Anwälte im Assessment Center

Wie Kanz­leien ihre Bewerber prüfen

Interview von Dr. Anja HallLesedauer: 5 Minuten

In großen Unternehmen ist es längst Alltag, nun entdecken auch Kanzleien das Assessment Center zwecks Bewerberauswahl. Was die Kanzleien dabei herausfinden wollen und wie solch ein Auswahlprozess abläuft, erklärt Charlotte von der Planitz.

LTO: Frau von der Planitz, kommt es häufig vor, dass Anwälte bei einem Kanzleiwechsel vorher ins Assessment Center sollen?

Charlotte von der Planitz: Es ist ein zarter neuer Trend. Große Kanzleien führen Assessment Center in diverser Form bereits mit ihren internen Partnerkandidaten durch, inzwischen wird es auch häufiger bei Neuzugängen unterhalb der Partnerschaft eingesetzt. Zum Beispiel wenn ein Principal Associate oder ein Counsel in der neuen Kanzlei Partner werden soll.

Dahinter steckt der Gedanke: Wenn wir unsere internen Kandidaten in solch einen Prozess schicken, ist es keine schlechte Idee, das auch mit externen Kandidaten zu tun. Und ich registriere Interesse von Managing Partnern, solche Bewerbungsprozesse künftig auch durchzuführen, wenn Anwälte zu ihnen wechseln, die andernorts schon Partner sind.

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"Bewerber fragen: Muss das wirklich sein?"

Wie reagieren die Bewerber, wenn ihnen gesagt wird, dass sie ins Assessment Center sollen?

Die meisten sind überrascht und verunsichert. Sie haben Respekt davor - und das ist auch verständlich. Sie fragen: Muss das wirklich sein? Man sollte dann wertschätzend kommunizieren, dass auch die Bewerber von dem Test profitieren können.

Aber was ist, wenn einer durchfällt?

In den Assessment Centern geht es in der Regel nicht um ein "in or out". Ein solches Verfahren ist aufwändig, es findet deshalb üblicherweise am Ende des Bewerbungsprozesses statt, wenn sich beide Seiten schon recht sicher sind. Das heißt, die ersten drei oder vier Gespräche und Interviews haben bereits stattgefunden, die Bewerber sind womöglich auch schon in der Kanzleizentrale in London oder den USA gewesen.

Es kann natürlich passieren, dass man am Ende des Prozesses zum Ergebnis kommt, dass der Kandidat doch nicht für die Position geeignet ist. Aber in den Assessment Centern, die ich betreut habe, war das bislang nicht der Fall. Im Vordergrund steht, dass man herausfinden möchte, wo der Kandidat "Entwicklungsfelder" hat.

Was meinen Sie damit?

Es kann sich beispielsweise ergeben, dass jemand im Punkt Konfliktfähigkeit noch Potential hat, beispielsweise weil er sehr harmoniebedürftig ist oder nicht gut zwischen Sach- und Gefühlsebene trennen kann. Daraus lassen sich Handlungsempfehlungen ableiten, beispielsweise könnte er ein Coaching erhalten.

Ziel ist es, an den Schwächen zu arbeiten

Ein weiteres Beispiel ist Networking. Wenn sich zum Beispiel herausstellt, dass der Kandidat keine besonders innovativen Ideen hat, dann gebe ich als Feedback, dass die Basics zwar vorhanden seien, es aber empfehlenswert wäre, beispielsweise mit der Business-Development-Abteilung eine Strategie zu entwickeln.

Und was sind die häufigsten "Entwicklungsfelder", die Sie beobachten?

Ganz klar liegen die im Bereich Führung. Aber dazu muss ich fairerweise sagen, dass die Kandidaten das auch nie gelernt haben. Bislang hat das Thema Führung keinen hohen Stellenwert in den Kanzleien. Das muss es aber künftig haben, denn die junge Anwaltsgeneration erwartet das.

Junge, top-ausgebildete Associates in den großen internationalen Kanzleien kündigen heutzutage einfach, wenn sie sich nicht gut geführt fühlen. Denn sie wissen, dass sie ohnehin in spätestens drei Monaten einen neuen Job haben. Auch mit Networking und Business Development tun sich die Bewerber häufig schwer.

"Persönlichkeit des Bewerbers steht im Vordergrund"

Was genau wollen die Kanzleien im Assessment Center über die Kandidaten erfahren?

Im Vordergrund stehen Punkte wie Leistungsmotivation, Teamfähigkeit, Führungs- und Gestaltungsmotivation – es geht also um die Persönlichkeit des Kandidaten. Man will herausfinden, wie jemand arbeitet und wie er sich organisiert. Ist er beispielsweise freiheitsliebend und kreativ und will sein berufliches Umfeld selbst gestalten – oder ist er das eher nicht?

Ein wichtiger Punkt, auf den Kanzleien achten, ist außerdem die Umsetzungsstärke. Denn wenn ich zwar ein exzellenter Jurist bin, aber - salopp gesagt - die PS nicht auf die Straße bringen kann, dann hilft das in Bezug auf die Geschäftsentwicklung auch nicht weiter.

Wie läuft ein Assessment Center ab?

Üblicherweise wird zuerst ein psychologischer Test gemacht, in der Regel online. In den USA gilt der Persönlichkeitstest von Hogan Assessments als Standard, er ist dort in der Kanzleiszene auch sehr bekannt. In Deutschland gibt es vergleichbare Tests, die ebenfalls von Psychologen entwickelt wurden und eine große Probandengruppe als Vergleichsbasis haben.

Sie alle sind Tests, die zum Beispiel auch in der Private-Equity-Szene häufig eingesetzt werden, wenn die Investoren Geschäftsführer für ihre Beteiligungsunternehmen suchen. Dass die Tests eine gute Reputation haben und psychologisch valide sind, ist übrigens ein Aspekt, der wichtig ist für die Akzeptanz durch die Bewerber.

"Mehrere Hundert Fragen im Online-Test"

Die Kandidaten müssen dabei sehr viele Fragen beantworten, etwa 200 bis 300. Im Test werden Kompetenzen wie etwa Führungsstärke mit sehr vielen Fragen abgefragt, die jeweils ein bisschen anders formuliert sind. Damit will man verhindern, dass jemand das ankreuzt, das er für sozial erwünscht hält. Bei mehreren hundert Fragen kann sich niemand mehr verstellen.

Dann folgt ein sogenanntes teilstrukturiertes Interview. Das bedeutet, dass es einen Fragenkatalog gibt, aber zusätzlich auch flexibel Fragen gestellt werden können. Auch dieses Interview ist vor allem darauf ausgerichtet, zu sehen, welche Kompetenzen der Kandidat hat.

Wie finden Sie das im Gespräch heraus?

Wenn ich zum Beispiel wissen will, wie konfliktfähig der Bewerber ist, frage ich immer danach, wie er sich in konkreten Situationen verhalten hat. Denn jeder, der gut reden kann - und Juristen können das -, kann sich auf eine Frage etwas ausdenken und das auch gut begründen. Wenn ich aber frage, wie die Situation in einem konkreten Fall weitergegangen ist, etwa wie der Mandant im Gespräch reagiert hat, bekomme ich einen besseren Einblick.

"Weniger Geld bei schwacher 'People Performance"

Welche Arten von Kanzleien sind es, die Assessment Center einsetzen?

Es sind vor allem internationale Kanzleien, die Assessment Center für ihre Partnerkandidaten durchführen, deutsche Kanzleien derzeit eher nicht. Aber: Es gibt auch etablierte Boutiquen oder mittelgroße Spezialkanzleien, die sehr genau darauf achten, dass ein Neueinsteiger zu ihrer Kanzleikultur passt. Auch sie führen solche strukturierten Prozesse durch.

Was ist Ihrer Ansicht nach der Hintergrund dieses Trends?

Die Persönlichkeit des Anwalts wird wichtiger. Ich habe die Hoffnung und bin auch zuversichtlich, dass sich dabei vieles zum Guten entwickeln wird. Denn junge Mitarbeiter wünschen sich gute Führungskräfte und darauf müssen die Kanzleien reagieren.

Die Strategieberatungen, die den Großkanzleien oft als Vorbild dienen in puncto Rekrutierung und Vergütung, sind da schon weiter. Vor allem bei den großen internationalen Beratungsgesellschaften ist es bereits gang und gäbe, dass das Thema Führung an einen Bonus geknüpft ist. Dann erhält jemand, der eine schlechte "People Performance" hat, weniger Geld. Das kann auch in Kanzleien kommen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau von der Planitz.

Die Juristin Charlotte von der Planitz ist Partnerin bei Indigo Headhunters. Sie ist seit vielen Jahren in der Personalberatung tätig und hat sich auf Coaching und Karriereberatung für Fach- und Führungskräfte in der Finanz- und Beratungsbranche spezialisiert.

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