Der Bundespräsident muss keine Informationen über erfolgte Begnadigungen geben. Kosten wegen Disziplinarverfahren sind laut BFH steuermindernd. Bundesanwaltschaft erhob Anklage wegen Fortführung der verbotenen Nazi-Organisation Combat 18.
Thema des Tages
OVG Berlin-BB zu Auskunftsanspruch über Begnadigungen: Der Bundespräsident muss Journalist:innen keine Auskunft über die Zahl der von ihm gewährten Begnadigungen erteilen, entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Die Presse könne nur von Behörden Auskünfte verlangen. Der Bundespräsident handele bei der Ausübung des Begnadigungsrechts aber nicht als Behörde, sondern nehme als Verfassungsorgan verfassungsrechtlich eingeräumte Befugnisse wahr. Geklagt hatte Arne Semsrott, Aktivist, Journalist und Gründer der Plattform "FragDenStaat". Semsrotts Anwalt Sebastian Sudrow hatte erfolglos eine Aussetzung des Verfahrens beantragt, da vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein ähnliches Verfahren des Tagesspiegel-Journalisten Jost Müller-Neuhof zur Auskunftspflicht des Bundestags als Verfassungsorgan anhängig ist. LTO (Max Kolter) berichtet.
Rechtspolitik
Zivilrechtliche Zuständigkeiten: Der Richter Lars Niesler kritisiert auf beck-aktuell die von Justizminister Marco Buschmann (FDP) vorgeschlagene Erhöhung der Streitwertgrenze für Amtsgerichte auf 8.000 Euro als nicht ambitioniert genug. Er hält eine Streitwertgrenze von 10.000 Euro für nötig, um den Erhalt der Amtsgerichte in der Fläche zu sichern.
Aktionen vor Abtreibungseinrichtungen: Am Mittwoch kommender Woche debattiert der Bundestag einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zu sogenannten Gehsteigbelästigungen, der Schwangere vor Kliniken und Beratungsstellen besser vor zudringlichen Abtreibungsgegner:innen schützen soll. Im Interview mit der taz (Patricia Hecht) begrüßt Céline Feldmann vom Deutschen Juristinnenbund die Pläne der Bundesregierung. Die Juristin kritisiert aber auch, dass der Gesetzentwurf für einzelne Handlungen besonders hohe Anforderungen an den Vorsatz stellt und deshalb viele Fälle nicht erfasse.
Sperrklausel/Europawahl: Policy Fellow Luise Quaritsch spricht sich auf dem Verfassungsblog gegen die Wiedereinführung einer Sperrklausel für Europawahlen aus. Es sei nicht die Anzahl kleiner Parteien im Europaparlament, die dessen Handlungsfähigkeit gefährde, sondern vielmehr die zunehmende Anzahl an rechtsextremen und antieuropäischen Abgeordneten, "die es sich zum Wahlziel gemacht haben, eine Sperrminorität zu erreichen und damit das EP zu blockieren".
Cannabis: Anna-Sophia Lang (FAZ-Einspruch) hält das am 1. April in Kraft getretene Cannabisgesetz für handwerklich nicht gut gemacht. Unter anderem kritisiert sie die generelle Amnestieregelung, die sie für überflüssig hält, eine Antragslösung hätte auch genügt. Wieder einmal habe der Gesetzgeber "die Praktiker nicht ernst genommen, die es am Ende ausbaden müssen".
Cannabis und Straßenverkehr: Nun stellt auch die BadZ (Christian Rath) die Empfehlung einer Regierungs-Arbeitsgruppe zur Erhöhung des THC-Grenzwerts für Autofahrer:innen vor. Der empfohlene erhöhte Grenzwert sei immer noch rund drei Mal so streng wie der Grenzwert für Blutalkohol. Das Bundesverkehrsministerium wolle zunächst keinen Gesetzentwurf vorlegen, sondern warte auf eine "Positionierung" des Bundestags.
Justiz
BFH zu Rechtsverfolgungskosten: Der Bundesfinanzhof hat laut LTO und beck-aktuell entschieden, dass die Rechtsverfolgungskosten eines Berufssoldaten für ein Wehrdisziplinarverfahren als Werbungskosten steuerlich abziehbar sind. Sie dienten – im Gegensatz zu den Prozesskosten für ein Strafverfahren – unmittelbar der Erhaltung der Einnahmen aus dem Dienstverhältnis. Der Abziehbarkeit stehe es auch nicht entgegen, wenn die Dienstpflichtverletzungen teilweise zugleich Gegenstand eines Strafverfahrens seien.
OLG Düsseldorf – Combat 18: Die Bundesanwaltschaft hat vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf Anklage gegen vier Männer erhoben, die die seit 2020 verbotene neonazistische Organisation "Combat 18" gemeinsam mit anderen bis mindestens 2022 fortgeführt haben sollen. Seit Oktober 2020 sollen sie mehrere konspirative Treffen und "Leistungsmärsche" ausgerichtet und ein Aufnahmeverfahren für Anwärter:innen durchgeführt haben, das unter anderem aus einem Theorieteil mit Fragen zum Nationalsozialismus bestanden habe. Die Verfahren gegen 17 weitere mutmaßliche Mitglieder wurden im Sommer 2023 an die Staatsanwaltschaften der Länder übergeben. FAZ (Reiner Burger), taz (Sabine am Orde) und LTO berichten.
LG Hamburg – Tod durch Zahnbehandlung: Nachdem ein 18-Jähriger vor acht Jahren im Rahmen einer Zahnbehandlung verstorben war, hat ein angeklagter Narkose-Arzt vor dem Landgericht Hamburg nun Fehler eingeräumt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Anästhesisten sowie einer Zahnärztin gemeinschaftliche Körperverletzung mit Todesfolge vor. Sie hätten den Patienten nicht ordnungsgemäß über Risiken und Art der Narkose aufgeklärt. Wegen der unsachgemäßen Narkose-Führung sei es außerdem zu einem Herz-Kreislauf-Versagen gekommen, das von dem Anästhesisten falsch gedeutet worden sei. Es berichtet spiegel.de.
LG Köln – Unfall durch Lärmschutzwand: Nachdem vor dreieinhalb Jahren eine Autofahrerin durch das herabfallende Betonteil einer Lärmschutzwand auf der A3 bei Köln verstarb, hat das Landgericht Köln nun laut spiegel.de das Hauptverfahren eröffnet. Angeklagt sind ein Mitarbeiter der damaligen Baufirma sowie zwei Mitarbeiter des Landesbetriebs Straßenbau Nordrhein-Westfalen, denen vorgeworfen wird, von den unfallverursachenden Baumängeln gewusst, aber nichts unternommen zu haben. Der Prozess soll im Sommer beginnen.
LG Berlin I – Stasi-Mord am Tränenpalast: Im Verfahren gegen den 80-jährigen Ex-Stasi-Mitarbeiter Manfred N. wegen heimtückischen Mordes an dem Polen Czeslaw Kukuczka im Jahr 1974 hat ein heute 89-jähriger Mann ausgesagt, der damals von der DDR für seinen Einsatz für den Schutz der Republik ausgezeichnet worden war. Der Zeuge gab an, er habe damals als Kraftfahrer gearbeitet. Am Tag von Kukuczkas Tod sei ihm befohlen worden, einen Krankenwagen zum Bahnhof Friedrichstraße und von dort zum Haftkrankenhaus der Stasi in Hohenschönhausen zu fahren, in dem Kukuczka am selben Tag seinen Schussverletzungen erlag; ob sein Leben zu retten gewesen wäre, wenn man ihn zu einer näher gelegenen Klinik transportiert hätte, ist unklar. FAZ (Jörg Thomann) und spiegel.de (Julia Jüttner) berichten.
VG Arnsberg – Wisente in Gefangenschaft: Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Nordrhein-Westfalen will vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg erreichen, dass der Kreis Siegen-Wittgenstein 40 Wildrinder aus einem Gatter schnell wieder in die Freiheit entlässt. Denn die Wisente seien nach der Europäischen FFH-Richtlinie eine streng geschützte Art und dürften demnach nicht eingefangen und festgehalten werden. Immer wieder hatte es in den vergangenen Jahren Streit zwischen dem Kreis und Naturschützer:innen um die bis zu 900 Kilogramm schweren Tiere gegeben, die seit 2013 im Rothaargebirge umherstreifen. Es berichtet die taz (Heike Holdinghausen).
Heike Holdinghausen (taz) kommentiert: Dass Nordrhein-Westfalen nicht in der Lage sei, "die Interessen einer Handvoll Waldbauern mit 20 Wildrindern in Einklang zu bringen", zeige, "dass Deutschland Naturschutz nicht kann".
AG Hannover zu Matratzenkauf: Der Verkäufer einer Matratze muss nicht ungefragt über den Härtegrad einer Matratze aufklären. Dies hat das Amtsgericht Hannover entschieden und damit die Klage einer Frau abgewiesen, die die gekaufte Matratze im Nachhinein für zu hart hielt und den Vertrag daher wegen arglistiger Täuschung anfocht. Entgegen ihrer Auffassung habe der Verkäufer keine Aufklärungspflicht verletzt. Es bestehe keine allgemeine Pflicht, anlasslos alle Umstände zu offenbaren, die für die Kaufentscheidung des anderen Teils von Bedeutung sein könnten. LTO und beck-aktuell berichten.
GenStA Hamburg – Amoktat bei Zeugen Jehovas: Nach der Amoktat mit acht Toten bei den Hamburger Zeugen Jehovas vor mehr als einem Jahr, hat die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg laut spiegel.de die Ermittlungen gegen einen Mitarbeiter der Waffenbehörde nun eingestellt. Der Beamte habe zwar gegen Dienstpflichten verstoßen, indem er Hinweise auf psychische Probleme des späteren Attentäters weder dokumentiert noch weitergeleitet habe, jedoch habe sich der Tatverdacht einer fahrlässigen Tötung nicht erhärtet. Denn auch bei ordnungsgemäßem Handeln des Beschuldigten hätte die Waffe des späteren Attentäters nicht zwingend vor der Tat eingezogen werden müssen.
Recht in der Welt
Finnland – Asyl: Wie nun auch die FAZ (Julian Staib) berichtet, plant die finnische Regierung ein Gesetz, das Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze zu Russland ermöglichen soll. Dieses steht bereits jetzt massiv in der Kritik. So stellen etwa Völkerrechtler:innen klar, dass das geplante Gesetz "einer Reihe internationaler Menschenrechtsnormen" widerspreche. Grenzschutzbeamt:innen befürchten zudem, sich durch die Umsetzung strafbar zu machen. Für die Verabschiedung des sogenannten "Ausnahmegesetzes" im Parlament bräuchte es eine Fünfsechstelmehrheit.
Niederlande – Shell und Klima: Ausführlich berichtet nun auch die SZ (Thomas Kirchner) über den Auftakt des Berufungsverfahrens im Fall des Ölkonzerns Shell in Den Haag. Shell war 2021 dazu verurteilt worden, seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 45 Prozent zu senken. Das Berufungsverfahren ist auf vier Tage angesetzt und endet am 12. April. Das Urteil wird für die zweite Jahreshälfte erwartet.
Italien – Justizreform: Nun schreibt auch die FAZ (Matthias Rüb) über die von Italiens Justizminister Carlo Nordio geplante Einführung psychologischer Eignungstests für angehende Richter:innen und Staatsanwält:innen. Gerade weil die italienische Justiz ein besonders hohes Maß an Unabhängigkeit genieße, müsse man bei der Auswahl der Kandidat:innen laut Regierung besonders penibel vorgehen. Die linken Oppositionsparteien kritisieren dagegen, Ziel der Justizreform sei die Kontrolle und politische Beeinflussung des Justizwesens.
Spanien – Luis Rubiales: Wie die taz (Reiner Wandler) berichtet, wird gegen den ehemaligen Präsidenten des Königlich Spanischen Fußballverbandes Luis Rubiales wegen betrügerischer Geschäftsführung, Geldwäsche und Korruption ermittelt. Rubiales soll ein breites Netzwerk aus Scheinunternehmen aufgebaut haben, um vor allem bei Bauaufträgen große Summen abzuzweigen.
USA – P. Diddy: Ausführlich berichtet nun auch spiegel.de (Henrik Bahlmann/Aleksandra Janevska) über die in den USA gegen den Musiker und Unternehmer Sean Combs alias P. Diddy im Raum stehenden Vorwürfe. In einer Zivilklage hat ihn ein Kollege als "Anführer eines gefährlichen vor allem weitreichenden Menschenhandelsrings" beschrieben, dem mehrere Vergewaltigungen und andere Straftaten anzulasten seien. Mehrere Frauen werfen ihm sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung vor. Die Vorwürfe reichen bis in die 1990er-Jahre zurück. Zudem tauchen im Rahmen der Vorwürfe immer weitere größere Namen auf, unter anderem Prinz Harry. Es heißt, Combs habe Gäste zu mutmaßlichen "Sex Trafficking Partys" eingeladen.
USA – Trump/Stormy Daniels: Ein New Yorker Richter hat den Antrag des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump abgelehnt, seinen Prozess wegen gefälschter Geschäftsunterlagen im Zusammenhang mit Schweigegeldzahlungen an den Pornostar Stormy Daniels zu verschieben, bis der Oberste Gerichtshof über seine Immunität entschieden hat. Trump habe den Antrag zu spät gestellt. Damit wird der Schweigegeldprozess wie geplant am 15. April starten. Der US-Supreme Court verhandelt am 25. April über Trumps Immunität. spiegel.de berichtet.
Juristische Ausbildung
Bachelor of Laws: beck-aktuell (Esther Wiemann) stellt Studiengänge für den Bachelor of Laws (LL.B.) vor, die immer mehr als Alternativen zum Staatsexamen gesehen werden. Vorteil sei der interdisziplinäre Ansatz der Bachelor-Studiengänge. Allerdings könne man mit dem Bachelor-Abschluss nicht Richter:in oder Anwält:in werden.
Sonstiges
Corona-Aufarbeitung: Heribert Prantl (SZ) fordert in seiner Kolumne eine gründliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie und des staatlichen Handelns dabei. Er sieht eine Zukunftsschädigung durch Unterlassen, wenn Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung – insbesondere nach Veröffentlichung der sogenannten RKI-Files – untätig blieben. "Es wäre nicht gut, auf die Aufarbeitung deshalb zu verzichten, weil Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretiker sie missbrauchen könnten. Ein Verzicht wäre erst recht Wasser auf deren Mühlen".
KI in Betrieben: Die Rechtsanwält:innen Kathrin Vossen und Marc Hilber erläutern auf LTO die Auswirkungen der im März beschlossenen EU-KI-Verordnung (AI-Act) auf die Nutzung von KI-Systemen in Betrieben. Für KI-Systeme, die für öffentliche Dienstleistungen, Kredit-Scoring sowie die Preisgestaltung von Lebens- und Krankenversicherungen verwendet werden, sieht der AI Act die Durchführung einer Grundrechte-Folgenabschätzung vor. KI-Systeme zur Bewerberauswahl und zum Personalmanagement gelten als Hochrisikosysteme, da sie die Karriereaussichten und die Lebensgrundlagen von Personen spürbar beeinflussen können.
Abschiebungen: Nina von Hardenberg (SZ) nimmt die versuchte Abschiebung eines Iraners zum Anlass, die bayerische Politik zu kritisieren. So helfe es überlasteten Kommunen keinesfalls, wenn arbeitende, gut integrierte Menschen abgeschoben werden. "Statt nach den schieren Abschiebe-Zahlen zu gieren, sollte Bayern wieder den Blick auf den Einzelfall zulassen. Abschiebung darf kein Selbstzweck sein."
Jurist:innen an Universitäten: LTO-Karriere (Hanna Weißer) befasst sich mit dem Berufsbild von an den Universitäten angestellten Jurist:innen und den vielfältigen Rechtsbereichen, mit denen diese dort konfrontiert sind.
NS-Militärjustiz: Die Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz hat die Zusammenarbeit mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten beendet. Die Bundesvereinigung setzt sich seit Jahren erfolglos für die Errichtung eines Gedenk-Orts für die Opfer der NS-Militärjustiz in Torgau ein – dem Ort, an den 1943 das Reichkriegsgericht verlegt wurde. Zwar gibt es in Torgau bereits eine Gedenkstätte, diese jedoch stellt unter dem Titel "Spuren des Unrechts" die DDR-Diktatur mit der NS-Diktatur auf eine Stufe. Um dies zu ändern, hat die Opfervereinigung vor Jahren ein neues Konzept vorgelegt, das unter anderem eine Ausstellung vorsah, aber nicht umgesetzt wurde. Die taz (David Muschenich) berichtet.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/bo/chr
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Die juristische Presseschau vom 5. April 2024: . In: Legal Tribune Online, 05.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54257 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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