AfD-Abgeordneter hat keinen Anspruch auf Vornamen von Silvester-Tatverdächtigen. Richterbund kritisiert Gesetzentwurf des Justizministeriums. Gewerkschaft der britischen Ministerialbeamten klagt gegen Ruanda-Gesetz.
Thema des Tages
StGH Nds zu Vornamen von Tatverdächtigen: Die niedersächsische Landesregierung ist nicht verpflichtet, die Vornamen deutscher Tatverdächtiger der Ausschreitungen in der Silvesternacht 2022/2023 offenzulegen. Dies entschied der Staatsgerichtshof Bückeburg und lehnte den Antrag des AfD-Landtagsabgeordneten Stephan Bothe ab, der sich auf sein Frage- und Auskunftsrecht berufen hatte. Die Richter:innen argumentierten, dass über die 19 Tatverdächtigen mit ausschließlich deutscher Staatsangehörigkeit bereits öffentlich Informationen zirkulierten, so dass bei der Nennung ihrer Vornamen die Gefahr einer Identifizierung einzelner Personen bestand. Die Offenlegung würde einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen. Demgegenüber überwiege das Interesse des Abgeordneten nicht, die Tatverdächtigen anhand ihrer Vornamen bestimmten "Milieus" zuzuordnen. spiegel.de, LTO und beck-aktuell berichten.
Rechtspolitik
Weisungsrecht gegenüber Staatsanwaltschaften: Das Bundesjustizministerium hat seinen Gesetzentwurf zur Ausgestaltung des Weisungsrechts von Justizministerien gegenüber Staatsanwaltschaften jetzt in die Länder- und Verbände-Anhörung gegeben. Der Deutsche Richterbund kritisierte, dass das Weisungsrecht grundsätzlich beibehalten werde. So sei weiterhin politische Einflussnahme möglich. tagesspiegel.de berichtet.
Ronen Steinke (SZ) spricht sich für ein Beibehalten der Weisungsrechte aus und betont deren Relevanz für die demokratische Legitimation der Kriminalpolitik. Allerdings sei der Vorschlag von Bundesjustizminister Buschmann (FDP) zu begrüßen, wonach Weisungen nicht mehr telefonisch zulässig sein sollen, sondern schriftlich erfolgen müssten, denn dies ermögliche Kontrolle.
Scheinvaterschaft: Nun berichten auch SZ (Constanze von Bullion) und taz (Christian Rath) über den gemeinsamen Gesetzentwurf von Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gegen missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen. Der Entwurf sieht vor, dass bei einem sogenannten "Aufenthaltsrechtsgefälle" eine Vaterschaftsanerkennung nur noch mit Zustimmung des Ausländeramts möglich sein soll.
Justiz
IGH/Deutschland - Krieg in Gaza: Rechtsprofessor Stefan Talmon analysiert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs, keine einstweiligen Maßnahmen gegen Deutschland anzuordnen. Dies werde in Teilen der Öffentlichkeit zu Unrecht als Billigung deutscher Waffenexporte nach Israel verstanden. Das Gegenteil sei richtig, die Anordnung von einstweiligen Maßnahmen sei unterblieben, weil Deutschland inzwischen ohnehin kaum noch Kriegswaffen nach Israel liefere.
EuGH zu Vorratsdatenspeicherung: Nun berichtet auch LTO über ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der die Vorratsspeicherung von IP-Adressen jetzt zur Verfolgung jeglicher Straftaten erlaubte. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte das Urteil. Der EuGH habe entschieden, dass eine IP-Adressen-Speicherung zur Verbrechensbekämpfung "nicht nur ausdrücklich zulässig ist, sondern auch zwingend erforderlich".
BGH zu äußerem Bild des Einbruchsdiebstahls: Der Nachweis eines Einbruchdiebstahls erfordert keine stimmige Spurenlage. Dies entschied der Bundesgerichtshof laut beck-aktuell und bestätigte damit eine ältere Entscheidung. Im konkreten Fall behauptete der Erbe eines Versicherungsnehmers, dass Diebe durch ein Fenster eingestiegen seien und einen Tresor gestohlen hätten. Das Oberlandesgericht München hatte die Klage abgelehnt, da die Spurenlage nicht mit einem Einbruchdiebstahl übereinstimme. Der BGH wies die Sache nun zurück und betonte, dass es nicht nötig sei, dass alle Einbruchsspuren stimmig sind. Der Erbe könne sich auch auf alternative Szenarien berufen, selbst wenn sie nicht perfekt passen.
BGH zu britischem Rechtsanwalt: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Aufnahme eines britischen Anwalts in die Rechtsanwaltskammer (RAK) Hamburg nach dem Brexit widerrufen werden durfte. Der Solicitor, der zuvor als europäischer Rechtsanwalt in Deutschland tätig war, verlor somit seine Mitgliedschaft in der Kammer und damit die Befugnis, in Deutschland rechtsberatend tätig zu sein. Der Anwaltssenat des BGH betonte, dass die gesetzliche Regelung eindeutig sei und die Kammer dem "Gesetzesbefehl" folgen musste. Obwohl der Widerruf erhebliche Auswirkungen auf den Kläger hat, sei er rechtens, da dieser rechtzeitig alternative Wege hätte nutzen können, um in Deutschland tätig zu bleiben. LTO (Martin W. Huff) berichtet.
BGH – unerlaubte Sportwetten: Nun berichtet auch LTO, dass die geplante Verhandlung am Bundesgerichtshof über die Erstattung von Verlusten aus illegalen Online-Sportwetten entfiel, da der beklagte Anbieter seine Revision zurückgezogen hat. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht damit weiter aus. Einschlägig engagierte Anwälte sahen die Rücknahme der Revision als Indiz dafür, dass Erstattungsansprüche berechtigt sind.
OLG Karlsruhe zu Klimaprotest-Verteidigung: Das Landgericht Freiburg hat die nicht-anwaltliche Verteidigerin eines Angehörigen der "Letzten Generation" zu Unrecht von einem Strafverfahren ausgeschlossen. Dies entschied im März das Oberlandesgericht Karlsruhe. Allein die Mitgliedschaft der Verteidigerin in derselben Vereinigung wie der Angeklagte begründe keine Beteiligung an der streitgegenständlichen Tat. beck-aktuell berichtet.
OLG München zu Vorlage des beA-Nachrichtenjournals: Die Behauptung eines Anwalts, dieser habe ein Urteil erst zwei Wochen nach dem Versand per beA erhalten, führte dazu, dass das Oberlandesgericht München Ende April die Vorlage des beA-Nachrichtenjournals anordnete. Wie beck-aktuell berichtet, begründete das Gericht die Anordnung damit, dass der Anwalt bisher keine Erklärung für die erhebliche Zustellungsverzögerung gegeben hat und auch kein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung ersichtlich sei.
LG Detmold – Schadenersatz für Inobhutnahme: Vor dem Landgericht Detmold klagt eine Mutter gegen den Kreis Lippe auf Schadensersatz in Höhe von 556.000 Euro. Das Jugendamt hatte den Sohn der Frau aufgrund eines mängelbehafteten Gutachtens in Obhut genommen, ohne eine Entscheidung des Familiengerichts abzuwarten, was das Verwaltungsgericht Minden 2021 für rechtswidrig erklärt hatte. Der Sohn war damals zum Vater gebracht worden, gegen den 2019 und inzwischen erneut der Verdacht sexuellen Missbrauchs besteht. Die SZ (Elisa Britzelmeier) berichtet. Der Fall zeige generelle Missstände im Familienrecht auf.
VG Arnsberg zu Rundfunkbeitrag: Die FAZ (Jochen Zenthöfer) schildert den Fall eines Ehepaars, das der Beitragsservice von ARD und ZDF jahrelang fehlerhaft für eine Zweitwohnung zur Kasse gebeten hat, obwohl dies laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019 nicht mehr erforderlich war. Da der WDR die zuvor zugesagte Übernahme der Anwaltskosten des Paares verweigerte, mussten diese im Januar vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg eingeklagt werden. Der WDR behaupte, es handle sich um einen Einzelfall und gibt keine Auskunft über die Anzahl ähnlicher laufender Verfahren.
Cannabis-Amnestie RhPf: Die Justiz in Rheinland-Pfalz ist mit den Auswirkungen der Teillegalisierung von Cannabis beschäftigt. Laut LTO wurden bislang 13 Gefangene aufgrund von Straferlassen oder verkürzten Gesamtstrafen aus dem Justizvollzug entlassen, während Freiheitsstrafen in 38 Fällen verkürzt wurden. Etwa 3.000 Fälle von verhängten Gesamtstrafen werden eingehender geprüft, wobei viele Strafvollstreckungen ausgesetzt oder Anträge auf Neufestsetzung gestellt wurden. Staatsanwälte sind teilweise von anderen Aufgaben freigestellt, um die Bearbeitung der Verfahren zu bewältigen, was jedoch die laufenden Verfahren einschränkt. Die Justiz wird voraussichtlich noch viele Monate lang mit den Auswirkungen des Gesetzes zu tun haben, da unter anderem neue Strafen festgesetzt und Eintragungen im Bundeszentralregister gelöscht werden müssen.
Recht in der Welt
Großbritannien – Asyl in Ruanda: Die Gewerkschaft der britischen Ministerialbeamten klagt gegen das umstrittene Ruanda-Gesetz, das die Abschiebungen aller Asylantragsteller nach Ruanda ermöglicht. Die Beamten wehren sich laut Meldung der FAZ dagegen, dass sie nach ministerialer Weisung Urteile und einstweilige Verfügungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ignorieren müssten. Großbritannien erkenne weiterhin die Europäische Menschenrechtskonvention an und sei daher der Gerichtsbarkeit des EGMR unterworfen, so Dave Penman, Generalsekretär der Beamtengewerkschaft.
Saudi-Arabien – Frauenrechte: Die Aktivistin Manahil al-Utaibi wurde in Saudi-Arabien wegen ihrer Kleidung und ihrer Unterstützung für Frauenrechte zu elf Jahren Haft verurteilt, nachdem sie Videos von sich ohne das traditionelle Abaja-Überkleid veröffentlicht hatte; Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International fordern ihre sofortige Freilassung und kritisieren die Bedingungen ihrer Haft, einschließlich körperlichem und psychischem Missbrauch während ihrer Inhaftierung. LTO berichtet.
USA – Antisemitismus-Definition: Das US-Repräsentantenhaus hat mit 320 zu 91 Stimmen eine Resolution verabschiedet, die die Definition von Antisemitismus erweitert. Der Entwurf sieht vor, dass das Bildungsministerium sich an der sehr weiten Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) orientiert. Danach würden auch viele der radikalen propalästinensischen Proteste an US-Universitäten als antisemitisch gewertet. Nach Billigung durch den Senat und Unterzeichnung durch Präsident Biden würde die Definition in den "Civil Rights Act" aufgenommen. Wie die FAZ berichtet, sehen Kritiker:innen darin eine Einschränkung der Meinungsfreiheit.
USA – Trump/Stormy Daniels: Im Schweigegeldprozess gegen den Ex-US-Präsidenten Donald Trump berichtet die SZ (Marie Pohl) über einen besonderen Prozessbeobachter, den ehemaligen New Yorker Richter George Grasso und seine Sicht auf den Prozess. Der 66-Jährige sehe in dem Prozess mehr als die rechtswidrige Verbuchung einer Schweigegeldzahlung, sondern die Vertuschung einer Affäre vor den Wählern und somit den Bruch von Wahlgesetzen. Fraglich sei allerdings, ob die Staatsanwaltschaft Trumps Schuld beweisen könne.
USA – Bayer/PCB: Der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer hat in den USA einen juristischen Sieg in der juristischen Auseinandersetzung über die Chemikalie polychloriertes Biphenylen (PCB) errungen. Ein Berufungsgericht in Washington hat das ursprüngliche Urteil, in dem das von Bayer übernommene Unternehmen Monsanto zu Schadensersatz in Höhe von 185 Mio. Dollar verurteilt worden war, aufgehoben, weil die Vorinstanz die Gesetze des Bundesstaates Missouri, wo Monsanto seinen Sitz hat, nicht korrekt angewandt habe. Die FAZ (Jonas Jansen) berichtet.
Juristische Ausbildung
OVG Nds zu Täuschungsverdacht im Staatsexamen: Eine Frau aus Bremen, der vom Landesjustizprüfungsamt im zweiten Staatsexamen ein Täuschungsversuch vorgeworfen worden war, darf nun nach neun Jahren doch Volljuristin sein. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Lüneburg nach Berichten von LTO und beck-aktuell. Die Klägerin war in Verdacht geraten, Lösungen für die Examensklausuren bei einem Rechtsanwalt und Repetitor gekauft zu haben. Die Richter entschieden, dass es keinen Nachweis dafür gebe, dass die Kandidatin die Lösungen vorab gekannt hatte. Zwar lägen Übereinstimmungen der Klausuren mit den amtlichen Prüfvermerken vor. Dies genüge für sich genommen jedoch nicht, um von einer Kenntnis der Lösungsskizze durch die Klägerin ausgehen zu können. Bei guten Examenskandidaten sei gerade zu erwarten, dass ihre Ausführungen dem Lösungsvermerk nahekommen. Auch dass die Frau im ersten Staatsexamen zunächst nicht bestand, während sie im zweiten Examen 10.89 Punkte erzielte, beweise ebenso wenig einen Täuschungsversuch wie ungewöhnlich hohe Geldüberweisungen an den Repetitor.
Sonstiges
Palästina-Kongress: Rechtsprofessor Kai Ambos rekapituliert auf dem Verfassungsblog die Ereignisse um den Berliner Palästina-Kongress, insbesondere das Einreiseverbot gegen den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis sowie weitere Einreise-, Kontakt- und Betätigungsverbote. Der Autor kritisiert eine Stellungnahme des Bundesinnenministeriums zum Einreiseverbot von Varoufakis als unvollständig, ungenau und unzutreffend und bemängelt auch eine fehlende Abwägung mit Grundrechten auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch das Berliner Landesamt für Einwanderung bei der Auferlegung von Kontakt- und Betätigungsverboten, sowie eine unzureichende Beantwortung der Anfragen des Verfassungsblogs.
Pressefreiheit: Heribert Prantl (SZ) schreibt anlässlich des Tages der Pressefreiheit über die Qualität der Presse, die Bedeutung der Pressefreiheit in Deutschland und blickt auf das Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1966 zurück. Während in anderen Ländern um die Freiheit der Presse gerungen werde, lehnten in Deutschland viele mittlerweile die "klassischen Medien" ab.
Rechtsstaat: Der demokratische Rechtsstaat brauche ein Mindestmaß an Akzeptanz und Anerkennung, meint Reinhard Müller (FAZ). Zwar brauche es Kritik und Kontrolle, jedoch müsse der Staat auch nicht alles hinnehmen. Die Verächtlichmachung des Rechtsstaates und demokratischer Gesetze führe nicht zu mehr, sondern weniger Freiheit.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lkh/chr
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Die juristische Presseschau vom 3. Mai 2024: . In: Legal Tribune Online, 03.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54476 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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