Als Allgemeinanwalt auf dem Land

"Man ver­dient sich keine gol­dene Nase mehr"

von Benjamin ScholzLesedauer: 7 Minuten

Viele Juristen machen sich nach ihrem Referendariat selbstständig. Nicht alle freiwillig und nicht für jeden ist das der richtige Job. Vier Anwälte erzählen, was den Job ausmacht und was es dafür braucht. Und vom größten Problem beim Start.

Fernab der Bürotürme in Frankfurt, Düsseldorf oder Berlin sitzen in Deutschland zehntausende Anwälte als Einzelkämpfer in ihren Büros. Sie sind regelmäßig vor den örtlichen Amts- und Landgerichten tätig, in Kleinstädten und Dörfern sind sie die erste Anlaufstelle für Bürger mit ihren alltäglichen Sorgen. Sie beraten Bürger in Rechtsfragen aus deren täglichem Leben – von der arbeitsrechtlichen Kündigung bis hin zum Kauf einer mangelhaften Sache, viele von ihnen haben einen Schwerpunkt im Familien- und Erbrecht. So sehen sich viele von ihnen als Allrounder mit Spezialkenntnissen in einigen Gebieten.

Einer dieser Anwälte ist Albrecht Schöllhorn-Gaar. "Ich bin ein Frontkämpfer ganz klassischer Prägung", sagt er von sich selbst. "Da geht es darum, Probleme von Menschen hautnah zu lösen." Nachdem er bis vor vier Jahren noch einen weiteren Anwalt in seiner Kanzlei in Landshut in Niederbayern beschäftigte, wird er mittlerweile nur noch von zwei Angestellten und einer Auszubildenden unterstützt.

Er ist dabei überwiegend im Strafrecht, aber auch im allgemeinen Zivilrecht tätig. „Strafverteidigen allein möchte ich nicht, das würde die Seele verrohen“, sagt Schöllhorn-Gaar von sich selbst.

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"Ich war immer auf die selbständige Kanzlei aus"

Er hatte schon früh ein klares berufliches Ziel vor Augen: "Ich war immer auf die selbstständige Anwaltskanzlei aus. Eine große Kanzlei oder der Staatsdienst wären zwar viel lukrativer gewesen, aber das war für mich nie eine Option."

Außerdem hat der leidenschaftliche Reiter sein Hobby mit dem Beruf verbunden. "Das Pferderecht ist ein Steckenpferd von mir", sagt Schöllhorn-Gaar. Darunter versteht er die allgemeinen Rechtsgebiete mit speziellem Bezug zu Pferden.

Seine Spezialisierung ließ ihn auch den deutlich spürbaren Einbruch durch die Corona-Pandemie, von dem auch andere Landanwälte berichten, gut verkraften. "Die Strafsachen liefen weiter und auch die Streitigkeiten rund ums Pferd blieben bestehen." Schöllhorn-Gaar hat sich als Anwalt etabliert. Er sagt aber auch: "In den 1950-er Jahren hat man sich als Anwalt eine goldene Nase verdient, das ist mittlerweile nicht mehr so." So hat es sich Schöllhorn-Gaar, der selbst erst Mitte 50 ist, von älteren Kollegen sagen lassen.

BRAK: "RVG-Mischkalkulation problematisch bei nur geringen Streitwerten"

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hält das der Anwaltsvergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zugrundeliegende System der Mischkalkulation nicht für grundsätzlich überholt. Der Mischkalkulation liegt das Prinzip zugrunde, dass Mandate mit niedrigen Streitwerten nicht kostendeckend bearbeitet werden können, dieses Verlustgeschäft im Gegenzug aber durch Mandate mit höheren Streitwerten ausgeglichen wird.

Rechtsanwältin Dr. Martina Rottmann ist Mitglied im Ausschuss zur Rechtsanwaltsvergütung bei der BRAK und betont den sozialen Gedanken hinter dem Prinzip der Mischkalkulation sowie den verbraucherschützenden Charakter. Sie sagt aber auch: "Dieses System ist dann für die Rechtsanwältin oder den Rechtsanwalt problematisch, wenn sie oder er einseitig nur in Mandaten mit geringen Streitwerten tätig ist." Deswegen sei eine wichtige Überlegung bei der Annahme eines Mandates auch, ob dieses wirtschaftlich bearbeitet werden kann.

Nach Einschätzung von Rottmann kann der Berufseinstieg als Einzelanwalt vor allem aufgrund eines fehlenden Mandantenstamms am Anfang schwierig sein.

"Es kennt einen ja niemand"

Diese bittere Erfahrung musste auch Holger Braun (Name von der Redaktion geändert) machen. Braun lebt in einer Kleinstadt im Oldenburger Münsterland. Die Region südlich von Oldenburg ist ländlich geprägt, man kennt sich in den Dörfern und Gemeinden. Braun ist dort aufgewachsen, bevor es ihn zum Studium und Referendariat nach Osnabrück und Hagen zog. Dennoch gelang es ihm nach seiner Zulassung als Anwalt im Jahr 2005 nicht, beruflich Fuß zu fassen.

"Es kennt einen ja niemand", berichtet Braun von seinen Startschwierigkeiten. "Die guten Mandanten wechseln ihren Anwalt nicht so einfach. Und die schlechten Mandanten sind schnell wieder weg."

Ein Einkommen, mit dem er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, verdient er erst seit drei bis vier Jahren. Und das auch nur, weil seitdem 75 Prozent  seiner Einnahmen aus seiner Tätigkeit als rechtlicher Betreuer stammen. "Dadurch kommt sicheres Geld rein, gleichzeitig ist mein klassischer Anwaltsberuf quasi obsolet geworden", sagt Braun. Jahrelang lebte er noch bei seinen Eltern, weil er so keine Miete zahlen musste. Die hätte er sich nicht leisten können.

Braun selbst hat viele Dinge ausprobiert und startete seine juristische Laufbahn sogar mit einer Banklehre im Gepäck. "Dass ich Anwalt geworden bin, ist aus der Not geboren", räumt er ein. "Ich wäre am liebsten ins Unternehmen gegangen, aber das ist an der Examensnote gescheitert." Ob er heute noch einmal Jura studieren würde? "Mit dem Wissen von heute wahrscheinlich nicht", glaubt er. "Ich bin damals sehr naiv an einige Dinge herangegangen."

Wichtig, dass es ein Amtsgericht gibt

Thomas Blanke hingegen ist als Einzelanwalt glücklich, obwohl auch sein Weg zum Volljuristen nicht unbedingt geradlinig verlief. Der gebürtige Berliner wuchs in Bayern auf und durchlief dort auch seine juristische Ausbildung. Das zweite Staatsexamen schaffte er erst im Zweitversuch und seine Anwaltszulassung beantragte er 1994, weil sonst seine Altersbezüge als Beamter auf Widerruf auf ein Blindkonto bei der Deutschen Rentenversicherung gekommen wären.

1995 verschlug es ihn nach Zossen in Brandenburg, rund 40 Kilometer südlich der Hauptstadt. Auf eine Stellenanzeige hin stieg er dort als Freiberufler in einer ortsansässigen Kanzlei ein und wurde drei Jahre später Partner. Er hatte erste Erfolge und Spaß an seinem Beruf. „Wir haben uns Ende 2008 dann aber auseinandergesetzt, weil ich mit meiner locker-flockigen Art bei denen nicht mehr gut angekommen bin", sagt Blanke. "Ich passte nicht mehr in die Kanzleiphilosophie. Ich kann auch mal Fünfe gerade sein lassen, ich berate auch schon mal 'pro bono'.  Ich war nicht umsatztüchtig genug."

Also eröffnete er sein eigenes Büro. "Ich kann von meinem Einkommen gut leben", sagt Blanke. "Diese wirtschaftliche Not, dass ich jedes Mandat brauche, die habe ich nicht mehr." Für Anwälte wie ihn sei es besonders wichtig, dass es in Zossen ein Amtsgericht gibt. Dadurch komme es häufiger vor, dass er Kollegen von anderen Standorten in Untervollmacht vertrete.

Samstags-Termine für die Fernfahrer

Eine 50-Stunden-Woche hat er allerdings schon – ohne dass ehrenamtliche Tätigkeiten und sein kommunalpolitisches Mandat für die CDU im Stadtparlament eingerechnet sind. So arbeitet er auch am Wochenende in der Kanzlei. "Samstags bin ich zwischen 10 und 14 Uhr fast immer hier, meine Frau ist da tolerant. Entweder arbeite ich komplizierte Sachen ab oder ich berate Mandanten wie Fernfahrer, die unter der Woche keine Zeit haben." Und sonntags mache er häufig die Buchhaltung.

Auch Blanke sieht sich als Allrounder. "Jemand, der schon bei mir war, kann mit allen Sorgen zu mir kommen", erzählt er. Dann höre er sich den Fall an und schaue mit dem Mandanten zusammen ein bisschen im Internet. "Und wenn ich mich zu verheben glaube, empfehle ich einen spezialisierten Kollegen."

Heute ist Blanke mit sich und seinem Werdegang im Reinen. "Ich war in meiner Jugend bei McDonalds in München und Regensburg auch der Hausmeister. Und bin mir seit jeher für nichts zu schade, auch um zu wissen, was unten los ist", sagt er. "Das hat mich geprägt."

Am Anfang in die Nische

Winnie Behnisch aus Meißen im Umland von Dresden wollte ursprünglich einmal Lehrerin werden. Doch dann kam die Wende und die Verdienstaussichten als Lehrerin erschienen ihr mau. "Jura war ein Zweckstudium mit der Überlegung, wo ich später mal Geld verdienen kann", sagt Behnisch. Heute  hat sie Spaß an ihrem Beruf als Allgemeinanwältin und identifiziert sich damit. Sie zieht die Parallele zum Allgemeinarzt: "Sie gehen ja in der Regel auch erst mal zum Allgemeinarzt und der schaut, wo es drückt und klemmt und die meisten Fälle kann er behandeln. Wenn es doch mal spezieller wird, dann empfehle ich meine Mandanten weiter."

Behnisch schätzt an ihrem Beruf die Unabhängigkeit und die persönliche Freiheit. "Ich habe zwei Kinder und kann mir sehr viel Freiraum schaffen, wenn irgendwas ist", sagt sie. "Und die unbegrenzte Anzahl an Urlaubstagen ist für mich Gold wert." Angestellte hat sie mittlerweile keine mehr, wodurch sie geringe Kosten hat und nur noch rund 35 Stunden pro Woche arbeiten muss.

Das war zu Beginn anders, auch weil Routine und eingeübte Arbeitsabläufe fehlten – und sie zudem noch Mitarbeiter bezahlen musste. Dennoch ist ihr der Einstieg in die Selbstständigkeit gelungen. "Es hilft, sich am Anfang eine Nische zu suchen", sagt sie. In ihrem Fall war die Nische das Sozialrecht. "Das wurde von der Gebührenordnung stiefmütterlich behandelt und erforderte Spezialwissen, weswegen das keiner machen wollte", erzählt Behnisch. Die Kollegen schickten die Fälle zu ihr. Noch heute assoziiert man das Sozialrecht mit ihr, sodass mehr als die Hälfte der Mandate aus diesem Bereich kommt.

"Es hilft, wenn man über den Sportverein bekannt ist"

Trotzdem würde Behnisch ihren Kindern heute nicht mehr empfehlen, Anwalt oder Anwältin zu werden. Zwar sei die Anwaltstätigkeit grundsätzlich lukrativ – unter der Voraussetzung, dass ein Anwalt überhaupt erst tätig wird. Durch die Einführung des Rechtsdienstleistungsgesetzes 2008 gibt es nach Behnischs Einschätzung immer mehr kostenlose und kostengünstige Rechtsberatungsservices, die die Anwälte verdrängten. Neben den Verbraucherzentralen sieht sie Legal-Tech-Dienstleister als Konkurrenten für herkömmliche Anwälte. Vor allem zwischen 2011 und 2016 hat sie eine Zunahme solcher Dienstleistungen beobachtet.  Das verstärke die ohnehin schon vorhandene Planungsunsicherheit bei Anwälten, so Behnisch.

Auch die BRAK sieht durch Online-Rechtsportale mehr Wettbewerbsdruck für Anwälte. Rottmann betont aber den Unterschied zur klassischen Anwaltsberatung: "Rechtsanwälte beraten persönlich und maßgeschneidert für den Einzelfall – dies vermag Legal Tech nicht."

Insgesamt hält auch Behnisch die Konkurrenz für Anwälte, die wie sie einen angestammten Mandantenpool haben, für verkraftbar. Für junge Juristen, die dennoch den Sprung in die Selbstständigkeit wagen wollen, hat sie daher einen Rat: "Es hilft, sich als Anwalt in einer Kleinstadt niederzulassen, in der man zum Beispiel über den Sportverein bekannt ist."

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