Die juristische Presseschau vom 16. April 2024: Emp­feh­lungen zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch / Beg­na­di­gungen als Risiko / Uli Hoeneß sagte aus

16.04.2024

Die Vorschläge der Regierungskommission heizen die Debatte um die Legalisierung von Abtreibungen an. Wer wird nach einem eventuellen AfD-Wahlsieg in Thüringen begnadigt? Uli Hoeneß sagte im sogenannten "Sommermärchen"-Prozess aus.

Thema des Tages

Schwangerschaftsabbruch: Die von der Bundesregierung eingesetzte "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" hat in ihrem Abschlussbericht Vorschläge zu einer möglichen Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen gemacht. Die Kommission empfiehlt, dass Schwangerschaften in der Frühphase – also innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen – nicht mehr grundsätzlich strafbar sein sollten. Auch Schwangerschaftsabbrüche, die auf Sexualdelikte zurückgehen, sollen laut Kommission neu geregelt, insbesondere die Frist, innerhalb derer der Abbruch für die ausführenden Ärztinnen und Ärzte nicht strafbar ist, verlängert werden. Während Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ankündigte, den Bericht gründlich auszuwerten sowie verfassungs- und völkerrechtliche Argumente zu prüfen, zeigten sich CDU/CSU und AfD skeptisch. Insbesondere die Union warnte davor, ungeborenes Leben nicht schutzlos zu stellen und drohte mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, sollte die Ampel die Vorschläge der Kommission umsetzen. SZ (Leila Al-Serori u.a.), FAZ (Marlene Grunert) und LTO berichten.

Die FR (Ursula Knapp) erinnert daran, dass das Bundesverfassungsgericht 1975 eine Fristenlösung für verfassungswidrig erklärte, ebenso 1993 eine Fristenlösung mit Beratungspflicht. Über eine neue Klage der CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag gegen eine etwaige Umsetzung der Kommissionsvorschläge würde der Zweite Senat entscheiden, mit vier Richtern und vier Richterinnen.

Reinhard Müller (FAZ) kritisiert die Forderungen nach einer Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Dies sei nicht mit der Verfassung vereinbar, die den Schutz des ungeborenen Lebens vorgebe. Die aktuelle Gesetzeslage sei nicht diskriminierend, sondern ein "parteiübergreifender demokratischer Kompromiss". Ronen Steinke (SZ) hält die bisherige Gesetzeslage für widersprüchlich. Zwar seien Abtreibungen faktisch möglich, doch gelte immer noch der stigmatisierende Vorwurf der Rechtswidrigkeit. Der Vorschlag der Kommission "wäre ein moderater Fortschritt".

Rechtspolitik

Begnadigungen: Die Rechtsanwältinnen Vivian Kube und Hannah Vos beleuchten auf dem Verfassungsblog das Missbrauchspotenzial von Begnadigungen. Die Autorinnen sehen die Gefahr, dass künftig rechtsextreme Ministerpräsident:innen oder Landesjustizminister:innen politisch Gleichgesinnte begnadigen könnten. In Deutschland gebe es keine klaren Kriterien und keine gerichtliche Kontrolle von Begnadigungen. Erforderlich sei, dass das Gnadenrecht verfassungsrechtlichen Mindeststandards unterworfen werde, d.h. das Willkürverbot müsse gelten, die Menschenwürde müsse gewahrt bleiben. 

Justiz

LG Frankfurt/M. – "Sommermärchen" und Steuerhinterziehung: Im sogenannten "Sommermärchen"-Prozess vor dem Landgericht Frankfurt/M. wurde der Zeuge Uli Hoeneß vernommen. Er war geladen worden, weil er vor einigen Jahren öffentlich erklärt hatte, er wisse "ziemlich genau, was damals los war". Vor Gericht erklärte er nun aber, dass er nicht wisse, für welchen Zweck der DFB 2005 die Summe von 6,7 Mio. Euro an die Fifa überwiesen hat. Er könne allerdings ausschließen, dass damit ein Kredit zurückgezahlt wurde, mit dem die Vergabe der WM 2006 gekauft wurde. Nach seiner Überzeugung hat der DFB die WM-Vergabe nicht gekauft, auch wenn Stimmenkauf bei der Fifa durchaus üblich gewesen sei. SZ (Johannes Aumüller) und zdf.de (Christoph Schneider) berichten. 

BGH zu Sachverständigenrisiko: Die Versicherung eines Schädigers, die die Sachverständigenkosten des Geschädigten übernehmen muss, muss dabei auch Rechnungspositionen bezahlen, die ohne Schuld des Geschädigten unangemessen sind, etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise des Sachverständigen. Das entschied der Bundesgerichtshof und übertrug die Prinzipien, die er für das Werkstattrisiko entwickelt hat, auf Rechnungen von Sachverständigen. Überhöhte Kostenansätze eines Kfz-Sachverständigen seien genauso schwer erkennbar wie überhöhte Kosten einer Werkstatt nach einem Unfall. beck-aktuell berichtet. 

BAG zu Mitbestimmung bei Einstellung: Das Bundesarbeitsgericht hat laut beck-aktuell entschieden, dass Betriebsräte auch digitale Unterlagen akzeptieren müssen, wenn es um deren Mitbestimmung bei Einstellungen geht. Für eine ordnungsgemäße Unterrichtung seien keine Papierunterlagen erforderlich. Die einschlägige Norm des Betriebsverfassungsgesetzes sei funktional zu verstehen. 

OLG Frankfurt/M. zum Getrenntleben: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass Eheleute, die ihren Kindern zuliebe zusammen leben, essen und Haushaltsaufgaben füreinander erledigen, gleichwohl getrennt im Sinne des Familienrechts leben können. Wie LTO und beck-aktuell berichten, hatte ein Ehepaar im konkreten Fall die Scheidung beantragt, aber weiterhin im selben Haus gewohnt. Der Senat urteilte, dass keine "vollkommene Trennung", sondern lediglich ein "der räumlichen Situation entsprechendes Höchstmaß der Trennung" erforderlich sei. 

VGH Mannheim zum Verfahrensbeistand im Asylverfahren: Ein Asylantragsteller, der glaubhaft angibt, minderjährig zu sein, hat laut einem Urteil des VGH Mannheim Anspruch auf einen Verfahrensbeistand bereits während der Altersfeststellung. Dies ergibt sich direkt aus der EU-Aufnahmerichtlinie und dient dem Schutz des Kindeswohls. Die Altersfeststellung sei entscheidend für eine angemessene Unterbringung und die Möglichkeit des Minderjährigen, am Verfahren teilzunehmen und seine Interessen zu vertreten. beck-aktuell berichtet.

AG Deggendorf zu Söder-Beleidigung: Das Amtsgericht Deggendorf hat den FPÖ-Politiker Gerald Grosz zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CDU) verurteilt, weil er diesen in Verbindung mit dem Nationalsozialismus gebracht habe. Hiergegen haben die Verteidiger von Grosz nun Berufung eingelegt. Söder sei nicht, wie von der Polizei notiert, "Södolf", sondern womöglich "Södolph" genannt worden, sodass eine Analogie zu Adolf Hitler nicht naheliege. Die FAZ (Timo Frasch) berichtet. 

Weingläser-Designer: Die FAZ (Marco Dettweiler) berichtet über die Rechtsstreitigkeiten um den Designer Kurt Josef Zalto. Der Designer wurde von seinem ehemaligen Unternehmen, der Zalto GmbH, verklagt, weil er die Weingläser der Zalto GmbH nicht entworfen haben soll, dies zusammen mit seinem neuen Unternehmen jedoch suggeriere. 

Recht in der Welt

USA – Trump/Stormy Daniels: FAZ (Majid Sattar) und LTO berichten über den Beginn des Prozesses gegen den früheren US-Präsidenten Donald Trump, dem vorgeworfen wird, Geschäftsunterlagen gefälscht zu haben, um eine Schweigegeldzahlung über 130. 000 Dollar an die Pornodarstellerin Stormy Daniels zu verschleiern. 

Noch ist es nicht gelungen, die zehnköpfige Jury aus nicht voreingenommenen Bürger:innen Manhattans zusammenzustellen. spiegel.de schildert das Verfahren und die Schwierigkeiten dabei.

Andreas Ross (FAZ) glaubt nicht, "dass Trump auf seinem Weg zurück ins Weiße Haus ausgerechnet über das New Yorker Verfahren stolpert". Empörung über die Vorwürfe falle den Wähler:innen im Vergleich zu parallel laufenden Verfahren wegen Beeinträchtigung der letzten Präsidentschaftswahl schwer. 

USA – Sturm auf das Kapitol: Nachdem ein Mann beim Sturm auf das Kapitol in Washington die Ausrüstung eines ZDF-Reporters zerstört hatte, muss der Mann nun umgerechnet 29.989,36 Euro als Schadensersatz an den Versicherer des ZDF zahlen. Allerdings sieht das Urteil eine Ratenzahlung von umgerechnet rund 19 Euro pro Monat vor, sodass die vollständige Leistung des Schadensersatzes 131 Jahre dauern könnte. LTO berichtet. 

USA – Alec Baldwin: Im Vorfeld des Prozesses gegen US-Schauspieler Alec Baldwin, der am 10. Juli beginnt, hat die Staatsanwaltschaft ein 316 Seiten langes Dokument beim Strafgericht New Mexico eingereicht, das Aufschluss über die Strategie der Strafverfolger gibt. Im Fokus steht nicht mehr die Frage, ob Baldwin die Waffe, die eine Person tötete und eine weitere verletzte, betätigt hat, sondern die Darstellung Baldwins als aggressiv und manipulativ. Die Waffenmeisterin am Set des Films "Rust", an dem sich der Vorfall ereignete, Hannah Gutierrez-Reed, ist bereits wegen fahrlässiger Tötung zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Eine ähnliche Strafe droht auch Baldwin im Falle einer Verurteilung. Die SZ (Jürgen Schmieder) und spiegel.de berichten. 

USA – Amber Heard/Jonny Depp: Die SZ (Christiane Lutz) berichtet über den investigativen Podcast "Who trolled Amber Heard?", der untersucht, ob eine organisierte Internet-Kampagne das Image der Schauspielerin beeinflusst hat. Der Podcast zeige auf, dass eine erhebliche Anzahl von Anti-Amber-Tweets nicht authentisch war. Die Sympathien waren während des Prozesses zwischen Johnny Depp und Amber Heard nicht auf der Seite von Heard und Social Media spielte dabei eine große Rolle. 

Australien – Verdachtsberichterstattung: Das Bundesgericht in Sydney hat in einem Zivilprozess entschieden, dass der Parlamentsmitarbeiter Bruce Lehrmann seine Kollegin Brittany Higgins 2019 vergewaltigt hat. Lehrmann hatte gegen einen Fernsehsender geklagt, der den Fall enthüllt hatte, und sich darauf berufen, dass er strafrechtlich nicht verurteilt sei. Tatsächlich war Lehrmann wegen Vergewaltigung der Kollegin angeklagt, doch der Prozess war wegen Fehlverhalten eines Jury-Mitglieds geplatzt. Lehrmann, der die Tat bestreitet, habe bewusst gelogen, erklärte nun das Zivilgericht. Die SZ (Jan Bielicki) berichtet. 

Schweiz – Klimaseniorinnen: Die FAZ (Johannes Ritter) berichtet über die Reaktionen, die das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in der Schweiz auslöst. Europafeindliche Kräfte erhielten neuen Rückenwind und kritisierten das Urteil. Eine Einigung zwischen der EU und der Schweiz über ein Binnenmarktabkommen sei nochmals deutlich schwieriger geworden. 

Großbritannien – Anschlag auf Ariana-Grande-Konzert: Mehr als 250 Überlebende und Hinterbliebene des islamistischen Anschlags in Manchester im Jahr 2017 haben eine Sammelklage gegen den britischen Inlandsgeheimdienst MI5 erhoben. Eine Untersuchung hatte ergeben, dass der Anschlag auf ein Konzert der Sängerin Ariana Grande, bei dem 22 Menschen starben, möglicherweise hätte verhindert werden können, wenn der MI5 Informationen über den Attentäter richtig eingeschätzt und weitergegeben hätte. Der Attentäter Salman Abedi war dem MI5 bereits 2014 aufgefallen, aber als geringes Risiko eingestuft worden. Ein Geheimdienstmitarbeiter räumte ein, Abedi als mögliches Sicherheitsproblem betrachtet zu haben, aber dies nicht schnell genug mit Kollegen diskutiert zu haben. spiegel.de und SZ berichten. 

Österreich – Kindesmisshandlung: Das Bundesland Niederösterreich soll 150.000 Euro Schmerzensgeld bezahlen, weil die Kinder- und Jugendhilfe des Landes "völlig unzureichend, somit rechtswidrig und schuldhaft auf die dramatische und lebensgefährliche Situation" eines damals Zwölfjährigen reagiert habe. Die Mutter des Jungen hatte ihn gefesselt, geschlagen, geknebelt und zeitweise in eine Hundebox eingesperrt. Sie war Anfang März zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Die Mitarbeiter der Jugendhilfe hatten bei zwei unangemeldeten Hausbesuchen zwar Auffälligkeiten notiert, aber keine Maßnahmen eingeleitet. Es berichtet spiegel.de

Sonstiges

Resilienz der Demokratie in Thüringen: Im Interview mit LTO (Markus Sehl) spricht Rechtsanwalt Lennart Laude, der am Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs mitarbeitet, über mögliche Gefahren und rechtliche Unsicherheiten, die aus einer Stärkung der AfD bei der Landtagswahl in Thüringen resultieren könnten. Laude sieht insbesondere Unklarheiten bei der Ministerpräsidentenwahl sowie Gefahren einer Blockade bei der Besetzung des Landesverfassungsgerichts und der Ernennung von Richtern auf Lebenszeit durch den Richterwahlausschuss des Landes. Teilweise sei eine Präzisierung der Landesverfassung sinnvoll. Der Interviewte spricht weiter über Weisungsrechte des Justizministeriums gegenüber Staatsanwaltschaften der Länder und eine mögliche Reduzierung von politischen Beamtenposten.

Das Letzte zum Schluss

Fahrrad auf der Autobahn: Die Polizei hat einen stark alkoholisierten Fahrradfahrer, der auf dem Standstreifen der A60 in Ingelheim unterwegs gewesen war, auf einer Raststätte aus dem Verkehr gezogen. Wie spiegel.de berichtet, hatte der Mann auf dem Heimweg von einer Party "offensichtlich die Orientierung verloren". Den Mann erwartet nun ein Strafverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr.


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LTO/lkh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. April 2024: . In: Legal Tribune Online, 16.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54339 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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