Reiseagenturen trugen das Risiko der Unmöglichkeit bei coronabedingten touristischen Einreiseverboten. Das LG München I billigte die Abhörmaßnahme als verhältnismäßig. Westliche Regierungen lehnen IStGH-Haftbefehle gegen Netanjahu u.a. ab.
Thema des Tages
BGH zu Flugbuchung/Corona-Einreiseverbot: Eine Reiseagentur, die trotz eines absehbaren coronabedingten Einreiseverbots in die USA Flugbuchungen vornimmt, muss die Flugtickets auch bezahlen, so der Bundesgerichtshof in einer nun veröffentlichten Entscheidung vom 25. Juni, die die Vorinstanzen bestätigt. Da die Reiseagentur die Tickets zu einem Zeitpunkt buchte, in dem bereits Einreiseverbote bestanden, übernahm sie konkludent das Risiko des Leistungshindernisses, sodass ihr kein Rücktrittsrecht wegen Unmöglichkeit zusteht. Außerdem hatte die Reiseagentur bessere Erkenntnismöglichkeiten über die Relevanz des Einreiseverbots, das nur für touristische Reisen galt, weil sie – im Gegensatz zum Flugreisenanbieter – hätte feststellen können, ob die Fluggäste zu touristischen Zwecken verreisen wollen. LTO-Karriere (Kevin Japalak) berichtet.
Rechtspolitik
Bundeshaushalt: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich aus dem Urlaub zu dem Gutachten des Rechtsprofessors Johannes Hellermann geäußert, der im Auftrag von Finanzminister Christian Lindner (FDP) die geplanten drei Haushaltskniffe für den Bundeshaushalt 2025 prüfte: "Klares Ergebnis des juristischen Gutachtens: Das geht", sagte Scholz, obwohl Hellermann teilweise ein "nicht unerhebliches rechtliches Risiko" festgestellt hatte. Scholz fügte hinzu: "Es bleibt ein Mysterium, wie das eigentlich klare Votum des juristischen Gutachtens vorübergehend grundfalsch aufgefasst werden konnte." Damit will Scholz aber nicht Lindner gemeint haben. Lindner bezieht sich meist auf ein zweites von ihm beauftragtes Gutachten des wissenschaftlichen Beirats seines Ministerium, das die drei Haushaltskniffe überwiegend negativ beurteilte. Es berichten SZ (Henrike Roßbach u.a.), FAZ (Corinna Budras/Dietrich Creutzburg), FAZ (Mona Jaeger), Hbl (Jan Hildebrand/Julian Olk), Zeit (Mark Schieritz), spiegel.de (Christian Reiermann) und bild.de.
Corona-Aufarbeitung: In einem Gastbeitrag in der FAZ fordern Frauke Rostalski, Elisa Hoven, Svenja Flaßpöhler und Juli Zeh, Rechtsprofessorinnen, Philosophin und Schriftstellerin, eine "redliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie". Sie kritisieren das Narrativ einer "angeblichen Alternativlosigkeit" der getroffenen Maßnahmen und betonen, dass es "den einen Weg und die eine Wahrheit in einem säkularen, freiheitlichen Staat nicht geben kann".
Justiz
LG München I zu Letzte Generation/Pressetelefon: Das heimliche Abhören des Pressetelefons der Letzten Generation war laut Landgericht München I zwar ein Eingriff in die Pressefreiheit, aber verhältnismäßig und daher rechtmäßig. Damit wies das Gericht die Beschwerden zweier betroffener Journalisten zurück. Ohne Telefonüberwachung wären die Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung "wesentlich erschwert". Reporter ohne Grenzen und die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die die Beschwerdeführer unterstützten, kritisieren das Urteil. Das Interesse an der Tatverfolgung müsse hinter der Pressefreiheit und dem Fernmeldegeheimnis zurücktreten. Es berichten SZ, FAZ (Ole Kaiser) und netzpolitik.org (Anna Biselli).
VG Berlin – Besoldung eines Juniorprofessors: Das Verwaltungsgericht Berlin hält die Besoldung eines Juniorprofessors für zu gering und legt die Berliner Besoldungsvorschriften dem Bundesverfassungsgericht vor. Die Verfassungswidrigkeit begründet das VG Berlin zum einen mit einer Verletzung des sogenannten "Mindestabstandsgebots" der niedrigsten Beamtenbesoldung zum Grundsicherungsniveau. Außerdem sei der Unterschied der Besoldung von Juniorprofessor:innen und auf Lebenszeit ernannten Professor:innen nicht gerechtfertigt, weil beide ähnliche Aufgaben wahrnehmen. beck-aktuell berichtet.
BGH zu Amtshaftung/Führerscheinentzug: Wenn ein Mann, dem unrechtmäßig der Führerschein entzogen worden war, Amtshaftungsansprüche wegen einer dreifach längeren Fahrtzeit zur Arbeit geltend macht, dann muss darüber Beweis erhoben werden. Dies entschied der Bundesgerichtshof laut beck-aktuell. Die Vorinstanzen hatten den Vortrag des Mannes als unsubstanziiert eingestuft und die Klage ohne Beweisaufnahme abgelehnt.
VGH Bayern zu Wolfsverordnung: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof kippte die bayerische Wolfsverordnung, die den Abschuss von Wölfen erlaubt, wegen formeller Unwirksamkeit und gab damit einem Normenkontrollantrag des BUND-Landesverbands Bayern statt. Der Freistaat Bayern habe es unterlassen, anerkannte Naturschutzvereinigungen im Verordnungsverfahren zu beteiligen. beck-aktuell berichtet.
OLG Stuttgart zu Tabakaußenwerbung: Eine Tankstelle, die auf Bildschirmen im Schaufenster, die von außen sichtbar sind, für Tabakprodukte wirbt, verstößt gegen das Außenwerbeverbot, entschied das Oberlandesgericht Stuttgart. Das Außenwerbeverbot gelte auch für Schaufensterwerbung. Eine Tankstelle sei auch kein Fachhandel, für den das Außenwerbeverbot nicht gilt. Damit gab das OLG dem Unterlassungsantrag des Verbraucherschutzvereins "Pro Rauchfrei" statt, wie LTO berichtet.
LG Berlin I - Kida Khodr Ramadan: Die vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten ausgesprochene zehnmonatige Freiheitsstrafe gegen den Schauspieler Kida Khodr Ramadan wegen viermaligen Autofahrens ohne Fahrerlaubnis wurde rechtskräftig, nachdem in Folge eines Rechtsgesprächs vor dem Landgericht Berlin I die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte ihre Berufungen zurücknahmen. Ramadan sitzt nach einer vorherigen Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 33 Fällen bereits eine zehnmonatige Haftstrafe ab. Es berichten FAZ (Jannis Holl) und spiegel.de (Wiebke Ramm).
VG Münster zu Heckenschneidepflicht: Ein Rentner, dessen Hecken über die Grundstücksgrenze hinaus auf den Radfahrweg wachsen, kann sich seiner Heckenschneidepflicht nicht durch Verweis auf sein Alter oder seine gesundheitlichen Probleme entledigen. Damit bestätigte das Verwaltungsgericht Münster die Ordnungsverfügung des Landesbetriebs Straßen.NRW über die voraussichtlichen Kosten für die Beschneidung, so LTO.
AG Berlin-Tiergarten zu "From the River…": Nun stellt auch LTO (Max Kolter) ein am Dienstag ergangenes Strafurteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vor. Das AG verurteilte eine 22-Jährige wegen Billigung von Straftaten gemäß § 140 StGB zu einer Geldstrafe, weil sie vier Tage nach der Hamas-Terrorattacke vom 7. Oktober die Parole "From the River to the Sea – Palestine will be free" gerufen hatte. Hingegen äußerte sich das Gericht nicht zur Frage, ob es sich bei der Parole um ein Hamas-Symbol handelt und deshalb eine Strafbarkeit wegen des Verwendens verbotener Kennzeichen nach §§ 86, 86a StGB vorliegen könnte.
Recht in der Welt
IStGH – Krieg in Gaza/Haftbefehle: Der SZ (Ronen Steinke) zufolge haben mehrere Regierungen westlicher Staaten, darunter auch Deutschland, an den Internationalen Strafgerichtshof appelliert, vorerst keine Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den Verteidigungsminister Yoav Gallant zu erlassen. Als Rechtsstaat verdiene Israel Vertrauen, mögliche im Gaza-Streifen begangene Kriegsverbrechen selbst aufzuklären. Völkerstrafrechtlerin Julia Geneuss verweist hingegen darauf, dass nach derzeitigem Kenntnisstand keine entsprechenden Verfahren in Israel laufen.
Deshalb findet Ronen Steinke (SZ) in einem separaten Kommentar, dass "der deutsche Einspruch seltsam ist" und fordert den Erlass des Haftbefehls gegen Netanjahu. Das Vorgehen der israelischen Regierung, "der gegnerischen Zivilbevölkerung Wasser, Nahrung, Medikamente vorzuenthalten", sei eindeutig völkerrechtswidrig. In einem Gastbeitrag in der FAZ kritisiert auch Rechtsprofessor Kenneth Roth die "auffällige Selektivität" der deutschen Regierung, die den Haftbefehl gegen Wladimir Putin nicht mit einer ähnlichen Argumentation bestritt. Roth weist darauf hin, dass der "Missbrauch der Staatsräson" auch die Sicherheit von Jüd:innen beeinträchtigt, die insbesondere wegen des wachsenden Antisemitismus ein "starkes Menschenrechtssystem brauchen".
Thailand – Verbot von Oppositionspartei: Das Verfassungsgericht in Thailand ordnete an, die oppositionelle Reformpartei "Move Forward", die bei den Wahlen im Mai die meisten Parlamentssitze gewann, aufzulösen, weil die Partei den Straftatbestand der Majestätsbeleidigung entschärfen will. Das Gericht begründete seine Anordnung damit, dass diese Forderung die Monarchie untergrabe. Gegen elf Spitzenpolitiker:innen der Partei wurde ein zehnjähriges Politikverbot verhängt. Es berichten SZ (David Pfeifer), FAZ (Anna Schiller), taz (Michael Lenz), spiegel.de.
IGH – Gaza-Krieg/Rafah-Offensive: Nach Informationen von FAZ und zeit.de planen die Türkei und Spanien, sich der beim Internationalen Gerichtshof anhängigen Klage Südafrikas gegen Israel wegen Verletzung der Pflichten aus der Genozid-Konvention anzuschließen.
Georgien – "ausländische Agenten"-Gesetz: Auf dem Verfassungsblog analysiert die Rechtsprofessorin Anna Phirtskhalashvili (in englischer Sprache) die Verfassungswidrigkeit des georgischen sogenannten "ausländische Agenten"-Gesetzes, die sich aus der Verletzung individueller Rechte, der Rechte von Medienorganisationen und Georgiens verfassungsrechtlicher Verpflichtung zur europäischen Integration ergebe. Phirtskhalashvili resümiert: das Gesetz "ist mehr als ein rechtliches Problem", es "symbolisiert die Wahl Georgiens zwischen Totalitarismus und Demokratie".
Sonstiges
Landtagsmitarbeiter:innen NRW: Die FAZ (Reiner Burger) stellt ein vom Präsidenten des nordrhein-westfälischen Landtags in Auftrag gegebenes Gutachten zur Frage vor, wie der Landtag besser gegen Extremist:innen von innen geschützt werden kann. Das Gutachten schlägt Änderungen in der Hausordnung vor, um den Zugriff auf IT-Systeme künftig unter den Vorbehalt einer erfolgreichen "parlamentsspezifischen Zuverlässigkeitsprüfung" zu stellen. Außerdem sollten Bundeszentralregisterauszüge über neu anzustellende Personen eingeholt werden – bislang müssen Beschäftigte lediglich ein einfaches polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Zudem könnte in Musterarbeitsverträgen eine "Verfassungstreueklausel" eingeführt werden.
Resilienz des BVerfG und der Demokratie in Thüringen: Im Interview mit dem Tsp (Charlotte Greipl/Adrian Schulz) spricht Maximilian Steinbeis über Möglichkeiten des Schutzes rechtsstaatlicher Institutionen wie dem Bundesverfassungsgericht vor autoritären Kräften sowie über mögliche Szenarien der Thüringen-Wahl. Er betont, dass "die Institutionen der Demokratie nur funktionieren können, soweit alle Akteure das gemeinsame Interesse teilen, dass sie funktionieren". Steinbeis appelliert, dass man sich "nicht auf die Verfassung und Juristen verlassen sollte", sondern jede:r "der Aushöhlung der Demokratie entgegentreten, demonstrieren, sich äußern und wählen kann und muss".
NS-Unrecht: Auf beck-aktuell erinnert Sebastian Felz, Vorstandsmitglied des "Forum Justizgeschichte", an neun Beiträge im Jahrgangsband 1964 der NJW, die sich unter anderem mit der Schuld der NS-Täter:innen und der Gesetzesqualität von Hitlers "Führerbefehlen" befassten.
RA Steinhöfel: Die Zeit (Götz Hamann) portraitiert den Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel, der Narrative zum "Kampf gegen Hass und Hetze" für grundsätzlich falsch hält und für eine weite Anwendung der Meinungsfreiheit wirbt. Nur strafbare Posts sollten letztlich gelöscht werden.
Compact-Verbot/Näncy: Nun befasst sich auch die FAZ (Michael Hanfeld) mit dem Compact-Nachfolger-Magazin "Näncy". Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet etwaige "Folgeaktivitäten".
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LTO/lh/chr
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Die juristische Presseschau vom 8. August 2024: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55168 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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