Fußballprofi Antonio Rüdiger wehrt sich gegen den Vorwurf, eine IS-Geste verbreitet zu haben. Der Normenkontrollrat schildert, warum der Sozialstaat so komplex ist. Die EU-Kommission leitet Verfahren gegen Digitalkonzerne ein.
Thema des Tages
StA Berlin – Rüdiger vs. Reichelt: Fußballnationalspieler Antonio Rüdiger hat den Journalisten Julian Reichelt bei der Berliner Staatsanwaltschaft wegen verhetzender Beleidigung, Verleumdung und Volksverhetzung angezeigt. Am 11. März hatte Rüdiger auf Instagram einen Ramadan-Gruß gepostet. Beigefügt war ein Photo von Rüdiger auf einem Gebetsteppich, bei dem er mit dem Finger der rechten Hand nach oben weist. Hierzu postete Reichelt auf Twitter/X: "Für alle, die beim Islamisten-Gruß von Antonio Rüdiger keinen Islamisten-Gruß erkennen wollen: Der Verfassungsschutz nennt diese Geste den 'IS-Finger' und wertet den Zeigefinger als klares Zeichen für Islamismus." Wegen dieses Posts erstattete neben Rüdiger auch der DFB Strafanzeige gegen Reichelt. bild.de (Christian Falk u.a.) berichtet und hat das Bundesinnenministerium sowie Islam-Expert:innen um Einschätzungen gebeten. Überwiegend wird der tauhid-Finger als unproblematisches Glaubensbekenntnis zum einen Gott angesehen. Allerdings versuche die Terrororganisation IS, die Geste zu vereinnahmen.
Rechtspolitik
Sozialstaat: Die FAZ (Dietrich Creutzburg) berichtet exklusiv vorab über ein Gutachten des Normenkontrollrats zur Komplexität des Sozialstaats. So habe ein allein erziehender Vater, der auch seine Mutter pflegt, Anspruch auf 12 verschiedene Sozialleistungen, für deren Bewilligung 8 verschiedene Stellen zuständig sind. Dabei sind vier verschiedene Einkommensbegriffe und drei verschiedene Begriffe der häuslichen Lebensgemeinschaft anzuwenden. Teilweise sei eine parallele Prüfung der Ansprüche nicht möglich, weil die Höhe der einen Leistung von der Höhe einer anderen Leistung abhänge. Grund für die Unübersichtlichkeit sei die Zuständigkeits-Zersplitterung in der Bundesregierung. Im Beispielsfall seien Gesetze mit Federführung von fünf verschiedenen Ministerien anzuwenden.
Cannabis: Das Bundespräsidialamt prüft das Cannabisgesetz vor der Unterzeichnung routinemäßig auf verfassungsrechtliche Mängel. Die CDU/CSU hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aufgefordert, das Gesetz nicht auszufertigen. Konkret moniert die Union kurze Fristen zwischen dem Versand des endgültigen Gesetzspakets an die Fraktionen und dem Beschluss im Plenum des Bundestags. Wenn das Gesetz wie geplant am 1. April in Kraft treten soll, müsste es noch diese Woche ausgefertigt werden. Auch dieser Zeitdruck, der eine gründliche Prüfung verhindere, wird von der CDU/CSU beanstandet. Da Bundespräsident Steinmeier im Urlaub ist, müsste Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (MV, SPD) unterzeichnen. LTO (Hasso Suliak) berichtet.
Richter Carsten Krumm erläutert auf beck-aktuell, dass die "nicht geringe Menge" Cannabis nach Inkraftreten des Cannabisgesetzes von der Rechtsprechung neu definiert werden muss. Da die bisherige "nicht geringe Menge" von 7,5 Gramm THC-Wirkstoffgehalt, die beim Handel den Übergang zum Verbrechen markierte, künftig straflos besessen werden kann, schlägt der Autor vor, die "nicht geringe Menge" auf 100 Gramm THC zu erhöhen.
Menschenrechte: Der UN-Menschenrechtsrat hat Deutschland 346 Empfehlungen zur Verbesserung der Menschenrechtslage gegeben. Der entsprechende Abschlussbericht im Zuge der regelmäßigen Überprüfung wurde im Menschenrechtsrat im Konsens angenommen. Die Empfehlungen beziehen sich u.a. auf eine bessere Bekämpfung von Rassismus, mehr Unterstützung von Frauen, die Gewalt erleben, und Maßnahmen zur Verbesserung der Lage von Kindern in ärmeren Familien. Die Bundesregierung hat 283 Empfehlungen akzeptiert und 63 Empfehlungen nur zur Kenntnis genommen. focus.de berichtet.
Justiz
BVerfG – Kreuze in bayerischen Behörden: Der Bund für Geistesfreiheit (bfg) will gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Dezember Verfassungsbeschwerde einlegen. Das BVerwG hatte damals den bayerischen Kreuzerlass für rechtmäßig erklärt. Laut bfg verletze ihn jedoch die "staatliche Anweisung, das zentrale christliche Symbol schon im Eingangsbereich der durch die Verfassung zur Neutralität verpflichteten Behörden gut sichtbar anzubringen", in seinen Grundrechten auf Gleichbehandlung und auf Religionsfreiheit". Der bfg sehe sich als "Konkurrent der christlichen Glaubensgemeinschaften". LTO berichtet.
BGH zu beA: Wenn ein Rechtsanwalt ein Dokument qualifiziert elektronisch signiert und über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach einreicht, ist das Dokument damit wirksam bei Gericht eingegangen, stellte der Bundesgerichtshof klar. Es sei unschädlich, wenn der Schriftsatz eigentlich von einem anderen Anwalt der Sozietät verfasst und unterschrieben wurde. Auch ein klarstellender Zusatz bei der elektronischen Signatur ("signiert für") sei in diesem Fall nicht erforderlich. LTO berichtet.
BGH zu Opferentschädigung: Das Land Nordrhein-Westfalen kann die im Zuge einer Härtefall-Regelung an Opfer einer Amokfahrt in Münster ausbezahlten Versorgungsbezüge in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nicht vom Verein Verkehrsopferhilfe e.V. erstattet bekommen, entschied der Bundesgerichtshof in einem jetzt veröffentlichten Urteil von Dezember. Der Verein, der von den Kfz-Haftpflichtversicherungen getragen wird, springt nur ein, wenn sonst gar niemand zahlt. Er habe jedoch keine Zahlungspflicht, wenn der Staat auf Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes Leistungen erbrachte. beck-aktuell berichtet.
BAG zu Massenentlassung: Ob das Bundesarbeitsgericht eine EuGH-Vorlage zu Unrecht unterlassen und damit das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt hat, muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Eine entsprechende Nichtigkeitsklage, die an das BAG ging, lehnte das BAG nun ab. Nach Darstellung von Anwältin Alexandra Groth auf LTO liegt im vorliegenden Fall eine EuGH-Vorlage aber auch nicht nahe, weil ausreichend EuGH-Rechtsprechung vorliegt. Konkret geht es um die Frage, bei welcher Arbeitsagentur eine Massenentlassung angezeigt werden muss, wenn das Unternehmen seinen Betrieb bereits eingestellt hat.
LAG Nds zu Kündigung eines Betriebsrats: Amazon durfte den Betriebsratsvorsitzenden seines Betriebs in Winsen/Luhe fristlos kündigen, weil dieser sich während der Arbeitszeit stundenlang mit einer Frau im Café getroffen hatte, obwohl er sich zu einer vom Arbeitgeber bezahlten Fortbildung abgemeldet hatte. Dies entschied das Landesarbeitsgericht Niedersachsen Ende Februar. Da der Betriebsrat der Kündigung seines Vorsitzenden nicht zustimmte, musste das Gericht entscheiden. LTO berichtet.
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Nach Informationen des Hbl (Rene Bender u.a.) loten die Verteidiger des früheren Chefbuchhalters Stephan von Erffa die Möglichkeiten einer Verständigung mit Gericht und Staatsanwaltschaft aus. Auch ein Geständnis ist demnach möglich. Ein erstes Rechtsgespräch habe am Freitag stattgefunden, aber noch zu keinem Ergebnis geführt.
StA Gießen – erfundene Krebs-Erkrankung: Die Staatsanwaltschaft Gießen ermittelt gegen ein Elternpaar aus Gießen, das in sozialen Medien Spenden für sein angeblich krebskrankes Kind gesammelt hatte. Zuerst wurde eine Erkrankung an Hautkrebs erfunden. Nach deren angeblicher Heilung sei das Kind an Leukämie erkrankt. Die Eltern konnten so mehrere hundertausend Euro einnehmen. Die FAZ (Thorsten Winter) berichtet.
EuGH-Jahres-PK: Die meisten Verfahren beim Europäischen Gerichtshof betreffen Asyl-, Verbraucherschutz- und Steuerrecht. Am meisten Richtervorlagen kamen aus Deutschland, gefolgt von Polen und Bulgarien. Über die Jahresbiland des EuGH berichten FAZ (Marcus Jung) und beck-aktuell.
BVerfG-Richterwechsel: Über die Feierstunde des Bundesverfassungsgerichts zum letzten Richterwechsel am Zweiten Senat berichtet LTO (Christian Rath). Verabschiedet wurden Peter Müller und Sibylle Kessal-Wulff. Eingeführt wurden Peter Frank und Holger Wöckel. Kessal-Wulf begrüßte u.a., dass die Justiz weiblicher geworden ist. Müller verteidigte u.a. die regelmäßigen Abendessen des BVerfG mit der Bundesregierung.
Udo Di Fabio: Ex-Verfassungsrichter und Rechtsprofessor Udo Di Fabio wird am heutigen Dienstag 70 Jahre alt. Darauf macht die FAZ (Reinhard Müller) aufmerksam. Di Fabio habe jahrzehntelang für "Freiheit in Verantwortung" geworben.
Recht in der Welt
USA – Trump/Immobiliengesellschaften: Ein Berufungsgericht hat die von Ex-Präsident Donald Trump nach seiner Verurteilung wegen Geschäftsbetrugs zu erbringende Sicherheitsleistung deutlich reduziert. Trump muss nur 175 Millionen Dollar (162 Millionen Euro) auf ein Konto der Justiz einzahlen oder Bürgschaften in dieser Höhe vorweisen. Bisher war Trump eine Kautionssumme von 454 Millionen Dollar auferlegt worden. spiegel.de berichtet.
USA – Trump/Stormy Daniels: Der Prozess um eine mutmaßliche Schweigegeldzahlung von Donald Trump an die ehemalige Pornodarstellerin Stormy Daniels soll am 15. April beginnen, teilte das New Yorker Gericht mit. Trump wird vorgeworfen, er habe dabei Geschäftsunterlagen gefälscht. spiegel.de berichtet.
USA – Trump vor Gericht: Im Interview mit spiegel.de (Roland Nelles) gibt Rechtsprofessor David Alan Sklansky einen Überblick und eine Einschätzung über die vier bevorstehenden Strafprozesse gegen Donald Trump. Er geht davon aus, dass es noch vor der Präsidentschaftswahl im November zu einer Verurteilung Trumps in mindestens einem Prozess, aber nicht zum Haftbeginn kommen wird.
Spanien – Telegram: Der Richter am Nationalen Staatsgerichtshof Santiago Pedraz hat eine von ihm selbst am Freitag angeordnete Blockade des Messengers Telegram nun wieder aufgehoben. Sie könne mit einem VPN-Netzwerk und einem Proxy zu leicht umgangen werden. Anlass waren Urheberrechtsverletzungen auf Telegram. Die FAZ (Marcus Jung) berichtet.
Juristische Ausbildung
Elektronisches Staatsexamen: beck-aktuell (Sarah Schopf) gibt einen Überblick über die Digitalisierung der juristischen Staatsexamen. Das Zweite Staatsexamen kann bereits in acht Bundesländern am Laptop geschrieben werden, fünf Länder wollen folgen. Fast alle Prüflinge machen von der neuen Möglichkeit Gebrauch. Das elektronische Erste Staatsexamen haben erst drei Bundesländer eingeführt. Bisher kann der Laptop nur wie eine Schreibmaschine genutzt werden, digitales Recherchieren ist nicht erlaubt, es wird weiter mit Gesetzestexten aus Papier gearbeitet. Auch zur Korrektur werden die digital verfassten Klausuren zunächst ausgedruckt.
Sonstiges
Digitale Märkte: Die EU-Kommission hat Untersuchungen gegen Apple, Google/Alphabet sowie Facebook/Meta eröffnet. Es soll geprüft werden, ob die Konzerne gegen den neuen Digital Markets Act (DMA) verstoßen. So müssen die Plattformen die Zustimmung der Nutzer:innen einholen, wenn sie deren personenbezogene Daten über verschiedene zentrale Plattformdienste hinweg kombinieren wollen. Verboten ist die Bevorzugung von eigenen Angeboten. Die EU-Kommission will die nun eröffneten Verfahren innerhalb eines Jahres abschließen. Es berichten u.a. Hbl (Carsten Volkery) und LTO.
Werner Mussler (FAZ) ist nicht überrascht über das Tempo der EU-Kommission. Die Probleme seien bekannt. Nun müsse sich zeigen, ob mit dem DMA die Verfahren wirklich schneller ablaufen, als mit dem zähen Kartellrecht.
AfD-Verbot: Rechtsprofessor Uwe Volkmann gibt auf dem Verfassungsblog einen Überblick über die Fragen, die für oder gegen Partei-Verbotsverfahren sprechen. Er hält ein Verfahren gegen einzelne besonders radikale Landesverbände der AfD für am erfolgversprechendsten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 26. März 2024: . In: Legal Tribune Online, 26.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54203 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag