Cum-Ex

Das droht den bera­tenden Anwälten

Gastbeitrag von Prof. Dr. Volker RömermannLesedauer: 7 Minuten

Erste Urteile zeigen wenig Verständnis für die Beteiligung an Cum-ex-Deals. Anwaltlichen Beratern drohen jenseits des Strafrechts auch berufsrechtlich zuweilen einschneidende Konsequenzen. Und was ist mit der Haftung, fragt Volker Römermann.

Cum-ex, das war die Kunst magischer Geldvermehrung. Einmal Steuern zahlen, sich diesen Betrag dann mehrfach erstatten lassen: So einfach war es selten, als Steuerzahler zu verdienen. Jahrelang hat der deutsche Staat gebraucht, um die Gesetzeslücke, auf welche die Berater ihr Geschäft aufbauten, zu schließen. Dem Staat bekannte Lücken, jahrelang fehlende Reparatur: Riecht das nicht geradezu nach einer Gelegenheit für pfiffige Berater, ihren Mandanten zu Einnahmen zu verhelfen?

Zuweilen werden in der öffentlichen Diskussion berufsrechtliche mit ethischen Fragestellungen vermischt. War es nicht unethisch, wird da erwogen, dass Berater in rechtlichen Grauzonen Wege frei zu machen trachteten, um Steuern zu sparen? Man kennt diese Debatte auch aus anderen Zusammenhängen, etwa: Ist es moralisch einwandfrei, wenn international agierende Konzerne ihren Sitz in Länder verlagern, wo sie niedrig besteuert werden, und Berater dabei Unterstützung leisten? Sind nicht Rechtsanwälte als "Organe der Rechtspflege" (§ 1 BRAO) gehalten, die gesellschaftlichen und staatlichen Belange ebenso im Blick zu behalten wie die Individualinteressen ihrer Klientel?

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Ethik und das Organ der Rechtspflege

Derartigen Betrachtungen liegt ein grundlegendes Fehlverständnis des Anwaltsberufs zugrunde. Mitnichten wäre es die Aufgabe der Anwälte, im Sinne des pekuniären Staatswohles, zugunsten des Fiskus also, zu beraten. Richtig ist: Rechtsanwälte erfüllen ihre Aufgabe als Organe der Rechtspflege, indem sie den Interessen ihrer Mandanten zur Durchsetzung verhelfen. Würde ein Berater Möglichkeiten erkennen, wie ein Mandant Steuern sparen könnte, und würde er darauf nicht hinweisen, so würde er gegen seine Pflichten aus dem Beratungsverhältnis verstoßen und sich schadensersatzpflichtig machen.

Rechtsanwälte sind keine Vormünder ihrer Mandanten. Berater beraten, Mandanten handeln. Aufgabe des Beraters kann es daher nicht sein, Steuerverkürzung gleich einer Verfolgungs- oder sonstigen staatlichen Behörde zu unterbinden und dagegen einzuschreiten. Die Aufgabe besteht vielmehr lediglich darin, korrekt zu beraten. Wenn etwa in einem Rechtsgutachten der Meinungsstand korrekt dargestellt, eine sorgfältige, auf den anerkannten juristischen Methoden basierende Abwägung vorgenommen und ein Ergebnis dargestellt wird, welches mehrere Optionen aufzählt und jeweils die gehörigen Warnhinweise enthält, so ist das saubere juristische Arbeit. Und es ist auch dann nicht zu verdammen, wenn sich eine der Varianten im Nachhinein als diejenige herausstellt, welche die Rechtsprechung für nicht gangbar hält.

Die rote Linie wird dort überschritten, wo ein Berater Warnungen, die sich hätten aufdrängen müssen, unterlässt oder Risiken bewusst marginalisiert oder wo er sehenden Auges in Kauf nimmt, dass seine Beratung in eine strafbare Steuerverkürzung mündet. Vorsatz ist hier das entscheidende Element.

Berater müssen sich und ihre Mandanten nämlich nicht darauf beschränken, unentwegt auf "ausgetretenen Pfaden" unterwegs zu sein, also immer nur die vom BFH bereits anerkannte Variante zu nehmen. Sie dürfen kreativ sein, Lücken suchen und nutzen, neue Gestaltungen ersinnen. Nur bei vorsätzlicher Steuerverkürzung dürfen sie nicht mitmachen, sonst begeben sie sich selbst in die Strafbarkeit. Sei es als Anstifter, Beihilfe Leistender oder gar Mittäter.

Bestrafung nach der Bestrafung

Wird ein Rechtsanwalt strafrechtlich verurteilt, hat es damit oft nicht sein Bewenden. Das anwaltliche Berufsrecht enthält zwar keine konkreten Verbote, zu betrügen oder Steuern zu verkürzen. Aber nach § 43 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) hat der Rechtsanwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich der Achtung und des Vertrauens, die seine Stellung erfordert, würdig zu erweisen.

Auf dieser Grundlage prüfen Kammern und Anwaltsgerichte  den sog. "berufsrechtlichen Überhang" und verhängen sodann eine Art Zweit-Sanktion aus dem Arsenal, das die BRAO bereit hält: Rüge, Tätigkeitsverbote bis hin zur Ausschließung aus der Anwaltschaft. Bei näherer Betrachtung verstößt das allerdings gegen das strafrechtliche Verbot der Doppelbestrafung. Das berufsrechtliche Urteil soll schließlich nicht nur einen pädagogischen Hinweis erteilen, wie der Betroffene sich zukünftig zu verhalten habe. Vielmehr werden in beiden Fällen konkrete Strafen wegen einer einzigen, zurückliegenden Tat ausgesprochen.

Bei nüchterner Betrachtung muss entgegen der h.M. gelten: Wenn ein Berater wegen einer Cum-ex-Beteiligung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde, ist kein Raum mehr für berufsrechtliche Folgen. Und solange das Berufsrecht keine konkreten Verbote des Betruges, der Steuerverkürzung etc. enthält, müssen die Exekutive und die Judikative diese Entscheidung des Normgebers respektieren und können nicht die "Würde" in § 43 BRAO beliebig mit ungeschriebenen Inhalten auffüllen. Fakt ist aber: Sie tun es.

Verlust der Zulassung

Die strafrechtliche Verurteilung als solche kann sich auch sonst entscheidend auf den Beruf auswirken. Nach § 14 Nr. 2 BRAO ist die Zulassung zu entziehen, wenn ein Rechtsanwalt wegen eines Verbrechens verurteilt wurde. Das mag in einigen Fällen der Cum-ex-Mitwirkung von Beratern durchaus relevant werden, je nachdem, wegen welcher strafrechtlichen Tatbestände sie verurteilt werden.

Auch strafrechtliche Urteile unterhalb des Verbrechens können sich auf die Anwaltszulassung auswirken. Das gilt allerdings nur, wenn die betreffende Person kein Anwalt (mehr) ist, sondern einen neuen Zulassungsantrag stellt. In diesem Fall ist nicht § 14 BRAO anzuwenden, sondern § 7 BRAO. Danach ist die Zulassung zu versagen, wenn „die antragstellende Person sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das sie unwürdig erscheinen lässt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben“.

Zivilrechtliche Haftung

Keine förmliche Bestrafung, aber oft mit noch verheerenderen Folgen versehen ist die zivilrechtliche Haftung, die sich aus dem Sorgfaltsverstoß des Beraters ergibt. Vorsätzliche Straftaten sind vom Versicherungsschutz der Berufshaftpflichtversicherung nicht mehr gedeckt.

Da die Übergänge zwischen dem "billigenden Inkaufnehmen" (Vorsatz) und dem "selbst die elementaren Sorgfaltspflichten Vernachlässigen" (grobe Fahrlässigkeit) zwar nicht in der Theorie, aber doch in der Praxis fließend sind, aber auch aus anderen Gründen wird in Berufshaftungssachen oft der Vergleich gesucht. Freshfields hat sich mit dem Insolvenzverwalter der Maple-Bank, so war zu lesen, auf dessen Klage hin auf 50 Millionen verständigt.

Einen der wesentlichen anderen Gründe für die praktische Häufigkeit von Vergleichen stellt die Schwierigkeit der Schadensbemessung dar. Der Pflichtverstoß ist in der haftungsrechtlichen Praxis häufig rasch abgehandelt, weil offensichtlich: Frist versäumt, ein jüngeres BGH-Urteil übersehen und darüber nicht belehrt, sonstige nahe liegende Aufklärungspflichten verletzt. Der für Haftungsfälle von Rechts- und Steuerberatern zuständige IX. Zivilsenat des BGH ist traditionell unbarmherzig.

Die Vorzeichen der ersten Cum-ex-Rechtsprechung deuten darauf, dass die ordentlichen Gerichte auch hier mit dem Beratungsfehler an sich nicht viel Federlesens machen werden. "Logisch unmöglich", kanzelt etwa das FG Köln in seiner jüngst veröffentlichten Entscheidung die Gestaltung durch Cum-ex-Berater ab. Das fühlt sich kälter an als das übliche "hM" vs. "MM" und soll wohl auch die subjektive Seite gleich mit erledigen – die Beurteilung als vorsätzlich begangene Tat also.

Der hypothetische alternative Kausalverlauf

Noch komplexer stellt sich – wie oft – die Bemessung der Schadenshöhe dar. In den Cum-ex-Fällen hätte, wenn sich die Rechtsprechung dazu nicht noch überraschend ändert, nie auf Grundlage eines solchen Modells ein "Steuergewinn" bewirkt werden können. Wenn nachträglich zu Unrecht vom Staat an den Betroffenen "erstattete" Steuer zurückgezahlt werden muss, ist das für den betroffenen Steuerpflichtigen womöglich überraschend, ärgerlich ist es allemal. Aber ein Schaden?

In Haftungsfällen wird mit einer Vergleichsrechnung gearbeitet. Es muss gedanklich durchgespielt werden, wo der Mandant ohne die fehlerhafte Beratung stünde. Die Differenz zwischen dieser Vermögenslage und der tatsächlichen ist der Schaden.

Damit muss die nachträglich zurückgezahlte "Steuererstattung" als Schaden ausscheiden. Legal hätte der Mandant diese Steuererstattungen nämlich nie einkassieren können – siehe FG Köln. Dächte man die Fehlberatung hinweg, so wäre es dazu von vorneherein nicht gekommen. Die Rückzahlung der rechtswidrig erlangten "Erstattung" stellt also nur die normale Rechtslage wieder her, verschlechtert die Situation des Steuerpflichten insoweit aber nicht.

Was bleibt an Schaden?

Welchen Schaden hat der falsch beratene Mandant also faktisch erlitten? Zunächst sind da die Beratungskosten selbst. Ohne Cum-ex-Beratung wären insoweit keine Honorare geflossen. Das muss der Berater zurückerstatten. Aber sonst?

Mancher Mandant hätte ohne Cum-ex-Beratung sein Geld vermutlich woanders investiert. Dann müsste er dazu ganz konkret vortragen und notfalls unter Beweis stellen, welche Geldanlagemöglichkeit er ergriffen und wie sich sein Vermögensstand seither entwickelt hätte. Der bloße Vortrag, man hätte das Geld auf einem Konto belassen, ist zwar denkbar, führt aber in Zeiten der Niedrigzinspolitik zu keinem nennenswerten Schadensbetrag. Bei höheren Vermögenswerten droht sogar der Einwand, der Mandant habe Negativzinsen eingespart.

Ansprüche des Mandanten gegen seine Berater verjähren nach den allgemeinen Regeln, also drei Jahre nach Kenntnis des Geschädigten, spätestens aber zehn Jahre nach der fehlerhaften Beratung. Von einer relevanten Kenntnis ist auszugehen, wenn der Berater selbst ihn in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen hat oder es sonstige Umstände gibt, die hinreichend sicher auf einen Haftungsanspruch des Mandanten schließen lassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Mandanten in der Regel juristische Laien sind. Allgemeine Geschäftstüchtigkeit ändert daran ebenso wenig wie eine gewisse rechtliche Vorbildung. Sogar anwaltliche Mandanten können sich daher typischerweise auf ihre Unkenntnis der konkret relevanten Rechtslage berufen, wenn sie nicht gerade selbst Experten im – hier auch noch internationalen – Steuerrecht sind. 

Cum-ex-Berater hatten goldene Jahre. Genialisch anmutende Gestalter verhalfen ihren Mandanten zu Milliardeneinnahmen. Der Staat hat lange gebraucht, um dieser Praxis einen Riegel vorzuschieben, und hat nun mit der Aufarbeitung begonnen. Der Preis, den auch die Berater zahlen müssen, die nun ins Kreuzfeuer geraten sind, wird hoch sein. Und wenn die Reputation mancher Kanzlei Schaden nimmt, kaum bezahlbar.

Der Autor Prof. Dr. Volker Römermann ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG, Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin und President der German Speakers Association (GSA).

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