Die juristische Presseschau vom 13. August 2024: Stein­beis gegen Manow / DUH gewinnt gegen TUI-Wer­bung / Genfer Kon­ven­tionen werden 75 Jahre alt

13.08.2024

Max Steinbeis kritisiert Philip Manows Kritik an der liberalen Demokratie und an Verfassungsgerichten. TUI-Werbung für klimaneutrale Kreuzfahrten ist zu ungenau. Völkerrechtler:innen ordnen Errungenschaften des Humanitären Völkerrechts ein.

Thema des Tages

Demokratie und Verfassung: Autor Maximilian Steinbeis bespricht in der SZ das neue Buch des Politikprofessors Philip Manow "Unter Beobachtung", in dem Manow den autoritären Populismus als demokratische Reaktion auf die zunehmend von Verfassungsrecht und Verfassungsgerichten bestimmte liberale Demokratie beschreibt. Steinbeis widerspricht dem und weist darauf hin, dass es im Konflikt mit dem autoritären Populismus nicht um die liberale Demokratie, sondern um "die Demokratie überhaupt" gehe. Der autoritäre Populismus greife Verfassungsgerichte nicht an, weil sie die Realisierung seiner majoritären Politik blockieren könnten, sondern weil sie einer dauerhaften "autoritären Machtergreifung" im Wege stehen. 

Rechtspolitik

Gesichtserkennung: Nun berichtet auch LTO (Christian Rath) über den Referentenentwurf von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) der u.a. die Einführung des "biometrischen Abgleichs mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet" ins BKA-Gesetz, das Bundespolizeigesetz und die Strafprozessordnung plant. Zur Strafverfolgung soll der Abgleich von Fahndungsbildern mit allen öffentlich zugänglichen Fotos im Internet, auch solchen aus sozialen Netzwerken, ab Kriminalität von erheblicher Bedeutung möglich sein. Bislang kann die Polizei Fahndungsfotos nur mit Fotos aus der Inpol-Datenbank abgleichen. Der Gesetzentwurf lässt aber offen, ob die Polizei künftig mit kommerziellen Anbietern zusammenarbeiten soll, deren Geschäftsmodell wohl gegen die EU-Datenschutz-Grundverordnung verstößt, oder ob sie selbst eine Vorratsdatenspeicherung aller im Internet verfügbaren Fotos vornehmen soll. Es berichtet außerdem beck-aktuell.

EuGH: Nach einer Änderung der EuGH-Satzung, die im September in Kraft tritt. erhält erstmals auch das Europäische Gericht (EuG) in sechs Bereichen, die selten grundlegende Fragestellungen aufwerfen und zu denen es bereits eine breite EuGH-Rechtsprechung gibt, die Kompetenz zur Vorabentscheidung. Zudem sollen die Transparenz und Effizienz der Verfahren unter anderem durch einen eingeschränkteren Rechtsmittelzugang und eine Veröffentlichung der Schriftsätze der Parteien gestärkt werden. LTO berichtet.

Messer: Nun berichten auch SZ (Markus Balser), FAZ (Reiner Burger) und taz-berlin (Hanno Fleckenstein/Erik Peter) über die Pläne von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), das Waffengesetz dahingehend zu verschärfen, dass fortan nur noch Messer mit einer bis zu sechs statt wie bislang bis zu zwölf Zentimeter langen Klinge erlaubt sind. Aufgrund gestiegener Zahlen von Stichverletzungen hatten einige Bundesländer Faeser im Juni per Bundesratsinitiative ermahnt, in dem Vorhaben voranzukommen; Faeser wolle nun in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen. FDP-Politiker:innen fordern eine bessere Durchsetzung des geltenden Rechts und weisen auf die bereits jetzt bestehende Möglichkeit der Länder hin, Verbotszonen für Messer einzurichten. Die Welt (Kristian Frigelj) schreibt über die Bemühungen der nordrhein-westfälischen Polizeibehörde, der erhöhten Messergewalt durch individuelle Waffentrageverbote und durch Aufklärungsarbeit in Schulen zu begegnen.

Reinhard Müller (FAZ) ist gegen Waffenverbotszonen, weil das Tragen von Waffen sowieso nur bestimmten Personen erlaubt ist und weil man mit "Haushaltsgeräten gegebenenfalls auch Verbrechen begehen kann". Er plädiert für eine stärkere Durchsetzung des Rechts und für mehr Abschiebungen. Auch Jörn Lauterbach (Welt) behauptet, die Ursache des Problems erhöhter Messerangriffe liege in einer "über Jahrzehnte fehlgeleiteten Asylpolitik".

Abgeordnetenbestechung: Der Rechtsanwalt Eren Basar stellt im Hbl das im Juni in Kraft getretene Gesetz zur Strafbarkeit der unzulässigen Interessenwahrnehmung vor, das gewisse entgeltliche Tätigkeiten von Abgeordneten durch § 108f StGB unter Strafe stellt. Strafbar können sich neben den Abgeordneten auch diejenigen machen, die den Vermögensvorteil gewähren.

Wachstumsinitiative/Arbeitsrecht: Rechtsprofessor Gregor Thüsing begrüßt auf beck-aktuell die geplanten arbeitsrechtlichen Neuerungen im Rahmen der am 17. Juli verabschiedeten Wachstumsinitiative. Er findet die "kalkulierbaren rechtlichen Rahmenbedingungen" und die "Anreize" zur Weiterbeschäftigung in höherem Alter "freiheitsrechtlich sinnvoll, weil es die Wahl lässt". Der Ansatz sei "volkswirtschaftlich sinnvoll, weil vielleicht nicht wenige sich dadurch werden steuern lassen".

Gemeinnützigkeit: Nun berichtet auch die SZ (Tim Frehler) über einen Offenen Brief von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus dem Juni, die von der Ampel-Koalition die versprochene Reform der Gemeinnützigkeit fordern. Die politische Betätigung von gemeinnützigen Vereinen müsse eindeutig erlaubt werden. Die FDP blockiert aber die Reformvorstellungen von SPD und Grünen.

In einem ergänzenden Artikel beschreibt die SZ (Wolfgang Janisch) die vor einigen Jahren eingereichte Verfassungsbeschwerde der globalisierungskritischen Organisation "Attac" die sich mittelbar gegen die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) von 2019 richtet, mit der Attac wegen der Verfolgung politischer Zwecke die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde. 

Justiz

LG Hamburg zu Werbung mit Klimaneutralität: Das Landgericht Hamburg gab einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen den Kreuzfahrtkonzern TUI Cruises statt, mit der die DUH gegen die Werbeaussage, TUI werde ab dem Jahr 2050 mit einem "dekarbonisierten Kreuzfahrtbetrieb (Net zero)" operieren, vorging. Dabei werde nicht deutlich, dass TUI das Ziel "net zero" auch mit Kompensationsmaßnahmen erreichen wolle. beck-aktuell berichtet. 

Sonja Salzburger (SZ) begrüßt die vom Gericht betonten "strengen Anforderungen an Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit" jeglicher Werbung mit Umweltschutzbegriffen. Sie fordert allerdings "verbindliche, strenge Regeln" der Politik, damit die Tourismusbranche tatsächlich umweltfreundlicher wird.

BGH zu Zwangsversteigerung/Manipulation: Einem Mitbewerber, der andere an einer Zwangsversteigerung teilnehmende Personen manipuliert und so von der Abgabe eines Gebots abhält, kann der Zuschlag wegen Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens versagt werden, so der Bundesgerichtshof. Im konkreten Fall behauptete der Miteigentümer eines zwangsversteigerten Hauses gegenüber Mitbietenden, dass das Haus teilweise "an Ausländer" vermietet sei, stark verschuldet sei und die Daten des Grundschuldgläubigers nicht so einfach auffindbar wären. beck-aktuell berichtet.

BGH zu rechtlichem Gehör/Berufungsablehnung: Nun berichtet auch LTO über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach ein Oberlandesgericht eine Berufung in einem Hinweisbeschluss erst nach Eingang der Berufungsbegründung als offensichtlich aussichtslos einstufen darf, weil andernfalls das Recht auf rechtliches Gehör verletzt wird.

OVG Magdeburg zu Glückspiel-Stream: Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg lehnte den Eilantrag eines Streamers ab, der gegen ein Verbot seines Streams durch die Glücksspielaufsicht wegen der Werbung für unerlaubtes Glücksspiel vorging. Der Streamer filmte sich beim Spielen von in Deutschland verbotenen Online-Automatenspielen. Laut OVG diene dieser Glückspiel-Stream nicht nur der Unterhaltung, sondern animiere Menschen, selbst an verbotenen Glückspielen teilzunehmen und fördere so mittelbar den Absatz des Glückspielanbieters. beck-aktuell berichtet.

LG Halle zu Rechtsextremist Sven Liebich: Der wegen Volksverhetzung und übler Nachrede zu einer eineinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilte Rechtsextremist Sven Liebich legte nun gegen das am 2. August ergangene Berufungsurteil des Landgerichts Halle Revision beim Oberlandesgericht Naumburg ein. Das LG Halle hatte zuvor die Einschätzung des erstinstanzlichen Amtsgerichts Halle bestätigt, dass es an der für die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung erforderlichen Einsicht des Rechtsextremisten fehlt, so LTO.

LG Köln zu Tötung durch Vater: zeit.de (Hariett Drack) stellt in der Reihe "Zeit Verbrechen" ausführlich den vor dem Landgericht Köln ab 2009 verhandelten Prozess um die Tötung eines Kindes durch seinen Vater vor. Der Vater log die Kindesmutter nach der Tötung der gemeinsamen dreijährigen Tochter an und behauptete, das Kind sei in Ghana bei den Großeltern; im Gericht sprach er später von einem Unfall. Im erstinstanzlichen Urteil wegen Körperverletzung mit Todesfolge erkannten die Richter:innen einen minder schweren Fall an, der jedoch vom Bundesgerichtshof 2011 verneint wurde, sodass das LG Köln schließlich erneut über das Strafmaß entschied und den Angeklagten 2011 zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilte.

LG Duisburg – Anschlag auf Linken-Büro: Zum Prozessauftakt vor dem Landgericht Duisburg beschreibt die taz (David Bieber) die Hintergründe des Falls, in dem einem Paar vorgeworfen wird, im Juli 2022 auf das damalige Büro der Linkspartei in Oberhausen einen Sprengstoffanschlag verübt zu haben. Das Paar bestreitet eine politische Motivation der Tat, man habe nur Böller ausprobieren wollen. Allerdings wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung Bilder von Adolf Hitler und andere verfassungsfeindliche Devotionalien sichergestellt. Der Mann sagt, er sei in einem Aussteigerprogramm.

AG München zu Rücktritt von Pauschalreisevertrag: Das Nichterscheinen am Flughafen zum Abflug stellt keine Erklärung des Rücktritts von einem Pauschalreisevertrag dar, so das Amtsgericht München. Als Gestaltungsrecht ist der Rücktritt grundsätzlich unwiderruflich, sodass das simple Nichterscheinen, das in anderen Ursachen begründet sein könnte, daher nicht ausreichen kann. beck-aktuell berichtet.

Recht in der Welt

Polen – Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit: Die FAZ (Reinhard Veser) beschreibt den Machtkampf des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk mit dem Staatspräsidenten Andrzej Duda um die Wiederherstellung der Unabhängigkeit der polnischen Justiz. Duda blockiert derzeit ein im Juli vom polnischen Parlament beschlossenes Gesetz zur Auflösung des Landesjustizrats, der noch von der ehemaligen PiS-Mehrheit im Parlament ernannt wurde und nach der Reform wieder von Richter:innen gewählt werden soll. Dudas Blockade führte zu einem Einstellungsstopp von Richter:innen – derzeit sind etwa 500 Stellen unbesetzt. 

Ukraine/Russland – deutsche Waffen: LTO befasst sich mit völkerrechtlichen Fragestellungen zum Einsatz deutscher Waffen auf russischem Boden zur Selbstverteidigung der Ukraine. Wie der Bonner Völkerrechtsprofessor Matthias Herdegen klarstellte, "deckt das Recht auf Selbstverteidigung ja gerade militärische Operationen auch im Gebiet des angreifenden Staates", sodass die Ukraine deutsche Waffen auch in Russland nutzen dürfe.

Israel – Krieg in Gaza/Angriff auf Schulgebäude: beck-aktuell ordnet den jüngsten Angriff Israels auf ein Schulgebäude, in dem sich Hamas-Kämpfer befanden, völkerrechtlich ein. Wenn ein ziviles Objekt verbotenermaßen als Schutzschild genutzt wird, es zu bestimmten militärischen Operationen des Gegners beiträgt und aus der Zerstörung ein eindeutiger militärischer Vorteil folgt, kann es angegriffen werden, so das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Hinblick auf einen früheren Fall.

Juristische Ausbildung

Jura-Bachelor: Andreas Paulus, Dekan der Göttinger Jura-Fakultät und Ex-Verfassungsrichter, lobt auf spiegel.de die Einführung von Bachelor-Abschlüssen für Studierende, die das Erste Staatsexamen nicht bestanden haben. Wegen der Pensionierungswelle in der öffentlichen Verwaltung bestehe großer Bedarf an Bachelor-Juristen.

Sonstiges

Humanitäres Völkerrecht: Anlässlich des 75-jährigen Jubiläums der Genfer Konventionen, Herzstück des Humanitären Völkerrechts (HVR), befassen sich mehrere Beiträge mit dem Recht im Krieg. Dieter Weingärtner Jurist und Präsidiumsmitglied des Deutschen Roten Kreuzes, beschreibt im FAZ-Einspruch den historischen Ursprung des HVR, Grundprinzipien und aktuelle Herausforderungen. Weingärtner bemängelt das Fehlen funktionierender Kontrollmechanismen. beck-aktuell (Maximilian Amos) spricht mit drei Völkerrechtler:innen über das HVR. Völkerrechtsprofessor Matthias Herdegen weist darauf hin, dass der Anspruch des HVR lediglich darin besteht, das "Inhumane im Krieg zu bändigen".

KI-Training/X: Die Datenschutz-Organisation Noyb hat in mehreren EU-Staaten Beschwerden gegen die Plattform X wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) eingereicht. X habe Daten von Nutzer:innen ohne ihre Erlaubnis verwendet, um damit die eigene KI zu trainieren. Es berichten SZ, FAZ, taz, netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) und zeit.de.

Das Letzte zum Schluss

Banksys kriminelle Sachbeschädigung: Die britische Polizei sieht keinen Grund, die Graffitis des Künstlers Banksy wohlwollender einzuordnen als andere Straßenkunst. Bei dem Aquarium, das Banksy auf eine Polizei-Notrufzelle sprühte, handelt es sich laut einem Sprecher der Londoner Polizei um "kriminelle Sachbeschädigung", wie die SZ (Alexander Menden) schreibt.

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/lh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. August 2024: . In: Legal Tribune Online, 13.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55196 (abgerufen am: 25.10.2024 )

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