Das OVG Münster bestätigte die Einstufung der AfD-Bundespartei als rechtsextremistischen Verdachtsfall. Rechtspfleger:innen in NRW dürfen bald Roben tragen. Kriminelle Internet-Angriffe aus dem Ausland haben stark zugenommen.
Thema des Tages
OVG NRW zu Verdachtsfall AfD: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat die Einstufung der AfD-Bundespartei als rechtsextremistischen Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz in zweiter Instanz für rechtmäßig erklärt. Es gebe tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD. So wollten maßgebliche Teile der Partei Deutschen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuerkennen. Außerdem gebe es Anhaltspunkte, dass sich die AfD-Politik gegen die Menschenwürde von Flüchtlingen und Muslimen richte. Schließlich gebe es auch demokratiefeindliche Bestrebungen in der AfD, aber nicht in der Häufigkeit und Dichte wie vom Verfassungsschutz angenommen. Auch die Einstufung der Jugendorganisation Junge Alternative als Verdachtsfall wurde vom OVG bestätigt, ebenso die Einstufung des ehemaligen "Flügels" als gesichert extremistische Bestrebung. Das OVG ließ keine Revision zu. Die AfD will Nichtzulassungsbeschwerde erheben. Es berichten SZ (Christoph Koopmann/Markus Balser), FAZ (Friederike Haupt). taz (Gareth Joswig), BadZ (Christian Rath), Tsp (Jost Müller-Neuhof), spiegel.de (Wolf Wiedmann-Schmidt), zeit.de (Tillman Steffen/Christian Parth), LTO und tagesschau.de (Martin Schmidt/Christoph Kehlbach). LTO stellt in einem gesonderten Artikel Reaktionen zusammen.
Im Interview mit der taz (Konrad Litschko) begrüßt der CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz das Urteil und fordert Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat auf, nun endlich ein AfD-Verbot zu beantragen. Über die wieder aufflackernde Verbotsdiskussion berichten auch bild.de (Luisa Volkhauseh/Michael Deutschmann) und beck-aktuell (Denise Dahmen).
Markus Sehl (LTO) meint, das OVG-Urteil ändere wenig. Erst eine Hochstufung der AfD könnte Folgen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst haben. Dagegen könne allerdings die AfD neu klagen. Gareth Joswig (taz) kommentiert: "Das verlorene Berufungsverfahren in Münster ist eine wichtige Wegmarke auf dem Weg zum Verbotsverfahren oder der Streichung staatlicher Parteienfinanzierung für die AfD. Nun müssen weitere Schritte wie die Hochstufung der Gesamtpartei zur gesichert rechtsextremen Bestrebung erfolgen." Reinhard Müller (FAZ) sieht die Verantwortung eher bei den Bürger:innen: "Letztlich aber entscheiden die Bürger – nicht nur über Parteien, sondern auch über das Gemeinwesen. Sie müssen sich fragen, was sie wollen und wie sie selbst ihre Art zu leben schützen wollen." Christian Rath (BadZ) kritisiert die zu zurückhaltende Darstellung der Urteilsgründe durch den Vorsitzenden Richter Gerald Buck: "Auch als neutrales Gericht hätte man durchaus etwas konkreter werden können. Wer in der mündlichen Urteilsverkündung völlig auf einschlägige Aussagen der AfD verzichtet, hat eine Chance verpasst, Justiz verständlich zu machen."
Verfassungsschutz: Stephan Klenner (FAZ) rezensiert das Buch "Gesinnungspolizei im Rechtsstaat?" des SPD-Politikers Mathias Brodkorb, in dem jener die Auflösung der Verfassungsschutz-Behörden fordert. Im Buch wird die Überwachung von linken und rechten Oppositionellen kritisiert. Der Rezensent findet das Buch jedoch zu polemisch. Die Meinungsfreudigkeit des Autors stehe in einem "Missverhältnis zur lückenhaften Fundierung seiner Thesen".
Rechtspolitik
Rechtspfleger:innen: In NRW sollen Rechtspfleger:innen bald Robe tragen. Einen entsprechenden Antrag wollen die Regierungsfraktionen von CDU und Grünen demnächst in den Landtag einbringen. Sie greifen damit einen Wunsch des NRW-Landesverbands des Bunds Deutscher Rechtspfleger auf. Die Robe soll Ansehen und Respekt bei der Amtsausübung sichern. LTO berichtet.
Zivilprozess: Die Präsident:innen der OLGs und des BGH haben auf ihrer Tagung letzte Woche Münchener Thesen zur Reform des Zivilprozessrechts beschlossen. Darin geht es um einfacheren Zugang zum Recht, die Sicherung einer qualitativ hochwertigen und effizienten Rechtsprechung sowie wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten. beck-aktuell berichtet.
KapMuG: Am Mittwoch wird im Rechtsausschuss des Bundestags eine Anhörung zur Entfristung und Reform des Kapitalanlegermusterverfahrensgesetzes stattfinden. Die FAZ (Katja Gelinsky) stellt einige der bereits vorliegenden Stellungnahmen vor. So warne der Deutsche Richterbund vor Mehrarbeit für die Gerichte.
Justiz
BGH zu Tötungsvorsatz: Wenn drei Personen mit Messern auf eine vierte Person einstechen, kann auch bei dem Täter Tötungsvorsatz vorliegen, der nur auf die Beine des Opfers einsticht, wenn der Tat ein gemeinsamer Tatplan zugrunde lag und die anderen Täter auf den Leib des Opfers einstechen. Dies entschied laut beck-aktuell der Bundesgerichtshof Ende April.
BSG zu Pilot als Arbeitnehmer: Ein Pilot, der für ein Unternehmen Frachtflugzeuge steuert, ist in der Regel Arbeitnehmer und nicht selbstständig, wenn er kein eigenes Flugzeug hat und kein unternehmerisches Risiko trägt und ihm die Transport-Aufgaben klar vorgegeben werden. Dass es dem Piloten erlaubt war, auch Aufträge anderer Unternehmen auszuführen, stehe dieser Einstufung nicht entgegen. Über eine entsprechende Entscheidung des Bundessozialgerichts von Ende April berichtet beck-aktuell.
BAG zu Barlohn und Dienstwagen: Bei der Berechnung des zwingend in Geld (und nicht in Sachleistungen) auszuzahlenden Lohns muss die private Nutzung eines Dienstwagens für Fahrten zur Arbeit nicht berücksichtigt werden. Die 0.03-Prozent-Regelung sei nur steuerrechtlich relevant, so das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung von Mai 2023, an die Rechtsanwalt Severin Gotthard Kunisch im Expertenforum Arbeitsrecht erinnert.
OLG Stuttgart - Umsturzpläne/Reuß: Die drei OLG-Prozesse gegen Mitglieder der Verschwörergruppe um Heinrich XIII Prinz Reuß werden nicht zusammengelegt. Dies entschied das Oberlandesgericht Stuttgart und lehnte entsprechende Anträge von Angeklagten des ersten Prozesses ab. beck-aktuell berichtet.
LG München I - Ex-Wirecard-Chef Braun/von Erffa: Der mitangeklagte Chefbuchhalter Stephan von Erffa will "nicht vor Juli" aussagen. Zuvor soll es am 5. Juni ein Rechtsgespräch zwischen der Strafkammer, den Ankläger:innen und von Erffas Anwälten geben, zu dem auch die Verteidiger:innen der anderen Angeklagten eingeladen seien, berichtet die FAZ (Marcus Jung).
VG Düsseldorf zu Ausweisung von Abu Walaa: Das einst ranghöchste IS-Mitglied in Deutschland, Abu Walaa, darf nach seiner Haftentlassung ausgewiesen und in den Irak abgeschoben werden. Dafür sprechen Gründe der nationalen Sicherheit. Auch die sieben Kinder Abu Walaas, die alle die deutsche Staatsangehörigkeit haben, stehe dem nicht entgegen, entschied das Verwaltungsgericht Düsseldorf laut zeit.de.
AG Berlin-Tiergarten - Klimaprotest: Gegen Carla Hinrichs, die Sprecherin der Letzten Generation, hat am Amtsgericht Tiergarten ein neuer Strafprozess begonnen. Diesmal geht es um fünf Anklagen und einen Strafbefehl, die elf Sitzblockaden in der Zeit von November 2021 bis Mai 2023 betreffen. LTO berichtet.
AG München zu Reisemangel: LTO schildert eine Entscheidung des Amtsgerichts Münchens zu einem Reisemangel. Eine Frau hatte eine einwöchige Pauschalreise für 740 Euro gebucht. An den ersten beiden Tagen musste sie jedoch in nicht gebuchten anderen Hotels übernachten, einmal störten sie Gänse in einem Hinterhof. Der Veranstalter ließ deshalb 230 Euro nach, die Reisende verlangte einen Nachlass von weiteren 400 Euro. Das AG hielt jedoch insgesamt nur 115 Euro Minderung für angemessen. Bei einer günstigen Reise müssten auch die berechtigten Erwartungen im Rahmen bleiben.
Recht in der Welt
USA - Trump/Stormy Daniels: Als wichtigster Belastungszeuge sagte Michael Cohen, ein ehemaliger Anwalt Trumps, aus. Trump habe ihn angewiesen, an Stormy Daniels Schweigegeld zu bezahlen, um seinen Wahlkampf 2016 nicht zu gefährden. Später habe er das Geld von Trump zurückbekommen, wobei es gezielt verschleiernd als Anwaltshonorare deklariert wurde. zeit.de und spiegel.de berichten.
Georgien - "ausländische Agenten"-Gesetz: Die italienischen Rechtswissenschaftler:innen Viktoriia Lapa und Justin Frosini kommen auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) zum Ergebnis, dass das "ausländische Agenten"-Gesetz, das an diesem Dienstag in Georgien beschlossen werden soll, gegen die georgische Verfassung verstößt. Es verletze die konstitutionelle Verpflichtung, alles zu unterlassen, was einen EU-Beitritt Georgiens behindert.
Sonstiges
Cybercrime: Die Zahl der Internet-Straftaten, die aus dem Ausland heraus auf Deutschland verübt wurden, ist im Jahr 2023 um 28 Prozent gestiegen. Die Aufklärungsquote liegt im einstelligen Bereich. Dies steht im Lagebild Cyberkriminalität, das das BKA vorstellte. Bei Internet-Straftaten aus dem Inland blieb die Zahl gleich, aber die Aufklärungsquote stieg auf 32 Prozent. Der Gesamtschaden liege bei 206 Mrd. Euro im Jahr 2023. Es berichten FAZ (Mona Jaeger) und SZ (Markus Balser/Constanze von Bullion).
Anna Biselli (netzpolitik.org) kritisiert, dass Innenministerin Nancy Faeser (SPD) dort untätig bleibe, wo sie handeln könne: bei der Reform des Hacker-Paragraphen, der auch wohlmeinende Schwachstellensuchende kriminalisiere und bei einem Schwachstellen-Management, das Sicherheitsbehörden dazu verpflichtet, Schwachstellen zu melden, statt sie selbst zu nutzen.
Laut einer Rechtsprechungsübersicht der SZ (Frida Preuß) haften Banken nicht, wenn ein Kunde grob fahrlässig seine PIN oder TANs an Betrüger weitergibt. Falls die Betrüger aber auch die Telefonnummer der Bank gekapert haben, musste der Kunde gegenüber einem Anrufer nicht misstrauisch werden, so dass die Bank dann doch haftet. Der Beitrag schildert im Übrigen, wann welche Versicherungen für solche Schäden von Bankkunden aufkommen.
Gendern: Ein Gutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kam zum Schluss, dass Verbote von Gendersprache wie in Bayern und Hessen die Gefahr erzeugen, "dass staatliche Einrichtungen verpflichtet werden, das Geschlechtsdiskriminierungsverbot sowie allgemeine Persönlichkeitsrechte von Frauen, intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen zu verletzen", berichtet die FAZ (Susanne Kusicke).
In einem separaten Kommentar kritisiert Susanne Kusicke (FAZ), dass nirgendwo in Deutschland gendergerechte Sprache verboten wurde, nur Genderzeichen (:, *, _) innerhalb eines Wortes seien von den Verboten betroffen. Sie bezeichnet die Argumentation der Behörde als "verquer".
Meinungsfreiheit: Der Anwalt Joachim Steinhöfel spricht im Interview mit der Welt (Michael Höfling) über sein neues Buch "die digitale Bevormundung". Der Löschpraxis von US-Tech-Konzernen fallen "deutlich öfter konservative Positionen zum Opfer", weil die Mitarbeiter überwiegend links seien. Die "überempfindliche" Politik sei inzwischen aber genauso gefährlich wie die Konzerne. "Hass und Hetze" seien schwammige und politisch aufgeladene Floskeln, präziser sei der Bezug auf strafbare Inhalte. Es gebe keine Belege, dass die Ausübung von Meinungsfreiheit Gewalttaten begünstigt.
75 Jahre Grundgesetz: tagesschau.de (Frank Bräutigam) gibt Grundinformationen zum Entstehen des Grundgesetzes. In einem separaten Text gibt tagesschau.de (Frank Bräutigam/Michael Nordhardt) aktuelle Umfragen zum Grundgesetz wieder. Danach finden 25 Prozent der Befragten, das Grundgesetz sei eine "sehr gute" Verfassung. 52 Prozent halten es für eine "gute Verfassung". 15 Prozent finden das Grundgesetz "weniger gut" und nur 4 Prozent sagen, es sei "nicht gut". focus.de (Josef Seitz) schildert in der TV-Kolumne die ARD-Dokumentation "Wie gut ist unser Grundgesetz?"
Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Felix Oldenburg und Markus Schnetter würdigen im FAZ-Einspruch die Sprache des Grundgesetzes. Sie sei pathetisch, knapp und lapidar. Die Offenheit der Formulierungen erhalte das Grundgesetz "als gemeinsamen Bezugspunkt oder zumindest geteiltes Interpretationsobjekt verschiedener, sogar antagonistischer Gruppen". In neueren Verfassungsänderungen sei man von diesem Stil leider oft abgerückt.
Das Letzte zum Schluss
Späte Reue: Ein Rentner aus dem US-Bundesstaat Wyoming hat dem staatlichen Hofbräuhaus in München eine 50-Dollar-Note geschickt - verbunden mit dem Geständnis, dass er bei einem Besuch im Jahr 1972 als College-Student einen steinernen Maßkrug gestohlen hatte. Derartige späte Gewissensregungen seien gar nicht so selten, berichtet die SZ (Benjamin Emonts).
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 14. Mai 2024: . In: Legal Tribune Online, 14.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54536 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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