Plötzlich nicht mehr lesbar gilt nicht
Die Prozessordnungen schreiben vor, dass bestimmte Schriftsätze die "Unterschrift der Person, die den Schriftsatz verantwortet" tragen müssen. Doch was ist eine "Unterschrift"? Was muss dort erkennbar sein? Eigentlich dachten die Juristen, diese Frage sei aufgrund einer ganzen Reihe von Gerichtsentscheidungen entschieden. Doch der Fall einer Rechtsanwältin aus Franken belehrt sie jetzt eines Besseren. Die Rechtsanwältin legte Berufung ein gegen ein Urteil des LG Nürnberg-Fürth ein und begründete diese später innerhalb der Frist. Doch zu ihrer Überraschung wies der Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg die Anwältin darauf hin, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels bestünden. Die Berufungsschrift weise keine Unterschrift, sondern eine "Streichung" des dort maschinenschriftlich angegebenen Namens auf. Allenfalls könne es sich bei dem Schriftzug um eine Paraphe handeln, die keine formgültige Unterschrift darstelle, meinte der Vorsitzende. Die Advokatin beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dabei trug sie insbesondere vor, dass sie ihre Schriftsätze mindestens seit 2007 in ungefähr der beanstandeten Weise unterschreibe und dies bisher nie von Gerichten beanstandet worden sei. Doch diese Argumentation ließ den Senat des OLG Nürnberg kalt. Er wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück und die Berufung als unzulässig ab.
OLG hätte Wiedereinsetzung gewähren müssen
Der Bundesgerichtshof (BGH) aber half der Anwältin und gewährte die Wiedereinsetzung. Dabei fand der VII. Zivilsenat deutliche Worte (Beschl. v. 11.4.2013, Az.VII ZB 43/12) gegenüber den Nürnberger Kollegen: Die Verweigerung der Wiedereinsetzung verletze die betroffene Partei in ihren Verfahrensgrundsätzen auf Gewährung rechtlichen Gehörs, auf die Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, entschieden die Karlsruher Richter. "Ein Schriftzug, der seinem äußeren Erscheinungsbild nach eine bewusste und gewollte Namensabkürzung darstellt, genügt den an eine eigenhändige Unterschrift zu stellenden Anforderungen nicht", schreibt der Senat. Er bestehe lediglich aus zwei leicht bogenförmigen Strichen, die schleifenförmig am unteren Ende spitz zusammen, am oberen sich kreuzend auslaufen. Der Schriftzug lasse keinen einzigen Buchstaben des Nachnamens der Rechtsanwältin auch nur ansatzweise erkennen. Also hatte die Rechtsanwältin den Schriftsatz nicht wirksam unterschrieben. Dennoch sei die Verweigerung der Wiedereinsetzung rechtswidrig gewesen, befand Karlsruhe. Das OLG habe der Rechtsanwältin nicht nur den Anspruch auf eine faire Verfahrensgestaltung verweigert, sondern auch den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz. Denn wenn Gerichte bisher die Unterschrift akzeptiert hätten, sei es ihnen verwehrt, ihre Meinung von heute auf morgen zu ändern, ohne der Rechtsanwältin zumindest beim ersten Mal Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gerne hätte man die Unterschrift in den Entscheidungsgründen gesehen, dann wäre die Kollegin aber zu identifizieren gewesen. Auf jeden Fall aber stärkt der BGH die Rechte von Rechtsanwälten und erteilt den Richterkollegen doch einen deutlichen Rüffel. Zumindest die Wiedereinsetzung hätte schon das OLG rasch gewähren müssen, insbesondere, nachdem die Anwältin nachgewiesen hatte, dass sie seit Jahren so unterschreibt. Gründe für die Verweigerung der Wiedereinsetzung waren wirklich nicht zu erkennen. Manchmal scheinen es Richter darauf anzulegen, Rechtsanwälte vorzuführen. Warum, ist zumindest in diesem Fall nicht zu erkennen. Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Journalist in Leverkusen. Er ist Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und hat u.a. einen Lehrauftrag für Berufsrecht an der German Graduate School of Management and Law (GGS) in Heilbronn.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2013 M06 3
Anwaltsberuf
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