Die juristische Presseschau vom 7. Mai 2024: Erste Aus­sage im Reuß-Reichs­bür­ger­pro­zess / Ver­fas­sungs­klage gegen Stif­tungs­ge­setz / Polen wieder recht­staat­lich?

07.05.2024

Wolfram S. behauptet, lediglich Zivilschutz leisten zu wollen. Die Tierschutzpartei geht gegen das Stiftungsgesetz vor. Die EU-Kommission will das Artikel-7-Verfahren gegen Polen einstellen lassen.

Thema des Tages

OLG Stuttgart – Umsturzpläne/Reuß: Im Prozess gegen Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppe um Heinrich XIII Prinz Reuß vor dem Oberlandesgericht Stuttgart sagte am gestrigen Montag der 55-jährige Ingenieur Wolfram S. als erster der insgesamt 9 Angeklagten aus und bestritt jegliche Affinität zu Waffen und der Reichsbürger-Ideologie. Vielmehr habe er einen Beitrag zum Zivilschutz leisten wollen, nachdem die Gruppe um Reuß ihn kontaktierte und für den Fall eines Systemzusammenbruchs um Hilfe bat. Laut Anklage erstellte S. eine Datenbank für die "Heimatschutzkompanien", die S. zufolge dem Katastrophenschutz dienen sollte, laut Staatsanwaltschaft sollte die Datenbank jedoch für Säuberungen, also Tötungen, genutzt werden. SZ (Annette Ramelsberger), LTO, tagesschau.de (Kolja Schwartz), beck-aktuell und bild.de (Jörg Völkerling) geben die Aussagen des Angeklagten wieder.

Die FAZ (Rüdiger Soldt) portraitiert Joachim Holzhausen, den "fleißigen, durchsetzungsstarken und empathischen" Vorsitzenden Richter des Oberlandesgericht Stuttgart.

Rechtspolitik

Antisemitismus: LTO (Max Kolter) analysiert den Vorschlag des Bundesinnenministeriums, den Tatbestand der in § 130 Abs. 1 StGB geregelten Volksverhetzung um die Gefährdung "auswärtiger Belange" zu erweitern. Strafrechtsprofessor:innen halten eine entsprechende Erweiterung auf Auslandssachverhalte mangels geschützten Rechtsguts und wegen möglicher Verletzung der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit und des Bestimmtheitsgebots für problematisch. Insgesamt werde man angesichts der "plumpen Vorstöße des BMI in Sachen Antisemitismusbekämpfung" "den Eindruck nicht los, das BMI wolle hier die Kompetenzen der Polizei- und Versammlungsbehörden mit der Brechstange erweitern – durch Einflussnahme auf eines der sensibelsten Rechtsgebiete, die es gibt: das Strafrecht."

Geschlechtliche Selbstbestimmung: Auf beck-aktuell widmet sich die Rechtsanwältin Lucy Chebout dem Mitte April beschlossenen Selbstbestimmungsgesetz (SBGG), durch das ab November diesen Jahres ein vereinfachtes Verfahren zur Änderung des Namens und des Geschlechtseintrags eingeführt wird. Das SBGG sei ein erster und "wichtiger Schritt in die richtige Richtung", allerdings gebe es insbesondere im Recht der Eltern-Kind-Zuordnung noch weiteren Regelungsbedarf.

Sammelanderkonten: Rechtsanwalt Martin W. Huff gibt auf beck-aktuell eine neue Regelung zu Sammelanderkonten wieder, nach der die regionalen Rechtsanwaltskammern anwaltliche Sammelanderkonten anlasslos überprüfen können. In einer Anhörung im Rechtsausschuss äußerten Expert:innen Bedenken gegen die Regelung, die einen Systembruch darstelle, erheblich in die Verschwiegenheitspflicht von Rechtsanwält:innen eingreife und mangels personeller Ausstattung der Kammern nicht umgesetzt werden könne.

Gewalt gegen Politiker:innen/Demokratieförderung: Nach dem Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke fordern SPD und Grüne ein Ende der FDP-Blockade zum Demokratiefördergesetz. Zur Stabilisierung der Demokratie brauche es keine stärkere Überwachung und härteren Strafen, sondern eine starke Zivilgesellschaft und eine explizite Demokratieförderung. Der von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorgelegte Gesetzentwurf, mit dem Demokratieprojekte langfristig abgesichert werden sollen, hängt derzeit im Bundestag fest, wie die taz (Konrad Litschko) schreibt.

An diesem Dienstagabend werden Bund und Länder auf einer Sonderkonferenz der Innenminister:innen über Maßnahmen gegen die Gewalt beraten. Sachsens Justizministerium will das sogenannte politische Stalking in Deutschland kriminalisieren, so die SZ (Constanze von Buillon/Markus Balser).

Klimaschutz: Auf dem Verfassungsblog evaluieren Christian Flachsland, Jacob Edenhofer und Claudia Zwar, Politikprofessor, Politikstudent und Doktorandin, die am 26. April verabschiedete Reform des Klimaschutzgesetzes. Die Wirksamkeit der nun abgeschafften verpflichtenden Sektorziele sei überschätzt worden, weil unter anderem das FDP-geführte Verkehrsministerium "in den vergangenen Jahren sehr deutlich gemacht hat, dass es dieser gesetzlichen Vorgabe nicht zu folgen bereit ist." Damit Vorgaben durchgesetzt werden, müssen Anreize gesetzt werden, so dass die Klimapolitik im Eigeninteresse der Akteur:innen liegt. 

Resilienz der Brandenburger Justiz: Im Verfassungsblog zeigen Ulrich Karpenstein und Stephan KirschnickRechtsanwalt und Richter, angesichts der bevorstehenden Landtagswahl "offene Flanken der Brandenburger Justiz" auf und ziehen eine Parallele zu derzeit diskutierten Möglichkeiten, das Bundesverfassungsgericht resilienter zu machen. Konkreten Nachbesserungsbedarf gibt es in Brandenburg hinsichtlich einer möglichen Sperrminorität bei der Richter:innenwahl. 

Justiz

BVerfG – parteinahe Stiftungen: Der SZ (Wolfgang Janisch) liegt ein Schriftsatz der Tierschutzpartei vor, mit dem sie durch eine Organklage und mehrere Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht dagegen vorgehen möchte, dass die von ihr gegründete parteinahe Stiftung nach dem neuen Stiftungsförderungsgesetz von der Förderung ausgeschlossen wird. Dem neuen Gesetz zufolge werden Stiftungen nur gefördert, wenn die Partei dreimal hintereinander mit fünf Prozent in den Bundestag eingezogen ist. Diese Voraussetzung "verletzt eklatant die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb", so der Bundesvorsitzende der Tierschutzpartei.

EuGH zu Verjährungsbeginn/Wettbewerbsrecht: Die Verjährungsfrist für Schadensersatzklagen wegen Verstößen gegen das EU-Wettbewerbsrecht beginnt erst mit Beendigung des Verstoßes und Kenntniserlangung der Geschädigten. Der Europäische Gerichtshof begründete dies damit, dass Geschädigte erst dann Ansprüche geltend machen können, wenn sie Informationen zum Anspruch begründenden schädigenden Verhalten haben. Das Hbl berichtet.

OVG NRW – Verdachtsfall AfD: Im Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westphalen zur Einstufung der AfD-Bundespartei als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz könnte bald eine Entscheidung fallen. Laut der taz (Gareth Joswig gab das OVG NRW zu erkennen, dass es die Belege des Verfassungsschutz für ausreichend erachtet und wies Befangenheitsanträge der AfD zurück. AfD-Anwalt Christian Conrad behauptete, die AfD bezwecke mit den mittlerweile rund 470 Beweisanträgen keine Prozessverschleppung.

LG Berlin zu Oyoun vs. Tagesspiegel: Das Berliner Kulturzentrum Oyoun erstritt nach Angaben der taz-berlin (Susanne Memarnia) vor dem Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen den Tagesspiegel, wonach dem Tagesspiegel "die Behauptung von 'antisemitischen Äußerungen'" in Bezug auf das Kulturzentrum untersagt wird. Hintergrund ist eine Veranstaltung der BDS-nahen "jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost", die im Kulturzentrum stattfand.

LG Trier zu Amokfahrer: Das Landgericht Trier hat den Amokfahrer, der im Dezember 2020 in eine Fußgängerzone raste, erneut wegen mehrfachen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der Bundesgerichtshof hatte zuvor auf die Revision des Angeklagten hin moniert, dass die verminderte Schuldfähigkeit nicht ausreichend begründet wurde. FAZ und beck-aktuell berichten..

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Zwei psychologischen Gutachten zufolge ist der ehemalige Wirecard-Buchhalter und Mitangeklagte Stephan von Erffa schuldfähig und daher nicht, wie von Erffa behauptet, Autist. Laut seinem Rechtsbeistand denkt von Erffa, der bislang geschwiegen hatte, nun über ein Geständnis nach. Sollte er gestehen, hat das Landgericht München I ihm eine Haftstrafe zwischen zwei bis acht Jahren angeboten, ansonsten drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Es berichten SZ (Stephan Radomsky), FAZ, LTO und spiegel.de.

LG Erfurt – unerlaubte Sportwetten: Das Landgericht Erfurt kündigte an, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Rechtsfragen zu zivilrechtlichen Rückforderungen von Sportwettenverlusten gegen unverschuldet in Deutschland konzessionslose Wettanbieter vorlegen zu wollen. In einem Anfang Mai veröffentlichen Hinweisbeschluss äußerte das LG deutliche Kritik am Bundesgerichtshof, der jedenfall bei nicht erlaubnisfähigen Angeboten eine Nichtigkeit der Wettverträge annimmt. Das LG hält dies für diskriminierend, weil bei Anbietern mit Konzession ein Verstoß gegen den Glücksspielstaatsvertrag auch nicht zur Nichtigkeit der Wettverträge führen würde. Die taz (Christian Rath) berichtet.

LG Karlsruhe – Radio Dreyeckland: Wie tazblog.de (Detlef Georgia Schulze) weiß, werden im Strafprozess gegen einen Journalisten des Radio Dreyeckland am 14. Mai die Plädoyers gehalten, zwei Tage später soll das Urteil fallen.

LG Frankfurt/M. – "Sommermärchen" und Steuerhinterziehung: Nach Informationen der SZ (Johannes Aumüller) kündigte die Vorsitzende Richterin im Strafprozess vor dem Landgericht Frankfurt/M. an, den früheren Präsidenten des Weltfußballverbandes FIFA, Sepp Blatter, via Skype aus der Schweiz als Zeugen vernehmen zu wollen. Damit führt das Gericht seine Bemühungen fort, den Sachverhalt um die vorgeworfene Steuerhinterziehung möglichst originär aufklären zu wollen.

AG Hanau zu mietrechtlicher Kündigung: Wenn eine Mieterin der Vermieterin einen Eimer Wasser über den Kopf schüttet, rechtfertigt das eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens und Verletzung der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB. Dies entschied das Amtsgerich Hanau. Eine vorherige Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen, weil die Mieterin ähnliche Aktionen angekündigt hatte. FAZ (Hanns Mattes) und LTO berichten. 

Recht in der Welt

Polen – Rechtsstaatlichkeit: Die EU-Kommission kündigte an, das Artikel-7-Verfahren gegen Polen wegen mutmaßlicher Verletzung grundlegender europäischer Werte wie der Rechtsstaatlichkeit einzustellen. Der entsprechende formelle Beschluss des Rates soll am 21. Mai getroffen werden. Derzeit läuft noch ein Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn. SZ (Hubert Wetzel), FAZ (Thomas Gutschker), LTO, spiegel.de und beck-aktuell berichten.

Russland – Pfändung deutscher Vermögenswerte: Ein Moskauer Gericht hat nach Informationen vom Hbl (Andreas Kröner/Mareike Müller) Vermögenswerte der Commerzbank und des europäischen Ablegers eines amerikanischen Finanzinstituts im Wert von insgesamt 12,3 Millionen Euro gepfändet. Einem Wirtschaftsexperten zufolge ist die Pfändung vor dem Hintergrund eingefrorener russischer Vermögenswerte in Europa, die teilweise der Ukraine zur Verfügung gestellt werden sollen, als "Warnschuss" zu verstehen.

USA – Trump/Stormy Daniels: Im Schweigegeldprozess gegen Donald Trump verhängte der Richter erneut eine Ordnungsstrafe in Höhe von 1.000 Dollar und drohte ihm mit einer Gefängnissstrafe als ultima ratio. Trump hatte erneut gegen die Anordnung verstoßen, sich nicht öffentlich über Zeugen, Geschworene und andere Prozessbeteiligte zu äußern. FAZ, spiegel.de, focus.de, zeit.de und bild.de (Herbert Bauernebel) berichten.

Sonstiges

75 Jahre GG/Harbarth-Interview: Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, erklärte im Gespräch mit spiegel.de (Dietmar Hipp), , dass das GG zwar sehr erfolgreich ist, warnte aber vor dem Wunsch nach einfachen Antworten auf die multipolaren Krisen unserer Zeit. Auch 75 Jahre nach dem Inkrafttreten ist das GG noch zeitgemäß, da es "flexibel genug ist, um auf neue Entwicklungen eingehen zu können".

GG-Akzeptanz: Der Politikwissenschafter Hans Vorländer stellt im FAZ-Einspruch eine Studie zur Haltung Deutscher zum Grundgesetz vor, derzufolge die Zustimmung in Ostdeutschland lebender Menschen zum GG geringer ausfällt als bei in Westdeutschland Lebenden. Besonders hohes Vertrauen genieße weiterhin das Bundesverfassungsgericht. Die Befragten sahen außerdem Diskrepanzen zwischen Verfassungsnormen und Realität, vor allem beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.

Das Letzte zum Schluss

Axt statt Haustürschlüssel: In Biberach an der Riß rückte die Polizei auf einen Notruf hin zu einer privaten Wohnung an, bei der zwei Männer die Tür mit Axt und Hammer einschlugen. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei den Männern nicht um Einbrecher, sondern um schusselige Bewohner, die ihren Schlüssel zu Hause vergaßen und sich nun anderweitig Zutritt verschaffen wollten, so die SZ.

 

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LTO/lh

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. Mai 2024: . In: Legal Tribune Online, 07.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54495 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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