Wenn jemand beim Dolmetschen zu laut spricht, stört das den Richter und die anderen im Saal, weil man immer zwei Stimmen parallel hört", nennt er ein Beispiel. In einem anderen Fall kam es vor, dass ein Dolmetscher die Aussagen, die er übersetzen sollte, selber bewertet hat. "Es ist unabdingbar, dass ein Dolmetscher möglichst wörtlich übersetzt. Sollte es notwendig sein, weitere Erklärungen hinzuzufügen, ist es hilfreich, wenn der Dolmetscher den Richter darauf hinweist."
Denn das Problem beim Einsatz von Dolmetschern vor Gericht ist: In der Regel verstehen die Richter und Staatsanwälte die fremden Sprachen nicht, sodass sie dem Dolmetscher voll vertrauen müssen. "Genau deshalb ist für diese Berufsgruppe eine Beeidigung so wichtig", betont Schorn. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass ein Dolmetscher nicht beeidigt war, kann dies ein Revisionsgrund sein. "Ohne Dolmetscher ist für Menschen, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, kein fairer Prozess möglich", betont auch Thurid Chapman vom BDÜ. Daher empfiehlt sie, "grundsätzlich in allen Bereichen und Branchen – also etwa auch in Wirtschaft, Politik oder, Gesundheitswesen – darauf zu achten, dass nur Dolmetscher und Übersetzer mit nachgewiesener Qualifizierung beauftragt werden".
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Thema:
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