Die juristische Presseschau vom 23. August 2024: Eizell­spende bald legal? / Holo­caust-Leug­nung durch Fax? / AfD-Wahl­party auch für Spiegel & Co. zugäng­lich

23.08.2024

Die FDP plädiert für eine zeitgemäße Regelung der Eizellspende. Der BGH verhandelte, ob das Versenden eines Faxes an das Finanzamt die Schwelle zum "Verbreiten" erreicht. Das LG Erfurt entschied Eilanträge zugunsten der Medienhäuser.

Thema des Tages

Eizellspende: Die FDP-Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr wirbt für einen fraktionsübergreifenden Antrag im Bundestag, eine Gesetzesregelung zur Legalisierung der Eizellspende auszuarbeiten. Bislang ist diese, anders als die Samenspende, im Embryonenschutzgesetz verboten. Eine Kommission der Bundesregierung hatte bereits im April entsprechende Empfehlungen für gesetzliche Regelungen, die nur noch den Handel mit Eizellen unterbinden sollen, vorgestellt. Grünen- und SPD-Politikerinnen kritisieren, dass eine "Verweigerungshaltung" der FDP bislang verhindert habe, dass der Kommissionsbericht, der auch eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen empfiehlt, diskutiert werden konnte. Es berichten taz (Marie Sophie Hübner), Welt (Sabine Menkens), LTO und beck-aktuell.

Dinah Riese (taz) kritisiert die "liberale Doppelmoral", die das Recht von Frauen, selbst entscheiden zu können, nur auf das zu Recht als antiquiert kritisierte Verbot der Eizellspende anwende, nicht aber auf das ebenfalls aus der Zeit gefallene Verbot des Schwangerschaftsabbruchs. Sie vermutet, dass es der "FDP weniger um die Selbstbestimmung von Frauen" geht als um den "boomenden" Markt der Fortpflanzungsmedizin. Hingegen findet Sabine Menkens (Welt) in einem separaten Kommentar eine Reform "überfällig" und freut sich, "dass es hier um die Ermöglichung von Leben geht – um Wunschkinder".

Rechtspolitik

Umweltklagen: Die Bundesregierung hat unter Federführung von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) einen Gesetzentwurf zur Änderung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes beschlossen, der – in Umsetzung von völkerrechtlichen und EU-Vorgaben – den Anwendungsbereich des Gesetzes erweitern soll. Bisher mussten Gerichte das Verbandsklagerecht von Umweltverbänden teilweise gegen den Wortlaut des Gesetzes gewähren. Das Kabinett folgte aber nicht der Forderung der Umweltverbände, den Anwendungsbereich mit einer dynamischen Generalklausel statt einer enumerativen Aufzählung zu definieren. Die FAZ (Katja Gelinsky) berichtet.

Staatsleistungen an Kirchen: Die Bundesregierung plant, im Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Beendigung staatlicher Entschädigungszahlungen an die Kirchen regeln soll. Mit den Zahlungen werden die Kirchen jährlich für die im Rahmen der Säkularisierung vorgenommenen Enteignungen Anfang des 19. Jahrhunderts entschädigt. Wie zeit.de schreibt, soll der Entwurf so gestaltet werden, dass die Zustimmung des Bundesrats nicht erforderlich ist. Der Bund will nur den Rahmen regeln, die Länder sollen dann individuelle Vereinbarungen mit den Kirchen abschließen.

Justiz

BGH – Volksverhetzung/Verbreiten: Der Bundesgerichtshof verhandelte über die Frage, ob das Versenden eines Faxes an das Finanzamt mit seitenlangen Leugnungen des Holocausts bereits die für den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB erforderliche Schwelle des "Verbreitens" erreichte. Während die Staatsanwaltschaft dies für ausreichend erachtet, weil eine "gewisse Streuung genügt" und die Versenderin nicht mehr kontrollieren kann, an wen das Schreiben weitergereicht wird, findet die Verteidigung, dass § 130 StGB als Ausnahme der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit "nicht uferlos angewandt werden" kann. Selbst bei Weitergabe des Dokuments an Strafverfolgungsbehörden seien immer noch nur Menschen dienstlich damit befasst, die grundsätzlich einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen, sodass es sich nicht um ein "Verbreiten" handeln könne. LTO berichtet.

LG Erfurt zu Zugang zur AfD-Wahlparty: Das Landgericht Erfurt erließ bereits einen Tag nach Antragstellung von Spiegel, Bild, Welt und taz eine einstweilige Verfügung gegen die AfD Thüringen, dass ihnen am 1. September Zugang zur AfD-Wahlparty gewährt werden muss. Die AfD müsse die klagenden Medien gleichbehandeln mit den bereits zugelassenen 50 Journalist:innen. Bei Zuwiderhandlung droht der AfD Thüringen ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 250.000 Euro und ersatzweise den Landesvorsitzenden Björn Höcke und Stefan Möller Ordnungshaft. Den erfolgreichen Eilantrag hatten die Medien mit der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG iVm dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 GG begründet. Die AfD hatte sich auf Kapazitätsgrenzen der Räumlichkeiten berufen. Es berichten SZ (Léonardo Kahn), Welt und LTO.

BFH – Aussetzungszinsen: Der Bundesfinanzhof legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob der Aussetzungszinssatz von 0,5 Prozent im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2019 und dem 15. April 2021 angesichts der Niedrigzinsphase im selben Zeitraum zu hoch war. Aussetzungszinsen fallen für die Dauer der Aussetzung eines angefochtenen Bescheids an, wenn ein Rechtsmittel letztlich doch erfolglos war. beck-aktuell berichtet.

BGH zu vollmachtloser Notarin: Eine Notarin, die auf Bitten der Kommune eine ihrer Mitarbeiter:innen als vollmachtlose Vertreterin der Kommune bei Grundstücksgeschäften einsetzte, muss deshalb kein Bußgeld zahlen. Da die Stadt als Körperschaft des öffentlichen Rechts handelte, sei hier der Verbraucherschutz nicht betroffen. Damit bestätigte der Bundesgerichtshof die vorinstanzliche Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln, so beck-aktuell.

BVerwG zu Compact-Verbot: Nun bespricht auch Rechtsprofessor Wolfgang Schulz auf LTO die inzwischen vorgelegte Begründung des Compact-Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts. Er zeige, dass "juristische Methodik – unaufgeregt und kundig angewandt – hilft, diesen schwierigen Balanceakt" des wehrhaften demokratischen Rechtstaats "zu meistern". Schulz fordert "spezifische gesetzliche Grundlagen": "Die Pressefreiheit soll nicht en passant beim Anwenden allgemeiner Regelungen zu Schaden kommen".

StGH Hessen zu Regierungshilfe bei der Gesetzgebung: Der hessische Staatsgerichtshof wies Anträge der AfD-Fraktion als unzulässig zurück, die sich gegen die Praxis der Landesregierung richteten, den Regierungsfraktionen kostenlos ausgearbeitete Gesetzentwürfe zur Verfügung zu stellen. Die AfD-Fraktion sah hierin einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot, weil es sich um eine geldwerte Naturalleistung handle. Der StGH Hessen erachtete die Anträge für unzulässig, weil sie sich nicht gegen eine spezifische Maßnahme richteten und weil dem StGH nur eine Feststellungsbefugnis, keine Kompetenz zum Ausspruch eines Verbots zukomme. beck-aktuell berichtet.  

OLG Köln – Postbank-Übernahme: Die Deutsche Bank einigte sich mit 80 früheren Postbank-Aktionär:innen (auf die 60 Prozent der geltend gemachten Forderungen entfallen) im Wege einer Verständigung auf eine erhöhte Zwangsabfindung. Auf Vorschlag der Deutschen Bank einigten sich die Beteiligten auf einen Preis von 31 Euro pro Aktie, für die ursprünglich nur 25 Euro gezahlt wurde. Dadurch werden etwa 45 Prozent der von der Deutschen Bank zurückgestellten 1,3 Milliarden Euro beansprucht. Die Deutsche Bank hatte die Postbank bereits 2010 übernommen. SZ, FAZ (Marcus Jung/Hanno Mußler), Hbl (Yasmin Osman), Welt (Cornelius Welp) und LTO berichten.

OVG Greifswald zu unfreiwilligem Kokainkonsum: Das Oberverwaltungsgericht Greifswald wies die Rechtsbeschwerde eines Autofahrers gegen den Entzug seiner Fahrerlaubnis zurück. Er hatte vorgebracht, dass er die Droge unbeabsichtigt konsumiert hatte, weil seine Frau sie ihm am Vorabend heimlich untermischte, um das Sexualleben zu befeuern. Laut OVG Greifswald überwiegt jedoch trotz eidesstattlicher Versicherung der Ehefrau, dass es sich ebenso zugetragen habe, das öffentliche Interesse an der Verkehrssicherheit. beck-aktuell berichtet.

OLG München – islamistische Kämpfer: Am 16. September startet am Oberlandesgericht München ein Strafprozess gegen den Gründer und Anführer der islamistischen Terrororganisation "Liwa Jund al-Rahman" und zwei Mitstreiter wegen des Vorwurfs von Kriegsverbrechen in Syrien und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die zunächst selbständige Terror-Brigade war später dem IS beigetreten. Wie beck-aktuell meldet, sind 29 Verhandlungstage bis Dezember angesetzt.

LG Frankfurt/M. zu Misgendern von Transfrau: Das von Julian Reichelt geführte Nachrichtenportal NiUS darf eine nicht operierte Transfrau nicht "Mann" nennen, weil es sich bei einer solchen Meinungsäußerung um einen "schmähenden" Angriff auf die Menschenwürde handele. Außerdem habe NiUS das Recht der Frau am eigenen Bild verletzt, indem es veraltete Fotos abdruckte, die die Männlichkeit der Transfrau belegen sollten. Die Transfrau, die in einem Frauen-Fitnessstudio abgewiesen worden war, sei keine Person der Zeitgeschichte. Damit gab das Landgericht Frankfurt/M. der Klägerin weitestgehend Recht, so LTO (Max Kolter).

LG Augsburg zu Schuss mit Dienstwaffe: Das Landgericht Augsburg hat einen Polizisten zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, weil er mit seiner Dienstwaffe auf Kollegen geschossen hatte. Die Bereitschaftspolizisten hatten sich zunächst am Rande eines Bundesliga-Fußballspiels mit Wasserpistolen bespritzt. Dann zog der verurteilte Polizist seine Dienstwaffe und schoss in den Mannschaftswagen, in dem seine Kollegen saßen. spiegel.de berichtet. 

LG Frankfurt/M. – Tod in Zahnarztpraxis: Im Strafprozess gegen den Anästhesisten, der sich wegen der Verwendung einer verunreinigten Narkosespritze des Vorwurfs der Körperverletzung mit Todesfolge verantworten muss, sagten nun Angehörige des toten vierjährigen Mädchens aus. Die FAZ (Elena Zompi) gibt die Aussagen wieder, wonach der Angeklagte Alltagskleidung und keine Handschuhe getragen haben soll, was für die Missachtung hygienischer Grundsätze spricht.

Recht in der Welt

Frankreich – Agent Orange: Ein französisches Gericht wies eine Klage gegen den Bayer-Konzern wegen durch die Chemiewaffe Agent Orange im Vietnam-Krieg verursachten unheilbaren Krankheiten zurück. Bayer habe Immunität, weil der Konzern "auf Anweisung" der US-Regierung handelte. Allerdings wurden, wie die taz meldet, Kriegsveteranen sehr wohl entschädigt.

Finnland – Klimaschutz: Sechs Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, darunter Greenpeace und Amnesty International, verklagen die finnische Regierung wegen mangelnder Maßnahmen zum Klimaschutz und einer damit verbundenen Verletzung des finnischen Klimagesetzes. Finnland hatte sich 2022 gesetzlich verpflichtet, bis 2035 klimaneutral zu werden – ein Ziel, das unter der aktuellen Mitte-Rechts-Regierung voraussichtlich nicht eingehalten werden kann. spiegel.de berichtet.

Italien – Haftanstalten: Die FAZ (Matthias Rüb) beschreibt den desolaten Zustand der italienischen Haftanstalten, die eines "demokratischen Rechtsstaats nicht mehr würdig" sind. Etwa die Hälfte der Insass:innen sei drogenabhängig und circa ein Drittel psychisch krank; seit Jahresbeginn gab es bereits 67 Selbsttötungen. Linke Politiker:innen fordern therapeutische Einrichtungen und umfassende Amnestien. 

Indonesien – Wahlrechtsreform: Das indonesische Verfassungsgericht hat am Mittwoch eine Wahlrechtsänderung beanstandet, die kleineren Parteien die Teilnahme an Wahlen erschwert hätte. Laut einem Vorabbericht von spiegel.de wurde damit gerechnet, dass das indonesische Parlament am gestrigen Donnerstag die Entscheidung des Verfassungsgerichts durch eine neue Gesetzesänderung aushebeln werde. 

Sonstiges

Corona-Aufarbeitung: Heribert Prantl (SZ) fordert eine Aufarbeitung der staatlichen Maßnahmen während der Corona-Pandemie, einer Zeit, in der "Grundrechte so sehr geschmälert, verkleinert, ausgesetzt und eliminiert wurden wie noch nie". Dies sei auch notwendig, um "Kommunikation zu lernen, die die Gesellschaft in einer Krise nicht spaltet und vergiftet". Prantl hebt die Promotion "Dispensierter Rechtsstaat?" der Juristin Patricia Altenburger positiv hervor, die "eindrucksvoll darlegt", wie sich das Bundesverfassungsgericht und der Verfassungsgerichtshof in München "den Rechtsschutzerwartungen der Bürger entzogen" haben. 

Die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder (CDU) moniert in der Welt die fehlende Aufarbeitung dessen, "was unsere Gesellschaft Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Pandemie angetan hat".  

Rote Hilfe: Anlässlich der bevorstehenden 100-Jahr-Feier der Roten Hilfe beschreibt die taz-berlin (Uta Schleiermacher) die Ursprünge und Entwicklung des linken Rechtshilfevereins. Ein aktuelles Anliegen der Roten Hilfe ist die schnellstmögliche Entlassung von Maja T. aus ungarischer Haft. In einem anderen Beitrag erinnert die taz-berlin (Hanno Fleckenstein) an den einstigen Rote-Hilfe-Strafverteidiger Hans Litten, der sich früh als Anwalt von Opfern der NS-Gewalt einen Namen machte. 1928 ließ der damals 28-jährige Litten Adolf Hitler in einem Strafprozess wegen eines SA-Überfalls als Zeugen laden und trieb ihn in einem Kreuzverhör derart in die Enge, dass Hitler schließlich die Fassung verlor.

Hitze und Arbeit: Die SZ (Valentin Dornis) fasst im Frage-Antwort-Format die Rechte von Arbeitnehmer:innen bei sommerlicher Hitze zusammen. Zwar gibt es kein Recht auf Hitzefrei, allerdings müssen Arbeitgeber:innen einer Erwärmung über 26 Grad entgegenwirken; ab 35 Grad darf in dem betreffenden Raum nicht mehr gearbeitet werden.

Rechtsprofessor und Jazzmusiker: beck-aktuell (Denise Dahmen) portraitiert den Rechtsprofessor Sebastian Schunke, der auch begabter Musiker ist und eine eigene Stilrichtung des Latin Jazz entwickelte. Schunke war bereits seit seiner Jugend begeisterter Musiker und studierte neben dem Referendariat an einer Musikhochschule.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/lh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. August 2024: . In: Legal Tribune Online, 23.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55259 (abgerufen am: 31.08.2024 )

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