Die juristische Presseschau vom 10. Oktober 2024: Besuchs­verbot bei Daniela Klette / Parität im Wahl­recht gefor­dert / Foris sam­melt Kapital

10.10.2024

Die BGH-Ermittlungsrichterin fürchtet Fluchthilfe durch alte RAF-Kontakte. Ein breites Bündnis fordert ein Paritätsgesetz für Bundestagswahlen. Der Prozessfinanzierer Foris legt einen Fonds mit externen Investor:innen auf.

Thema des Tages

BGH – Daniela Klette/Haftbesuch: Eine Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofs hat den ehemaligen RAF-Mitgliedern Günter Sonnenberg und Karl-Heinz Dellwo verboten, die Ende Februar in Berlin festgenommene RAF-Terroristin Daniela Klette in der Justizvollzugsanstalt Vechta zu besuchen. Die BGH-Ermittlungsrichterin sieht die Gefahr, dass Klette mithilfe der Besucher eine Flucht planen könnte. Ihr Anwalt kritisiert das Besuchsverbot als "Isolation in einem nicht mehr hinnehmbaren Maße". Der Strafprozess vor dem Landgericht Verden wird frühestens Anfang 2025 starten. SZ (Lena Kampf/Sebastian Erb) und LTO (Luisa Berger/Joschka Buchholz/Markus Sehl) berichten.

Rechtspolitik

Parität im Wahlrecht: Ein fraktionsübergreifendes Bündnis aus Politiker:innen, Wissenschaftlicher:innen sowie 89 Verbänden und Netzwerken übergab der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) ein Manifest, in dem sie eine Wahlrechtsänderung mit einer "paritätsgedeckten Mandatszuteilung" fordern, um so die in Art. 3 Abs. 2 GG angestrebte tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Für "männerdominierte Parlamente" gebe es "im 75. Jahr des Grundgesetzes" kein Verständnis, wie die taz (Amelie Sittenauer) das Manifest zitiert.

Beamtenbesoldung: Nach Informationen der FAZ (Stephan Klenner) berät das Bundesinnenministerium am morgigen Freitag mit Verbänden über eine Reform des Bundesbesoldungsgesetzes. Anlass sind zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 2020, wonach die Bezahlung von Richter:innen und Staatsanwält:innen in Nordrhein-Westfalen und Berlin zu niedrig war. Das Verfassungsgericht verlangte, dass die Nettoalimentation der untersten Besoldungsgruppe im öffentlichen Dienst mindestens 15 Prozent über dem Grundsicherungsniveau liegt. Viele Länder haben ihre Besoldungsgesetze bereits angepasst. Im Bund scheiterte eine Reform bisher an Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Regulierung: In einem Gastbeitrag in der FAZ sprechen sich Anja Kern und Peter Jung, Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Unternehmer, gegen eine starke Regulierung von Unternehmen aus. Die "oft ideologisch überfrachteten" Vorschriften würden die Unternehmen daran hindern, "sich auf ihr eigentliches Geschäftsergebnis zu konzentrieren" und führten zu "erheblichen Nachteilen im globalen Wettbewerb". Sie fordern eine "ergebnis- und zweckorientierte moderne Verwaltungskultur".

AfD-Verbot: Im Frage-Antwort-Format gibt die SZ (Ronen Steinke) einen Überblick über das mögliche Parteiverbotsverfahren gegen die AfD. Das Verfahren, das Jahre dauern könnte, weise hohe Hürden auf – so muss eine Zwei-Drittel-Mehrheit der acht Verfassungsrichter:innen des Zweiten Senats sich für das Verbot aussprechen. Der Zuspruch der Wähler:innen sei indes kein Argument gegen das Parteiverbot. 

Auch Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz setzt sich auf beck-aktuell mit der Debatte um ein AfD-Verbot auseinander. Ein Parteiverbotsverfahren könnte die AfD unter Umständen "disziplinieren", sodass sie "extremistische Positionen im Innern zurückdrängen muss, um politische Erfolge nicht zu verspielen". Der Autor spricht sich für eine offene Diskussion um das Verbot aus. Laut zeit.de lehnen die Parteispitzen von SPD, CDU und CSU jedoch ein Verbotsverfahren ab.

In einem separaten Kommentar bezeichnet Ronen Steinke (SZ) den achtseitigen Verbotsantrag des CDU-Politikers Marco Wanderwitz als "juristisch präzise und rund." Der "Appell an die Demut", eine Entscheidung der "Parteiunabhängigen in Karlsruhe" zu ermöglichen, weise auf "das größte praktische Problem dieses Gruppenantrags hin: die verbreitete Lust an parteipolitischer Taktik".

Kindschaft / Abstammung / Unterhalt für Trennungskinder: Nun stellen auch FAZ (Marlene Grunert) und Welt (Sabine Menkens) das seit langem anstehende Familienrechtsreformpaket von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vor. 

Vermummungsverbot: Amnesty International, die Gesellschaft für Freiheitsrechte und die Humanistische Union kritisieren das im Versammlungsgesetz enthaltene strafbewehrte pauschale Verbot, sich bei Versammlungen unter freiem Himmel zu vermummen. Es müsse nicht zuletzt aus Gründen der eigenen Sicherheit und zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung möglich sein, anonym zu demonstrieren. netzpolitik.org (Martin Schwarzbeck) berichtet.

Justiz

BVerfG – Kirchliches Arbeitsrecht/Egenberger: LTO (Tanja Podolski) ruft den seit nunmehr fünf Jahren beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Fall der Sozialpädagogin Vera Egenberger in Erinnerung. Die Diakonie hatte Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts eingelegt, das nach Vorlage beim Europäischen Gerichtshof das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bei der Einstellung von Mitarbeiter:innen unter richterliche Kontrolle setzte. Egenberger hatte sich auf eine Diakonie-Stelle beworben, war aber aufgrund ihres Kirchenaustritts nicht eingestellt worden. Befangenheitsanträge gegen die Verfassungsrichter Peter Müller und Peter M. Huber, die angeblich die Diakonie zur Verfassungsklage ermunterten, wurden nach dem Ausscheiden der beiden Richter nicht mehr entschieden. Die BVerfG-Berichterstatterin Christine Langenfeld hat das Verfahren noch nicht terminiert.

BGH zu Adoption / private Samenspende: Private Samenspender müssen bei einem Adoptionsverfahren beteiligt werden, so der Bundesgerichtshof. Nicht ausreichend war in dem zugrundeliegenden Fall, dass die Ehefrau der Mutter lediglich nicht verifizierbare WhatsApp-Nachrichten des namentlich nicht benannten Samenspenders vorlegte, dass er der Adoption zustimme. beck-aktuell berichtet.

OLG Naumburg zu Freie Bauern vs. Wissenschaftlerin: Der Verband Freie Bauern verlor auch zweitinstanzlich vor dem Oberlandesgericht Naumburg mit seinem Bestreben, der Agrarwissenschaftlerin Janna Luisa Pieper zu verbieten, den Verband als "rechtspopulistisch" zu bezeichnen. Piepers Einordnung sei von der Meinungsfreiheit gedeckt und habe eine ausreichende Tatsachengrundlage, weil die Freien Bauern "sich mit plakativ vorgetragener Kritik an Bauerndemonstrationen gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung" beteiligten. Die taz (Jost Maurin) berichtet.

OLG Hamm zu Werbung für Hyaluron-Behandlungen: Nun schreibt auch LTO über die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm, wonach es verboten ist, mit Vorher-Nachher-Bildern für Schönheitseingriffe mit Hyaluronsäure-Fillern zu werben. Das betroffene Unternehmen, das in Hyaluron-Unterspritzungen keine operativen plastisch-chirurgischen Eingriffe sieht, legte Revision zum Bundesgerichtshof ein.

OVG Berlin-BB zu Ehegattennachzug: Nun berichtet auch LTO über die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, wonach eine per Videoanruf geschlossene Ehe, bei der der in Deutschland ansässige Bräutigam die Eheerklärung gegenüber der im Iran lebenden afghanischen Braut abgab, nicht wirksam ist. Damit steht der Braut kein Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu.

VG Wiesbaden – Wirtschaftsweisen-Kodex: Nun berichtet auch die SZ (Alexander Hagelüken) über die Klage der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm beim Verwaltungsgericht Wiesbaden gegen den Verhaltenskodex des Sachverständigenrates, dem sie angehört. 

LG Ulm zu Tötung der Freundin durch Jugendlichen: Ein Jugendlicher, der im Alter von 15 Jahren seine gleichaltrige Freundin erwürgte, wurde durch das Landgericht Ulm zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Er soll die Tat unter Einfluss von Ecstasy begangen haben und wurde deshalb als vermindert schuldfähig eingestuft, so spiegel.de, focus.de und bild.de (Hagen Stegmüller/Robin Mühlebach). Im März desselben Jahres hatte bereits sein Vater im religiösen Wahn seine kleine Schwester getötet und wurde daraufhin in der Psychiatrie untergebracht

LG Berlin I – Angriff auf Franziska Giffey: Vor dem Landgericht Berlin I muss sich derzeit der 74-jährige Helmut H. wegen Körperverletzung verantworten, weil er der Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) mit einem Beutel gegen den Kopf schlug, um ihr einen "Denkzettel" zu verpassen und ihren "Dutt etwas zurechtzurücken". Der Beschuldigte, der den Behörden als Querulant bekannt ist und trotz eines Millionenerbes in einem heruntergekommenen Haus ohne Wasser- oder Stromanschluss lebt, ist nach Einschätzung der psychiatrischen Sachverständigen chronisch wahnhaft. Die Staatsanwaltschaft strebt deshalb eine dauerhafte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Vor Gericht erschienen eigeninitiativ zwei Freund:innen des Angeklagten, die ihn als hilfsbereiten und lieben Menschen beschrieben. In der nächsten Woche soll die Entscheidung fallen. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet.

LG München I zu Skisport-Vermarktung: Der Deutsche Skiverband (DSV) hatte beim Landgericht München I mit einem Eilantrag gegen den Internationalen Skiverband (FIS) Erfolg. Die vom FIS geplante zentrale Vermarktung von Weltcup-Rennen verstoße gegen EU-Kartellrecht. sz.de berichtet.

AGH NRW zu Wiedereinsetzung: Nun berichtet auch LTO über die Rechtsanwältin, deren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand vom Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen als unbegründet abgelehnt wurde, weil sie erst auf den letzten Drücker "an einem Freitagmittag im gerichtsbekannt aktuell zusätzlich von Baustellen durchzogenen Ruhrgebiet" losfuhr, ihren Anwaltsausweis und ihr Mobiltelefon vergaß und sich dann auch noch im Gerichtsgebäude verlief.

Recht in der Welt

USA – Google/Wettbewerbsrecht: Nachdem das US-Bundesgericht in Washington D.C im August diesen Jahres festgestellt hatte, dass Google seine Monopolstellung bei Suchmaschinen verbotenerweise zementierte, schlägt das US-Justizministerium dem Gericht in einem "Remedies Proposal Framework" nun verschiedene Maßnahmen vor, etwa den Verkauf des Internetbrowsers Chrome oder die Bewerbung alternativer Suchmaschinen. Bis zum 20. November haben die Verfahrensbeteiligten Zeit, Maßnahmen vorzuschlagen; entscheiden wird wiederum das Bundesgericht in Washington D.C. Es berichten SZ, FAZ (Winand von Petersdorff-Campen), Hbl (Felix Holtermann/Thomas Jahn), Welt (Benedikt Fuest), LTO, spiegel.de und zeit.de.

In einem separaten Kommentar meint Winand von Petersdorff-Campen (FAZ), dass "die dominante Position Googles auch auf die Qualität der Suchmaschine zurückzuführen ist." Eine Zerschlagung würde "unternehmerische Spitzenleistung bestrafen."

USA – TikTok: Die Generalstaatsanwält:innen von 13 US-Bundesstaaten und der Hauptstadt Washington D.C. gehen juristisch gegen TikTok vor. TikTok habe die Videoplattform mit Absicht so gestaltet, dass Kinder und Jugendliche immer mehr Zeit dort verbringen wollen. Das schade ihrem Wohlbefinden. spiegel.de berichtet.

IGH/Israel - Besatzung palästinensischer Gebiete: Rechtsprofessor Kai Ambos eröffnet auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) ein Verfassungsblog-Symposium zum Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom Juli, das die Völkerrechtswidrigkeit der israelischen Besatzung palästinensischer Gebiete feststellte. In einem Übersichtsartikel fasst der Autor die Hauptaussagen der 18 Beiträge zusammen. Das Symposium möchte die "bahnbrechende Entscheidung systematischer und umfassender behandeln, die Vielfalt der Perspektiven widerspiegeln und sowohl israelische als auch palästinensische Stimmen zusammenbringen".

Klimaklagen: Die Rechtswissenschaftlerin Anna-Julia Saiger zeichnet auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) die Entwicklung von Klimaklagen in den USA und Europa im Zusammenhang mit dem Forschungsfeld Law and Political Economy nach, das die Beziehung zwischen Recht und Kapitalismus ergründet. Zivilrechtliche Klimaklagen zeigten die politische Natur des aktuellen Wirtschaftssystems auf, so Saiger.

Juristische Ausbildung

Referendariat / Nebentätigkeit: LTO-Karriere (Lena Donay) stellt die unterschiedlichen Regelungen der Bundesländer zu Nebentätigkeiten während des Referendariats vor. Während Sachsen und Bayern die Genehmigung für eine Nebentätigkeit von der Note des ersten Staatsexamens abhängig machen, sind andere Länder flexibler. Hamburg ist – immer noch – Schlusslicht, was die Vergütung und die Anrechnungsgrenze angeht.

Sonstiges

Foris/Prozessfinanzierungsfonds: Der Prozesskostenfinanzierer Foris hat laut FAZ (Marcus Jung) gemeinsam mit Partnern einen Fonds gegründet, an dem sich auch externe Investor:innen beteiligen können. Foris bewertet die Erfolgsaussichten von Klagen und übernimmt anschließend unter Vereinbarung einer erfolgsabhängigen Erlösbeteiligung die Prozesskosten. Mit dem Fonds will das Unternehmen nun mit angloamerikanischen Prozessfinanzierungsunternehmen gleichziehen und auch Fälle mit sehr großen Streitwerten annehmen können.

In einem separaten Kommentar rät Marcus Jung (FAZ) Foris, die "Kernkompetenzen wie die Nähe zum Kunden und die Analyse der Erfolgsaussichten einer Klage zu erhalten".

RAin Fatima Hussain: LTO (Stefan Schmidbauer) setzt die Reihe "Most Wanted" mit Fragen an die mehrfach ausgezeichnete Rechtsanwältin Fatima Hussain fort. Hussain, Verfechterin von Female Empowerment und Diversity, begann ihren Berufsweg in Großkanzleien, wechselte später in die Rechtsabteilungen von Unternehmen wie Tesla und setzt sich nun als Legal Innovation Advisor für effiziente Lösungen ein.

Das Letzte zum Schluss

Nudeldieb: Im hessischen Gernsheim rückte die Polizei nachts zu einem eher ungewöhnlichen Einsatz aus: Ein 24-Jähriger hatte sich gewaltsam durch ein aufgetretenes Fenster Zutritt zu einer Kita verschafft. Dort wurde er von den Polizeibeamt:innen dabei angetroffen, wie er sich Nudeln aus der Kita-Küche kochte, so spiegel.de.

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/lh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. Oktober 2024: . In: Legal Tribune Online, 10.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55596 (abgerufen am: 26.10.2024 )

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