Verträge prüfen für gendergerechte Toiletten
LTO: Was machen Sie beruflich?
Krämer: Ich bin Wirtschaftsjurist und arbeite als "Project Officer Controlling & Compliance" bei Plan International in Hamburg. Das ist eine Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich weltweit für die Rechte und Interessen von Kindern einsetzt.
Das ist nicht unbedingt ein typischer Job für Jurist:innen, oder? Was machen Sie da genau?
Wir als Plan International Deutschland haben Kooperationsverträge mit Partnern vor Ort, zum Beispiel in Kenia und Indien. Dort kooperieren wir auch mit örtlichen Vereinen. Letztens ging es zum Beispiel um den Bau gendergerechter Latrinen. Da muss ich darauf achten, dass die Verträge mit den Partnern eingehalten und umgesetzt werden. Außerdem haben wir auch Verträge mit den Regionalbüros im Ausland, zum Beispiel in Guinea. Wenn das Regionalbüro eine Spende bekommt, schaue ich beispielsweise, dass rechtzeitig berichtet wird und Compliance-Vorgaben eingehalten werden. Im Compliance-Bereich prüfen wir aber nicht nur bestehende Kooperationen, sondern gestalten Verträge auch aktiv mit. Es ist also gewissermaßen eine ganz normale juristische Tätigkeit, auch wenn das Umfeld vielleicht eher ungewöhnlich ist.
Und was gehört zum Controlling?
Ich bin Teil des Projektmanagement-Teams und überwache die Geldeingänge von privaten Geldgebern, also von Einzelpersonen, Unternehmen und Stiftungen. Ich schaue, ob alle Mittel in unseren Projektländern ausgegeben worden sind, oder, wenn nicht, aus welchem Grund. Unsere Projektreferent:innen entscheiden dann auf Basis meiner Analyse, ob eine Anpassung des Projekts notwendig sein könnte.
Arbeiten Sie dabei vor allem mit anderen Jurist:innen zusammen?
Nein, bei Plan International Deutschland arbeiten rund 320 Menschen und davon vielleicht eine Handvoll Juristinnen und Juristen. Es gibt fünf Regionalteams, zum Beispiel West- und Zentralafrika, Mittlerer Osten, Lateinamerika, oder Asien/Pazifik. Ich arbeite vor allem mit Politikwissenschaftler:innen, Sozialwissenschaftler:innen und Anthropolog:innen zusammen. Ich bin Teil eines neuen Teams, das sich in allen Regionen auf Projektebene betätigt und speziell privat finanzierte Projekte begleitet.
"Am wichtigsten ist die interkulturelle Kompetenz"
Was mögen Sie an Ihrem Job am liebsten?
Auf jeden Fall die Vielseitigkeit! Ich schätze die interdisziplinären Teams und die unterschiedlichen Perspektiven. Außerdem arbeite ich sowohl inhaltlich, zum Beispiel an Studien zur Wasserversorgung von Dörfern, als auch konzeptionell und auf der juristischen und der betriebswirtschaftlichen Ebene.
Ich mag es auch, dass man, sobald sich die COVID-19-Situation weltweit verbessert, oft die Erfolge hautnah erleben kann, wenn man in die Projektländer reist. Und die internationalen Beziehungen: Eben habe ich mit unserem Projektteam in Guinea telefoniert, heute Morgen mit Brasilien. Wir haben auch Projekte im Asien-Pazifikraum und in West- und Zentralafrika sowie im Mittleren Osten.
Was muss man können, wenn man Ihren Job machen will – außer Jura?
Wenn wir mit Bewerberinnen und Bewerbern sprechen, ist uns die interkulturelle Kompetenz mit am wichtigsten. Natürlich spielt die akademische Ausbildung auch eine große Rolle, aber insbesondere interessieren wir uns auch für die Sprachkenntnisse und die Praxiserfahrung. Englisch ist ein Muss, Spanisch und Französisch sind sehr hilfreich. Außerdem sind praktische Erfahrungen erforderlich, aber auch relevantes Engagement, zum Beispiel ein Ehrenamt im Kulturverein oder der Geflüchtetenhilfe.
Für meinen konkreten Job passen Wirtschaftsjurist:innen perfekt, denn sie haben Vertragskenntnisse, kennen sich aber auch mit Projektmanagement, Finanzen und im Controlling aus.
Welche internationalen Erfahrungen bringen Sie mit?
Während meines Wirtschaftsrecht-Studiums in Wismar war ich für ein Erasmussemester in Lyon. Dann habe ich ein Praxissemester in Brüssel bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der Europäischen Union (EU) gemacht, dann ein Auslandssemester in Russland. Anschließend bin ich für den Master in Europarecht und Europastudien nach Nancy in Frankreich gegangen. Im ersten Jahr war der Schwerpunkt juristisch, im zweiten Jahr ging es vermehrt interdisziplinär um kulturelle, historische und politische Themen. Zunächst wollte ich bei den Vereinten Nationen (UNO) arbeiten, aber die Stellen sind sehr rar und vorangegangene Praxiserfahrung essenziell. Deshalb habe ich noch ein Praxissemester bei der EU-Vertretung zur UNO in Genf absolviert.
Außerdem bin ich viel gereist. Ich habe häufig Backpacking-Touren gemacht und war zum Beispiel in Nordafrika, Osteuropa und im mediterranen Raum. Bei meinen Reisen und den Praktika habe ich gemerkt, dass mein Arbeitsleben mit internationalen Beziehungen zu tun haben sollte.
"Ich war in Calais und Lesbos und habe den Verein First Aid Support Team in Frankreich aufgebaut"
Zu Plan International sind Sie aber erst nach einigen Umwegen gekommen?
Ja, zuerst bin ich 2017 nach Wien zur Diplomatischen Akademie gegangen. Die Stelle war nicht besonders juristisch, es ging unter anderem um die Organisation von Veranstaltungen und die akademische Verwaltung. Aber ich habe eine Mitarbeiterin einer österreichischen Großbank kennengelernt, welche mich schlussendlich abgeworben hat. Nach einem halben Jahr bin ich in die Rechtsabteilung der Bank in Wien gewechselt. Das war schon eher ein klassischer juristischer Job. Da streift man alle Rechtsgebiete, viel M&A, Compliance und datenschutzrechtliche Themen, aber auch Gremienmanagement. Nach sieben Monaten habe ich aber gemerkt, dass das nicht das ist, was ich machen will. Dennoch bereue ich die Zeit nicht, ich habe viele Einblicke erhalten und gelernt, welche Interessen wirtschaftliche Unternehmen verfolgen.
Danach haben Sie sich in der Geflüchtetenhilfe engagiert – wie kam es dazu?
Ich war schon immer ein idealistischer und engagierter Mensch und setze mich seit meiner Jugend in verschiedenen Vereinen ehrenamtlich ein. Ich fand es erschreckend, dass die humanitäre Situation auf dem Boden der EU so dramatisch sein kann und ausgerechnet hier grundlegende Menschenrechte nicht gewährt werden.
2018 war ich zweimal für einige Wochen in Calais und habe ich mich dem First Aid Support Team (FAST) angeschlossen. Der Verein leistet Erste Hilfe und unterstützt Menschen dabei, Zugang zu medizinischer Versorgung zu bekommen. Ich habe gekocht, bei der Kleiderausgabe geholfen und natürlich als Ersthelfer gearbeitet – dabei hat es mir geholfen, dass ich vor dem Studium zwei Jahre lang Sanitäter bei der Bundeswehr war.
Außerdem war ich einige Wochen Teil einer zivilen Seenotrettungsmission an der Nordküste der Insel Lesbos. Das war eine krasse Erfahrung und ich habe viel Elend gesehen. Auf zwischenmenschlicher Ebene habe ich aber viel gelernt und auch ein Gefühl für die Probleme bekommen, die es auch in Europa gibt.
Mit den Eindrücken aus Calais und Lesbos bin ich wieder nach Deutschland gereist. Der Verein FAST in Frankreich war bis jetzt nur ein loser Zusammenschluss. Das wollte ich ändern. Ich habe ehrenamtliche Helfer:innen aus ganz Europa zusammengezogen, einen gemeinnützigen Verein gegründet, Stiftungen für Crowdfunding aktiviert. Insgesamt habe ich als Field Coordinator und Ersthelfer zehn Monate in den sogenannten "Dschungeln von Calais" wirken können. Mittlerweile läuft alles, auch die Finanzierung. Als Verein haben wir uns einen Namen gemacht, deshalb spenden viele Stiftungen, die wir damals angeworben haben, jetzt regelmäßig. In Calais und Lesbos arbeiten viele Ehrenamtliche. Ich habe nur noch ungefähr einmal die Woche Meetings.
"Von wegen Hippie-Verein"
Wirtschaftsjurist und NGOler – welches Klischee erfüllen Sie eher?
NGOs haben oft einen schlechten Ruf als "Hippie-Verein", das trifft überhaupt nicht zu. Plan International zum Beispiel ist ein Verein mit hochprofessionellen, beinahe konzern-ähnlichen, Strukturen. Ich arbeite in einem schicken, modernen Büro und alles ist gut organisiert. Es gibt eine Rechtsabteilung, eine Verwaltung, Marketing, Buchhaltung und ganz regulär andere Abteilungen.
Die Leute, mit denen ich studiert habe, sind eher bei den Big Four-Beratungsgesellschaften gelandet, aber es kommt auch einfach auf die Persönlichkeit an. Ich war schon immer ein idealistischer Mensch, für mich ist es genau die richtige Mischung.
Und sind Sie mit Ihrem Gehalt zufrieden?
Sagen wir mal so: Primär wegen des hohen Gehaltes arbeitet man hier nicht - wir sind selbstverständlich keine Großkanzlei. Aber ich lebe im Job meinen Idealismus – und kann von dem Gehalt sehr gut leben. Hinzu kommt, dass mir der fachliche Austausch mit Kolleg:innen aus den verschiedenen Disziplinen und mit ihren multinationalen Erfahrungen sehr wichtig ist.
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2021 M06 24
Anwaltsberuf
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