Der britische High Court räumt der US-Regierung eine neue Frist ein, Garantien zu Julian Assange abzugeben. Der Deutsche Anwaltverein will Mord und Totschlag neu definieren. Eine dopinggeschädigte Ex-DDR-Kanutin begehrt Rehabilitation.
Thema des Tages
Großbritannien – Julian Assange: Am Londoner High Court of Justice hat Julian Assange einen Aufschub seiner Auslieferung an die US-amerikanische Strafjustiz erreicht. Verhandelt wird über den zweiten Versuch von Assange, eine Berufung gegen die Erlaubnis der Auslieferung zu erreichen. Ein erster Versuch scheiterte 2022. Nun hat der High Court sechs von neun Argumenten Assanges abgelehnt, u.a. den Vorwurf, Assange werde in den USA wegen politischer Delikte strafverfolgt. Bei den restlichen noch offenen drei Argumenten geht es um die Frage, ob Assange als Australier in den USA die gleichen Rechte wie US-Staatsbürger:innen zustehen, also ob er sich zB. auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen kann. Offen ist auch noch der Vorwurf, Assange drohe in den USA die Todesstrafe. Das Gericht hat nun der US-Regierung eine dreiwöchige Frist gesetzt, innerhalb derer sie garantieren kann, dass sich Assange bei einem Verfahren in den USA auf die dortige Meinungsfreiheit berufen kann, ihm keine Nachteile als Ausländer drohen sowie keine Todesstrafe verhängt wird. Sollte die Erklärung nicht oder unzureichend erfolgen, würde die gegen seine Auslieferung erhobene Berufung insoweit zugelassen. Erfolgen die Erklärungen, soll eine weitere Anhörung am 20. Mai stattfinden. Wegen Spionagevorwürfen drohen Assange in den USA bis zu 175 Jahre Haft. Es berichten FAZ (Johannes Leithäuser/Sofia Dreisbach), SZ (Thomas Kirchner), taz (Daniel Zylbersztajn-Lewandowski), LTO, spiegel.de (Michael Sontheimer) netzpolitik.org (Constanze Kurz) und zeit.de (Maike Laaff/Lisa Hegemann).
Ronen Steinke (SZ) bezeichnet in seinem Kommentar die Assange drohende Haftstrafe "indiskutabel, weil es so extrem überzogen ist." Auch wenn Assanges Veröffentlichungen Leben gefährdet haben, sei die US-amerikanische Reaktion "höllisch politisiert". Der britischen Justiz bleibe kein anständigerer Ausgang als Assange freizulassen. Ähnlich argumentiert Bernd Pickert (taz) im Leitartikel. "Der Westen" habe nun die Chance, zu beweisen, dass er nicht wie die russische Regierung "abschreckende Exempel" an unbequemen Männern statuiere.
Rechtspolitik
Tötungsdelikte: Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat eine Initiativstellungnahme zur Reform der Paragrafen 211ff StGB veröffentlicht. Der DAV kritisiert, dass im Eckpunktepapier des Justizministeriums zur Modernisierung des StGB nur eine sprachliche Änderung der Paragrafen vorgesehen ist. Demgegenüber schlägt das DAV-Papier vor, bei der Unterscheidung von Mord und Totschlag die bisherigen Mordmerkmale abzuschaffen, und stattdessen für den Vorwurf des Mordes darauf abzustellen, ob die Täter:in nach rechtlichen Kriterien allein für die Tat und den Tatkontext verantwortlich ist, der Tatanlass also insoweit ein rechtlich nichtiger war. Wenn jedoch – wie im Regelfall – auch entlastende Momente bzw. Umstände vorliegen, so soll die Tat als Totschlag bewertet werden. Die lebenslange Freiheitsstrafe bei Mord soll im Grundsatz bestehen bleiben, aber nicht als Automatismus. beck-aktuell berichtet.
Resilienz des BVerfG: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat sich bereits am 9. Januar mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, im Ministerium zu einem nicht-öffentlichen Meinungsaustausch über die "Resilienz des Rechtsstaats" getroffen. Darüber hinaus gehende Angaben zu Gesprächsinhalten wollte das Ministerium gegenüber dem Tsp (Jost Müller-Neuhof) nicht machen.
Cannabis: Das vom Bundestag verabschiedete Cannabisgesetz wird am heutigen Mittwoch Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig zur Unterzeichnung vorgelegt. Sie vertritt den urlaubenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Trotz der auch von ihr geäußerten Bedenken ist davon auszugehen, dass Schwesig die Unterzeichnung vornimmt, mutmaßt spiegel.de (Florian Gathmann).
Cannabis und Straßenverkehr: Die FAZ (Jakob Krembzow) schreibt über verkehrsrechtliche Überlegungen zur Anhebung des im Straßenverkehr zulässigen THC-Wertes. Es sei ausgeschlossen, dass die hierzu von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) einberufene interdispziplinäre Arbeitsgruppe" ihre Ergebnisse zum voraussichtlichen Inkrafttreten des Gesetzes am Ostermontag präsentiert.
Exmatrikulation: Der Berliner Senat hat einen Gesetzentwurf für eine Ergänzung des Berliner Hochschulgesetzes beschlossen, mit der die 2021 abgeschaffte Sanktionsmöglichkeit einer Exmatrikulation wieder eingeführt werden soll. Dabei soll die Exmatrikulation grundsätzlich nur nach der strafrechtlichen Verurteilung wegen einer Gewalttat möglich sein, ausnahmsweise aber auch nach Verübung einer weiteren Gewalttat, während noch wegen einer ersten Gewalttat ermittelt wird. Die Novelle könnte vom Abgeordnetenhaus noch vor der parlamentarischen Sommerpause verabschiedet werden. Es berichten SZ (Jan Heidtmann) und LTO.
Arbeitsverhältnisse an Hochschulen: Das Bundeskabinett könnte am heutigen Mittwoch den Gesetzentwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) beschließen. Obgleich Einigkeit über die Notwendigkeit einer Neuregelung besteht, würden die hierzu vom Forschungsministerium vorgelegten Pläne weiterhin kritisiert, so die SZ (Kathrin Müller-Lance).
Wohnungsbau: Rechtsanwalt Frank-Florian Seifert schreibt im Recht und Steuern-Teil der FAZ über die geplante Änderung des Baugesetzbuches, nach der Wohnungsneubau – zeitlich befristet – auch außerhalb der Festlegungen von Bebauungsplänen möglich sein soll. Nach Einschätzung des Autors liegen die Gründe von Wohnungsmangel jedoch außerhalb rechtlicher Bestimmungen und sind vorwiegend einer "ineffizienten Verwaltung" mit "schwerfälligen Prozessen und unflexiblen Strukturen" anzulasten. Unabhängig hiervon sei jede Neuerung zu begrüßen, die "auch nur ein paar Wohnungen" schaffe.
BSG-Präsidentin Fuchsloch im Interview: In einem großen Interview mit der FAZ (Katja Gelinsky/Heike Göbel) spricht Christine Fuchsloch, die seit dem 1. März amtierende Präsidentin des Bundessozialgerichts, über den Zustand des deutschen Sozialstaats, Reformbedarf beim Bürgergeld mit diesbezüglichen Sanktionsmöglichkeiten, die geplante Kindergrundsicherung sowie ihren Weg in die Fachrichtung Sozialrecht.
Justiz
BVerwG – Zwangsdoping: Können frühere DDR-Nachwuchssportler:innen, die Opfer von Zwangsdoping wurden, Ansprüche nach dem verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) geltend machen? Über diese Rechtsfrage verhandelt am heutigen Mittwoch das Bundesverwaltungsgericht nach Revision einer am Verwaltungsgericht Potsdam unterlegenen ehemaligen Kanu-Sportlerin. Laut VG habe die Gabe von Dopingmitteln an die damals minderjährige Leistungsportlerin keine politische Verfolgung bezweckt und könne auch nicht als "Willkür im Einzelfall" im Sinne der diesbezüglichen höchstrichterlichen Rechtsprechung eingestuft werden. Der Klägerin verblieben zudem Ansprüche auf Grundlage des Dopingopfer-Hilfegesetzes. LTO (Charlotte Hoppen) macht darauf aufmerksam, dass das Verwaltungsgericht Greifswald einen ähnlich gelagerten Fall 2020 anders beurteilt hatte.
BGH zu Rücktritt vom Versuch: In einem Anfang des Jahres verkündeten Urteil hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass der Täter eines beendeten Versuches sich aufgrund einer willensgesteuerten Entscheidung für Rettungsmaßnahmen entscheiden muss, um in den Genuss eines strafbefreienden Rücktritts zu kommen. Dies sei nicht der Fall, wenn Rettungsmaßnahmen infolge einer "seelischen Erschütterung" in die Wege geleitet wurden. beck-aktuell (Michael Dollmann) berichtet.
OLG Jena zu Pflichten spezialisierter Rechtsanwält:innen: Nun schreibt auch Rechtsanwältin Julia Braun auf beck-aktuell über ein Ende Januar verkündetes Urteil des Thüringer Oberlandesgerichts, das zumindest für spezialisierte Anwält:innen eine Nutzungspflicht frei zugänglicher einschlägiger Online-Datenbanken statuiert.
OVG NRW – Verdachtsfall AfD: Die beim Oberverwaltungsgericht Münster anhängige Klage der AfD gegen ihre vom Bundesamt für Verfassungsschutz vorgenommene Einstufung als Verdachtsfall wird ab dem 11. April weiterverhandelt. Das OVG hat bis zum 3. Juli insgesamt 13 Termine angesetzt, berichtet LTO.
LG Frankfurt/M. - "Sommermärchen" und Steuerhinterziehung: Im sogenannten Sommermärchen-Prozess gegen frühere Mitglieder des WM-Organisationskommittees ließ das Landgericht Frankfurt/M. vorige Woche die DFB-Zentrale durchsuchen. Ziel der Maßnahme sei das Auffinden eines Protokolls gewesen, in dem der frühere DFB-Schatzmeister und jetzige Mitangeklagte Horst R. Schmidt vermutet hatte, dass die an die Fifa überwiesenen 6,7 Millionen Euro, die der DFB als Betriebsausgabe bilanzierte, dem Stimmenkauf gedient habe. Schmidt habe einen solchen Zusammenhang bisher immer bestritten, schreibt die SZ (Johannes Aumüller/Thomas Kistner). Eine Freigabe des Protokolls sei nicht erfolgt, weil Schmidt sich von der mit der Aufklärung beauftragten externen Beraterfirma Esecon falsch zitiert sah. Die Verhandlung wird am morgigen Donnerstag fortgesetzt.
LG Nürnberg-Fürth zu Hausdurchsuchung nach Whistleblowing: Rechtsanwalt Andre-M. Szesny stellt auf beck-aktuell einen Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vor, in dem Mitte Februar klargestellt wurde, dass eine richterliche Durchsuchungsanordnung auch durch eine anonyme Anzeige in einem Hinweisgebersystem gerechtfertigt sein kann. Hiefür seien grundsätzlich die allgemeinen Voraussetzungen (Tatverdacht, Auffindevermutung bezüglich des Beweismittels und Verhältnismäßigkeit) zu prüfen. Im zugrundeliegenden Fall hatte ein Hinweisgeber Abrechnungsbetrug einer Apothekerin behauptet und dies z.B. mit einem Screenshot untermauert.
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Über die im Verfahren gegen Markus Braun und andere Wirecard-Manager nun im Raum stehende Verständigung des mitangeklagten Stephan von Erffa mit dem Landgericht München I berichtet nun auch die FAZ (Marcus Jung).
ArbG Bremen-Bremerhaven zu Low Performance: Rechtsanwalt Sebastian Maiss macht im Recht und Steuern-Teil der FAZ auf zwei Entscheidungen des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven aufmerksam, in denen die Kündigungen sogenannter Low Performer als wirksam eingestuft wurden. Die Gekündigten hatten die ihnen übertragene Betreuung des Bürgertelefons der Hansestadt in einer Weise ausgeführt, die vom Gericht als vorsätzliche Arbeitsverweigerung eingeordnet wurde. Nun könnten Arbeitgebende wieder hoffen, dass sie "unterdurchschnittliche Leistung nicht dulden müssen."
AG Berlin-Tiergarten – Letzte Generation/Brandenburger Tor: Unmittelbar nach Anklageverlesung ist der gegen zwei Mitglieder der "Letzten Generation" wegen des Vorwurfs der gemeinschädlichen Sachbeschädigung eröffnete Prozess am Amtsgericht Tiergarten bereits wieder unterbrochen worden. Grund war ein Beweisantrag der Verteidigung, die geltend macht, dass der geschätzte Schaden am Brandenburger Tor in Höhe von 115.000 Euro vor allem auf eine unsachgemäße Reinigung zurückzuführen ist. Die sachgemäße Entfernung der wasserlöslichen orangenen Farbe wäre bestenfalls mit 25.000 Euro zu Buche geschlagen. Das Gericht werde nun die Einholung des beantragten Gutachtens prüfen. spiegel.de (Wiebke Ramm) und taz (Jonas Baur/Carlo Mariani) berichten.
StA Berlin – Rüdiger vs. Reichelt: Über die von Fußballnationalspieler Antonio Rüdiger gegen den früheren Bild-Chef Julian Reichelt erstattete Strafanzeige u.a. wegen Verleumdung berichtet nun auch LTO.
"From the river …": Die Anwälte Robert Brockhaus, Benjamin Düsberg und Nikolas Göllner legen auf dem Verfassungsblog dar, dass die Mehrdeutigkeit des Slogans "From the river to the sea, Palestine will be free" eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung oder anderer Strafbestimmungen in der Regel ausschließt. Die nun von zahlreichen Staatsanwaltschaften vorgenommene Deutung eines ausschließlich antisemitischen Sinngehaltes verkenne, dass die Parole weder ausschließlich der Hamas noch überhaupt einer palästinensischen Parteinahme zuzuordnen sei. So entstehe der "Eindruck, dass der Staat palästinasolidarischen Stimmen besonders repressiv begegnet." Dies wiederum führe zu Einschüchterungseffekten, die es in einer liberalen Demokratie "zu vermeiden gilt."
Recht in der Welt
USA – Elon Musk/X: Ein kalifornisches Gericht hat die Schadensersatzforderung der Plattform X gegen die Organisation Center for Countering Digital Hate (CCDH) abgewiesen und die Klage als missbräuchlich bezeichnet. Das CCDH hatte die Zunahme von Hassrede auf X seit der Übernahme durch Elon Musk dokumentiert und hierdurch nach klägerischer Ansicht Nutzungsbestimmungen verletzt. spiegel.de berichtet.
China – Korruption: Wegen der Annahme von Schmiergeldern ist der frühere Präsident des chinesischen Fußballverbandes zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt worden. Weitere Funktionäre, unter ihnen der Chef des Leichtathletikverbandes Chinas, erhielten zeitige Haftstrafen, so spiegel.de.
Sonstiges
AfD-Verbot: Der Politologie-Professor Michael Koß warnt auf dem Verfassungsblog vor einem AfD-Verbotsverfahren. Ein AfD-Verbot würde zur Radikalisierung der AfD-Anhänger:innen führen, die bisher weniger radikal seien als die AfD-Spitze. Unter den heutigen Bedingungen fragmentierter Öffentlichkeiten würden Parteiverbote nicht mehr so bereitwillig akzeptiert wie in den 1950er-Jahren.
Das Letzte zum Schluss
Grenzkonflikt: Eine speziell für "Diktatoren mit Territorialansprüchen" interessante Tagung im liechtensteinisch-österreichischen Grenzgebiet schlägt die SZ (Cathrin Kahlweit) vor. Das Fürstentum und das Bundesland Vorarlberg könnten hierbei Anschauungsunterricht am quasi lebenden Beispiel erteilen. Denn haben sich beide Parteien nach kurzen Verhandlungen über einen Gebietsaustausch von jeweils 240 Quadratmetern geeinigt. Der nun folgende Staatsvertrag kann sich auf ein historisches Vorbild stützen: Auseinandersetzungen über ein ungleich größeres Gebiet von 24 Hektar haben nach 1947 mehr als ein Jahrzehnt gebraucht, ehe sie zum – auch damals schon – friedlichen Abschluss führten.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
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Die juristische Presseschau vom 27. März 2024: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54213 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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