Small Talk mit Kilian Bälz, Spezialist für Recht im Nahen Osten

"Ver­träge mache ich meis­tens mit Inge­nieuren"

Interview von Annelie KaufmannLesedauer: 6 Minuten

Im Small Talk fragen wir Juristinnen und Juristen, was sie denn so machen. Heute erzählt Amereller-Partner Kilian Bälz, was schwierige Märkte ausmacht, warum deutsches Recht nicht zum Export taugt und wann Empathie wichtig ist.

LTO: Hallo Herr Dr. Bälz, in welchem Ihrer Büros sind Sie denn gerade, in Berlin, in Kairo oder in Tripoli?

Kilian Bälz: Heute bin ich in Berlin. Meistens verbringe ich mindestens eine Woche im Monat in Kairo, ich bin aber auch sonst viel im Nahen Osten unterwegs, etwa in Erbil, in Bagdad oder in Dubai.

Was machen Sie denn beruflich?

Ich berate deutsche und internationale Unternehmen bei Investitionen im arabischen Raum. Wir sind eine Wirtschaftskanzlei, spezialisiert auf die eher schwierigen arabischen Märkte. Wenn also zum Beispiel die Weltbank ein Kraftwerk im Irak bauen will oder ein grüner Investmentfonds eine Solaranlage in Ägypten, dann machen wir die Due-Diligence-Prüfung, beraten bei der Transaktionsstruktur und begleiten die Verhandlungen. Dabei schauen wir uns auch die politischen Risiken im Umfeld des Geschäftspartners an, beraten zu ESG-Kriterien – also zu Umwelt- und Sozialstandards – und behalten auch eine Exit-Strategie im Blick, falls sich die Risikolage verändert.

Dr. Kilian Bälz

… ist Partner bei Amereller und spezialisiert auf den Nahen Osten 

… mag arabische Filme 

… geht gerne in Kairo morgens zum Schwimmen ins Freibad, vor allem im Februar 

Was macht diese Märkte so "schwierig"?

Es handelt sich oft um Transformationsstaaten mit instabilen politischen Rahmenbedingungen. Seit dem arabischen Frühling 2011 hat sich wahnsinnig viel verändert und verändert sich immer noch. Einerseits war da eine große Begeisterung angesichts der demokratischen Bewegungen, es war toll, das mitzuerleben. Andererseits war es aber auch ernüchternd, was darauf folgte, teils Restauration, teils Bürgerkrieg und Parallelregierungen etwa in Libyen. Da stellen sich Fragen, die sich in vielen anderen Ländern nicht stellen, etwa, welche Regierung überhaupt der richtige Ansprechpartner ist.

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"Verträge mache ich mit Ingenieuren – die wollen Probleme lösen, nicht abstrakt diskutieren"

Mit wem arbeiten Sie zusammen?

Bei großen Projekten arbeite ich eigentlich immer in einem Tandem mit einem Partner oder einer Partnerin aus unserem Büro vor Ort. Ich bin dann zum Beispiel dafür verantwortlich, dass die Fragen richtig ankommen und arbeite an der Transaktionsstruktur, die lokalen Partner übernehmen die Beratung zu lokalen Themen und ich bringe das dann wieder in ein Format, mit dem wir international arbeiten können und helfe beim Drafting. Arbeitsteilung auf Augenhöhe. Unsere lokalen Kolleginnen und Kollegen sprechen sehr gut Englisch und wir internationalen Partner sprechen arabisch oder eine andere Landessprache. Mir macht es viel Spaß, nicht in der üblichen Monokultur einer Großkanzlei zu arbeiten, aber trotzdem an Fällen ähnlichen Kalibers – ich habe mit fachlich exzellenten Kollegen zu tun, die aber oft ganz anders ausgebildet sind und teilweise auch ganz andere Vorstellungen haben als ich.

Wieviel Diplomatie ist gefragt?

Ich glaube, Empathie ist das, worauf es ankommt. Es ist wichtig, dass man gegenüber Partnern und Verhandlungspartnern offen ist, Empathie ist wichtiger als etwa interkulturelle Kommunikation oder die genaue Kenntnis von religiösen oder nationalen Traditionen. Mir gegenüber sitzen Menschen, die wollen als die individuelle Person wahrgenommen werden, die sie sind. Es geht darum, auch mal einen Schritt zurückzutreten und anzuerkennen, dass andere Leute anders handeln und entscheiden und es dafür auch rationale Gründe geben mag. In Deutschland sind zum Beispiel viele Entscheidungsträger Juristen, auch in der Verwaltung oder in Unternehmen. Das ist in den Ländern, in denen ich arbeite, völlig anders, ich mache Verträge meistens mit Ingenieuren oder BWLern. Die wollen ein konkretes Problem lösen und nicht abstrakt über juristische Fragen diskutieren.

"Ich arbeite mit hervorragenden Juristen, die grundlegende Rechte anders gewichten als wir"

Hat Jura in den MENA-Staaten ein anderes Standing als in Europa?

Ja, Juristen waren früher etwa in Ägypten sehr angesehen, aber in den fünfziger Jahren, in der Ära des ägyptischen Staatspräsidenten Nasser, hat Jura stark an Ansehen verloren. Die juristische Ausbildung ist sehr scholastisch, viel Auswendiglernen, wenig Praxisbezug. Ich habe dennoch oft mit hervorragenden Juristinnen und Juristen zu tun. Sie machen aber andere Erfahrungen in ihren Heimatländern als wir und sie werten grundlegende Rechte deshalb anders – das Wahlrecht etwa hat deutlich weniger Gewicht, weil es weniger Vertrauen in den Ausgang von Wahlen und in die Politik gibt. Freiheiten, gerade Meinungsfreiheit ist aber vielen Menschen wichtig und Eigentumsrechte haben eine sehr starke Stellung, privates Eigentum sichert auch persönliche Freiheit. Ich versuche ihre Herangehensweise zu verstehen und nach Schnittmengen zu suchen, die wir haben, anstatt darüber zu belehren, was ich für richtig halte.

Wie kam es, dass Sie sich auch den Nahen Osten spezialisiert haben?

Das war totaler Zufall. Ich hatte damals zwei Jahre Jura studiert und fand das ziemlich langweilig. Ich wollte mal etwas anderes machen und fand am Schwarzen Brett einen Aushang zu einer Vorlesung im Islamischen Recht. Das fand am Institut für Islamwissenschaft statt und war eine völlig andere Welt, vielleicht fünf, sechs Studierende pro Jahrgang, der Professor kannte alle mit Namen, es wurde ganz anders diskutiert. Das hat mir gefallen. Später war ich ein halbes Jahr in Syrien, um arabisch zu lernen. Das war 1991.

Und wie ging es weiter?

Nach dem Ersten Staatsexamen bekam ich ein Stipendium an der American University in Kairo, später habe ich auch an der SOAS (School of Oriental and African Studies) in London studiert. Das war prägend, dort habe ich viele Leute kennengelernt, mit denen ich auch heute noch zusammenarbeite. Ich war als Referendar bei Amereller, später Rechtsanwalt und dann auch Partner bei Gleiss Lutz. Dann wollte ich nochmal etwas anderes machen und habe mir eine Auszeit genommen, habe als Fellow in Harvard am Institut für Islamic Legal Studies geforscht und habe in Kairo die Organisation RCREE aufgebaut, die den Ausbau von erneuerbaren Energien fördert. Bei Amereller bin ich 2010 eingestiegen. Damals gab es einen großen Hype um Desert Tech, also Solarenergie aus der Wüste, wir haben die Initiative in ganz Nordafrika beraten. Aber dann kam der arabische Frühling. Von einem Tag auf den anderen wollte niemand mehr in diesen Ländern investieren, es war zu unsicher. Für uns als Kanzlei gab es aber trotzdem viel zu tun, zum Beispiel Investitionsschutzverfahren nach Enteignungen in den Wirren der Revolution. Jetzt, angesichts des Kriegs gegen die Ukraine und labiler Lieferketten nach der Corona-Pandemie, gewinnt der Nahe Osten als Wirtschaftspartner wieder massiv an Bedeutung, deutsche Unternehmen und die deutsche Politik müssen sich da gerade neu aufstellen.

"Digitalisierung bringt mehr im Kampf gegen Korruption als immer neue Behörden"

Können Transformationsstaaten im Nahen Osten vom deutschen Rechtssystem lernen?

Deutschland kann zur Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit beitragen, aber nicht durch den Export von Recht und nicht durch Belehrungen. Wichtig ist eine gute juristische Ausbildung, wir brauchen Stipendienprogramme für einen LL.M oder eine Promotion in Deutschland, damit sich junge Leute einfach mal anschauen können, wie unser Rechtssystem funktioniert und sich überlegen, was sie für ihre Heimat passend finden. Bei der Digitalisierung ist Deutschland nicht das beste Vorbild, aber man könnte konkreten Digitalisierungsprojekte unterstützen. Ein digitales Handels- oder Vergaberegister ist viel effektiver im Kampf gegen Korruption als immer weitere Konferenzen oder eine neue Behörde. Und schließlich brauchen Anwältinnen und Anwälte praxisbezogene Trainings vor Ort. Der Rechtsstaat ist immer nur so stark wie sein schwächstes Glied – wenn Anwälte von ihrem Beruf nicht leben können, sondern nebenher Geschäfte machen, können sie nicht die Interessen ihrer Mandanten vertreten.

Wenn man jetzt mehr über den Nahen Osten wissen will, haben Sie einen Buchtipp? Und welche Medien können Sie unbedingt empfehlen?

Es gibt ein sehr schönes Buch: "Staatsanwalt unter Fellachen" von Taufik al-Hakim. Das beste Magazin ist "Zenith", das ist off-the-beaten-track Hochqualitätsjournalismus mit Blick auf den Nahen Osten. Ich schreibe da auch manchmal etwas.

 Dr. Kilian Bälz ist Partner bei Amereller und berät deutsche und internationale Unternehmen bei Investitionen in der MENA-Region und damit zusammenhängenden Streitigkeiten.

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