Am OLG Stuttgart begann der Prozess gegen die Verschwörergruppe um Prinz Reuß. Das OLG Frankfurt/M. erkannte eine nach afghanischem Recht geschlossene Stellvertreter-Ehe an. Gérard Depardieu wurde wegen sexueller Übergriffe angeklagt.
Thema des Tages
OLG Stuttgart – Umsturzpläne/Reuß: Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart begann der erste von drei fast parallelen Prozessen gegen Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppe um Heinrich XIII Prinz Reuß mit der Verlesung der Anklage. Den sogenannten Reichsbürgern wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die "Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens" vorgeworfen. In Stuttgart sind neun Mitglieder des militärischen Arms der Verschwörergruppe angeklagt, einer von ihnen zusätzlich wegen versuchten Mordes, weil er bei einer Durchsuchung auf Polizisten geschossen hatte. Laut Anklage der Bundesanwaltschaft sei bereits mit dem Aufbau eines deutschlandweiten Systems von mehr als 280 militärisch organisierten Heimatschutzkompanien begonnen worden. Am weitesten sei die Gruppe Freudenstadt/Tübingen gewesen. Zum Prozessauftakt beanstandeten gleich mehrere Verteidiger:innen die Aufsplittung des Falls Reuß auf drei Oberlandesgerichte. Sie beantragten eine Einstellung oder Aussetzung des Stuttgarter Verfahrens und eine Zusammenlegung der drei Prozesse. Der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen wies den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zurück. Die Forderung nach einer Zusammenlegung der drei Prozesse wurde zurückgestellt. Zwei der Männer kündigten an, sich zu den Vorwürfen äußern zu wollen. Es berichten SZ (Benedikt Warmbrunn), FAZ (Rüdiger Soldt), taz (Benno Stieber), LTO, tagesschau.de (Frank Bräutigam), zeit.de, spiegel.de (Julia Jüttner) und beck-aktuell (Nico Pointner/David Nau).
Reinhard Müller (FAZ) stellt sich die Frage "nach dem Potential, das in dieser mutmaßlichen terroristischen Vereinigung und ähnlichen Gruppen bis hin zu politischen Parteien schlummert", und meint, es gebe "ein Milieu, das sich offenbar vom demokratischen Rechtsstaat verabschiedet hat". Von dort sei es allerdings "noch ein erheblicher Weg bis zu Terror und Putsch".
Rechtspolitik
Cannabis/Geldwäsche: Rechtsprofessor Mohamad El-Ghazi erläutert auf LTO, warum die Reform des Geldwäscheparagrafen im Jahre 2021 eine echte Entkriminalisierung des Cannabiserwerbs verhindert und Cannabis-Konsumenten eine Verfolgung wegen Geldwäsche droht.
Resilienz der Kunstfreiheit: Der Jurist Justus Duhnkrack befasst sich auf dem Verfassungsblog mit der Verwundbarkeit der Kunstfreiheit angesichts populistischer Bedrohungen. Der "Kulturkampf von Rechts" habe längst begonnen. Um zu verhindern, dass die Kulturförderung auf die niedrigste mögliche Ebene zurückgedrängt werde, brauche es ein Tätigwerden von Politik und Verwaltung. So müssten etwa Förderstrukturen aufgebaut werden, die mehr staatliche Distanz aufweisen. Auch brauche es ein Kulturfördergesetz, das Vorgaben für Auswahlverfahren und Entscheidungskriterien determiniert und bestenfalls Rechtsmittel gegen Entscheidungen, Besetzungen oder Förderrichtlinien vorsieht.
Asyl: Laut FAZ (Thomas Gutschker) haben 14 der 27 EU-Mitgliedstaaten bereits mit der Umsetzung des neuen EU-Asylrechts begonnen, etwa mit der Einführung beschleunigter Grenzverfahren für Asylsuchende mit geringer Aussicht auf Schutz. Noch müssen die Staaten formal allen Rechtsakten zustimmen. Dies war zunächst für Montag geplant, wurde aber auf Mitte Mai verschoben, weil die juristische Prüfung der in alle Amtssprachen übersetzten Rechtstexte andauert. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte an, die Übertragung in nationales Recht "sehr viel schneller" vorzunehmen als in den vorgeschriebenen zwei Jahren.
Schwangerschaftsabbruch: Nele Pollatschek (SZ) fasst im Feuilleton die aktuelle Debatte um die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zusammen, stellt die derzeit geltende Rechtslage vor und legt ausführlich dar, warum der Abschlussbericht der Expertenkommission zur reproduktiven Selbstbestimmung zu dem Schluss kommt, dass der Gesetzgeber Abtreibungen zumindest im ersten Trimester legalisieren müsse. Die Autorin konstatiert, dass es beim Recht auf Abtreibung auch darum gehe, "dass Menschen eine Schwangerschaft und eine Geburt nicht gegen ihren Willen aufgezwungen" werden dürfe.
Justiz
OLG Frankfurt/M. zu Handschuh-Ehe: Eine in Afghanistan nach afghanischem Recht geschlossene Handschuh- oder Stellvertreter-Ehe kann in Deutschland rechtlich anerkannt werden, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. laut beck-aktuell. Zum Zeitpunkt der Eheschließung befand sich der Mann schon in Deutschland, die Frau kam später nach, wollte dann aber lieber allein leben. Der Mann berief sich nun auf die Unwirksamkeit des afghanischen Eheschlusses, das OLG folgte ihm aber nicht. Es habe keinen Zweifel am Willen beider Eheleute gegeben, eine Ehe zu schließen. Die Ehe wurde jetzt geschieden.
BGH – unerlaubte Sportwetten: Am Donnerstag verhandelt der Bundesgerichtshof, ob ein Mann, der 2018 an Online-Sportwetten des österreichischen Sportwettenanbieters Betano teilgenommen und dabei rund 12.000 Euro verloren hatte, diese Summe zurückzuerhalten hat. Hierzu hatte der BGH den Parteien bereits einen gerichtlichen Hinweis gegeben: Entgegen den Anforderungen des Glücksspielstaatsvertrages 2012 (GlüStV) habe Betano die monatlichen Wetteinsätze nicht auf 1000 Euro begrenzt. Ob Betano seine Revision vor diesem Hintergrund zurückziehen wird, ist noch unklar. Es berichtet die FAZ (Marcus Jung/Gregor Brunner).
OLG Dresden zu Schelm-Verlag: Das Oberlandesgericht Dresden verurteilte drei ehemalige Mitarbeitende des rechtsextremen Verlags "Der Schelm" wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung zu Freiheitsstrafen zwischen zwei Jahren und sechs Monaten und einem Jahr und sechs Monaten. Zwei der verhängten Haftstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Die drei Angeklagten Enrico Böhm, Matthias B. und Annemarie K., die einst alle in der NPD aktiv waren, hatten mit dem vor Jahren nach Russland ausgewanderten Hauptverantwortlichen Adrian Preißinger den "Schelm"-Versand betrieben. Die Bücher, um die es geht, darunter auch Hitlers "Mein Kampf", verschickt der Verlag teilweise bis heute. Preißinger koordiniert den Versand aus Russland. Zu dessen Festnahme und einem Vertriebsende kam es bislang noch nicht. Es berichten taz (Konrad Litschko), spiegel.de (Wiebke Ramm) und beck-aktuell.
OVG Berlin-BB zu Akteneinsicht/Attac: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass der globalisierungskritische Verein Attac teilweise Einsicht in Dokumente des Bundesfinanzministeriums (BMF) nehmen darf, um nachzuvollziehen, weshalb ihm das Finanzamt Frankfurt am Main im Jahr 2014 den Status der Gemeinnützigkeit entzogen hatte. Das BMF muss dem Netzwerk sieben Dokumente zugänglich machen, weitere Dokumente darf das Ministerium dagegen geheim halten. Das OVG bestätigte damit in wesentlichen Punkten das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin aus der Vorinstanz. LTO berichtet.
OVG NRW – Verdachtsfall AfD: Im Berufungsverfahren um die Frage, ob die AfD-Bundespartei vom Verfassungsschutz als extremistischer Verdachtsfall eingestuft werden darf, hat das Oberverwaltungsgericht Münster rund 470 Beweisanträge der Partei abgelehnt, so spiegel.de. Manche von ihnen seien unerheblich, andere ließen keine greifbaren Anhaltspunkte erkennen oder seien nur zum Ausspähen der Prozessstrategie der Gegenseite gestellt worden. Andere Anträge seien als reine Ausforschungsanträge gegen den Verfassungsschutz zu verstehen.
LAG Nds zu Entgeltabrechnungen: Der Rechtsanwalt Erwin Salamon stellt im Expertenforum Arbeitsrecht eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen von Anfang des Jahres vor, wonach Entgeltabrechnungen zwar grundsätzlich in Textform erteilt werden können, die bloße Abrufmöglichkeit über ein Mitarbeitenden-Portal aber nur dann für einen Zugang der Entgeltabrechnung genügt, wenn die Mitarbeitenden hierzu ihr Einverständnis erteilt haben. Andernfalls liege keine Erfüllung des Anspruchs auf eine Entgeltabrechnung vor.
OLG Düsseldorf – Spionage für Russland: Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf hat ein wegen besonders schwerer Spionage zugunsten Russlands angeklagter Offizier der Bundeswehr, der seit vergangenem Sommer Mitglied der AfD ist, gestanden, sich Russland als Spion angeboten zu haben. Die Angst vor einer nuklearen Eskalation des Ukraine-Kriegs habe ihn getrieben, so der 54-Jährige – eine Motivation, die für den Vorsitzenden Richter "sehr schwer nachvollziehbar" ist. Dem Angeklagten drohen bis zu zehn Jahre Haft. FAZ (Reiner Burger), zeit.de und spiegel.de berichten.
LG Hamburg – Geiselnahme am Flughafen: Nachdem er vor etwa einem halben Jahr seine Tochter entführt, mit Bomben gedroht und so den Hamburger Flughafen für mehr als 20 Stunden lahmgelegt hatte, muss sich Salman E. nun vor dem Landgericht Hamburg verantworten. Angeklagt ist er wegen Geiselnahme, Entziehung Minderjähriger, vorsätzlicher Körperverletzung und verschiedener Waffendelikte. Zum Prozessauftakt gestand er die Tat und bat die betroffenen Passagiere des Flughafens um Entschuldigung. Auslöser seiner Tat sei ein jahrelanger Sorgerechtsstreit mit seiner Ex-Frau um das gemeinsame Kind gewesen. SZ (Jana Stegemann) und spiegel.de (Ansgar Siemens) berichten.
AG München zu Erklärungsirrtum: Ein Mann, der auf der Homepage eines Reiseveranstalters eine Reise gebucht und im Anschluss daran direkt wieder storniert hatte, muss Stornierungsgebühren in Höhe von 4.000 Euro bezahlen. Der Mann hatte sich auf einen Erklärungsirrtum berufen; er habe die Reise nicht stornieren, sondern nur umbuchen wollen. Da die Stornierung jedoch fünf Klicks erforderte, hielt das Amtsgericht München diese Aussage für wenig glaubwürdig. Ein Irrtum liege fern, wenn es nicht bei einem falschen Klick bleibt, sondern die Erklärung wiederholt per Mausklick bestätigt wird. Es berichten LTO und beck-aktuell.
AG Dortmund zu THC-Grenzwert im Straßenverkehr: Laut LTO hat das Amtsgericht Dortmund einen Autofahrer mit einer THC-Konzentration von 3,1 ng/ml im Blut vom Vorwurf des Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung berauschender Mittel freigesprochen - obwohl die höchstrichterliche Rechtsprechung bislang noch von einem Grenzwert von 1,0 ng/ml ausgeht. Allerdings hatte eine vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Arbeitsgruppe im März vorgeschlagen, diesen Grenzwert – im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes – auf 3,5 ng/ml anzuheben. Das AG war nun der Ansicht, die Empfehlung der Arbeitsgruppe sei ein sogenanntes "antizipiertes Sachverständigengutachten". Gerichte könnten deshalb den darin vorgeschlagenen Grenzwert anwenden.
GenStA München – Getötete ukrainische Soldaten: Nachdem am Samstag im bayerischen Murnau zwei ukrainische Soldaten, die sich zur medizinischen Rehabilitation in Deutschland befunden hatten, mutmaßlich von einem russischen Staatsangehörigen getötet wurden, hat nun die Generalstaatsanwaltschaft München die Ermittlungen übernommen. Ein politisches Motiv könne nicht ausgeschlossen werden. Es berichten FAZ (Anna-Lena Ripperger) und spiegel.de (Jan Friedmann/Katherine Rydlink).
StA Neuruppin – Potsdamer Oberbürgermeister: Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) soll unverhältnismäßig oft teure VIP-Karten für Sportevents angenommen haben, weshalb die Staatsanwaltschaft Neuruppin nun wegen des Verdachts der Vorteilsannahme gegen ihn ermittelt, so spiegel.de. Auch gegen weitere Personen werde ermittelt. Schubert wies die Vorwürfe zurück.
StA Frankfurt/M. – Klimabericht Wintershall DEA: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat – nach Erstattung einer Strafanzeige durch die Deutsche Umwelthilfe – Ermittlungen gegen die Führung des Öl- und Gaskonzerns Wintershall Dea wegen des Verdachts der unrichtigen Darstellung im Konzernlagebericht 2022 aufgenommen. Die DUH wirft dem Konzern vor, gegen Berichtspflichten zu eigenen Umwelt- und Klimaauswirkungen verstoßen zu haben, so die FAZ (Bernd Freytag).
StA Köln – Cum-Ex/Kronzeuge: Fast eine halbe Milliarde Euro Steuern soll der langjährige Geschäftspartner des verurteilten Steueranwalts Hanno Berger und Kronzeuge der Staatsanwaltschaft in den Cum-Ex-Prozessen, der sich Benjamin Frey nennt, hinterzogen haben. Nun hat die Staatsanwaltschaft Köln auch gegen ihn Anklage erhoben, wie FAZ (Marcus Jung) und Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) berichten. Sein Verteidiger Alfred Dierlamm wollte sich nicht zu den Vorwürfen äußern. Ihm liege die Anklage noch nicht vor.
Einheitliches Patentgericht: Die Rechtsanwältin Laura Katharina Woll befasst sich auf dem Jean Monnet Saar-Blog (in englischer Sprache) mit dem Einheitlichen Patentgericht und geht der Frage nach, inwiefern dieses im vergangenen Jahr neu geschaffene Gericht in der Lage ist, ein hohes und einheitliches Schutzniveau für Patente in der EU zu gewährleisten. Erste Entscheidungen seien vielversprechend und geeignet, zu einem größerem Maß an Rechtssicherheit im europäischen Binnenmarkt beizutragen.
Recht in der Welt
Frankreich – Gérard Depardieu: Der französische Schauspieler Gérard Depardieu muss sich im Oktober wegen sexueller Übergriffe in zwei Fällen im September 2021 bei Dreharbeiten zu dem Film "Les volets verts" vor Gericht verantworten. Am Montag war Depardieu in Polizeigewahrsam genommen und dort verhört worden. Bereits seit 2020 läuft zudem ein Ermittlungsverfahren gegen den 75-Jährigen wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung. Ob auch in diesem Fall ein Prozess folgt, ist noch unklar. Es berichten FAZ (Michaela Wiegel) und spiegel.de.
IStGH – Krieg in Gaza: Die SZ (Ronen Steinke) nimmt die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Kommandeure der Hamas und Verantwortliche Israels wegen des Vorwurfs schwerer Kriegsverbrechen in Gaza zum Anlass, den dortigen Chefankläger Karim Khan und den erst seit 1. März am IStGH tätigen Juristen Andrew Cayley, der nun auch für Israel zuständig ist, zu porträtieren.
Österreich – Beschwerde gegen Chat-GPT: Gemeinsam mit einem Mann aus Österreich hat die Datenschutzorganisation Noyb bei der österreichischen Datenschutzbehörde Beschwerde gegen OpenAI und Chat-GPT eingelegt. Sie werfen dem computerbasierten Dialogsystem vor, Falschinformationen über Personen zu verarbeiten und damit gegen die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zu verstoßen. Es berichten SZ (Simon Hurtz), spiegel.de und beck-aktuell.
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LTO/bo/chr
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Die juristische Presseschau vom 30. April 2024: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54450 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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