Das Bundesverfassungsgericht nahm Klimaklagen von jungen Menschen gegen die Klimapolitik der Bundesländer nicht zur Entscheidung an. Ex-Reemtsma-Entführer Thomas Drach steht wieder vor Gericht. Anders Breivik bleibt in Haft.
Thema des Tages
BVerfG zu Klimaschutz: Von der Deutschen Umwelthilfe unterstützte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind mit ihren gegen die Klimapolitik von zehn Bundesländern gerichteten Verfassungsbeschwerden gescheitert. Die Kläger:innen hatten sich gegen sechs Bundesländer gerichtet, die noch gar kein Klimaschutzgesetz haben und bei vier Bundesländern eine Verschärfung der jüngst geänderten Klimaschutzgesetze gefordert. Die Kläger:innen wollten die Länder dazu verpflichten, CO2-Reduktionspfade festzulegen und ausreichende Maßnahmen zu beschließen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Klagen jedoch nicht zur Entscheidung angenommen. Zwar könnten grundsätzlich Menschen in Karlsruhe klagen, wenn sie befürchten, dass der Staat zu wenig für den Klimaschutz tut, weil dies in der Zukunft zu massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte führen werde. Indes müsse erkennbar sein, an welchem CO2-Budget sich die Klimapolitik messen lassen muss. Bisher gebe es nur für den Bund ein gesetzlich definiertes CO2-Budget, nicht aber für die Bundesländer. Die Länder seien zwar wegen Artikel 20a Grundgesetz zum Klimaschutz verpflichtet, beim BVerfG sei dies derzeit jedoch nicht einklagbar. Angesichts der Existenz des Bundesklimaschutzgesetzes könne auch eine Verletzung von staatlichen Schutzpflichten nicht festgestellt werden. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath), tagesschau.de (Gigi Deppe) und LTO.
Rechtspolitik
NetzDG/Meldepflicht: Nun schreibt auch beck-community (Marc Liesching) über die seit dem 1. Februar nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz bestehende Pflicht von sozialen Netzwerken, bestimmte strafbare Inhalte ihrer User:innen an das BKA zu melden und stellt die einzelnen Tatbestandsmerkmale eingehend vor. So entfalle die Meldepflicht, wenn ein strafbarer Inhalt bereits durch KI-gesteuerte Algorithmen (also ohne Beschwerde) entfernt wird, was eine Strafverfolgung verhindere. Sollten soziale Netzwerke eine Umsetzung des Gesetzes konsequent verweigern, könnte auch die bisher ungeklärte Frage entschieden werden, ob das EU-Herkunftsland-Prinzip verletzt ist, wenn Deutschland Netzwerken Vorgaben macht, die im EU-Ausland ihren Firmensitz haben.
Digitalisierung der Verwaltung: Der Vorsitzende der Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern, Rudolf Schleyer, plädiert bei FAZ- Einspruch für eine Reform des 2009 geschaffenen IT-Planungsrates für die Digitalisierung der Verwaltung. Das Ziel koordinierten und gemeinsamen Handelns bei der Digitalisierung sei richtig, aber die Ausgestaltung in einem Exekutivgremium aus Bund und Ländern sei falsch. Es müssten stattdessen die Stärken des Föderalismus ausgespielt werden. Dazu bedürfe es einer breiteren Beteiligung der Öffentlichkeit und einer Förderung des politischen Streites um die beste Lösung anstatt von Konsensentscheidungen.
Beweisaufnahmeersuchen: Der ZPO-Blog (Peter Bert) stellt einen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vor, nach dem Deutschland künftig auch Beweisaufnahmeersuchen nach dem Haager Beweisaufnahmeübereinkommen erledigen soll, die auf eine Herausgabe von Dokumenten (sog. "pre-trial discovery of documents") gerichtet sind. Eine derartige moderate Öffnung für Rechtshilfeersuchen sei zu begrüßen. Es sei nicht zu begründen, weswegen auf Dokumentenvorlage gerichtete Rechtshilfeersuchen ausländischer Gerichte restriktiver gehandhabt werden sollten als Anträge auf Dokumentenvorlage in deutschen Verfahren nach der Zivilprozessordnung.
Justiz
LG Köln – Thomas Drach: Vor dem Landgericht Köln hat unter strengen Sicherheitsmaßnahmen und mit zwei Stunden Verzögerung das Verfahren gegen den einstigen Reemtsma-Entführer Thomas Drach begonnen. Er ist angeklagt, 2018 und 2019 gemeinsam mit einem Komplizen vier Geldtransporte überfallen und in zwei Fällen auf die Geldboten geschossen zu haben. Laut der Staatsanwaltschaft ist die Sicherungsverwahrung für Drach unumgänglich. Dieser erklärte, sich nicht einlassen zu wollen. Nur einmal ergriff er das Wort und verkündete, er wolle gegen die Staatsanwälte Strafanzeige wegen Urkundenfälschung stellen. Dabei geht es um Probleme bei der Übersetzung eines Rechtshilfeersuchens. Sein Verteidiger erklärte, die Anklageschriften stützten sich sämtlich auf lückenhafte Indizien und reine Spekulationen. Es berichten SZ (Peter Burghardt), FAZ (Reiner Burger) und spiegel.de (Julia Jüttner). Die taz (Jan Feddersen) porträtiert Drach.
BVerfG zu Gewinneinkünften: Rechtsprofessorin Christine Osterloh-Konrad schreibt in der FAZ über die Mitte Januar bekannt gewordene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach eine Privilegierung von Gewinneinkünften durch manche Regelungen im Steuerungsänderungsgesetz und im Jahressteuerungsgesetz 2007 verfassungswidrig war. Die Entscheidung buchstabiere nur aus, was schon lange Richtschnur der Überprüfung steuerrechtlicher Normen am Gleichheitssatz sei. Auch weiterhin dürfe der Gesetzgeber Spitzenverdiener:innen stärker besteuern, solange sie auch nach Steuern noch über ein hohes Einkommen verfügen. Der Gesetzgeber müsse jedoch die Zwecke steuerlicher Maßnahmen offenlegen und seine Entscheidungen zielgenau begründen.
BVerwG zur Vergabe kommunaler Räume/BDS: Rechtsprofessor Lothar Zechlin analysiert auf dem Verfassungsblog das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von Mitte Januar, wonach die Stadt München einen Raum für eine Diskussion zur Verfügung stellen muss, bei der es auch um die israelkritische BDS-Bewegung geht. Juristisch sei das Urteil wenig überraschend. Darüber hinaus ermögliche und gewährleiste es als Bollwerk gegen die präventive Be- und Verhinderung israelkritischer Meinungsäußerungen einen Raum für zivilgesellschaftliche Diskussionen.
OVG NRW – Zuschauerbeschränkung: Die Fußballvereine 1. FC Köln, Arminia Bielefeld und Borussia Dortmund haben beim Oberverwaltungsgericht Münster Eilanträge gegen die Zuschauer-Beschränkungen durch die Coronaschutzverordnung des Landes gestellt. Die Beschränkung auf 750 Zuschauer:innen sei unverhältnismäßig und verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot. Es berichten FAZ (Michael Horeni) und LTO.
LSG NRW zu Toilettengeld und Grundsicherung: Einer Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen zufolge erhöht sich der Anspruch auf Grundsicherung nicht deshalb, weil die Stadt Essen keine kostenlosen öffentlichen Toiletten vorhält und sich ein Rentner längere Zeit außerhalb der eigenen Wohnung aufhält. Dies schreibt LTO.
VG Dresden zu Racial Profiling: Die polizeiliche Kontrolle eines aus Guinea stammenden Bahnreisenden war rechtswidrig, entschied das Verwaltungsgericht Dresden. Der Kläger und sein Begleiter hätten aufgrund ihres Verhaltens oder anderer Auffälligkeiten keinen Anlass zur Kontrolle gegeben. Es seien allein Personen schwarzer Hautfarbe kontrolliert worden. Die Auswahl des Klägers sei ermessensfehlerhaft gewesen. Es berichtet spiegel.de.
VG Berlin zu Siltronic-Übernahme: Der geplante Kauf des Elektronikunternehmens Siltronic durch den taiwanesischen Konzern Globalwafers ist an dem Fehlen der Unbedenklichkeitsbescheinigung des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWi) gescheitert. Das BMWi hatte eine Frist für den Verkauf verstreichen lassen. Auch ein Eilantrag vor dem Berliner Verwaltungsgericht mit dem Ziel, vor Gericht eine Genehmigung der Übernahme zu erzwingen, blieb erfolglos. Der Fall werfe schwierige Rechtsfragen auf, die in der sehr kurzen Zeit nicht geklärt werden könnten. Die Folgenabwägung gehe hier zu Lasten des Unternehmens. Es berichten LTO (Stefan Schmidbauer) und spiegel.de.
LG Essen zu gepanschten Krebsmitteln: Das Landgericht Essen hat im Fall eines früheren Bottroper Apothekers Schmerzensgeldansprüche der Witwe eines Patienten teilweise anerkannt. Der Apotheker hatte über Jahre Krebsmittel gepanscht und dadurch Millionen verdient. Zu Gunsten der Klägerin greife die Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern. Der Insolvenzverwalter des früheren Apothekers sei in der Pflicht, die korrekte Dosierung der Medikamente nachzuweisen und die Annahme des groben Behandlungsfehlers zu widerlegen. Indes könne nicht angenommen werden, dass durch die Unterdosierung die Krebserkrankung weiter fortgeschritten oder der Tod des Ehemannes der Klägerin eingetreten sei. Die SZ (Hinnerk Feldwisch-Drentrup) berichtet.
ArbG Potsdam zu Kündigungsklage nach Mord: Das Arbeitsgericht Potsdam hat die Kündigungsschutzklage einer Heimpflegerin abgewiesen, die im vergangenen Jahr wegen der Ermordung von vier Menschen mit Behinderung verurteilt worden war. Dem Gericht zufolge habe mit den Taten ein Grund für die außerordentliche Kündigung vorgelegen. Es berichten spiegel.de (Wiebke Ramm) und taz (Linda Gerner).
Parteiausschluss vor Gericht: Die SZ (Jan Bielicki) nimmt die Parteiausschlussverfahren gegen Boris Palmer (Grüne) und gegen Max Otte (CDU) zum Anlass für einen Überblick über derartige Verfahren. Zwar stelle § 10 Parteiengesetz relativ hohe Hürden auf, damit eine Parteiführung nicht einfach ihre Kritiker:innen ausschließen kann. Den Parteischiedsgerichten komme aber ein weiter Entscheidungsspielraum zu, der aus der grundgesetzlich garantierten Freiheit der Parteien folge und der die Kontrolldichte staatlicher Gerichte einschränke. Maßgeblich sei eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2020 zum Parteiausschluss von Bülent Çiftlik durch die SPD.
Recht in der Welt
Norwegen – Breivik: Der norwegische Massenmörder von Oslo und Utøya, Anders Breivik, ist mit einem Antrag auf vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung gescheitert. Der Antrag wurde vom Bezirksgericht Telemark abgewiesen, wie zeit.de schreibt.
Österreich – Heinz-Christian Strache: Der ehemalige FPÖ-Vizekanzler, Heinz-Christian Strache, ist von der Staatsanwaltschaft in Wien in einem weiteren Fall wegen Bestechlichkeit angeklagt worden. Ein Unternehmer habe dem Politiker Vorteile gewährt und Geld an einen der FPÖ nahestehenden Verein gespendet. Im Gegenzug habe er einen Aufsichtsratsposten beim staatlichen Autobahnbetreiber Asfinag erhalten. Es berichtet spiegel.de.
Kolumbien – Lebenslange Haft: Die Rechtsprofessoren Manuel Iturralde Sánchez und Daniel Bonilla Maldonado erläutern auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) eine Entscheidung des kolumbianischen Verfassungsgerichts. Dieses hatte befunden, dass eine tatsächlich lebenslange Strafe unvereinbar ist mit dem Prinzip des sozialen Rechtsstaats und dem Grundsatz der Menschenwürde.
USA – Todestrakt San Quentin: Der US-Bundesstaat Kalifornien möchte den Todestrakt im Gefängnis San Quentin abschaffen, dem einzigen Gefängnis Kaliforniens mit einer Todeskammer. Dort einsitzende Häftlinge sollen auf andere Gefängnisse verlegt werden. Die Todesstrafe ist bereits seit 2019 ausgesetzt. Es berichtet LTO.
Rechtliche Ausbildung
Freischuss und Corona: Recherchen von LTO-Karriere (Pauline Dietrich) zufolge gehen die Bundesländer bei der Anrechnung des laufenden Wintersemesters 2021/2022 auf den sog. Freischuss unterschiedliche Wege. Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Rheinland-Pfalz nehmen keine Anrechnung vor. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg haben die Anzahl der nicht anzurechnenden Semester auf insgesamt vier gedeckelt. Die übrigen Bundesländer sind noch unentschieden.
Sonstiges
Kündigung von Sammelanderkonten: Infolge der Anpassung der Auslegungs- und Anwendungshinweise zum Geldwäschegesetz durch die Bundesanstalt für Finanzaufsicht ist nach Auffassung der "Deutschen Kreditwirtschaft", einer Einrichtung der deutschen Banken zur gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung, das Führen eines Sammelanderkontos voraussetzungsreicher geworden. Rechtsanwält:innen seien nun in der Regel verpflichtet, zu jeder eingehenden Summe die Bank aktiv darüber zu unterrichten, wer der wirtschaftlich Berechtigte in Bezug auf diese Summe ist. Laut LTO (Felix Zimmermann) haben bisher jedoch keine weiteren Banken Kündigungen derartiger Konten bekanntgegeben.
Digitalisierung von Notariaten: In einem Beitrag für die FAZ beklagt die Rechtsanwältin und Notarin Astrid Plantiko die nur schleppend vorangehenden Entwicklungen bei der Digitalisierung der Notariate. Es fehle weiterhin die zentrale und einheitliche Infrastruktur für die Digitalisierung der Beurkundung selbst.
Lobbyregister: Laut LTO (Stefan Schmidbauer) sind bislang lediglich 239 Eintragungen in das – nunmehr obligatorische – Lobbyregister des Deutschen Bundestages erfolgt. Der Großteil der Registrierungen entfällt dabei auf juristische Personen. 943 Personen wurden für die Interessenvertretung angemeldet.
Herr Anwalt: Der Rechtsanwalt Tim Hendrik Walter, bekannt geworden als "Herr Anwalt", spricht bei beck-aktuell (Monika Spiekermann) über sein Leben als Jura-Influencer.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/jng
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 2. Februar 2022: . In: Legal Tribune Online, 02.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47395 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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