Die juristische Presseschau vom 3. bis 4. Oktober 2024: Pro­zess­auf­takt gegen Ballweg / EuG zu Sank­tionen bei Rechts­be­ra­tung / Popu­lar­klage gegen baye­ri­sches Canna­bis­fol­gen­ge­setz

04.10.2024

Vor dem LG Stuttgart begann der Prozess gegen Querdenken-Gründer Michael Ballweg. Das EuG bestätigte die EU-Sanktionen gegen Russland bei der Rechtsberatung. Ein Bündnis erhob Popularklage gegen die bayerischen Cannabis-Sonderregeln.

Thema des Tages

LG Stuttgart – Michael Ballweg: Vor dem Landgericht Stuttgart begann der Strafprozess gegen Michael Ballweg, den Gründer der Querdenken-Bewegung. Ihm wird versuchter Betrug in 9.450 Fällen sowie Steuerhinterziehung in Höhe von 330.000 Euro vorgeworfen. Der Angeklagte soll von Sympathisant:innen der Bewegung 1,27 Millionen Euro Spenden als Schenkungen bekommen haben, davon aber 575.000 Euro seinem Unternehmen und seiner Familienstiftung zugeführt haben. Die Spender:innen habe er getäuscht, indem er behauptete, dass er völlig ehrenamtlich arbeite und sogar seine Fahrtkosten selbst bezahle. Die Anklage lautet nur auf versuchten Betrug, weil sich die meisten Spender:innen nicht getäuscht fühlen. Ballweg und seine Verteidiger schwiegen vor Gericht, gaben aber anschließend eine Pressekonferenz im Foyer des Landgerichts, in der sie die Vorwürfe als politisch motiviert zurückwiesen. Ballweg droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren. Von Juli 2022 bis April 2023 saß er in Untersuchungshaft. FAZ (Rüdiger Soldt), taz (Benno Stieber), zeit.de (Matthias Schmid) und spiegel.de (Christine Keck) berichten.

Rechtspolitik

AfD-Verbot: Der Rechtsprofessor Till Patrik Holterhus erläutert auf dem Verfassungsblog die verfassungsprozessualen Herausforderungen eines AfD-Verbotsantrags durch den Deutschen Bundestag. Dieser könne das "Gebot strikter Staatsfreiheit" nicht selbst gewährleisten, weil er den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern keine Weisungen erteilen kann. Der Autor geht jedoch davon aus, dass Bundesregierung und Landesregierungen wegen ihrer Pflicht zur Organtreue bzw. zu bundesfreundlichem Verhalten dazu verpflichtet wären, Staatsfreiheit herzustellen. Der Bundestag könnte seinen Antrag unter die aufschiebende Bedingung stellen, dass zunächst Staatsfreiheit hergestellt werden muss.

DJT: Der SWR-RadioReportRecht (Klaus Hempel) fasst die Beratungen und Ergebnisse des diesjährigen Juristentages zusammen und beschäftigt sich ausführlich mit einem der zentralen Themen der Veranstaltung, nämlich mit den geringen Hürden für eine Beschlagnahme und Auswertung von Smartphones durch Polizei und Staatsanwaltschaft; und mit den Änderungen, die Strafrechtler:innen diesbezüglich vorschlugen.

Resilienz der Demokratie: spiegel.de (Deike Diening/Rasmus Buchsteiner) geht der Frage nach, wie gut die Institutionen des Bundes vor populistischen Angriffen geschützt sind und erläutert, welche Lösungen zum Schutz der Demokratie Politiker:innen und Rechtswissenschaftler:innen vorschlagen. So sieht etwa Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) dringenden Handlungsbedarf bei den Regeln für den Alltag im Parlament. Eine entsprechende Reform müsste etwa eine Verschärfung des Ordnungsrechts vorsehen.

Mutterschutz bei Fehlgeburt: Die Doktorandin Nicole Friedlein fordert auf dem Verfassungsblog eine gesetzgeberische Regelung des Mutterschutzes bei Fehlgeburten nach dem gestaffelten Modell des Bundesrats. Es genüge nicht, dass das Bundesverfassungsgericht das Mutterschutzgesetz verfassungskonform auslegte. Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten, könnten nicht darauf vertrauen, dass ihre Krankenkassen und Arbeitgeber bzw. die Fachgerichte den Begriff der “Entbindung” nun ebenfalls neu interpretieren. 

Entschädigung für DDR-Vertragsarbeiter:innen: Die SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke und das Deutsche Institut für Menschenrechte fordern gemeinsam mit Betroffenen und Kirchenvertreter:innen in einem Appell an den Bundestag eine Entschädigung für DDR-Vertragsarbeiter:innen aus Mosambik, denen von der DDR Teile ihres Lohns nicht ausbezahlt wurden, obwohl ihnen zugesagt worden war, das Geld nach ihrer Rückkehr nach Mosambik in der dortigen Landeswährung ausgezahlt zu bekommen. Die DDR hatte das einbehaltene Geld mit den Staatsschulden Mosambiks verrechnet. Die taz (Marina Mai) berichtet.

Justiz

EuG zu Sanktionen gegen Russland/Rechtsberatung: Das Gericht der Europäischen Union hat die Nichtigkeitsklagen gegen das EU-Verbot von Rechtsberatung für die russische Regierung oder sonstige Organisationen und Unternehmen ohne Bezug zu einem Gerichtsverfahren abgewiesen. Geklagt hatten Anwält:innen aus Frankreich und Belgien sowie ihre Organisationen. Das EuG hat klargestellt, dass die EU-Sanktionen gegen Russland nicht das Recht des Einzelnen auf anwaltliche Beratung infrage stellen. Der Deutsche Anwaltverein kritisierte die Entscheidung. Es sei "nicht akzeptabel, dass der Zugang zu anwaltlichem Beistand eingeschränkt" werde. Es berichten beck-aktuell und LTO

VerfGH Bayern – Cannabiskonsum: Gegen die strengen bayerischen Sonderregeln für den Cannabiskonsum – wie etwa ein Cannabisrauchverbot auf Volksfesten – geht nun ein parteiübergreifendes Bündnis mit einer Popularklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof vor. In dieser monieren die Kläger:innen unter anderem, dass schon keine Gesetzgebungskompetenz des Freistaates Bayern für das Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz gegeben sei. Außerdem berufen sie sich auf eine Verletzung der Berufsfreiheit von Gastronom:innen, soweit diese mit Cannabiskonsumverboten in ihrem Handeln eingeschränkt werden, und eine Ungleichbehandlung mit Alkohol- und Nikotinkonsum. Es berichtet LTO (Joschka Buchholz/Hasso Suliak/Marcel Schneider).

BVerfG zu BKA-Gesetz: Jost Müller-Neuhof (Tsp) hält es nicht für ein "Drama", dass der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts zwei Normen der im Mai 2018 in Kraft getretenen Novelle des BKA-Gesetzes für verfassungswidrig erklärt hat, sondern für einen "Prozess zur Qualitätsverbesserung". Da dieser jedoch nur das Gesetz und nicht dessen Handhabung betreffe, lohne es sich, auch einen Blick nach Wiesbaden zu werfen, den Sitz des BKA.

BGH zu Kostenvorschuss bei Werkmangel: Wie nun auch LTO schreibt, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine erklärte Minderung der Vergütung für ein mangelhaftes Werk den Anspruch auf Vorschuss der Kosten zur selbstständigen Mängelbeseitigung nicht ausschließe. Mit Erklärung der Minderung bringe der Besteller zum Ausdruck, keine Beseitigung des Mangels durch den Unternehmer zu wollen und andererseits, das Werk trotz des Mangels behalten zu wollen. Somit seien zwar sowohl der Nacherfüllungsanspruch als auch ein Rücktritt vom Vertrag ausgeschlossen. Auch den großen Schadensersatz könne der Besteller dann nicht mehr verlangen, der Weg zum kleinen Schadensersatz sei dagegen nicht versperrt.

OVG RhPf – Beamtenbesoldung: Laut beck-aktuell hält das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz die Beamtenbesoldung in Rheinland-Pfalz für teilweise verfassungswidrig niedrig. Aus diesem Grund hat es ein Berufungsverfahren, das die Höhe der Besoldung betraf, ausgesetzt und die Frage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.

LAG Nürnberg zu verspäteter Unternehmenszielvorgabe: Der Rechtsanwalt Carl-Philipp Fischer stellt im Expertenforum Arbeitsrecht eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg von April vor, die den Schadensersatzanspruch einer Arbeitnehmerin bejahte, nachdem das Unternehmen seine für die variable Vergütung der Frau maßgeblichen Unternehmensziele erst im Oktober des Geschäftsjahres veröffentlichte. Damit habe das Unternehmen die Leistungsbestimmung zu spät vorgenommen und seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag schuldhaft verletzt.

VG Köln zu Salafisten-Ausweisung: Nachdem die Stadt Bonn einen salafistischen Prediger in den Kosovo ausweisen wollte, weil er als Anhänger des politischen Salafismus die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährde, gab das Verwaltungsgericht Köln nun dessen Eilantrag statt. Allein die Nähe zur salafistischen Szene begründe kein besonders schweres Ausweisungsinteresse. Der Mann habe auch nicht öffentlich zu Gewalt oder Hass aufgerufen und könne daher auch nicht als Hassprediger eingestuft werden. FAZ (Reiner Burger) und LTO berichten.

LG Braunschweig – Christian B.: Im Prozess gegen Christian B. wegen mehrerer Fälle des sexuellen Missbrauchs und der Vergewaltigung forderte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer vor dem Landgericht Braunschweig 15 Jahre Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung, so SZ (Verena Mayer) und spiegel.de. Der 47-Jährige ist verdächtig, die damals 3-jährige Maddie McCann in Spanien getötet zu haben, was aber in dem jetzigen Verfahren nicht angeklagt ist. Das Urteil wird für kommenden Dienstag erwartet.

Recht in der Welt

EuGH – FIFA-Transferregeln: Am heutigen Freitag entscheidet der Europäische Gerichtshof über die Gültigkeit einer FIFA-Transferregel, nach der Profifußballer schadensersatzpflichtig sind, wenn sie Verträge vor Ende ihrer Laufzeit kündigen. In seinem Schlussantrag hatte der Generalanwalt Zweifel an der Vereinbarkeit mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit geäußert. Skeptisch sah er auch, dass ein aufnahmewilliger neuer Vereine für den Schadensersatz an den alten Verein in Mithaftung genommen wird. Ausgelöst hat den Rechtsstreit der französische Profi Lassana Diarra. Die FAZ (Christoph Becker) fasst Hintergründe und Auswirkungen des Verfahrens in einem Frage-Antwort-Format zusammen. In einem erneut veröffentlichten Gastbeitrag fragt der Rechtsprofessor Alexander Scheuch auf LTO, ob dem Transfersystem nun das Aus droht.

USA – Trump/Wahlmanipulation: Nachdem der Supreme Court im Washingtoner Verfahren wegen versuchten Wahlbetrugs dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump teilweise Immunität gewährt und Sonderermittler Jack Smith daraufhin eine revidierte Anklage vorgelegt hatte, veröffentlichte Richterin Tanya Chutkan nun das 165 Seiten lange Dokument. Smith argumentiert darin unter anderem, dass sich ein Großteil der Beweise auf Handlungen beziehe, die nicht als präsidentielle Pflichten angesehen werden sollten. Trump habe als Kandidat gehandelt, der abermals ins Amt gewählt werden wollte – nicht als Präsident. Es berichtet die FAZ (Sofia Dreisbach).

Russland – Alexej Nawalny: FAZ (Friedrich Schmidt) und taz (Inna Hartwich) berichten über neu aufgetauchte Dokumente im Fall des verstorbenen russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, die darauf hindeuten, dass Nawalnys plötzlicher Tod im Februar durch eine Vergiftung herbeigeführt wurde. In der offiziellen Version des Beschlusses zur Ablehnung der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens hinsichtlich des Todesfalls wurde eine "kombinierte Erkrankung" als Todesursache genannt. In der nun bekannt gewordenen, offenbar früheren Version heißt es dagegen, Nawalny habe sich in seiner Zelle auf den Boden gelegt, "woraufhin er über einen stechenden Schmerz in der Bauchgegend zu klagen begann, reflexartig Mageninhalt ausstieß, Krämpfe bekam und das Bewusstsein verlor".

Großbritannien – Geplante Genitalverstümmelung: Weil er ein junges Mädchen zur Genitalverstümmelung ins Ausland schicken wollte, verurteilte ein Gericht in Nottingham einen Mann zu einer viereinhalbjährigen Freiheitsstrafe wegen "Verschwörung zur Genitalverstümmelung", so spiegel.de. Der 47-Jährige hatte eine Reise in den Irak gebucht und bezahlt, auf der das Mädchen verstümmelt und zwangsverheiratet werden sollte.

Niederlande – Catcalling: Erstmals wurde in den Niederlanden ein Mann wegen sexueller Belästigung einer Frau auf der Straße verurteilt, schreibt die SZ. Seit dem 1. Juli ist das sogenannte Catcalling in den Niederlanden strafbar. Nun wurde ein 33-Jähriger in Rotterdam zu einer Geldstrafe von 280 Euro verurteilt, davon 180 Euro auf Bewährung, weil er eine junge Frau sexuell bedrängt hatte, zunächst verbal, dann auch mit einem Festhalten an der Hüfte.

EGMR/Frankreich - Prostitution: Postdoc-Forscherin Silvia Steiniger kritisiert auf dem Verfassungsblog das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Juli, der das Sexkaufverbot in Frankreich nicht als Verstoß gegen die EMRK wertete. Der Gerichtshof sehe Prostituierte vor allem als Opfer und bleibe damit hinter neueren menschenrechtlichen Entwicklungen zurück, die Prostituierten vor allem dadurch helfen wollen, dass ihnen Rechte zuerkannt werden. 

EuG/Polen - Justizreform/Klagebefugnis: Vier europäische Juristenvereinigungen haben im August Rechtsmittel gegen ein Urteil des EU-Gerichts aus dem Juni eingelegt. Das EuG hatte eine Klage der Verbände wegen mangelnder Klagebefugnis als unzulässig abgelehnt. Die Verbände hatten gegen die Genehmigung des Rats zum polnischen Aufbau- und Resilienzplan im Juni 2022 geklagt, weil die Garantien für die Rechtsstaatlichkeit in Polen unzureichend gewesen seien. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Mattis Leson stellt das Verfahren vor, räumt dem Rechtsmittel aber wenig Chancen ein.

Juristische Ausbildung

VGH Bayern zu Examenskontrollen: Ein Jurastudent, der im September das Erste Juristische Staatsexamen schrieb, scheiterte mit einem Eilantrag gegen die Stichprobenkontrollen mit Metalldetektoren, die unerlaubte Hilfsmittel auffinden sollen. Der Student wollte eine Anordnung erreichen, dass seine Arbeit nicht mit Null Punkten bewertet wird, falls er derartige Kontrollen verweigert. Es gebe keine Rechtsgrundlage für die Kontrollen und die Leibesvisitation vor rund 300 Zuschauer:innen sei unverhältnismäßig, so seine Begründung. Der Verwaltungsgerichtshof München hat nun aber ebenso wie das Verwaltungsgericht München das Rechtsschutzbedürfnis des Studenten verneint. beck-aktuell (Maximilian Amos) berichtet. 

Sonstiges

Kündigung wegen Krankheit: Auf spiegel.de (Bastian Midasch) erläutert der Rechtsanwalt Alexander Birkhahn, unter welchen Voraussetzungen häufige Krankheitstage zu einer arbeitsrechtlichen Kündigung führen können; und wie sich betroffene Arbeitnehmer:innen dagegen wehren können.

Kommunikation durch Rechtsanwält:innen: LTO-Karriere (Anja Schäfer) gibt Tipps für eine erfolgreiche Gesprächsführung durch Rechtsanwält:innen; sei es mit Mandant:innen, Kolleg:innen oder Arbeitgeber:innen.

Jurist Maximilian Riege: Die Reihe "Most Wanted" setzt LTO (Stefan Schmidbauer) mit 15 Fragen an Maximilian Riege, Chief Risk Officer bei HAWK, einem Anbieter von Software zur Bekämpfung von Finanzkriminalität, und Co-CEO der Berlin Finance Initiative (BFI), fort.

Rechtsgeschichte – Wiedervereinigung: Anlässlich des Tags der Deutschen Einheit analysiert der Rechtsanwalt Tobias Roß in einem Gastbeitrag auf LTO die Verfassungsdebatte von 1990 und erklärt, welche Chancen – etwa auf eine gesamtdeutsche Debatte zum Grundgesetz – dabei vertan wurden.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/bo/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. bis 4. Oktober 2024: . In: Legal Tribune Online, 04.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55557 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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